Fresh-Dienst in Berlin gestartet Amazon wird zum Online-Supermarkt

In den USA liefert der Händler schon seit neun Jahren frische Lebensmittel aus.
Düsseldorf Der Lebensmittelhandel in Deutschland steht vor seiner wohl größten Herausforderung. „Wenn Amazon mit dem Verkauf von Lebensmitteln durchstartet, wird das den deutschen Lebensmittelhandel kräftig durchrütteln“, sagte Josef Sanktjohanser, Präsident des Handelsverbands Deutschland, dem Handelsblatt. Besonders Händler in Ballungsgebieten drohten künftig vom Wachstum abgekoppelt zu werden, wenn sie ihre Kunden nicht auch online bedienen können. „Die Rentabilität von Standorten wird infrage gestellt, sie laufen Gefahr, in existenzielle Schieflagen zu geraten“, warnt Sanktjohanser.
Seit Donnerstag liefert Amazon Fresh zunächst in Berlin und Potsdam frische Lebensmittel aus, eine Ausweitung auf andere Städte ist aber bereits geplant. Ob als nächster Standort München hinzukommt? Das will Florian Baumgartner, Deutschland-Chef von Amazon Fresh, nicht kommentieren. „Aber klar ist: Unser Ziel ist es, Amazon Fresh auch für Kunden anderswo verfügbar zu machen.“
Der neue Dienst legt die Standards gleich hoch: 85.000 Artikel umfasst das Sortiment. Zum Vergleich: Ein Supermarkt führt in der Regel rund 12.000 Artikel. Außerdem liefert Amazon noch am gleichen Tag aus, wenn der Kunde bis zwölf Uhr bestellt. Ansonsten gibt es die Ware am Folgetag in einem Zeitfenster von zwei Stunden.
Bereitschaft der Verbraucher steigt
Noch wird erst gut ein Prozent der Lebensmittel in Deutschland übers Netz bestellt. Doch das dürfte sich jetzt rasch ändern. „Grundsätzlich ist die Bereitschaft der Deutschen, Lebensmittel übers Internet zu bestellen, bereits heute hoch“, beobachtet Joachim Spill, Partner bei der Unternehmensberatung EY. Eine Umfrage von EY im Februar und März hat gezeigt, dass schon zehn Millionen Deutsche Lebensmittel online kaufen. Bei Stadtbewohnern beträgt der Anteil der gelegentlichen Onlinekäufer sogar 20 Prozent.
Ein Hemmschuh ist die Qualität des Angebots. „Bislang fehlten im Lebensmittelsegment noch die wirklich überzeugenden und flächendeckend verfügbaren Onlineangebote“, so Spill. Da besteht Potenzial für Amazon. Denn mit dem Lieferpartner DHL ist der Aufbau eines flächendeckenden Angebots möglich. Schon heute gehen nach der EY-Umfrage zehn Prozent der Bundesbürger direkt auf amazon.de, wenn sie nach Lebensmitteln online suchen.
Trotzdem hat Amazon relativ lange mit dem Start im deutschen Markt gezögert. In den USA liefert der Händler schon seit neun Jahren frische Lebensmittel, auch in Großbritannien ist Amazon Fresh vor einem Jahr gestartet. Doch in Deutschland herrschen sehr spezielle Bedingungen: Die Dichte an Supermärkten ist sehr hoch, der Preiswettbewerb hart, und die Kunden sind besonders anspruchsvoll. Dessen ist sich Amazon bewusst. „Die Messlatte im Lebensmitteleinzelhandel liegt sehr hoch“, sagt Amazon-Fresh-Chef Ajay Kavan. Und Deutschland-Direktor Baumgartner ergänzt: „Wir überlegen uns sehr spezifisch und methodisch, wie wir Amazon Fresh erweitern werden.“
Das zeigte sich bereits in der Vergangenheit. So hat Amazon zunächst sein Angebot an haltbaren Lebensmitteln über mehrere Jahre ausgebaut, bevor es dann im vergangenen Jahr über den Expressdienst Amazon Prime Now mit einem kleinen Sortiment an Frischwaren testweise in Berlin und München an den Start gegangen ist.
Um das Angebot attraktiver zu machen, geht Amazon gezielte Kooperationen ein. So steuert der Händler Tegut Bioartikel und seine Eigenmarken bei. Außerdem sollen lokale Einzelhändler mit einem speziellen Sortiment über die Plattform eingebunden werden. In Berlin beispielsweise sind zum Start Sagers Kaffeerösterei und Rausch Schokoladenhaus dabei. „Da sind viele Produkte dabei, die online kaum zu bekommen sind“, so Baumgartner.
Eine große Frage ist, wie viel Kunden bereit sind, für die Lebensmittellieferung zu zahlen. Amazon verlangt zusätzlich zur Prime-Jahresgebühr von 69 Euro noch 9,99 Euro pro Monat. Handels-Präsident Sanktjohanser ist überzeugt, Kunden in Deutschland seien nicht bereit, für Lieferung und Service extra zu zahlen: „Amazon steht also vor großen Herausforderungen, zumal der deutsche Markt keine großen Margen verspricht.“
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