Daniel Wiegand wurde 1985 in Tübingen geboren. Er verfügt über einen Master-Abschluss der Technischen Universität München im Fach Raumfahrttechnik mit Schwerpunkt auf Flugantriebssystemen. Die Luftfahrt hat ihn schon immer fasziniert. Als Kind bastelte er Modellflugzeuge. Bereits mit 14 machte er seinen Segelflugschein. Er gilt als ein sehr fordernder CEO und Chef, der ehrgeizige Ziele vorgibt.
Flugtaxi-Hype „Der Jet muss in Sichtweite bleiben“ – Der Lilium-Chef erklärt, was Flugtaxis derzeit wirklich können

36 in die Flügel integrierte und klappbare Elektrorotoren sollen das Flugtaxi auf ausgewählten Strecken zu einem schnellen Transportmittel machen.
Frankfurt, Düsseldorf Daniel Wiegand ist Kritik gewohnt. Seit Monaten steht der Chef des Flugtaxiunternehmens Lilium in der Kritik. Der Börsengang über die Verschmelzung mit einem leeren Börsenmantel (Spac) vor rund zwei Wochen verlief zwar ohne größere Rückschläge. Doch das hat die Zweifel an der Vision eines elektrischen Senkrechtstarters nicht aus dem Weg räumen können.
Vor allem in dem komplexen Ansatz, mit dem die Flugtaxis des Unternehmens dereinst fliegen soll, sehen Kritiker ein Problem. Lilium will seine Fluggeräte mit 36 kleinen elektrischen Rotoren, die klappbar in die Flügel des Jets integriert sind, senkrecht abheben und landen lassen.
Wettbewerber wie Joby Aviation, die mit großen und offenen Rotoren über der Kabine arbeiten, sehen sich im Vorteil. Wiegand bestreitet das: „Der genannte Wettbewerber ist zwar doppelt so alt wie wir, aber keineswegs weiter.“
Im Winter kommenden Jahres werde Lilium das erste Modell des Serienflugzeugs bauen, verspricht der Jungunternehmer. „Die ersten zulassungsfähigen, siebensitzigen Senkrechtstarter wollen wir im Winter 2022 bauen. Mit diesen Jets finden die Zulassungstests statt.“
Bis dahin sollen mit dem aktuellen Demonstrator weitere Testflüge stattfinden, die wegen des Brandes eines ersten Demonstrators länger ausgesetzt waren. „Im Winter werden wir mit dem Flugzeug nach Spanien gehen. Dort ist das Wetter besser, und wir können länger und weitere Strecken fliegen“, sagte Wiegand.

Der Jungunternehmer will im Winter 2022 den Siebensitzer so bauen, wie er später auch in den Betrieb gehen soll.
Aktuell gebe es keinen Grund, die Planungen zu ändern. „Ist der Zeitplan in Stein gemeißelt? Natürlich nicht. Es ist ein herausforderndes Ziel“, sagt Wiegand. Lilium betrete mit dem Jet in vielen Bereichen Neuland. „Wir wären naiv, wenn wir sagen würden: Da kann nichts passieren.“
Lesen Sie hier das ganze Interview:
Herr Wiegand, Lilium ist seit über einer Woche an der Nasdaq - mit einem nur leichten Kursplus. Hätten Sie mit mehr Begeisterung der Anleger für Ihre Vision vom elektrischen Senkrechtstarter gerechnet?
Wir sind sehr zufrieden mit dem Start an der Nasdaq. Kurzzeitinterpretationen stellen wir nicht an, weil das wenig mit uns und viel mit Börsentechnik zu tun hat. Wir sind jetzt gut finanziert, das ist entscheidend.
Wollten Sie eigentlich partout jetzt in den USA an die Börse, weil Lilium sonst von Wettbewerbern wie Joby oder Archer beim wichtigen Zugang zu Kapital abgehängt worden wäre?
Als wir uns für den Börsengang mit einem Spac entschieden, ging es uns um die rasche Finanzierung regionaler, elektrischer, nachhaltiger Luftfahrt und um den richtigen Partner. Unsere Entscheidung hatte nichts mit den Wettbewerbern zu tun, denn deren Börsengänge waren zu dem Zeitpunkt unserer Entscheidung nicht bekannt. Im Nachhinein zeigt sich aber, dass wir auch hier richtig gehandelt haben. Wir sind mit unserer Strategie auch zur Finanzierung absolut wettbewerbsfähig.
Eine Chance, an die benötigten Mittel ohne Börsengang zu gelangen, gab es nicht?
Wir haben uns auch private Finanzierungsrunden angeschaut. Für uns lautete jedoch die Frage: Wie finanzieren wir schnell und effizient ein extrem forschungsintensives Unternehmen, das ungefähr eine Milliarde Dollar braucht, bevor der erste Euro Umsatz stattfindet? Wir haben uns deshalb Anfang des Jahres für einen Spac-Börsengang entschieden, weil dieser uns eine Finanzierung in ausreichender Größenordnung ermöglicht. Als börsennotiertes Unternehmen steht uns jetzt auch ein größeres Spektrum an weiteren Finanzierungsmöglichkeiten offen. Übrigens: Der Börsengang mit seinen vielen Anforderungen hat uns als Unternehmen und Team reifer und erwachsener gemacht.
