Eierlikör-Hersteller in der Pandemie: Viktoria & William Verpoorten
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Familienunternehmen„Eierlikör war nie out“ – Viktoria und William Verpoorten profitieren von der Coronakrise
Verpoorten verkauft in der Pandemie mehr Eierlikör und gewinnt auch jüngere Kundschaft. Doch Mangel an Material und bei Logistik bremsen den Weltmarktführer aus.
„In den 60ern wurde Eierlikör auf der geklöppelten Decke serviert und aus der Likörschale zum Kaffee getrunken, heute machen wir daraus einen Coffee Shooter.“
(Foto: Verpoorten)
Bonn Dottergelb, soweit das Auge reicht. In der Bonner Firmenzentrale von Verpoorten haben Fußboden, Sofas und sogar das Kaffeegeschirr die Farbe der Hauptzutat im Eierlikör. An der Wand hängen Werbeposter aus vielen Jahrzehnten, die Unternehmer William Verpoorten, 65, begeistert erläutert.
Der Slogan „Ei, ei, ei … Verpoorten“ ist seit 1961 unverändert, auch wenn sich die Zielgruppe verjüngt hat. Auch im Familienunternehmen hat ein Generationswechsel begonnen. Tochter Viktoria, 31, aus der sechsten Generation leitet nun den Einkauf.
Herr und Frau Verpoorten, Eierlikör galt ja immer als Getränk für fidele Seniorinnen. Auf Ihrer Homepage sind heute hippe junge Frauen mit Tattoo und Mixgetränken in der Hand zu sehen. Profitiert Verpoorten vom Jägermeister-Effekt und avanciert gar zum Szenegetränk? William Verpoorten: Eierlikör war nie out. Jeder Händler – egal, ob das Warenhaus, der Discounter oder der Edeka um die Ecke – hat immer Eierlikör im Regal. Verpoorten liegt bei der Käuferreichweite, verglichen mit allen Spirituosen, die in Deutschland gehandelt werden, auf Platz drei nach Aperol und Ramazzotti. Eierlikör wird zu Unrecht eine alte Kundschaft angedichtet. Viktoria Verpoorten:Wir haben viel Zeit und Mühe investiert, um unsere Zielgruppe zu verjüngen. Der Altersschnitt liegt heute bei 44 Jahren. Es gibt schon einen gewissen Hype um Eierlikör, ähnlich wie bei Gin. William Verpoorten: Eierlikör ist kein Feuerwasser, sondern Genuss. Er ist vielseitig verwendbar für Desserts, Kaffeecocktails, zum Backen oder Eis – wir müssen mit den Getränken in den Bars und Clubs abends nicht in Konkurrenz treten. Verpoorten wird gerne schon ab mittags bis zum frühen Abend verwendet. Dies unterscheidet uns von allen anderen Spirituosen deutlich.
Wie hat sich der typische Eierlikörtrinker über die Jahrzehnte verändert? William Verpoorten:Immer noch kauft zu 80 Prozent die Frau ein, der Mann trägt lieber den schweren Kasten Bier oder den Doppelkorn zur Kasse. Wenn der Likör dann zu Hause ist, trinkt der Mann aber fast die Hälfte mit. In der Pandemie haben wir gerade bei jüngeren Leuten stark gewonnen.
Variantenreich
Das traditionsreiche Familienunternehmen hat die Produktpalette modernisiert.
Der Umsatz von Verpoorten ist 2020 um 8,5 Prozent gestiegen. Warum wurde in der Pandemie mehr Eierlikör getrunken? William Verpoorten: Die Menschen waren im Lockdown gezwungen, sich zu Hause zu verwöhnen. Und in unsicheren Zeiten greifen sie auf bewährte Marken zurück wie Pizza von Dr. Oetker, Eis von Langnese – oder eben den Eierlikör-Klassiker aus Bonn. Wir sind Weltmarktführer. Viktoria Verpoorten: Allerdings gab es keine Weihnachtsmärkte, wo sonst viel Eierpunsch getrunken wird. Auch der Verkauf in Duty-free-Shops fiel flach. Dafür wuchs unsere Onlinegeschäft.
