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Formo Tierischer Käse ohne Kuh – Rekordfinanzierung für Berliner Start-up

Formo züchtet Milchproteine naturidentisch aus Hefen und stellt daraus Käse her. Nun gelingt die bisher größte Series-A-Runde für ein Food-Tech in Europa.
13.09.2021 - 06:19 Uhr 1 Kommentar
Das Berliner Food-Tech stellt Milchproteine mithilfe von Mikroorganismen her. Die lassen sich traditionell zu Käse weiterverarbeiten. Quelle: Formo
Formo

Das Berliner Food-Tech stellt Milchproteine mithilfe von Mikroorganismen her. Die lassen sich traditionell zu Käse weiterverarbeiten.

(Foto: Formo)

Düsseldorf Raffael Wohlgensinger ist als Schweizer naturgemäß Käseliebhaber. Seit sieben Jahren ernährt sich der 27-Jährige vegan, mit pflanzlichen Käseimitaten war er allerdings unglücklich. „Es muss doch tierfreie Alternativen geben, die wie Käse aus Kuhmilch schmecken“, dachte sich der Betriebswirt. Bei seiner Arbeit beim Berliner Frühphaseninvestor Atlantic Food Labs stieß er auf eine bewährte Technologie, der Präzisionsfermentation. Sie wird schon lange für die Erzeugung von naturidentischem Insulin oder Lab-Enzym zur Käseherstellung genutzt.

Mit der promovierten Molekularbiologin Britta Winterberg gründete er 2019 in Berlin Formo. Das Food-Tech stellt naturidentischen Käse mithilfe von Mikroorganismen her.

„Statt Kühe füttern wir Hefen, die uns echtes Milchprotein geben“, erklärt die Chief Scientific Officer. Dabei werden in Hefezellen Gensequenzen von Kühen eingebracht, die für die Produktion von Milchproteinen verantwortlich sind. Von Hunderten Milchinhaltsstoffen sind nur wenige Molkenproteine nötig, um Käse herzustellen.

Die Hefeemulsion reift einige Tage im Edelstahl-Tank. „Das ist ähnlich wie Bierbrauen“, sagt die 41-Jährige, die ihre Karriere beim Marburger Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie begann. Gefüttert werden die Hefen mit Stickstoff und Kohlenstoff. Beides lässt sich aus pflanzlichen Reststoffen gewinnen, die etwa bei der Lebensmittelherstellung anfallen. Danach werden die naturidentischen Milchproteine extrahiert.

„Die können wir dann ganz traditionell zu Käse weiterverarbeiten“, so Wohlgensinger. Fette von Pflanzen oder aus Präzisionsfermentation werden dabei hinzugegeben. Mit Weichkäse wie Mozzarella ist Formo gestartet. Gereifte Käsesorten wie Emmentaler, Gruyère oder Appenzeller sollen folgen.

Die Molekularbiologin Britta Winterberg (2.v.r.) und der Betriebswirt Raffael Wohlgensinger (r.) haben Formo gegründet. Quelle: Formo
Formo-Gründer

Die Molekularbiologin Britta Winterberg (2.v.r.) und der Betriebswirt Raffael Wohlgensinger (r.) haben Formo gegründet.

(Foto: Formo)

Nun hat Formo, das sich zuvor Legendairy nannte, 50 Millionen Dollar von Investoren eingesammelt. Nach Daten von Crunchbase ist das die bislang größte Series-A-Finanzierung für ein Food-Tech in Europa. Das niederländische Laborfleisch-Start-up Meatable hatte 47 Millionen Dollar erhalten, die Berliner Vertical Farmer von Infarm 25 Millionen Dollar. Die Runde führt EQT Ventures an mit Elevat3 Capital und Lowercarbon Capital.

Zudem beteiligten sich Lionheart Ventures, Happiness Capital und Albert Wenger sowie die Bestandsinvestoren Agronomics, CPT Capital, Good Seed Ventures, Grazia Equity und M Ventures. Insgesamt hat Formo rund 55 Millionen Dollar eingesammelt. Die Gründer, die nun ihre Mehrheit abgegeben haben, mussten vielen Interessenten absagen. „Wir hätten auch deutlich mehr einsammeln können“, sagt der Formo-CEO.

Die Investoren überzeugte der disruptive Ansatz: „Bei Formo wird deutlich, wie Technologie und Wissenschaft die konventionelle Milchindustrie neu erfinden können und gleichzeitig positive Veränderung für Klima- und Tierschutz sowie die Gesundheit unserer Gesellschaft voranbringen“, meint Jim Mellon, Director bei Agronomics.

„Revolution in der Milchindustrie“

Die Milchindustrie ist für etwa vier Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Die Umwandlung von Futtermitteln in Milchprodukte durch Mikroorganismen ist bis zu 20-mal effizienter als durch Säugetiere, errechnete der US-Thinktank Rethink X. „Nachhaltige Lebensmittelerzeugung ohne Tierleid ist möglich, ohne dass Verbraucher auf Genuss verzichten müssen“, so Wohlgensinger.

Das Formo-Team habe erfolgreich gezeigt, wie Biotechnologie heute eingesetzt werden kann, um nicht nur gleichwertige, sondern sogar verbesserte Produkte herzustellen, die schon bald auch preislich wettbewerbsfähig sein werden, meint Investor Christian Angermayer. „Dies ist erst der Anfang der Revolution in der Milchindustrie.“ Der 700 Milliarden Euro schwere Markt steht vor einem historischen Umbruch.

