Express-Zusteller im Umbruch: Stürmische Zeiten für UPS
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Express-Zusteller im UmbruchStürmische Zeiten für UPS
Der älteste und größte Express-Zusteller UPS diente Wettbewerbern wie DHL oder Fedex lange Zeit als Rendite-Vorbild. Doch den US-Konzern plagen etliche Sorgen. Nun nehmen die Verantwortlichen Milliarden in die Hand.
Bessere Technologie soll den Betrieb beschleunigen.
(Foto: Bloomberg)
Atlanta An der Wand glänzt ein erstarrter Wasserfall. Der Boden ist mit Eissplittern übersät. Der Atem erkaltet in der Luft. Das Thermometer zeigt minus 34,4 Grad. „Bulk Freezer“ nennt der amerikanische Expresszusteller UPS diesen ungewöhnlichen Lagerraum. Mit ihm will er Ärzte, Krankenhäuser oder Pharmakonzerne überzeugen, Kunde zu werden – für den Transport temperaturempfindlicher Medikamente und Impfstoffe.
Das Massentiefkühlfach liegt ausgerechnet am Rande einer Stadt, die im Sommer Brutofen und Treibhaus zugleich ist: Atlanta. Hier residiert der Konzern – und wirkt im konservativen Süden so deplatziert wie der Lagerraum. Fast auf jeder Versammlung, jedem Grillabend müssen sich die Vorstände von UPS Tiraden von Anhängern des Präsidentschaftskandidaten Donald Trump gegen globalen Freihandel anhören. In wenigen Wochen starten die Präsidentschaftswahlen, Bundesstaat Georgia ist eine Hochburg des republikanischen Bewerbers.
Beim ältesten und zugleich einem der größten Express-Zusteller der Welt, der Wettbewerbern wie DHL, Fedex oder TNT in den vergangenen Jahren als kaum erreichbares Rendite-Vorbild diente, türmen sich die Herausforderungen. Zu ihnen zählt die Sorge, in den Sog des weltweit anziehenden Protektionismus zu geraten.
Freihandel gehört zu UPS wie das Porto auf einem Päckchen. Die Globalisierung verhalf dem 1907 gegründeten Unternehmen zur heutigen Größe von 58 Milliarden Dollar Umsatz. „Es ist sehr schwer, den Argumenten der Politiker zuzuhören“, sagt Mark Wallace, Chef des operativen Geschäfts von UPS, im Interview mit dem Handelsblatt. „Sie sagen nur einen Teil der Wahrheit.“
Kritik am Freihandel schadet UPS
In Washington wirbt UPS für offene Grenzen. „Wir wissen, Freihandel ist gut“, sagt Wallace. Hier im Bundesstaat Georgia aber führt Donald Trump, der das Gegenteil behauptet, in den Umfragen zur amerikanischen Präsidentschaftswahl neun Prozentpunkte vor der demokratischen Konkurrentin Hillary Clinton.
Die Kritik am Freihandel ist kein lokales Problem, wie jeder bei UPS weiß. Mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU zeigt sich: Das Lebenselixier des Konzerns mit 440 000 Mitarbeitern in 220 Ländern ist überall in Gefahr. Jedes Freihandelsabkommen mindert Tarife und Zölle, vereinfacht das Geschäft der Unternehmen. Davon profitiert UPS.
David Abney
Der UPS-Vorstandschef kämpft im Export-Beirat von US-Präsident Obama für den Freihandel.
(Foto: Bloomberg)
Für 20 Pakete, die es zusätzlich transportiert, entsteht ein neuer Arbeitsplatz, argumentiert UPS. Allerdings gilt das auch umgekehrt: Verschwinden zwischenstaatliche Handelsabkommen, entfallen Erlöse und Jobs.
Im vergangenen Jahr gab UPS für seine Lobbyarbeit in Washington mehr als acht Millionen Dollar aus, dreimal so viel wie 2007. Vorstände wie Wallace schreiben Meinungsbeiträge, Vorstandschef David Abney sitzt im „Export-Beirat“ des US-Präsidenten Barack Obama. „Wir sind entschlossen wie eh und je“, sagte Abney einer Runde geladener Journalisten.