Aber ist denn auch das Produkt reif genug? Andere wie Joby scheinen deutlich weiter zu sein.
Der genannte Wettbewerber ist zwar doppelt so alt wie wir, aber keineswegs weiter. Wir fliegen alle im Moment Technologie-Demonstratoren. Wir sind alle am gleichen Punkt, was die Flugtests und den Zulassungsprozess angeht. Wir testen unseren Fünfsitzer seit 2019 und haben ein extrem starkes Management- und Entwicklungsteam.
Was fliegen Sie denn im Moment genau für Testflüge?
Es ist eine weiterentwickelte Version des Demonstrators, der 2019 den Erstflug gemacht hat. Er verfügt jetzt über Technologien, die wir für die Zulassung brauchen, etwa im Bereich Brandschutz. In den nächsten Wochen werden wir damit mit einer höheren Geschwindigkeit als den bisherigen 100 Stundenkilometern fliegen. Dabei wird hauptsächlich getestet, wie die Software mit der Flugphysik zusammenarbeitet.
„Im Winter werden wir mit dem Flugzeug nach Spanien gehen.“
Wo werden Sie das machen? Mehr Tempo bedeutet sicher auch längere Flüge.
Vorerst gehen die Flugtests in Oberpfaffenhofen weiter. Im Winter werden wir mit dem Flugzeug nach Spanien gehen. Dort ist das Wetter besser, und wir können länger und weitere Strecken fliegen.
Gut zu wissen, bisher konnten Sie Ihren Demonstrator ja wohl nur sehr kurz fliegen lassen, wenn unsere Informationen stimmen …
… ja, das sind typischerweise nur kurze Flüge, aber mehr brauchen wir aktuell auch gar nicht für die Tests, die jetzt anstehen. Hier in München können wir nur innerhalb des Flugplatzgeländes fliegen.
Wann werden Sie solche längeren Flüge durchführen?
Im kommenden Winter. Aber auch in Spanien werden das keine Flüge über 50 Kilometer Entfernung sein. Es sind ferngesteuerte Flüge, der Jet muss im Sichtbereich bleiben.
Aber wie wollen Sie denn dann auf die vielen Tausend Flugstunden kommen, die Sie für die Zulassung brauchen?
Die werden erst mit dem Serienflugzeug stattfinden. Die ersten zulassungsfähigen, siebensitzigen Senkrechtstarter wollen wir im Winter 2022 bauen. Mit diesen Jets finden die Zulassungstests statt. Wir müssen nachweisen, dass alle Systeme inklusive der notwendigen Sicherheitsreserven verfügbar sind.
Wir hören immer wieder, dass der Zeitplan zu ehrgeizig gesetzt wurde. Stimmt das?
Aus heutiger Sicht: Nein. Wir liegen momentan im Plan. Ist der Zeitplan in Stein gemeißelt? Natürlich nicht. Es ist ein herausforderndes Ziel. Risiken versuchen wir zu minimieren, aber niemand kann Risiken im Leben völlig ausschließen. Wir betreten mit unserem Jet in vielen Bereichen Neuland. Wir wären naiv, wenn wir sagen würden: Da kann nichts passieren. Das wissen auch unsere langfristigen Investoren.
Noch mal die klare Frage: Aktuell gibt es keinen Grund, Pläne zu modifizieren – auch nicht in puncto Zulassung?
Momentan nicht, nein. Es ist ein ambitionierter Plan mit wenig Puffer. Aber die Planung muss bei einem Start-up ehrgeizig sein, wir stehen in einem scharfen Wettbewerb. Exakte Planerfüllung ist für uns als Unternehmen wichtig. Aber sie entscheidet nicht über Erfolg oder Misserfolg der elektrischen Luftfahrt insgesamt.
Und auch das zur Klarstellung: Das Flugzeug, das Sie in etwa 14 Monaten bauen und mit dem Sie dann die endgültigen Tests für die Zulassung absolvieren wollen, ist der geplante Siebensitzer, der dann auch voll beladen abheben soll?
Ganz genau. Auch der Fünfsitzer fliegt übrigens jetzt schon mit vollem Gewicht.
Er soll dabei aber sehr laut sein, wurde uns von Piloten am Flughafen in Oberpfaffenhofen berichtet.
Solche Aussagen kann ich nicht nachvollziehen. Ich bin sogar überrascht, dass sie unseren Jet überhaupt gehört haben wollen. Und das sage ich nicht, weil hier am Airport überall gebaut wird. Die Messwerte von dem Flugzeug, das wir derzeit fliegen, sind genau die, die wir erwartet und prognostiziert hatten. Und sie werden auch für den Siebensitzer gelten, der noch mehr Schallschutzmaßnahmen haben wird. Man hört nur eine Art Rauschen, die E-Motoren hört man gar nicht.
