Havarie der „Ever Given“ Der Suezkanal ist wieder frei – doch die Probleme für die Wirtschaft beginnen erst

Das Containerschiff wurde zunächst zum großen Bittersee geschleppt, wo nun die Unfallursache geklärt werden soll.
Düsseldorf Für die erhoffte Freilegung des Frachters „Ever Given“, der seit vergangenen Dienstag den Suezkanal blockierte, hatte das ägyptische Staatsfernsehen in der Mittagszeit eigens einen Livestream per Youtube geschaltet. Doch das Schiff bewegte sich erst, als der Sender seine Kameras schon frustriert wieder abgeschaltet hatte.
Gegen 15.30 Uhr deutscher Zeit am Montag kam dann die erlösende Mitteilung: Es sei ihm eine „außerordentliche Freude zu bestätigen“, teilte der Kanaldienstleister Leth Agencies auf Twitter mit, „dass es der Kanalbehörde und ihren Mitarbeitern gelungen ist, die Ever Given wieder in Umlauf zu bringen“. Sie sei nun auf dem Weg zum Großen Bittersee, einem Ausweichstück der künstlichen Wasserstraße.
Der freudigen Mitteilung zum Trotz rüstet sich Deutschlands Wirtschaft unvermindert für die problematischen Folgen der Havarie, die erst noch auf sie zukommen. Noch sind in Häfen wie Hamburg die Auswirkungen nicht spürbar.
Aktuell landen in Nordeuropa noch die letzten Schiffe an, die den Kanal vor der Blockade passierten. „Aber die Auswirkungen werden ab Mitte dieser Woche die Häfen der North Range treffen“, warnt der Logistikdienstleister Transporeon. Gemeint sind damit Rotterdam, Antwerpen, Wilhelmshaven, Bremerhaven und Hamburg.
Zu erwarten sei, dass ab Mitte der Woche nur noch wenig Fracht aus Asien nach Deutschland kommt. Zwei Wochen danach sei dagegen mit ersten Überlastungen durch das Wiederhochlaufen zu rechnen.
Das gelte anschließend auch für den Binnenverkehr in Europa, da zu viele Schiffe gleichzeitig entladen werden müssen. „Während dieses gesamten Zeitraums wird ein Mangel an leeren Containern in Europa herrschen“, warnen die Transporeon-Experten.
An den Stahlboxen mangelt es ohnehin schon seit vergangenem Herbst, weil sich ihre Umläufe durch die Verwerfungen der Corona-Pandemie deutlich verlängert haben. Teilweise mussten Speditionskunden vor Weihnachten happige Zusatzgebühren zahlen, um überhaupt Container gestellt zu bekommen.
Normalisierung des Verkehrs wird dauern
Die deutsche Chemie- und Pharmaindustrie warnt vor den Folgen des erneuten Lieferketten-Desasters. „Mit großer Erleichterung haben die Chemieunternehmen auf die Nachricht reagiert, dass der Suezkanal bald wieder frei sein wird“, sagte Henrik Meincke, Chefvolkswirt des Branchenverbands VCI.
Die Normalisierung des Verkehrs von und nach Asien werde aber nur langsam vorangehen. „Die Lieferketten waren schon vor dem Ereignis unter Druck und werden es auch noch mehrere Wochen bleiben, auch weil der bestehende Engpass an Containern sich durch den Rückstau vor dem Kanal zunächst vergrößert“, sagte Meincke.
