Der Poker um die Fusion von Deutscher Börse und der New Yorker Nyse geht in die entscheidende Runde. Anfang Februar wollen die EU-Kommissare über den neun Milliarden Dollar schweren Zusammenschluss entscheiden, derzeit laufen die vorbereitenden Sitzungen ihrer Mitarbeiter.
Der zuständige Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia will die Fusion zum weltgrößten Börsenbetreiber wegen der Marktmacht der beiden Konzerne im Derivate-Geschäft, das über europäische Börsen läuft, verbieten. Theoretisch könnte er von den übrigen Kommissaren überstimmt werden, dies ist allerdings sehr unwahrscheinlich.
Die Unternehmen könnten den Antrag zurückziehen, um eine formelle Entscheidung der EU-Kommission inklusive Produkt- und Markt-Definitionen zu verhindern. Börse und Nyse müssten sich allerdings auf einen parallelen Rückzug verständigen, sonst müsste einer der Partner vermutlich eine Strafzahlung (Break-Up-Fee) von 250 Millionen Euro bezahlen. Auch die Aktionäre von Nyse und Deutsche Börse könnten gegen das Management klagen, sagte eine Person aus dem Umfeld der Börse. Deshalb sei ein Abrücken von dem Deal sehr unwahrscheinlich.
Zudem haben die Konzerne die Hoffnung auf eine positive Überraschung noch nicht aufgegeben. „Es stimmt, dass die Kommissare die zuständigen Beamten nur sehr selten überstimmen“, sagt ein Insider. „Auf der anderen Seite gibt es aber auch wenige Fälle, wo die Kommission eine so große Übernahme blockiert.“ Deutsche-Börse-Chef Reto Francioni und sein Nyse-Kollege Duncan Niederauer versuchen deshalb, mit einer Lobby-Offensive beim Weltwirtschaftsforum in Davos das Ruder herumzureißen.
Eine Anfechtung vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg ist möglich, der letzte erfolgreiche Versuch liegt allerdings schon zehn Jahre zurück. Zudem dauert ein Verfahren in der Regel rund zwei Jahre. In dieser Zeit kann sich in der Börsenbranche viel tun und die Logik der Fusion infrage stellen. Auch die Frist der Konzerne, das Geschäft bis Ende März 2012 abzuschließen, ließe sich nicht einhalten.
Auf der anderen Seite könnten beide Unternehmen mit dem Gang vor Gericht Klarheit für künftige Übernahmen schaffen - etwa über die Definition des Derivate-Marktes. Deutsche Börse und Nyse argumentieren, bei der Prüfung müsse auch der außerbörsliche Derivate-Handel einbezogen werden, der derzeit rund vier Fünftel des Marktes ausmacht. Die EU-Kommission sieht das anders. Umstritten ist zudem, ob bei der Prüfung nur der europäische oder auch der globale Derivate-Markt betrachtet werden sollte.
Deutsche-Börse-Chef Francioni hat jüngst angedeutet, dass er sich nach weiteren Konsolidierungsmöglichkeiten umsehen würde, falls die EU-Kommission den Zusammenschluss mit der Nyse blockiert. Bei einem Platzen der Fusion sei es wahrscheinlich, dass sich der Frankfurter Börsenbetreiber mittelfristig in Asien und anderen aufstrebenden Ländern nach Partnern umsehe, sagte ein Insider. „Derzeit hat allerdings niemand einen solchen Plan B in der Schublade.“
Banker und Experten sehen für die Deutsche Börse kaum gleichwertige Fusions- oder Übernahmekandidaten. „Wenn die Fusion mit der Nyse platzt, herrscht in der Branche erst mal Stillstand“, sagt ein Investmentbanker. „Kleinere Zukäufe wie die Börse in Spanien oder Betreiber in Osteuropa sind sicherlich eine Option, aber einen großen Wurf wie mit der Nyse wird es dann auf absehbare Zeit nicht geben“, sagt Equinet-Analyst Philipp Häßler. Übernahmen von schnell wachsenden Betreibern in Asien oder Südamerika kann die Börse aus seiner Sicht kaum stemmen. „Einen Kauf der brasilianischen Bovespa könnte sich die Deutsche Börse beispielsweise eher nicht leisten.“
Das Anfang 2010 ausgerufene Branchen-Motto „Big is beautiful“ wäre Makulatur, falls der Zusammenschluss von Deutscher Börse und Nyse nicht zustande kommt. Es wäre nach dem Scheitern der Fusionen von ASX und der Börse Singapur sowie der London Stock Exchange und der kanadischen TMX der dritte abgeblasene Deal innerhalb eines Jahres.
„Sollte die Fusion von Deutscher Börse und Nyse platzen, würde dies darauf hindeuten, dass es ganz große Deals und eine grundlegende Konsolidierung der Branche vorerst nicht geben wird“, sagt Häßler. Auch für andere Branchen könnte die Entscheidung der EU-Kommission Signalwirkung haben. „Grundsätzlich zeichnet sich ab, dass die Wettbewerbshüter immer weniger Skrupel haben, große Deals zu blockieren“, beobachtet Analyst Martin Peter von der LBBW. Die größte 2011 angekündigte Transaktion, der Verkauf von T-Mobile USA an AT&T , war am Widerstand der US-Aufseher gescheitert.
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