Womit bringen Sie junge Kunden auf den Geschmack? William Verpoorten: In den 60er-Jahren wurde Eierlikör auf der geklöppelten Decke serviert und aus der Likörschale zum Kaffee getrunken, heute machen wir daraus einen „Coffee Shooter“. Viktoria Verpoorten: Ein dreigeschichtetes Glas: unten Verpoorten, darüber ein doppelter Espresso und oben Milchschaum oder Sahne – dann mit dem Strohhalm einmal hochziehen. Auf den wichtigsten Social Media-Kanälen wie Instagram, Facebook oder Pinterest geben wir Vollgas. Wir schicken Influencern unsere Sondereditionen wie Pfirsich-Maracuja oder Amaretto-Apricot – in coolen Apothekerflaschen mit Eisboden. Besonders freuen wir uns über glaubwürdige Influencer, die ihre eigenen Rezepte wie Cocktails oder Muffins posten.
Verpoorten
Eugen Verpoorten entwickelte 1876 in Heinsberg das geheime Familienrezept für Eierlikör. Bis heute ist es unverändert. Seit 1952 residiert der Hersteller in Bonn. Verpoorten ist Weltmarktführer für Marken-Eierlikör, stellt aber auch Handelsmarken her. Der Umsatz liegt nach Firmenangaben bei „über 50 Millionen Euro“ und stieg 2020 um 8,5 Prozent. Das Familienunternehmen exportiert etwa 30 Prozent der Produktion.
William Verpoorten, 65, leitet den Eierlikörhersteller seit 2003 in fünfter Generation. Er weitete das Geschäft mit Lizenzpartnerschaften für Pralinen, Gebäck und Desserts aus. Im März 2020 stieg Tochter Viktoria als Trainee in den Betrieb ein. Ein Jahr später wurde die Betriebswirtin Einkaufsleiterin. Die 31-Jährige arbeitete vorher vier Jahre beim Tabakkonzern Philip Morris.
Der Werbejingle „Ei, ei, ei…Verpoorten“ ist seit 1961 ein Ohrwurm und unverändert wie das Rezept. Für jeden Marketingberater ein Graus. William Verpoorten: „Ei, ei, ei…“ ist auf jeder Flasche ins Glas geprägt. Den Jingle kennt fast jeder, der bleibt. Die meisten haben ihren ersten Eierlikör auf dem Schoß der Tante bei der Kommunionsfeier der Geschwister probiert. Verpoorten wird immer mit Familie und Freunden verbunden.
Die junge Generation legt mehr Wert auf nachhaltige Ernährung. Warum gibt es Verpoorten nicht mit Bio-Eiern? William Verpoorten: Mit 250 Bio-Eiern von einem Bauer Bölte kommen wir nicht zurecht. Viktoria Verpoorten: Die Menge an Bio-Eiern, die wir benötigen, ist leider in ausreichender Menge ganzjährig nicht verfügbar. Wir beziehen ausschließlich frische Eier der Güteklasse A aus Kontrollierten Alternativen Tierhaltungsformen (KAT-zertifiziert). Außerdem ist unser Eierlikör gluten- und laktosefrei, das spricht viele jüngere Menschen an.
„Ohne Alkohol müssten wir Konservierungsstoffe zusetzen“
Inzwischen gibt es auch passablen pflanzlichen Ei-Ersatz – wann wird Verpoorten vegan? Viktoria Verpoorten: Klar haben wir Rezepte für Eierlikör ohne Ei in der Schublade. Die haben wir in unserem Labor selbst entwickelt. Aber der Geschmack muss natürlich auch stimmen. William Verpoorten: Und momentan glauben wir nicht, dass solch eine Nische in der Nische von Erfolg gekrönt wäre.