Importeure wie der Intertrading-Chef Oliver Guttmann, der Discounter wie Aldi und Lidl mit Aktionsware aus Fernost beliefert, erwarten ab Mitte April deshalb Lücken in den Regalen des Einzelhandels. „Ein Frachter, der am 13. April aus China mit unseren Containern abfahren sollte, steht immer noch in entgegengesetzter Fahrtrichtung an der nördlichen Einfahrt zum Suezkanal“, berichtet der Einfuhrspezialist für Bilderrahmen, Dekorationsartikel und Malereibedarf. „Schon jetzt wissen wir, dass unsere Artikel keinesfalls pünktlich im Bestimmungshafen sein werden.“
Durch die Umplanung der Frachtwege, bestätigt Notebooksbilliger-Chef Oliver Hellmold, könnte es aber bald zu Kapazitätsengpässen und höheren Frachtraten kommen. Auch Willem van der Schalk, Vorsitzender des Komitees Deutscher Hafenspediteure, erwartet die ersten Sortimentslücken in vier Wochen. „Zu Ostern müssen wir uns noch keine Sorgen machen“, tröstet der Geschäftsführer der Hamburger Spedition A. Hartrodt, „weil viele Händler noch auf Lagervorräten sitzen.“
Schiffsstau im Suezkanal beginnt sich zu lösen
Aktuell allerdings setzen die Seefahrtsunternehmen alles daran, den Betrieb wieder schnellstmöglich zum Laufen zu bringen. „Der Schleppbetrieb für das Schiff sollte bei Flut sehr bald beginnen“, teilte die Hamburger Reederei Hapag-Lloyd schon kurz nach den ersten Erfolgsmeldungen am Montag ihren Kunden mit. Der beschädigte Bereich des Kanals werde nun inspiziert und gegebenenfalls repariert. „Wir erwarten“, kündigte Deutschlands größter Containerreeder an, „dass die Transite später am Abend beginnen.“
Schon am frühen Montagmorgen war es dem Bergungsteam der niederländischen Spezialfirma Boskalis gelungen, das Heck der „Ever Given“ wieder frei zu bekommen. Der Durchbruch sei nach intensiven Bemühungen während einer Springflut erfolgt, hatte die Kanalbehörde erklärt. Zehn Schlepper waren dazu aus vier Richtungen im Einsatz.
„Heute werden wir unseren Plan beginnen, damit alle Schiffe den Kanal durchqueren können“, sagte Mohab Mamish, ein Berater des ägyptischen Präsidenten, am Montag der Nachrichtenagentur Bloomberg. „Es könnte ungefähr eine Woche dauern, bis alle Schiffe den Suezkanal-Korridor verlassen.“ Aktuell sollen 369 Schiffe auf die Einfahrt in den Suezkanal warten. 106 können ihn pro Tag passieren.
„Es ist wahrscheinlich, dass der normale Betrieb am Dienstag wieder aufgenommen wird“, bremste der Ulmer Logistikdienstleister Transporeon, der sich auf Waren- und Transportverfolgung spezialisiert hat, ein wenig die hohen Erwartungen. Bis zum Dienstagmorgen sollen 113 Schiffe ihre Wartepositionen verlassen und den Kanal durchqueren, sagte Osama Rabie, Leiter der Kanalbehörde, am Montagabend nach Medienberichten in Kairo. Die ersten Schiffe hätten bereits am frühen Montagabend Kurs aufgenommen.
130.000 Schafe haben voraussichtlich Vorrang
Gegenüber dem maritimen Nachrichtendienst „Splash“ erklärten Mitarbeiter der Kanalbehörde zudem, dass bei einer Wiedereröffnung zunächst Schiffe vorgelassen würden, die lebendes Vieh an Bord haben. Nach Angaben von Tierschützern sollen sich 130.000 Schafe auf den Schiffen befinden. Hapag-Lloyd berichtete, man habe noch keine Informationen darüber, in welcher Reihenfolge die Schiffe durch den Kanal gelassen werden.
Angesichts der Verstopfung entschieden sich bereits in den vergangenen Tagen Reedereien wie MSC, Maersk und CMA CGM, zahlreiche Containerschiffe rund um Afrika umzuleiten. Einer Onlinekarte von „Marine Traffic“ ist zu entnehmen, dass am Wochenende 15 Containerschiffe ihren Kurs änderten und eine zusätzliche Reise von 7000 Seemeilen auf sich nahmen. Eine Lieferverzögerung von sieben bis zehn Tagen ist ihnen damit sicher.
