„Futurecraft“ Mit diesem Schuh beginnt bei Adidas die Recycling-Revolution

Die unterschiedlichen Bestandteile werden ohne Klebstoff miteinander verbunden, zudem verzichteten die Entwickler auf Farben.
Herzogenaurach Nie wieder Müllhalde: Den neuen Laufschuh „Futurecraft“ will Adidas jahrelang in gleicher Qualität recyceln. Die ersten 200 Paar des Modells liefert der Sportkonzern am Donnerstag an ausgewählte Konsumenten aus. Spätestens in zwei Jahren soll die Massenfertigung beginnen.
„Damit bereiten wir unserer Marke den Weg in die Zukunft“, sagte Graham Williamson, Senior Director des Zukunfts-Teams von Adidas. In der Tat: Hält die Neuentwicklung, was der Dax-Konzern zum Marktstart verspricht, dann dürfte das die Sportindustrie insgesamt grundlegend verändern – und dem größten europäischen Sportartikel-Anbieter zumindest eine Zeitlang einen Vorsprung verschaffen.
Wiederverwertbare Schuhe sind an sich nicht ungewöhnlich. Allerdings lassen sich mit dem daraus gewonnenen Material keine neuen, gleichwertigen Produkte herstellen. Das will Adidas jetzt ändern. Aus einem benutzten „Futurecraft“ soll nach dem Recycling ein genauso guter, neuer Schuh entstehen.
Schuh aus einem einheitlichen Material
„Wir wollen beweisen, dass wir einen leistungsfähigen Laufschuh herstellen können, den man nicht wegwerfen muss“, unterstrich Adidas-Vorstand Eric Liedtke. Sechs Jahre hat Adidas zusammen mit Partnern wie dem Chemiekonzern BASF daran geforscht. Das Ergebnis: Ein Schuh, der aus einem einzigen Material besteht.
Sohle, Obermaterial und Schnürsenkel sind aus demselben Kunststoff, thermoplastischem Polyurethan (TPU). Die unterschiedlichen Bestandteile werden ohne Klebstoff miteinander verbunden, zudem verzichteten die Entwickler auf Farben. „Wir glauben, dass das bei den Konsumenten gut ankommt“, ist Zukunftsforscher Williamson überzeugt.
Unbestritten ist, dass die Kunden für nachhaltige Shirts, Shorts und Schuhe empfänglich sind. Vor vier Jahren begann Adidas in Kooperation mit der Umweltschutzorganisation Parley, an Stränden angeschwemmtes Plastik einzusammeln und wiederzuverwerten. Die Kreativen der Marke entwarfen dafür eine eigene Kollektion.
Vergangenes Jahr entstanden so fünf Millionen Paar Schuhe und zwei Millionen Leibchen und Hosen aus dem Meeresmüll. Dieses Jahr will der Konzern mindestens doppelt so viele Schuhe aus dem Abfall absetzen. Erklärtes Ziel ist es, 2024 überhaupt kein neues Polyester mehr zu verwenden. Polyester ist der bei Adidas am meisten verwendete Rohstoff, er wird zu Fasern gesponnen und lässt sich aus Plastikflaschen und Altkleidern herstellen.
Konkurrenz unter Druck gesetzt
Dass Adidas die Konkurrenz unter Druck setzt, zeigt sich an Puma. Der Lokalrivale hat gerade angekündigt, nun auch eine Kollektion aus wiederverwerteten Plastikflaschen in die Geschäfte zu bringen. Und auch bei Puma sind es nicht irgendwelche Plastikflaschen. Die Marke mit dem Raubtierlogo hat sich dafür mit dem Partner First Mile zusammen getan.
Die britische Recyclingfirma beschäftigt Puma zufolge mehr als 4000 Leute, die in Haiti, Honduras und Taiwan Flaschen in einkommensschwachen Gegenden einsammeln, Abfall, der sonst Straßen oder Strände verunreinigen würden.
„Plastikverschmutzung ist eines der größten Umweltprobleme, deswegen sind wir von diesem Projekt mit First Mile begeistert“, meint Adam Petrick, Marketingchef von Puma. Nächstes Frühjahr sollen die ersten Schuhe und Textilien in die Geschäfte kommen.