Auch Alkoholfreies liegt im Trend. Selbst Hochprozentiges wie Gin ist ohne Alkohol ein Renner. Warum funktioniert das nicht bei Eierlikör? William Verpoorten: Wir verwenden ausschließlich frische Eier. Die produktschonende Pasteurisation und der extrafein filtrierte Alkohol sichern die Qualität. Ohne Alkohol müssten wir künstliche Konservierungsstoffe zusetzen – wer will das schon? Viktoria Verpoorten: Von jeder Eier-Palette bis zum fertigen Likör ziehen wir fortlaufend Proben. Einwandfreie Qualität hat oberste Priorität. Verpoorten hat nur ein Produkt – den gelben Klassiker. Ein Rückruf wäre für uns möglicherweise existenzbedrohend.
Flaschenetikettierung bei Verpoorten
Das Unternehmen konzentriert sich vor allem auf den klassischen Eierlikör.
Apropos ein Produkt. Verpoorten gibt es inzwischen in Pralinen, Torten, Desserts und Eis. Ihr überschüssiges Eiweiß liefern Sie an Baiserhersteller. Warum haben Sie in 150 Jahren nicht diversifiziert und stellen solche Produkte nicht selbst her? William Verpoorten: Mein Prinzip lautet: Wer nicht zu den ersten drei im Markt gehört, hinkt immer hinterher. Dann lieber spitz und stark als die Nummer vier. Viktoria Verpoorten: Wir haben andere Familienunternehmen als Lizenzpartner – Kuchenmeister für Baumkuchenspitzen, die Konfiserie Reber für gefüllte Pralinen, Merl für Schichtdesserts und Bofrost für Torten und Eis. Die sind Experten auf ihrem Gebiet, und deren Vertriebskanäle sind ganz andere. William Verpoorten: Für uns bringen die Kooperationen nur Vorteile und zusätzliche Sichtbarkeit. Es reicht nicht, wenn unsere 0,7-Literflasche nur im „schattigen“ Spirituosenregal steht. So sehen die Kunden unsere Marke auch im Kuchen-, Schokoladen- und Dessert-Regal. An unserer Pralinenverpackung finden sich zurzeit Mini-Flaschen als Beigabe. Das ist der Renner.
Die Preise für viele Rohstoffe sind explodiert. Wird Verpoorten demnächst teurer? Viktoria Verpoorten: Wir werden sicherlich darüber nachdenken müssen, unsere Preise zu erhöhen. Seit der Pandemie herrscht an allen Ecken und Enden Mangel. Bestimmte Aluverschlüsse haben Lieferzeiten von vier bis sechs Monaten. An anderen Tagen mangelt es an Kartonage oder Selbstklebe-Etiketten. Wir sind insofern froh, dass wir unsere Kunden bisher noch sicher beliefern können. William Verpoorten: Seit drei Monaten versuchen wir vergebens, drei neue Abfülllinien zum Laufen zu bringen. Der Maschinenbauer bekommt einfach keine Teile vom Vorlieferanten. So extrem war es noch nie. Holzpaletten kosten das Dreifache im Vergleich zum Jahresanfang. Der Markt ist wie leer gefegt. Und selbst wenn die Ware versandfertig ist, sagen uns viele Spediteure, sie hätten zu wenige Fahrer.
„Viktoria hat nicht nur die Luft der oberen Etagen geatmet“
Ist das Weihnachtsgeschäft gefährdet? Viktoria Verpoorten: Die Lage spitzt sich immer weiter zu, vor allem, weil die Speditionen Personalnot haben. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es zu Weihnachten gähnend leere Regale im Handel gibt. Wir kaufen weit über den aktuellen Bedarf ein, haben zwei große Lagerhallen extern angemietet, um die Lieferfähigkeit sicherzustellen. Das alles kostet.
