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Fengru Lin Angriff auf einen 700 Milliarden-Dollar-Markt: Diese Unternehmerin produziert Milch im Labor

Singapur wird zum Ideen-Zentrum unserer künftigen Ernährung. Nächstes Kapitel: Die Gründerin von Turtletree Labs setzt auf Milch aus dem Bioreaktor.
26.07.2021 - 11:30 Uhr Kommentieren
Milch aus dem Labor soll eine deutlich bessere Ökobilanz haben. Quelle: Turtletree
Fengru Lin und Max Rye

Milch aus dem Labor soll eine deutlich bessere Ökobilanz haben.

Bangkok Dass man in Singapur nicht mehr zwingend Tiere braucht, um Milch herzustellen, liegt in erster Linie an Fengru Lins Vorliebe für guten Käse. Die südostasiatische Unternehmerin macht ihren Mozzarella am liebsten selbst – und ging deshalb vor Jahren bei Landwirtschaftsbetrieben in Thailand und Indonesien auf die Suche nach dem besten Milchhersteller. Die Reisen ließen sie desillusioniert zurück: Mit Hormonen vollgepumpte Tiere, mangelhafte Hygiene und verunreinigtes Wasser gehörten ihren Eindrücken zufolge zum Alltag der lokalen Milchindustrie.

Mit ihrem Biotechnologie-Start-up Turtletree Labs will Lin nun ein Gegenmodell aufzeigen, das aus ihrer Sicht die 700-Milliarden-Dollar schwere Milchindustrie revolutionieren könnte: Die Milch, die das vor zwei Jahren gegründete Unternehmen produziert, stammt nicht aus Eutern von Kühen, Ziegen oder Schafen – sondern entsteht mithilfe von Zellkulturen in Bioreaktoren in Lins Labor. Turtletree ist nach eigenen Angaben das weltweit erste Unternehmen, dem es mit einem solchen Verfahren gelungen ist, eine vollwertige Vollmilch herzustellen.

Die Vorteile liegen laut der 33-jährigen Gründerin auf der Hand: Ihr Produkt kommt ohne Massentierhaltung aus und hat eine um 98 Prozent niedrigere CO2-Bilanz als herkömmliche Milch – die Labormilch ist damit sowohl ethisch als auch ökologisch überlegen, lautet Lins Botschaft.

Mit ihrem Start-up ist die ehemalige Google- und Salesforce-Managerin Teil einer Innovationsoffensive in ihrer Heimat, mit der Singapur die Zukunft des Essens entscheidend mitgestalten möchte. Mit Unterstützung der Behörden hat sich der 5,5 Millionen Einwohner große Stadtstaat zu einem globalen Zentrum bei der Entwicklung neuer Lebensmitteltechnologien etablieren können. Gründer arbeiten hier an vertikalen Großstadtfarmen, der nächsten Generation von pflanzlichem Fleischersatz und Garnelen aus der Retorte.

Die Milch aus Lins Labor gilt dabei als einer der größten Hoffnungsträger. Im vergangenen Jahr gewann sie mit Turtletree den mit einer Million Dollar dotierten Unternehmerwettbewerb „The Liveability Challenge", den der philanthropische Arm von Singapurs Staatsfonds Temasek ausgeschrieben hat. Auch bei dem von Saudi-Arabien veranstalteten „Entrepreneurship World Cup" landete Turtletree auf Platz eins und setzte sich damit gegen 1000 andere vorausgewählte Start-ups durch.

Lin hatte das Unternehmen gemeinsam mit ihrem Geschäftspartner Max Rye gegründet. Den Amerikaner lernte die Absolventin der Singapore Management University während ihrer Zeit bei der Singapur-Niederlassung von Google kennen. Rye hielt dort einen Vortrag über prägende neue Technologien und sprach auch über die Fleischproduktion aus Stammzellen – Lin wollte anschließend von ihm wissen, ob das auch mit Milch möglich sei.

Investor: „Könnte zu ernst zu nehmender Disruption in der Milchindustrie führen"

Zusammen mit Spezialisten auf dem Gebiet machten die beiden aus der Idee ein Unternehmen. Risikokapitalgeber mit Erfahrung in der Branche zeigten sich beeindruckt – und steckten bisher mehr als neun Millionen Dollar in das Start-up. „Was Turtletree Labs macht, ist faszinierend – die Technologie könnte zu einer ernst zu nehmenden Disruption in der globalen Milchindustrie führen", sagte Nick Cooney, der Chef des auf Protein-Alternativen spezialisierten Investors Lever VC, der seit vergangenem Jahr an dem Start-up beteiligt ist.