Für tierfreie Käseprodukte aus Fermentation besteht eine hohe Akzeptanz. Laut einer Umfrage der Universität Bath im Auftrag von Formo unter 5000 Verbrauchern in fünf Ländern würden 71 Prozent solchen Käse kaufen. „Die Offenheit für tierfreie Käseprodukte geht weit über den Nischenmarkt pflanzlicher Alternativen hinaus“, konstatiert Christopher Bryant von der Uni Bath. Auch Wohlgensinger ist überzeugt, dass Milchprodukte aus tierfreier Fermentation langfristig solche aus pflanzlichen Zutaten überflügeln.

Der Markt für alternative Proteine wächst rasant – auf 97 Millionen Tonnen schätzt ihn die Beratung BCG für 2035. Davon stammen dann 22 Millionen Tonnen aus Fermentation.

Mit dem frischen Kapital will Formo eine Pilotfabrik in Rheinbach bei Bonn bauen. Dort sitzt bereits das Biologie-Team. Die Zahl der Mitarbeiter von Formo soll von 20 auf 70 bis Ende 2022 steigen. Gesucht werden etwa Biologen, Prozessingenieure und Lebensmittelexperten. In der Pilotanlage sollen erstmals große Mengen Milchproteine hergestellt werden. Die Massenproduktion sollen danach Auftragsfertiger übernehmen.

Ähnlich wie Bierbrauen

2023 sollen die ersten tierfreien Käse auf den Markt kommen. Dafür braucht Formo die Zulassung als Novel Food. „In Asien werden wir vermutlich schneller im Regal stehen als in Europa“, so Wohlgensinger. In Singapur etwa dauere das Verfahren meist drei bis sechs Monate, in der EU rund 18 Monate. „Europa darf bei wichtigen Zukunftstechnologien für das Klima nicht den Anschluss verlieren.“ Der Gründer wünscht sich, dass regulatorische Rahmen und öffentliche Förderung in der EU schnell verbessert werden.

Denn weltweit arbeiten Start-ups an Käse aus Präzisionsfermentation. Dazu zählen New Culture aus den USA und Remilk aus Israel, an dem sich die deutsche Traditionskäserei Hochland kürzlich beteiligte. Andere Food-Techs wie Turtle Tree Labs aus Singapur züchten Milchproteine aus tierischen Zellen.

Umprogrammierte Hefezellen produzieren Milchproteine – tierfrei und nachhaltig. Quelle: Formo
Präzisionsfermentation

Umprogrammierte Hefezellen produzieren Milchproteine – tierfrei und nachhaltig.

(Foto: Formo)

Formo sieht sich bei der Produktentwicklung der Konkurrenz klar voraus. Gregory Bernstein, Investor bei EQT Ventures, hat das klare Ziel, Formo zum globalen Marktführer zu machen. Dass Formo von finanzstarken Käsekonzernen überholt wird, fürchtet Wohlgensinger nicht: „Wir kombinieren die Expertise der Biotechnologie und Milchindustrie ganz neu.“

Die Molekularbiologie des Käsereiprozesses werde erst jetzt durch Start-ups allmählich durchleuchtet, bestätigt Werner Motyka, Branchenexperte der Beratung Munich Strategy. Durch Präzisionsfermentation winke der Einstieg in völlig neue Welten – sensorische Erlebnisse jenseits der bisherigen Produkte. Wohlgensinger denkt bereits über Eigenkreationen nach: „Wir können Käse entwickeln, den es heute noch gar nicht gibt.“

Bis zur Massenproduktion sei es noch ein sehr langer Weg, meint Berater Motyka. Formo hingegen will mit seinem Käse schon 2025 preislich auf Augenhöhe mit Käse aus Kuhmilch sein. „Das ist uns wichtig, denn unser tierfreier Käse soll kein Nischenprodukt sein.“ Eine Studie von Rethink X geht sogar davon aus, dass Milchprodukte aus dem Fermenter bis 2030 um die Hälfte billiger sein werden als solche aus Kuhmilch. „Das konventionelle System der Molkereiwirtschaft wird kollabieren.“

Mehr: Insight Innovation - Steaks und Burger aus dem Labor

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1 Kommentar zu "Formo: Tierischer Käse ohne Kuh – Rekordfinanzierung für Berliner Start-up"

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  • Tatsächlich handelt es sich bei diesem Käse um ein gentechnisch hergestelltes Produkt, was uns der Artikel leider nur durch die Blume sagt. Bin gespannt, wie die gentechnikphoben europäischen Verbraucher auf solche innovativen Produkte im Supermarkt-Regal reagieren werden. Dort müsste es als gentechnisch hergestelltes Produkt gekennzeichnet werden. Und folgerichtig von der breiten Font von veganen und vegetarischen Gentechnikignoranten boykottiert werden. Abgesehen davon, dass die Annahme, dass das Produkt bereits nach 18 Monaten in Europa zugelassen sein könnte, mehr als optimistisch ist. Da spielt nicht nur die durch die Medien bis zur Panik manipulierte Gentechnikadversion der Verbraucher sondern auch mächtige, konträre Interessen wie etwa die europäischen Bauernverbände eine wichtige Rolle.

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