Handelsblatt testet Kundentreue-Ranking: In der Krise schlägt die Stunde der Problemlöser

Der Lieferdienst für Essen legte bei der Kundentreue stark zu.
Köln Das Coronavirus verändert das Kaufverhalten der Deutschen. Viele Menschen schränken sich im Lockdown finanziell ein – entweder um zu sparen, oder weil der Shoppingbummel im Lockdown einfach nicht möglich ist. Für viele Händler hat das nicht nur Umsatzeinbrüche zur Folge: Auch die Kundentreue nimmt in der Pandemie ab.
Eine aktuelle Befragung der Unternehmensberatung McKinsey zum Kaufverhalten der Deutschen ergab, dass knapp zwei Drittel der Verbraucher seit Beginn der Pandemie umgestiegen sind im Hinblick auf Geschäfte, Marken oder auch die Art und Weise, wie sie einkaufen. Und dieses geänderte Verhalten wollen 79 Prozent von ihnen auch in Zukunft beibehalten.
Zunächst mag abnehmende Loyalität verwundern – zeigten sich doch gerade zu Beginn der Pandemie viele Menschen solidarisch insbesondere mit kleinen, lokalen Unternehmen. Gezielt wollten sie diese durch ihren Einkauf unterstützen.
Loyalität beziehe sich in diesem Fall aber auch auf den Einkaufskanal, sagt Jesko Perrey, Marketingexperte bei McKinsey: „Wenn die Lieblingspizzeria zuhat, dann ist auch die Loyalität zufriedener Kunden für die Zeit, bis das Restaurant wieder offen hat, gleich null, und sie suchen nach Alternativen.“
Anstatt im Restaurant zu essen, blieb den Kunden oft nur der Weg über den Lieferservice. Dementsprechend haben die Lieferdienste Lieferando und Domino’s Pizza von der Krise profitiert und neue Kunden dazugewonnen. Im Kundenloyalitätsranking des Marktforschungsinstituts YouGov konnten beide Marken auch in Sachen Kundenbindung punkten: Lieferando hat sich im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von allen Marken am stärksten verbessert, Domino’s belegt Platz drei bei den sogenannten Improvern.
Kräftiger Corona-Effekt
Um die Kundenloyalität zu ermitteln, hat YouGov in einer repräsentativen Umfrage Tausende Kunden in Deutschland gefragt, ob sie Produkte oder Dienstleistungen einer Marke erneut kaufen würden. Neue treue Kunden gewonnen haben wie die Essenslieferdienste auch andere Marken, die zu Beginn der Coronakrise gut auf die neue Situation reagiert haben.
So etwa der Autovermieter Enterprise: Das Unternehmen machte sich zunutze, dass viele Menschen aus Furcht vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen wollten. „Das Unternehmen hat in Werbung für seine Mietwagen investiert und direkt eine größere Kampagne gestartet“, sagt Felix Leiendecker, Head of Products Team DACH bei YouGov. Das zahlte sich aus: Im Ranking, das Leiendecker betreut, belegt Enterprise Platz fünf der Aufsteiger.
Die Marken, die im Ranking nach absoluten Werten die höchste Kundenloyalität erzielten, haben gleich mehrere Gemeinsamkeiten. Zum einen bieten sie allesamt Lebensmittel oder Haushaltsprodukte an. Gerade bei solchen alltäglichen Produkten sind viele Verbraucher Gewohnheitstiere: „Wenn ich als Kunde mit einem Produkt zufrieden bin, dann kaufe ich eben jede Woche den gleichen Kaffee oder das gleiche Reinigungsmittel“, sagt Leiendecker. Anbieter müssten sich in der Regel schon größere Patzer leisten, um Kunden zu verlieren.
Die Top-Ten-Marken legen zudem alle einen klaren Fokus auf Nachhaltigkeit: etwa mit biologischen Lebensmitteln, umweltverträglichen Inhaltsstoffen oder fairen Bedingungen für Mitarbeiter und Produzenten.
Ganz vorn bei der Kundenloyalität landen drei Marken, die ausschließlich Bioprodukte anbieten: der Wasch- und Reinigungsmittel-Hersteller Ecover auf Platz eins, gefolgt von dm Bio sowie der Rossmann-Eigenmarke Enerbio.
Für Ecover war 2020 trotz oder gerade wegen Corona ein gutes Jahr: Die Marke hat ihre Flüssigwaschmittel-Linie aktualisiert, eines ihrer Waschmittel wurde von „Ökotest“ zum Sieger erklärt. Mit modernem Verpackungsdesign und Präsenz in sozialen Netzwerken hat Ecover den Sprung von der alternativen „Ökomarke“ in die Drogeriemarktregale geschafft.
Mit seinen Produkten verfolge das Unternehmen das Ziel, Kleidung langlebiger und die Modewelt somit nachhaltiger zu machen, wie Ecover mitteilte. Künftig wolle man deshalb auch mit einem Anbieter von Secondhand-Kleidung kooperieren.
