„Food Courts“ in Bahnhöfen Die Bahn entdeckt die Gastronomie

Essen und Trinken auf insgesamt 900 Quadratmetern.
Berlin Groß war der Jubel, als die Bundesregierung kurzerhand für S-Bahnen und Regionalzüge eine Milliarde mehr spendierte. Jährlich fließen nun 8,2 Milliarden Euro an die Bundesländer, die damit ihren Nahverkehr finanzieren. Plus 1,8 Prozent Zuschlag per annum ab 2018. Der Bund zeigte sich von der großzügigen Seite.
Nur einer konnte sich nicht wirklich freuen. Für André Zeug, den Chef über 5.400 Bahnstationen, war der politische Deal ein „ziemlich derber Schlag“. Ein Blick in seine Bilanzen nämlich verrät ihm: Die Kosten steigen viel schneller, als der Bund dem Regionalverkehr an Dynamisierung künftig zugestehen will.
Die Bahnhofs-Tochter DB Station & Service AG, deren Vorstandsvorsitzender Zeug ist, kassiert pro Jahr rund 840 Millionen Euro Stationsgebühren. Jeder Personenzug muss für den Stopp bezahlen. An großen Bahnhöfen wie Köln kostet das derzeit 19,01 Euro, an kleinen wie Lauenstein in Sachsen 2,89 Euro. Bislang konnte die Bahn nach Kostenlage kalkulieren. Jetzt ist ein Deckel drauf.
Für Zeug ist es deshalb nur folgerichtig, dass die Bahn die Nutzung ihrer Bahnhöfe als Shoppingcenter und Fressmeilen forciert. „Wir suchen den Ausgleich in der Vermietung“, sagte Zeug dem Handelsblatt. Bislang hat Station & Service Flächen in den Bahnhofshallen, Durchgängen zu Gleisen und auf den Bahnsteigen nur verpachtet. Jetzt ist der Staatskonzern selbst in die Vermarktung eingestiegen. Das soll doppelt Einnahmen sichern.
„Station Food“ heißt die neue Tochter, die dafür gegründet wurde, Testbahnhof ist Karlsruhe. Dort eröffnete im April der erste Food Court. Auf 900 Quadratmetern tummelt sich alles, was der Reisende angeblich braucht. Starbucks, „Hans und Franz“ (Grill), asiatische und italienische Küche und der Frischemarkt „Dean & David“.
Die muffige Bahnhofsatmosphäre wich einem Lounge-Ambiente mit hochwertigen Materialien. Die Restaurants ähneln Probierständen einer Markthalle. 2018 soll nach diesem Modell am Berliner Hauptbahnhof der nächste große Food Court entstehen. Rund 25 Bahnhöfe kommen nach Analysen der Bahn dafür infrage.
Die Bahn hat sich dazu mit einem Experten zusammengetan. Mitgesellschafter bei Station Food ist die Rubenbauer Holding, die vor allem in Bayern zahlreiche gastronomische Einrichtungen betreibt. Darunter das Wirtshaus Donisl in München.
Die Bahnhöfe zählen mit einer Netto-Umsatzrendite von bis zu 16 Prozent zur rentabelsten Sparte des Schienenkonzerns. Nicht aber wegen der Stationsgebühren. Der Umsatz der Bahn-Tochter von zuletzt 1,3 Milliarden Euro stammt zwar zu zwei Dritteln aus der Zugabfertigung, während nur ein Drittel auf die Vermietung entfällt. Beim Gewinn aber ist es genau umgekehrt. Geld wird vor allem mit der Verpachtung von Geschäftsflächen verdient. Bahnhofschef Zeug will deshalb das Shoppen und Schlemmen in den Stationen weiter ausbauen.
Kathedralen des Eisenbahnverkehrs
Der Expansion sind allerdings Grenzen gesetzt. Für Gastronomie und Einzelhandel sind nur etwa zehn Prozent der 5.400 Bahnhöfe geeignet. Und bei den meisten können die Flächen nicht beliebig erweitert werden. Gerade erst baut die Bahn im westfälischen Münster für 40 Millionen Euro einen neuen Bahnhof. Die Zahl der Geschäfte steigt dadurch von 14 auf 21. Rund 8.000 Quadratmeter Einkaufsfläche stehen dann zur Verfügung.
Dabei war der abgerissene Bahnhof noch nicht einmal so alt, ein typischer Nachkriegsbau. Aber zu einem kompletten Neubau ringen sich die wenigsten Städte durch. Dann hält die Bahn nämlich die Hand auf. So steuerte Münster von den 40 Millionen Euro Investitionssumme für das neue Empfangsgebäude fünf Millionen Euro selbst bei.
Kathedralen des Eisenbahnverkehrs
Schwieriger ist es bei den Bahnhöfen aus der Wende ins 20. Jahrhundert. „Reisende mögen die historischen Bahnhöfe, die Kathedralen des Eisenbahnverkehrs“, weiß Zeug. Was im sanierten Zustand nett anzusehen ist, eignet sich für Verkehr und Handel aber meist wenig. Die Modernisierung ist sehr teuer.
Leipzig gilt als eines der gelungenen Beispiele für einen großangelegten Umbau. Betreiber der Einkaufsmeile und Profiteur ist allerdings nicht die Bahn, sondern Europas größter Shoppingmall-Betreiber, die Hamburger ECE. Bei dem Sanierungsprojekt aus den 90er-Jahren traute sich die damals gerade erst zur AG gewandelte Bundesbahn noch nicht selbst an die Vermarktung. „Heute“, sagt Zeug, „würden wir das selbst machen.“
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