Da sind Sie ja in turbulenten Zeiten ins Unternehmen eingestiegen, Frau Verpoorten. Viktoria Verpoorten: Am 1. März 2020 habe ich hier angefangen und bin von München nach Bonn gezogen. Dann ging es gleich los mit Corona und ständigen Tests. Als Trainee bin ich ein Jahr durch alle Abteilungen gewandert – von Produktion, Abfüllung, Marketing und Buchhaltung bis zum Einkauf, den ich seit März 2021 leite. William Verpoorten: Meine Tochter ist mit offenen Armen im Betrieb empfangen worden, schließlich hat sie hier schon während ihrer Schulferien gejobbt. Viktoria hat nicht nur die staubfreie Luft in der obersten Etage geatmet. Sie hat sich überall im Unternehmen bewiesen. Dazu gehörte auch, den 80.000 Liter-Tank für Eierlikör von innen zu inspizieren.
Verwaltungsgebäude in Bonn
Die Gründerfamilie behält in der Zentrale das Sagen.
Wollten Sie schon immer ins Unternehmen? Oder lastete ein gewisser Erwartungsdruck auf Ihnen und Ihrem Bruder Philipp? Viktoria Verpoorten: Mein Vater hat sich sehr gefreut, dass ich als Vertreterin der sechsten Generation eingestiegen bin. Mein Bruder ist vier Jahre älter und Forstamtsleiter in Niedersachsen. William Verpoorten: Den habe ich zu früh an die Natur herangeführt. Er fühlt sich sehr verbunden mit dem Unternehmen, ist aber mit Herzblut Förster. Viktoria Verpoorten: Jeder hat nur ein Leben. Deshalb sollte jeder tun, was ihm die größte Freude bereitet. Mir war wichtig, dass ich mein Können zuerst woanders beweise und nicht direkt nach dem Studium, sozusagen grün hinter den Ohren, hier anfange. Ich habe zwei gesunde Hände, habe vier Jahre bei Philip Morris im Innen- und Außendienst gearbeitet. Falls es im Familienunternehmen knirschen sollte, könnte ich jederzeit woanders anheuern.
Ihr Großvater Viktor hat bis zu seinem Tode 2003 mit 81 Jahren noch das Unternehmen geführt. Haben Sie nicht Angst, dass Ihr Vater ebenfalls nicht loslassen kann? Viktoria Verpoorten: Irgendwann wird der Staffelstab übergeben. Aber ich fände es nicht verkehrt, wenn mein Vater wie mein Opa mit 80 Jahren noch im Unternehmen vorbeikäme. Das ist nicht nur gut fürs Betriebsklima – wir alle profitieren von seiner Erfahrung.
Wie würden Sie Ihren Vater als Unternehmer charakterisieren? Viktoria Verpoorten: Mein Vater ist ein kreativer Kopf, ein großartiger Produktentwickler und Visionär. Mit neuen Geschmacksrichtungen, coolen Flaschen und den Lizenzpartnerschaften hat er einen großen Schritt nach vorne gewagt. Und mit seinem Humor kommt er bei der Belegschaft super an. William Verpoorten: Ich habe ein klares Führungsprinzip: Jeder kann einen Fehler machen, darf ihn aber nicht wiederholen. Sonst gibt es eine Abmahnung.
Wie arbeitet Ihre Tochter? William Verpoorten: Viktoria ist klar strukturiert, arbeitsam und geradeheraus, kein Schickimicki. Wir kommen gut klar. Das Geheimrezept des Eierlikörs, das seit 1876 unverändert ist, hat sie aber erst im März erfahren. Von meinem Mehrheitsanteil an der Firma habe ich schon ein gerütteltes Maß an meine Kinder abgetreten, um sie frühzeitig in den Familienbetrieb einzuführen. Denn wir spielen hier ja nicht Monopoly.
Bleibt Verpoorten auch in Zukunft in Familienhand? Viktoria Verpoorten: Es gab schon so einige Übernahmeangebote. Aber wir verkaufen selbstverständlich nicht. Wir bleiben ein Familienunternehmen. Vielen Dank für das Gespräch.
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