Adidas ist den vergangenen Jahren mehrmals mit wegweisenden technischen Entwicklungen vorgeprescht. So verbündete sich der Konzern mit dem US-Start-up Carbon, um 3D-Drucker in der Massenproduktion von Sohlen einzusetzen. Flüssige Harze werden dabei mittels Licht und Sauerstoff so geformt, dass die Sohlen eine atmungsaktive Dämpfung bieten. Das Verfahren soll eines Tages die Grundlage für hoch individuelle Sohlen sein.

Sohle, Obermaterial und Schnürsenkel sind aus demselben Kunststoff, thermoplastischem Polyurethan (TPU).
Adidas war auch der Pionier mit eigenen, hoch automatisierten Fabriken. Zwei sogenannte Speed-Factories stehen inzwischen im fränkischen Ansbach und in Atlanta. In diesen Werken experimentiert Adidas mit Technologien wie dem 3D-Druck sowie individualisierten Artikeln. Hier entstehen auch die ersten Modelle der neuen Recycling-Generation.
Viele Fragen bleiben offen
Es geht um gewaltige Mengen: 2018 hat der Konzern 409 Millionen Paar Schuhe abgesetzt, 457 Millionen Textilien und 113 Millionen Accessoires, also etwa Bälle, Taschen oder Rucksäcke. Alles in allem also mehr als eine Milliarde Artikel, die früher oder später weggeworfen werden.
„Wir sind Teil des Problems und wollen jetzt Teil der Lösung werden“, erklärt Williamson. Allerdings sind noch viele Fragen offen. Adidas hat zwar intern schon Tausende der neuen Modelle getestet. Ob das Recycling in der Praxis aber wirklich funktioniert, wenn die Schuhe verschmutzt und abgenützt sind, das muss sich erst noch zeigen. Unklar ist zudem, wie und wo der Konzern die Altware wieder einsammelt.
Dazu kommt: Der Konzern denkt über ganz neue Geschäftsmodelle nach. So sei zum Beispiel ein Schuh-Abonnement denkbar. Die Konsumenten könnten in regelmäßigen Abständen neue Ware bekommen und die alte zurückschicken. Fest steht derzeit nur: „Das soll nicht teurer sein als der Rest der Kollektion“, sagt Williamson. Künftig sollen weitere Materialien dazu kommen, verschiedene Farben und natürlich Textilien.
Ebenso wichtig für das Label: Es braucht stets neue Anreize für die Kundschaft, einzukaufen. Drei Viertel des Sortiments tauscht die Firma jedes Jahr. Vorstandschef Kasper Rorsted hat den Konzern massiv unter Druck gesetzt, um seine Wachstums- und Renditeziele zu erreichen. Der Umsatz soll dieses Jahr um mindestens fünf Prozent steigen, die operative Marge auf den Rekordwert von mindestens 11,3 Prozent klettern.
Nicht alle Sportschuhhersteller können freilich dem Vorbild Adidas folgen, selbst wenn sie es wollten. Bergstiefel etwa bestehen nach wie vor größtenteils aus Leder. „Unser Beitrag zur Nachhaltigkeit ist, die Produkte so langlebig wie möglich zu machen“, sagt Thomas Gröger, Chef des Outdoor-Spezialisten Hanwag.
Die handgefertigten Wander- und Kletterschuhe der Bayern lassen sich, im Gegensatz zu Turnschuhen, mehrmals neu besohlen und damit über Jahrzehnte benutzen. Darauf müssten Marken allerdings aktiv hinweisen, meint Gröger: „Die Kunden fragen nicht von sich aus nach nachhaltigen Schuhen.“
Das wissen sie auch bei Adidas und setzen deshalb bewährte Marketingmechanismen in Gang. Wie schon beim Schuh aus dem 3D-Drucker verteilt der Konzern die ersten 200 Modelle unter Trendsettern in Städten wie New York. Diese sogenannten Influencer sollen die Botschaft von den neuartigen Schuhen dann in alle Welt verbreiten.
Der große Unterschied zu früher: Diesmal müssen die Erstnutzer ihre schicken Sneaker zum Recycling zurückgeben. Nächstes Jahr, spätestens aber im Frühjahr 2021 soll das Modell weltweit und für alle verfügbar sein.
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