Hörgeräte-Kette Kind Augen und Ohren öffnen

„Alexander Kind ist ein ganz anderer Charakter als sein Vater.“ Das sagt Ansgar Heise, Chef der Mediengruppe Heise.
Großburgwedel Es sieht aus wie moderne Kunst – aus einer Gummibärchen-Masse. Doch die filigranen Kunststoffteile frisch aus dem 3-D-Drucker sind nichts für die Vitrine, im Gegenteil. Es sind maßgeschneiderte Ohr-Stücke für Hörgeräte. „Früher haben wir von den Abdrücken der Kunden mühsam Modelle per Hand gegossen. Die haben unsere Mitarbeiterinnen dann mit Mundschutz gefräst und lackiert“, erzählt Alexander Kind, Chef des gleichnamigen Hörgerätespezialisten. Heute modellieren die Frauen alles dreidimensional am Computer – ohne Fehler, Staub und Pflaster.
Nicht ohne Stolz sagt der 44-Jährige, dass sein Unternehmen der 3-D-Pionier der Branche sei. Kind spricht überlegt und leise. So leise, dass sich Gesprächspartner fragen, ob sie sich nicht besser ein Hörgerät zulegen sollten. Wenn der zurückhaltende Niedersachse aber durch sein Werk in Großburgwedel nahe Hannover geht, dann ist er mit Begeisterung bei der Sache: „In einem Tag schon ist das maßgeschneiderte Ohrstück fertig.“ Sein Vater hat anerkennende Worte für ihn übrig: „Mein Sohn führt die Gruppe besser als ich“, sagt Martin Kind.
1970 hatte der heute 73-Jährige den Akustikerladen seiner Eltern übernommen und ihn im Laufe der Jahre zur größten deutschen Kette ausgebaut. Mit dem Kauf des Thüringer Hörgerätewerks Audifon im Jahr 2004 machte er den Händler zum Hersteller – der letzte, der noch in Deutschland fertigt. Den Werbespruch „Ich hab ein Kind im Ohr“ kennt mittlerweile fast jeder Deutsche. Die Kampagne dazu hatte Sohn Alexander initiiert. Vor anderthalb Jahren wagte dieser den Schritt in ein ganz anderes Geschäftsfeld: In 50 der 650 deutschen Kind-Filialen gibt es heute nicht nur Hör-, sondern auch Sehhilfen. In den nächsten Monaten kommen 25 kombinierte Hörgeräte-Optikfilialen hinzu, mittelfristig sollen es bis zu 300 sein. Die Ziele sind ehrgeizig: „Wir wollen die Nummer drei der deutschen Optiker werden – nach Fielmann und Apollo“, sagt Alexander Kind. „Schließlich tragen fast all unsere Kunden eine Brille.“ Mit Brillen im Schaufenster sinke die Hemmschwelle, das Geschäft zu betreten, hofft der Chef. Anders als Sehhilfen, die längst auch ein Modeaccessoire sind, haftet Hörgeräten noch immer ein gewisses Stigma an.
Kinds zweigleisige Strategie zahlt sich bislang aus: Von 270 Millionen Euro Umsatz, die die Kind-Gruppe mit 3.000 Mitarbeitern in 13 Ländern erzielt, sollen 2018 rund 50 Millionen Euro auf Brillen entfallen. Damit wäre Kind im Brillengeschäft zwar halb so groß wie die Nummer vier der Branche, Mr. Spex, aber noch deutlich kleiner als Marktführer Fielmann, der über eine Milliarde Euro umsetzt. Der wiederum verkauft bereits seit einiger Zeit auch Hörgeräte. Was auf den ersten Blick wie eine Replik von Kind auf Fielmann wirkt, hat in der Branche Tradition: Etwa jeder dritte unabhängige Akustiker verkauft auch Brillen. Vor Jahrzehnten betrieben Fielmann und Kind sogar als Joint Venture Läden mit Brillen und Hörgeräten. Doch Fielmann zog sich zurück – und Kind führte die Filialen mit Hörgeräten weiter.
Tatsache ist: Der deutsche Optikmarkt ist mit 5,7 Milliarden Euro deutlich größer als der für Hörgeräte mit rund 1,5 Milliarden Euro. Es ist die Brille, in der Kind die Chance zur Expansion sieht. Auch ein Onlineshop, in dem Kunden ihre Wunschbrille individuell konfigurieren wie beispielsweise bei Mr. Spex oder Brillen.de, ist in Planung, verrät Kind. Fielmann verkauft nur über die Filialen.