Die Reederei Hapag-Lloyd schickte bislang keines ihrer Schiffe auf die Umleitungsstrecke, obwohl neun Frachter der Hanseaten im Suez-Stau stecken. Ein Teil ihrer Container reist trotzdem rund um Afrika, und zwar solche, die von den Partner-Reedereien HMM, One und Yangming befördert werden.
Auf dem Großen Bittersee soll nun auch die Unfallursache geklärt werden. Zunächst war von einem möglichen Stromausfall auf der „Ever Given“ berichtet worden, was die zuständige Technikfirma, die Hamburger Bernhard Schulte Shipmanagement (BSM), vehement bestritt.

Am Montagmorgen war es den Bergungskräften bereits gelungen, das Schiff zum Teil freizubekommen.
Der Schiffsbetreiber Evergreen aus Taiwan hatte von starken Windböen berichtet, doch diese Begründung wiederum war auf Zweifel bei der ägyptischen Kanalbehörde gestoßen. Möglicherweise war bei der Havarie auch menschliches Versagen im Spiel. Die gesamte Crew stammt aus Indien, an Bord befanden sich jedoch zwei Lotsen der Suezkanal-Gesellschaft.
Die Sprecherin der Wirtschaftszone für den Suezkanal feierte den Erfolg am Montag auf Facebook. „Es leben die Helden vom Suezkanal“, schrieb sie. Nach der ersten Erfolgsmeldung vom Montagmorgen kursierten im Internet Videos von erleichterten Crewmitgliedern der anderen Schiffe im Kanal. „Das Boot schwimmt“, sagt ein Mann an Bord eines Schiffs und streckt seinen Daumen nach oben. Auf einem der Videos ist immer wieder der Ausspruch „Alhamdulillah“ (Gott sei Dank) zu hören.
Die nachlassende Furcht vor einem Angebotsengpass schickt den Ölpreis auf Talfahrt. Die Sorte Brent verbilligte sich zum Montagnachmittag um 1,1 Prozent auf 63,88 US-Dollar je Fass.
Die Eigentümer der „Ever Given“, die japanische Leasingfirma Shoei Kisen Kaisha, wies Befürchtungen über mögliche Schäden am Schiff nach der Havarie zurück. Dessen Motor funktioniere, der Frachter könne seine Fahrt nach der Freilegung normal fortsetzen. Das 400 Meter lange Mega-Schiff ist mit rund 13.800 Containern beladen.
Der Containerfrachter war vergangene Woche im Suezkanal auf Grund gelaufen und hatte die wichtige Route in beide Richtungen blockiert. Das unter panamaischer Flagge fahrende Schiff war in Richtung Rotterdam unterwegs.
Der 193 Kilometer lange Kanal ist die kürzeste Verbindung zwischen Europa und Asien und der entscheidende Korridor für Rohöl und Importwaren nach Europa. Dem Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) zufolge fahren 98 Prozent der Containerschiffe durch den Suezkanal, wenn sie zwischen Deutschland und China unterwegs sind. Etwa acht bis neun Prozent der gesamten deutschen Warenimporte und -exporte gehen durch die Wasserstraße.
Mehr: Frost, Dürre, Suezkrise: Die Just-in-Time-Ökonomie gerät in Gefahr
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Die Ever Globe ist im Bittersee in Gegenrichtung unterwegs. Und noch überladener (Tiefgang 15,9m)…
Lassen wir uns überraschen…
Übrigens: Warum haben die Berger nicht den Schweröltank geleichtert? So kann das Schiff doch einige Tönnchen verlieren. Die Bunker sollten so im Schiff verteilt sein, dass es beim Verbrauch des Betriebsstoffes nicht buglastig wird. Der Angepumpte "Diesel" fährt dann bis Port Said in einem Tanker hinterher und da kann ja wieder vollgebunkert werden.