Experten sehen den Übergang vom Schwebeflug in den horizontalen Gleitflug und wieder zurück vor der Landung als sehr kritischen Punkt. Wie stabil fliegt Ihr Jet in diesen Phasen?
In dem Geschwindigkeitsbereich, den wir bisher getestet haben, erfüllt das Flugzeug alle Stabilitätsmargen, die wir für eine Zulassung brauchen. Der kritische Bereich, den Sie ansprechen, geht von 40 bis 150 Stundenkilometern. Wir sind bisher die Hälfte davon durchflogen, die zweite Hälfte kommt jetzt im Herbst und im Winter in Spanien.
In der Luftfahrt sind Sicherheitsreserven enorm wichtig. Wie stellen Sie sicher, dass der Lilium-Jet bei einem Ausfall von einem oder mehreren Triebwerken nicht unkontrolliert zu Boden geht?
Das steuern wir über die Software. Die sorgt dafür, dass der Jet weiter stabil fliegen kann, wenn zwei oder drei Triebwerke ausfallen. Genau das ist es zum Beispiel, was wir für die Zulassung nachweisen müssen.
„Wir haben aus Sicht der Software nur vier Triebwerke“
Aber ist diese Steuerung bei 36 Triebwerken nicht irre komplex, so wie Ihr Konzept insgesamt?
Wir steuern die 36 Triebwerke nicht einzeln, das wäre in der Tat extrem komplex. Die Triebwerke sind in vier Cluster aufgeteilt, die voneinander unabhängig agieren können. Wir haben also aus Sicht der Software nur vier Triebwerke. Fällt zum Beispiel ein Motor in einer der vier Gruppen aus, ist das für die Software ein Leistungsverlust von etwa zehn Prozent, den sie managen muss.
Dann anders gefragt: Sind Konzepte wie etwa große Rotoren über der Kabine oder auch die von Drohnen nicht einfacher und damit besser?
Ich will hier nicht die Wettbewerber bewerten. Das ist nicht mein Job. Wir sind von unserem Konzept überzeugt. Wir haben aber insgesamt weniger bewegliche Teile als unsere Wettbewerber. Wir haben auch keine zusätzlichen Flächen, die für die Steuerung gebraucht werden, wie etwa Ruder. Das verringert die Komplexität der Software. Wir steuern nur über die Triebwerke. Einen elektrischen Senkrechtstarter zu bauen ist immer eine Herausforderung, egal, mit welchem Konzept.
Warum zeigen Sie den Jet eigentlich nicht mal der Öffentlichkeit, um die Dauerkritik abzuräumen?
Ich kann das öffentliche Interesse sehr gut nachvollziehen. Aber auch unsere amerikanischen Wettbewerber haben noch keine öffentliche Flugvorführung gemacht. Warum? Keiner von uns hat bisher mehr als einen Demonstrator, der erst auf dem Weg zum vollem Flugprogramm ist. Wenn wir im Flugprogramm mit dem Demonstrator so weit sind, machen wir den öffentlichen Demonstrationsflug. Auf den Tag freuen wir uns bei Lilium schon heute. Einstweilen bemühen wir uns, mit transparenter Kommunikation auch über die sozialen Medien den bestmöglichen Einblick zu geben.
Gleichzeitig überlegen Sie schon, sogar einen 15-Sitzer zu bauen. Geht das so einfach?
Also einfach ist es nicht, aber technisch und wirtschaftlich möglich. Es ist eine neue Flugzeugentwicklung, in der alles proportional skaliert wird. Es ist eine Neuentwicklung, aber basierend auf der Technologie des Siebensitzers. Wir können mit den heutigen Triebwerken und Batterien ein Flugzeug mit 14 oder 15 Sitzen bauen.
Arbeiten Sie schon daran?
Nein, wir werden die Entwicklung auch nicht starten, bevor der Siebensitzer zugelassen ist. Es wird also frühestens in drei Jahren losgehen. Das haben wir auch allen Investoren so gesagt.
Sie wollen ein neues Flugzeug genau dann entwickeln, wenn gerade die Serienfertigung des Siebensitzers und dessen Flugbetrieb hochgefahren wird? Sie übernehmen sich.
Wir starten das Projekt erst, wenn wir die notwendigen Entwicklerressourcen frei haben. Für die Serienfertigung und den Flugbetrieb brauchen wir nicht mehr die ganze Kapazität der Mitarbeiter in der Entwicklung. Und zu Beginn ist so ein Team recht überschaubar. Aber noch mal: Im Moment beschäftigen wir uns gar nicht mit einem solchen größeren Jet. Wir haben mit dem Siebensitzer mehr als genug zu tun.
Herr Wiegand, vielen Dank für das Interview.
Mehr: Kommentar: Flugtaxen sind mehr als nur eine irrwitzige Vision.
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