Die Konkurrenz von Optikern, die Hörgeräte im Visier haben, sieht Kind gelassen. Denn in der Augenoptik wie auch in der Hörakustik ist in jedem Fachgeschäft ein Meister zu beschäftigen. Und Akustiker ist nach Kältetechniker der Beruf mit dem größten Nachwuchsmangel. Im Januar vergrößert Kind deshalb die hauseigene Akademie – mit einem zweistelligen Millionenbetrag. „Wir könnten viel schneller wachsen, würden wir mehr Hörakustiker finden“, sagt er. 600 Auszubildende hat Kind hierzulande. Seine Mitarbeiter zahlt Kind anders als branchenüblich bewusst nicht nach ihrem Umsatz. Schließlich sollen sie optimal beraten. Das lässt Kind durch Testkäufer checken.
Solidarität statt Konkurrenz
„Die Branche steht vor großen Herausforderungen, etwa dem Einstieg kapitalstarker Konzerne in den vormals handwerklich orientierten Berufszweig“, sagt Volker Geers, der lange die Nummer zwei am Markt führte. 2010 verkaufte er Geers, das heute zum Schweizer Hörgerätekonzern Sonova gehört. Die familieneigene Hörstiftung aber übertrug Geers überraschend seinem größten Wettbewerber. „Da Kind nach dem Verkauf von Geers als einziges bedeutendes Familienunternehmen in der Branche verblieben ist, lag es nahe, die Stiftung in die Hände der Familie Kind zu legen“, sagt Geers. „Konkurrenz schließt nicht die Solidarität zwischen Unternehmern aus.“
Konkurrenz bekommen Hörgerätefirmen auch von anderer Seite – etwa durch medizinische Implantate. Das erste tragbare Hörgerät ließ 1901 US-Ingenieur Miller Hutchinson patentieren. Sein „Acousticon“ wog zwölf Kilo. Heute sind Hörgeräte Mini-Computer. „Künftig wird das Hörgerät ein Gesundheitstracker sein, der Herzfrequenz und Blutdruck misst, oder simultan dolmetscht“, prophezeit Kind. Hier experimentieren Konzerne wie Google mit „Pixl Buds“, die 40 Sprachen in Echtzeit übersetzen. Schon heute lassen sich Hörgeräte per Smartphone steuern. Per GPS merkt sich das Gerät, an welchem Ort man welche Akustik bevorzugt – in der Kneipe, im Konzert, im Park.
Dass Alexander Kind einmal die Firma führt, war alles andere als klar. „Zuhause wurde nie übers Geschäft geredet. Mein Vater sagte immer: Macht, was Euch Spaß macht!“ Bruder Matthias arbeitet in der Musikbranche. Alexander Kind promovierte in St. Gallen und wollte Wirtschaftsprofessor werden. „Ich lebte in der schönen Schweiz und konnte mir absolut nicht vorstellen, nach Burgwedel zurückzukommen.“ An der Uni-Karriere fand er dann doch keinen Gefallen. Vater und Sohn vereinbarten vor 17 Jahren, dass sich der Spross die Firma wenigstens mal anschaue, der Rest ist bekannt.
Ansgar Heise, Chef der Mediengruppe Heise, kennt Alexander Kind seit der Schulzeit als feinfühligen Menschen. „Ein ganz anderer Charakter als sein Vater, der als Lautsprecher stark nach außen wirkt. Alexander Kind wirkt als Unternehmer eher nach innen.“ Deshalb ergänzten sich beide gut. Alexander sei neuen Technologien sehr aufgeschlossen, habe klare Vorstellungen, wo er das Unternehmen hinführen wolle. „Vom Führungsstil unterscheiden mein Vater und ich uns sehr“, bestätigt der Sohn, dem heute 90 Prozent der Firma gehören. „Mein Vater arbeitet extrem diszipliniert, hatte viel auf sich fokussiert.“ Er selbst führe nach der Devise: Was muss ich heute tun, damit ich morgen überflüssig bin? Und ergänzt: „Mein Vater hat nie Urlaub gemacht, da bin ich genetisch vorbelastet. Aber seitdem ich drei Kinder habe, mache ich das anders.“
Am Wochenende ist er mit seinem Vater, der auch Präsident von Fußball-Erstligist Hannover 96 ist, im Stadion. Alexander Kind hat jedoch keine Ambitionen, sich ins Politikum Fußball einzubringen. „Unsere Vereinsanteile werden natürlich in der Familie bleiben.“ Wie auch die Firma: „Ein Verkauf kommt nicht in Frage.“
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