Dass Bioprodukte bei Verbrauchern hoch im Kurs stehen, hängt auch mit der Covid-19-Pandemie zusammen. Viele Menschen hätten in diesem Zusammenhang ein höheres Gesundheitsbewusstsein entwickelt, sagt Peter Kenning, Ökonom und Marketingprofessor an der Universität Düsseldorf: „Wenn die eigene Gesundheit bedroht ist, legen Menschen oft Wert auf Produkte, die sie als besonders gesund wahrnehmen.“ Und darunter fielen eben vor allem Bioprodukte und regionale Erzeugnisse.
Darüber hinaus stieg seit 2020 die Nachfrage nach Kosmetika, Einrichtungsgegenständen und bequemer Kleidung für die Arbeit im Homeoffice – sprich: nach Produkten rund ums Zuhause. Marketingexperten sprechen bereits von der „Homebody Economy“.
Der Trend verhalf auch der in Vergessenheit geratenen Marke UGG zum Comeback – über eine Hausschuh-Linie: Die Plüschsandalen schafften es sogar in die „Vogue“. Stars wie die Influencerin Kylie Jenner und das Model Gigi Hadid tragen sie. Deutsche Verbraucher nehmen sich daran offenbar ein Beispiel und scheinen die bunten Schlappen zu mögen, was UGG zu Platz zwei in der Kategorie der Improver verhalf.
Schaufenster im Netz
Treue Kunden verloren haben dagegen viele andere Modemarken und Modehändler. Weil Filialen im Lockdown geschlossen blieben, haben etliche Verbraucher sich umorientiert. Es wird für die Marken nicht leicht sein, sich für zukünftige Einkäufe wieder auf den Radar zu bringen. Um Kunden zurückzugewinnen und sie erneut zu binden, müssen Unternehmen erreichbar sein – zumindest per Internet.
Zahlreiche Händler sind der Schließung ihrer stationären Geschäfte mit Kreativität begegnet: Viele liefern jetzt aus oder sind auf „Click and Collect“ umgestiegen, also vorherige Bestellung mit Abholung vor Ort. Die Internetseite wird zum Schaufenster – und bildet im Idealfall den Warenbestand ab.
„Viele Händler bauen jetzt ihre Onlinepräsenzen verstärkt auf, um überhaupt noch mithalten zu können“, sagt Marketingprofessor Kenning. In der Pandemie habe sich die grundsätzlich eher skeptische Einstellung der Deutschen gegenüber der Digitalisierung verändert: „Man merkt, dass die digitalen Infrastrukturen uns helfen, durch die Krise zu kommen, vor allem im Onlinehandel“, so Kenning.
Online wie offline gilt: Um aus einem Käufer einen Stammkunden zu machen, ist der Aufbau einer emotionalen Bindung wichtig. Neben einem angenehmen Einkaufserlebnis spielen hier auch ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis und freundliches Personal eine große Rolle. Wie wichtig die gute Kommunikation mit den Kunden ist, zeigt das sogenannte „Service Recovery Paradox“: „Ein guter Kundenservice kann dazu führen, dass Kunden nach einer Beschwerde sogar zufriedener mit einem Unternehmen sind als davor“, sagt Kenning.

Viele Händler sind auf „Click and Collect“ umgestiegen, also vorherige Bestellung mit Abholung vor Ort.
Ein dritter Aspekt, der laut McKinsey-Berater Perrey immer wichtiger wird, ist ethisch vertretbares Handeln. „Wir sprechen von sogenannten Purpose-driven-Unternehmen“, sagt Perrey. Gemeint sind Firmen, die der Gesellschaft etwas zurückgeben – indem sie beispielsweise gemeinnützige Projekte unterstützen oder Wert auf Umweltschutz legen. Gerade in der Pandemie sei dieses Thema noch wichtiger geworden: „Es geht darum zu überlegen, wie Unternehmen in einer ethisch vertretbaren Weise von der Krise profitieren können“, so Perrey.
Ob Konsumenten nach Ende der Covid-19-Pandemie zu ihren alten Kaufgewohnheiten zurückkehren oder aber ihr neues, digitaleres Einkaufsverhalten beibehalten werden, bleibt abzuwarten. Klar ist: Die Sehnsucht nach Normalität und die Vorfreude darauf wachsen.
„Vor allem die Generation Z will ins Leben zurück“, sagt Perrey. Gemeint sind junge Menschen, die in den späten 1990er-Jahren oder in den 2000ern geboren wurden. Mehr als 60 Prozent von ihnen gaben in der McKinsey-Umfrage an, noch in diesem Jahr verreisen zu wollen, wenn die Beschränkungen aufgehoben werden. Auch für Restaurantbesuche und Freizeitaktivitäten wollen sie sobald wie möglich wieder Geld ausgeben.
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