Fleischkonzern Poker um Firmenverkauf: Der Tönnies-Familienstreit spitzt sich erneut zu

Die Inhaber des größten deutschen Schlachtkonzerns sind seit vielen Jahren zerstritten.
Düsseldorf, Frankfurt Ausgerechnet zum 50. Firmenjubiläum des Fleischkonzerns Tönnies eskaliert der Streit der Inhaber. Auf der einen Seite stehen Geschäftsführer Clemens Tönnies, 64, und sein Sohn Max, 30. Auf der anderen Seite Clemens’ Neffe Robert Tönnies, 42.
Onkel und Neffe kämpfen seit Jahren erbittert um die Macht im Unternehmen und gelten als typische „westfälische Sturköpfe“. Beide Parteien halten jeweils die Hälfte der Anteile an Deutschlands größtem Schlachtkonzern. Eine klassische Pattsituation, die das Familienunternehmen seit Langem lähmt.
Am Donnerstagabend schreckten Spekulationen über einen Verkauf die Belegschaft auf. Das Unternehmen prüfe offenbar seit Monaten entsprechende Optionen und bereite sein Zahlenwerk für einen Verkauf auf, berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf informierte Kreise. Bis zu vier Milliarden Euro könnte ein Verkauf laut Insidern einbringen.
Mögliche Käufer sollen demnächst angesprochen werden, hieß es in dem Bericht. Als Interessenten werden der US-Konzern Tyson Foods, das brasilianische Unternehmen JBS oder die chinesische WH Group genannt, welche bereits 2013 den US-Konkurrenten Smithfield Foods aufgekauft hatte.
Die Verunsicherung am Stammsitz in Rheda-Wiedenbrück war nach Bekanntwerden der Verkaufsgerüchte offenbar groß. Clemens Tönnies und sein Sohn Max, der die Wurstsparte leitet, sahen sich am Freitagmorgen gezwungen, die Belegschaft zu beruhigen.
„Der Erfolg der vergangenen Jahrzehnte lässt uns nicht müde werden, weiterzumachen und in die nächste Generation zu starten“, betonen beide in einem Schreiben, das dem Handelsblatt vorliegt. „Wir lassen uns von Gerüchten nicht beeinflussen, sondern beweisen mit unserer täglichen Arbeit, dass wir bereit sind für die Zukunft im Unternehmen.“
Ein klares Dementi klingt anders. Noch vor 15 Monaten hatte Clemens Tönnies in einem Interview mit der „Wirtschaftswoche“ betont: „Ich will und werde dieses Unternehmen nicht verkaufen.“ Solche Worte wählte der Patriarch, der sonst für seine klaren Ansagen bekannt ist, diesmal nicht. Neffe Robert Tönnies lehnte eine Stellungnahme ab.
Es ist nicht das erste Mal, dass Verkaufsgerüchte um Tönnies gestreut werden – Robert Tönnies, der mit seinem Onkel im Beirat sitzt, drängt seit Längerem auf eine Trennung. In Sachen Tierwohl, Personal und Strategie gehen die Vorstellungen der beiden Firmeninhaber zu oft auseinander. Robert will nach eigenen Worten „Nachhaltigkeit und Ökonomie zusammenbringen“. Er ist Gründer des Online-Hofladens Wochenmarkt24 und des E-Auto-Leasingdienstes Electrify.
Der Streit zwischen Onkel und Neffe war nach dem frühen Tod von Firmengründer Bernd Tönnies 1994 entbrannt. Der vererbte seinen Söhnen Robert und Clemens junior zusammen 60 Prozent des Betriebs. Clemens Tönnies erhielt zunächst 40 Prozent und durch Schenkungen seiner Neffen später weitere zehn Prozent der Firma. Doch Robert, der seinem Bruder die Anteile abkaufte, fühlte sich von seinem Onkel immer mehr übervorteilt. Der Streit landete schließlich beim Bundesgerichtshof.
Der „Westfälische Friede“ hielt nicht lange
2017 hatten sich Clemens, Robert und Max Tönnies eigentlich tränenreich versöhnt. Ein komplizierter Einigungsvertrag sollte endlich Ruhe bringen. Doch dieser „Westfälische Friede“ hielt nicht lange. Im Juli 2019 reichte Robert eine Schiedsklage gegen seinen Onkel und Cousin ein. Damit will er feststellen lassen, dass das Verhältnis der beiden Parteien zerrüttet ist. In diesem Fall ist laut Einigungsvertrag ein Verkauf des Unternehmens möglich.
Robert wirft seinem Onkel vor, ihn „zum Schnäppchenpreis aus dem Unternehmen herausdrängen zu wollen“. „Es wäre besser, wenn man sich endlich unter den fairen Regelungen des Einigungsvertrages trennt“, sagte er. Jeder Gesellschafterstamm hätte demnach die Möglichkeit, sich einzeln oder gemeinsam mit anderen Interessenten am Verkaufsverfahren zu beteiligen.