Der UPS-Chef hofft, dass TPP – das Freihandelsabkommen zwischen Asien und Amerika – vom Kongress bestätigt wird. Das soll laut Abney nach den Wahlen im November passieren, wenn es eine „lame duck session“ im Kongress gibt: Die abgewählten Abgeordneten bleiben bis zum Januar 2017 im Amt und haben in der Zeit nichts mehr zu verlieren. Sie sind „lahme Enten“ – und könnten von daher für TPP stimmen.
Doch allein auf die Lobbyarbeit will sich der US-Konzern nicht verlassen. UPS geht in die Offensive, investiert und setzt auf Innovation, gibt dafür eine Milliarde Dollar im Jahr aus.
Es ist Mitternacht. Soeben strömen die letzten der 6 000 Schichtarbeiter in die Hallen des weltgrößten Drehkreuzes des Frachtriesen. Hier in Kentucky stehen die Frauen und Männer bis 5.30 Uhr an den Fließbändern, um Briefumschläge und Pakete zu sortieren und in Container zu packen. Vor den Toren stehen die Boeing-, Airbus- und MD-11-Maschinen mit dem braunen Logo, schlucken die Fracht und jagen alle 90 Sekunden in den schwarzen Himmel.
Ein Blick in die Abfertigungshalle gleicht dem in das Innere eines Vulkans: Überall flammen rote Lichter auf. Das vermeintliche Magma sind Laserstrahlen. Sie blitzen auf, immer wenn ein Paket auf dem Fließband vorbeiläuft und dessen Code vom Computer gelesen wird. In Spitzenzeiten flammen die Laser jede Minute 2 500 Mal auf – so viele Pakete werden bei UPS in der Nähe von Louisville umgeschlagen.
Die Automatisierung der zentralen Drehscheibe ist der ganze Stolz von UPS. Genauso sollen alle anderen Vertriebszentren des Unternehmens mit Fließbändern und neuer IT-Technologie ausgestattet werden. Allein in den USA laufen acht Modernisierungsprojekte, bis 2020 sollen 60 Prozent aller US-Pakete durch vollautomatisierte Netze laufen.
UPS – Das Unternehmen im Überblick
Gründung Die Firma wurde 1907 als American Messenger Company in Seattle gegründet. Im Jahr 1919 wurde es in United Parcel Service (UPS) umbenannt. Der Firmensitz ist heute in Atlanta.
UPS beschäftigt weltweit 444 000 Mitarbeiter, rund 82 000 davon außerhalb der USA. Der Umsatz belief sich im vergangenen Jahr auf 58,4 Milliarden US-Dollar.
Die Fracht verteilt UPS vor allem in Lastzügen, Kleinwagen und Motorrollern. In Venedig und einigen anderen Städten kommen aber auch Boote zum Einsatz.
Die Tochter UPS Airlines verfügt über 237 eigene Flugzeuge plus 413 geleaste Maschinen und unterhält damit nach Fedex eine der größten Luftfrachtflotten weltweit.
Das zweitgrößte Drehkreuz von UPS, eine Halle am Flughafen Köln-Bonn, ist bereits modernisiert. „190 000 Pakete die Stunde, das ist eindrucksvoll“, schwärmt UPS-Vorstand Wallace von den Deutschen. Derzeit baut UPS in Paris und London zwei neue automatisierte Zentren, insgesamt investiert der Konzern bis 2019 zwei Milliarden Dollar in Europa.
Doch auch hinter diesen Anstrengungen verbergen sich Sorgen. „Wir passen auf“, sagt Wallace. Und meint damit die verschärfte Konkurrenz durch die Fusionspartner Fedex und TNT in Europa. Ursprünglich hatte UPS selbst nach TNT gegriffen, war von den Kartellbehörden dabei aber gestoppt worden.
