Frederic Knaudt Frisches Geld von der Gates-Stiftung für den Picnic-Deutschlandchef

Der Picnic-Deutschlandchef bleibt zurückhaltend. „Wir verfolgen einen sehr langfristigen Plan.“
Hamburg Frederic Knaudt war einmal der große Hoffnungsträger der deutschen E-Commerce-Szene. Endlich schien es ein Konzept zu geben, um den Lebensmittelmarkt zu knacken. Die Erwartung: Als Deutschlandchef des niederländischen Liefer-Start-ups Picnic werde Knaudt schnell das kostengünstige Erfolgskonzept aus dem Nachbarland in ganz Deutschland ausrollen. Lieferwagen fahren dabei auf festen Routen durch die Gegend – durch jede Straße genau einmal am Tag. Die Picnic-PR hatte dafür den griffigen Begriff „Milchmann 2.0“ erfunden.
Das war vor drei Jahren. Um Picnic ist es nach einer Expansion im Schneckentempo ruhig geworden. Inzwischen stehen andere, rasantere Akteure im Mittelpunkt des Interesses – allen voran der schillernde Gorillas-Gründer Kagan Sümer. Mit Lieferung innerhalb von zehn Minuten fasziniert sein Start-up die Kunden, mit wilden Fahrerstreiks erschreckt seine Belegschaft die Investoren.
Am Donnerstag jedoch kam Picnic mit einer Neuigkeit zurück in die Offensive. In seiner vierten Wachstumsrunde sammelt der Online-Supermarkt 600 Millionen Euro ein – und das zum Großteil bei einem bekannten Investor: Die Vermögensverwaltung der Gates-Stiftung von Microsoft-Gründer Bill Gates und seiner Ex-Frau Melinda steigt ein. Damit verdoppelt Picnic in etwa das bisher eingesammelte Risikokapital.
Es ist laut „Financieele Dagblad“ die drittgrößte Finanzierungsrunde für ein Start-up in den Niederlanden hinter dem Bezahldienst Mollie mit 665 Millionen Euro und dem Chatanbieter Messagebird mit 662 Millionen Euro.
Ein guter Teil des Geldes geht an Knaudts Team. Der 36-jährige Betriebswirt soll damit die Expansion in Deutschland vorantreiben, die bislang in Nordrhein-Westfalen stecken geblieben ist. Doch während die jungen Konkurrenten Gorillas und Flink im Wochentakt neue Städte hinzunehmen, bleibt Knaudt weiterhin zurückhaltend. „Wir verfolgen einen sehr langfristigen Plan“, sagte er dem Handelsblatt.
Zweite Region in Deutschland nach dem Jahreswechsel
Bis zum Herbst werde er weitere zehn Standorte in NRW eröffnen. Erst nach dem Jahreswechsel könnte eine zweite Region hinzukommen. „Welche Region das sein wird steht noch nicht fest. Mehrere sind denkbar“, sagte er. Der Ex-Rocket-Internet-Manager Knaudt verspricht nun ein immerhin spürbar höheres Wachstumstempo. „Wir werden jetzt eine andere Wachstumsdynamik sehen“, sagt er. Insgesamt komme Picnic in den Niederlanden, Deutschland und Frankreich 2021 wohl auf eine Milliarde Euro Umsatz, kündigt er an. Dabei erreicht Picnic in Deutschland erst fünf Prozent der Bevölkerung, in den Niederlanden sind es 50 Prozent.
Die superschnelle Konkurrenz – sowohl bei der Lieferung als auch bei der Expansion – fürchte er nicht, behauptet Knaudt. Picnic setze auf das Versprechen, stets den niedrigsten Preis der örtlichen Supermärkte mitzugehen und bei 35 Euro Mindestbestellwert auf eine Liefergebühr zu verzichten.
Damit sei das Modell für Wocheneinkäufe von Familien attraktiv – während die superschnellen Konkurrenten im Sortiment oft mit Preisausreißern nach oben und knapp zwei Euro Liefergebühr auffallen. „Wir haben etwas geschaffen, das die breite Masse anspricht“, sagt Knaudt. Näher als Gorillas liegt an dieser Zielgruppe der in München neu gestartete Konkurrent Knuspr, der ebenfalls auf längere Vorbestellung bei niedrigen Preisen setzt.
Zweiter Rivale beim Kampf um die Zielgruppe Familieneinkauf ist Bringmeister in Berlin und München, von Edeka frisch verkauft an die tschechische Holding Rockaway Capital, die in Osteuropa bereits mit Liefersupermärkten erfolgreich ist. Mit dem Verkauf hat sich Edeka klar zu Knaudt bekannt. Denn Edeka ist bereits seit dem Deutschlandstart vor drei Jahren als Lieferant und Investor dabei.
Auch in der aktuellen Runde ist Edeka wohl mitgezogen – schließlich haben laut Picnic alle Altinvestoren ebenfalls Geld gegeben. Edeka-Chef Markus Mosa bezeichnete Picnic sogar schon einmal als „Online-Arm von Edeka“, obwohl er nur Minderheitsgesellschafter ist. Picnic hat Edekas Billigmarke Gut & Günstig im Sortiment, Knaudt will aber nun auch eigene Marken aufbauen.
Dank Gates-Stiftung mehr Geld zur Verfügung als Rivale Gorillas
Knaudt, selbst als Gründer in Berlin mit einem Kochbox-Versand aus Scheitern klüger geworden, demonstriert mit seiner Zurückhaltung Solidität – und setzt sich so von der Konkurrenz ab. Während Gorillas zuletzt vor allem mit Ankündigungen einer milliardenschweren Finanzierungsrunde auffiel, die bislang nicht kam, hat Picnic dank der renommierten Gates-Stiftung vorerst mehr Geld zur Verfügung als der Rivale.
Das soll auch in Technik fließen: Um den Jahreswechsel soll in Utrecht ein erstes automatisiertes Packzentrum für gekühlte Ware in Betrieb gehen. Diese Technik könnte dann auch bald nach Deutschland kommen. Zudem will Knaudt in weitere Elektromobile und Verteilzentren investieren. Auch das bereits 2800 Köpfe große deutsche Team soll weiter wachsen.
In die unter den Konkurrenten umkämpften Metropolen zieht es ihn nicht. „Das Konzept soll nicht nur in Großstadtzentren funktionieren, sondern gerade außerhalb davon, wo der größte Teil unserer Bevölkerung und besonders viele Familien leben. Daher sind wir 2018 auch in Neuss gestartet und nicht in Berlin, Hamburg oder München“, sagt Knaudt. Den Beweis, dass er Kunden von der Konkurrenz abwerben kann und sein Konzept nicht nur dort funktioniert, wo die Anwohner keine Auswahl haben, muss er erst erbringen.
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