Für Peter May, der viele Familienunternehmen bei Streitigkeiten berät, wäre ein Verkauf von Tönnies die „einzig vernünftige Lösung“ in der Pattsituation. „Endlich käme Ruhe ins Unternehmen“, so May. Eine Realteilung der Firma dagegen – wie etwa bei Bahlsen in süßes und salziges Gebäck – wäre für den Schlachtkonzern Tönnies wenig sinnvoll. „Ein Verkauf hätte den Vorteil, dass kein Familienstamm als Gewinner oder Verlierer dasteht“, meint May.
Es könnte aber auch sein, dass Robert und Clemens Tönnies einen Partner suchen, um den anderen herauszukaufen. „Durch die Coronakrise sind viele Schwächen in Familienunternehmen deutlich hervorgetreten“, sagte ein Branchenbeobachter.
Die Frage, „sehe ich meine Zukunft allein oder suche ich Partner“, müsse beantwortet werden. „Wer davon ausgehen muss, dass sein Unternehmen in zehn Jahren viel weniger wert ist als heute, der muss alle strategischen Optionen prüfen.“ Größenvorteile im Weltmarkt würden auch für Familienunternehmen immer wichtiger.
Attraktives Übernahmeziel
JBS aus Brasilien ist der größte Fleischproduzent der Welt. Der Konzern mit mehr als 50 Milliarden Dollar Umsatz nimmt ein Vielfaches von Tönnies ein, das mit 7,3 Milliarden Euro im Jahr 2019 einen neuen Rekordumsatz erzielte. Die globale Fleischbranche ist stark in Bewegung, die großen internationalen Konzerne wollen in Europa Fuß fassen.
„Ein so großer integrierter Konzern aus Schlachtung und Fleischverarbeitung wie Tönnies wäre für die Wettbewerber aus den USA, Brasilien und China als Übernahmeziel hochattraktiv“, glaubt ein anderer Marktkenner. Tönnies gelte in der Branche weltweit als „Benchmark“ – die Schlachtung und Zerlegung sei hocheffizient.
Von der Dorfmetzgerei sind die Westfalen zu Deutschlands führendem Fleischkonzern aufgestiegen. Tönnies ist hierzulande mit über 30 Prozent Marktanteil Branchenführer vor Westfleisch und Vion. Doch der Schweinefleischkonsum in Deutschland sinkt stetig. Deshalb hat Clemens Tönnies ehrgeizige Pläne im Ausland. Aktuell investiert das Unternehmen mit rund 16.000 Mitarbeitern massiv in Dänemark, Großbritannien, China und Spanien.
Das Jahr 2020 war für Clemens Tönnies, intern nur CT genannt, ein „annus horribilis“. Im Mai brach im Stammwerk in Rheda das Coronavirus aus. Rund 1500 Beschäftigte, überwiegend Werkverträgler aus Süd- und Osteuropa, waren infiziert.

Nach einem Massenausbruch von Corona unter den Mitarbeitern hat das Unternehmen die Hygieneregeln verschärft.
Der Kreis Gütersloh wurde zum Corona-Hotspot. Das Werk wurde für vier Wochen zwangsgeschlossen. Durch die Umluft und das feucht-kühle Klima breitete sich das Virus – wie in vielen Schlachthöfen weltweit – unter der Belegschaft rapide aus. Tönnies investierte Millionen, um die Ansteckungsgefahr einzudämmen.
Durch den Corona-Ausbruch rückten die prekären Arbeits- und Wohnverhältnisse der Werkverträgler erneut in den Fokus der Öffentlichkeit. Etwa die Hälfte der rund 6500 Mitarbeiter am Stammsitz war über zum Teil dubiose Subunternehmen angestellt. Clemens Tönnies erntete harsche Kritik – auch weil er Entschädigungen für die Corona-Schließung forderte. Als „dreist und unanständig“ beschimpften ihn diverse Politiker. Robert Tönnies forderte seinen Onkel öffentlich zum Rücktritt auf.
Tönnies verpflichtete sich, die Arbeits- und Wohnsituation zu verbessern. Zum Jahresende übernahm das Unternehmen bundesweit rund 6000 Beschäftigte in der Produktion. Inzwischen hat der Gesetzgeber Werkverträge in Kernbereichen der Schlachtbranche verboten.
Auch bei seiner zweiten Leidenschaft, dem Fußball, lief es für Clemens Tönnies alles andere als rund. Nach Protesten von Fans musste er als Aufsichtsratschef von Schalke 04 zurücktreten.
„Clemens Tönnies hat eine beeindruckende Lebensleistung hingelegt“, konstatiert Berater May. Unternehmertum habe er indes immer als Kampf aufgefasst. Das sei nicht mehr zeitgemäß. „Tönnies, der immer gewohnt war zu gewinnen, hat zuletzt einige Niederlagen einstecken müssen“, konstatiert May.
Er habe Schalke verloren. Sein Name sei zum Synonym für die „böse Fleischindustrie“ worden. „Es wäre durchaus denkbar, dass er müde ist und das Unternehmen verkauft“, glaubt May. Doch noch sind alle Optionen offen.
Mehr: Reiner Calmund: Warum Clemens Tönnies kein rücksichtsloses Charakterschwein ist
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