Hoffnung auf neue Kunden
Manager von UPS drängen nun zur Eile. „Jetzt besteht die Chance, Kunden zu gewinnen“, sagt einer. Die Fedex-TNT-Fusion lenke die Wettbewerber in der nächsten Zeit vom eigentlichen Geschäft ab. Die Hoffnungen sind laut Unternehmensberater Satish Jindel von SJ Consulting berechtigt: „Fedex hat in der Vergangenheit kein gutes Händchen mit der Integration von Firmen gezeigt.“
Die Hektik sieht man der Konzernzentrale nicht an. Tapeten, Holzbalken, Tische, Sessel – alles ist in gediegenem Braun-Gold gehalten und entspricht der Farbe des Firmenlogos. Das Gebäude liegt in einem schattigen Wäldchen, Vorstände gehen an einem Oldtimer vorbei, einem als UPS-Lieferwagen umgebauten Ford Model T. Dabei ist es gerade neueste Technologie, die den US-Konzern nach vorne treibt.
Seit Jahrzehnten fährt Esau Badillo Pakete für UPS aus. Der gebürtige Ecuadorianer liebt seinen Job, im West Village von New York kennen ihn alle Portiers und Ladenbesitzer. „Ich rede mit jedem“, sagt der 45-Jährige, „und schon ist der Tag um.“ Als Badillo 1993 anfing, da musste er noch auf Papier schreiben und alle 30 Minuten von einer Telefonkabine in der Zentrale anrufen. Heute tippt er seine Stopps ins Delivery Information Acquisition Device, einen mobilen Computer mit schwarz-weißem Bildschirm und einem Meer an Knöpfen.
UPS-Truck
Die Globalisierung verhalf dem Logistiker zur heutigen Größe.
(Foto: AP)
In welcher Reihenfolge Badillo Station macht, bleibt ihm überlassen. Keine einfache Entscheidung, wie sich Vorstand Wallace erinnert. Wie viele Manager fing er als Fahrer bei UPS an, lernte am Wochenende die Postleitzahlen auswendig und fuhr die Straßen ab, um die besten Kombinationen herauszufinden. Jede Meile zählt: „Rein rechnerisch gewinnt UPS jährlich mehr als 14 Millionen Dollar, wenn die Fahrer eine Minute schneller sind“, sagt Wallace.
Um die Tagestour eines Fahrers zu optimieren, setzte UPS 2003 eine Schar Wissenschaftler unter Leitung von Jack Nevis an das Problem. Die Herausforderung war groß, die möglichen Kombinationen einer Tagestour mit 120 Stopps sind „fast unendlich hoch“, so Wallace. Zur Lösung brauchte es einen Algorithmus, der „1 000 Seiten lang ist“.
Lange Zeit sah es schlecht für das Vorhaben aus, dem UPS den Namen „Orion“ gab. „Ich musste mir anhören, wir würden Traumschlösser bauen“, sagte Nevis. Einige seiner Kollegen warnten ihn vor einem „Karriere-Selbstmord“.
2008 gab Nevis‘ Vorgesetzter dem Team noch drei Monate. Die Frist wirkte Wunder, Nevis und seine Wissenschaftler kamen auf eine „Cluster-Lösung“, die das System effizient und ohne Serviceverlust arbeiten lässt.
400 Millionen Dollar gespart
Derzeit führt UPS das Fahrerassistenzsystem in den USA ein, 2017 soll es auch nach Deutschland kommen. Laut Konzern werden durch Orion 160 Millionen Kilometer weniger jährlich gefahren, was UPS 300 bis 400 Millionen Dollar spart. Eine stolze Summe für ein Projekt, das insgesamt rund 250 Millionen Dollar kostete.
Die technische Aufrüstung von UPS hat einen weiteren Grund: Amazon. „Wie sichern Sie sich dagegen ab, dass Kunden möglicherweise mehr und mehr Wettbewerber werden?“, fragte Alexander Vecchio, Analyst bei Morgan Stanley, dazu neulich auf einer Telefonkonferenz.
Die bange Nachfrage ist nicht grundlos. Das Online-Kaufhaus baut mehr und mehr seine eigene Logistik auf. Erst vor wenigen Wochen beteiligte es sich an zwei Flugzeug-Leasingfirmen, um seine eigene Luftflotte im Frachtgeschäft zu eröffnen.
„Wir sollten daraus keine voreiligen Schlussfolgerungen ziehen“, sagte Vorstandschef Abney auf Frage des Handelsblatts. „Das ist noch kein eigenes Auslieferungssystem.“ Amazon sei ein „guter Kunde“ und hielte seine Volumenversprechen ein.
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