Turtletree arbeitet mit Stammzellen, die aus frischer Milch extrahiert werden, und lässt diese zu Milchdrüsenzellen heranwachsen. Die Zellen werden anschließend in ein sogenanntes Laktationsmedium geleitet und wandeln diese Nährflüssigkeit zu Milch um. Die Milchdrüsenzellen können dabei mehrfach wiederverwendet werden. Das Ergebnis ist nach Angaben des Unternehmens identisch mit auf natürlichem Wege erzeugter Milch. Kuhmilch habe man so bereits im Labor hergestellt. Das Prinzip lasse sich aber auch mit der Milch anderer Tierarten anwenden – und sogar mit Muttermilch.

In dem Einsatzgebiet ist Turtletree nicht allein: In den USA arbeitet seit vergangenem Jahr auch das Start-up Biomilq an Muttermilch aus Zellkulturen. Fengru Lin verfolgt mit Turtletree aber einen deutlich umfassenderen Ansatz, der auf eine Vielzahl von Milchprodukten abzielt. Die Ambitionen sind groß: In Powerpoint-Präsentationen rechnet sie vor, dass ihr Unternehmen so viel CO2 einsparen könnte, wie derzeit von 2,4 Millionen Fahrzeugen ausgestoßen wird, sollten fünf Prozent der globalen Milchindustrie auf ihre Produktionsweise umstellen.

Erreichen will Lin das, indem sie ihre Technologie an große Lebensmittelkonzerne lizenziert. Dass es einfach sein wird, die Innovation durchzusetzen, erwartet sie aber nicht: Die Akzeptanz bei den Konsumenten für alternative Proteine sei eine der größten Herausforderungen, sagt die Gründerin dem Handelsblatt. „Wir müssen mehr Aufklärungsarbeit leisten, um zu zeigen, wie unsere Technologie die Ernährung fundamental ändern kann."

Massenmarkt erst nach Behördenweg möglich

Ähnlich schwierig dürfte es mit Blick auf die Zulassungsbehörden werden, deren Zustimmung Turtletree Las benötigt, um auf den Massenmarkt gelangen zu können. Es werde nötig sein, eng mit den Regulierern zusammenzuarbeiten, damit es zu Richtlinien komme, die der Branche helfen werden, sagt Lin.

Eines der größten Probleme ist aber noch ein rein unternehmerisches: der Preis. Ähnlich wie bei der Herstellung von Laborfleisch ist auch die im Labor gezüchtete Milch noch immer sehr teuer. Größter Kostenfaktor sind dabei sogenannte Wachstumsfaktoren, die für die Entwicklung der Zellkulturen notwendig sind. „Die Kosten zu senken war bisher eines unserer größten Probleme", erzählt Lin. Im Fall des von Turtletree verwendeten Laktationsmediums habe ihr Start-up deshalb damit begonnen, die Komponenten zunehmend selbst herzustellen – und damit billiger zu machen.


Turtletree stellt in Singapur Milch im Labor her. Quelle: Turtletree
Biologe im Labor von Turtletree

Turtletree stellt in Singapur Milch im Labor her.


Inzwischen beliefert Turtletree mit den Wachstumsfaktoren auch andere Unternehmen, die im Bereich der Laborproteine arbeiten – dieses neue Geschäftsfeld will Lin in den kommenden Jahren deutlich ausbauen. Singapur ist dafür ein interessanter Markt.

Das Land war kürzlich das erste, das mit Zellkulturen gezüchtetes Hähnchenfleisch zugelassen hat. Die Förderung neuer Lebensmitteltechnologien gehört für das Land zur nationalen Strategie: Die Behörden haben sich zum Ziel gesetzt, die Eigenproduktion von Lebensmitteln von zuletzt lediglich zehn auf 30 Prozent im Jahr 2030 zu steigern – und damit die Gefahr von Lieferengpässen zu reduzieren.

Trotz Singapurs Offenheit für die neuen Laborlebensmittel blickt Fengru Lin aber bereits über den Heimatmarkt hinaus: Die Forschungsabteilung verlegte sie vor wenigen Monaten nach Kalifornien – weil sie dort leichter Milchspezialisten anwerben könne. Bis Labormilch in die Supermarktregale gelangt, dürfte es aber auch mit US-Unterstützung noch mindestens einige Jahre dauern.

Ein erstes Produkt will Turtletree aber noch in diesem Jahr auf den Markt bringen: Im Labor hergestelltes Lactoferrin – ein Protein, das Turtletree auf Basis von Muttermilch herstellt – will Lin mithilfe von Partnern in der Lebensmittelindustrie als gesundheitsfördernde Zutat vertreiben. Es könnte sich demnächst in Babynahrung und Fitness-Snacks wiederfinden.

Mehr: Singapur lässt sich das Laborhühnchen schmecken – Europa verpasst den wichtigen Ernährungstrend.

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