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Infektionsschutzgesetz Bund droht nach Ende des Lockdowns eine Welle an Entschädigungsklagen aus dem Handel

Immer mehr Unternehmen klagen in Karlsruhe gegen das Infektionsschutzgesetz – und legen damit die Basis für Schadensersatzforderungen gegenüber dem Bund. Es könnte um Milliarden gehen.
01.06.2021 - 16:39 Uhr 1 Kommentar
Viele Händler wollen für die Umsatzausfälle durch die Corona-Maßnahmen Entschädigung einklagen. Quelle: dpa
Geschlossenes Geschäft

Viele Händler wollen für die Umsatzausfälle durch die Corona-Maßnahmen Entschädigung einklagen.

(Foto: dpa)

Düsseldorf Auf den ersten Blick erscheinen die Klagen wie ein sinnloses Nachtreten: Gerade jetzt, wo dank sinkender Infektionszahlen viele Geschäfte und Gastronomien wieder öffnen dürfen, legen immer mehr Unternehmen Verfassungsbeschwerde gegen das Infektionsschutzgesetz ein.

Doch die Klagen gegen den Lockdown bilden die Grundlage, um künftig finanzielle Ansprüche gegenüber dem Staat geltend machen zu können. „Wer Schadensersatz haben möchte, der muss vorher die Klage einreichen, sonst geht das nicht“, sagt Markus Diekmann, Sprecher von „Händler helfen Händler“. Die Initiative vertritt nach eigenen Angaben mehr als 4000 Händler und hat diese Woche ihre Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.

Die Abrechnung mit dem Infektionsschutzgesetz haben die Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek und der Verfassungsrechtler Josef Franz Lindner von der Universität Augsburg ausgearbeitet. Sollte die Beschwerde Erfolg haben, öffnet sie die Tür für massenhafte Ansprüche – wahrscheinlich in Milliardenhöhe.

Fahrradhändler Markus Diekmann betont: Jedes betroffene Unternehmen kann gegen eine Spende von 3000 Euro das Gutachten des Verfassungsrechtlers Lindner und den Entwurf der Beschwerde der Kanzlei bekommen, für seine eigene Situation modifizieren lassen und dann Beschwerde in Karlsruhe einlegen. So könnte ein Dominoeffekt ausgelöst werden, der den Staat teuer zu stehen kommen könnte.

Viele große Handelsunternehmen haben zurzeit ihre Rechtsabteilungen mit der Prüfung solcher Ansprüche beauftragt. Das Gutachten vom Verfassungsrechtler kommt dabei zur rechten Zeit für die Händler. Galeria Karstadt Kaufhof beispielsweise rechnet mit einer Entschädigungssumme in niedriger dreistelliger Millionenhöhe. Schließlich habe das Unternehmen durch den Lockdown Insidern zufolge wöchentlich 20 bis 30 Millionen Euro verloren.

Auch Patrick Zahn, Chef vom Textil-Discounter Kik, ist überzeugt, dass seinem Unternehmen eine Entschädigung zusteht: Kik habe ein Anrecht darauf, weil die Läden ja nur geschlossen wurden, um zu verhindern, dass die Menschen in die Stadt kommen, und so das Infektionsgeschehen zu bremsen. Von den Geschäften selber sei ja keine Gefahr ausgegangen, argumentiert er.

Intersport-Chef sieht Fehler im Infektionsschutzgesetz

Wie das Gericht über die Beschwerden urteilt, ist noch ungewiss. Gegen das Infektionsschutzgesetz sind beim Bundesverfassungsgericht mittlerweile rund 400 Klagen eingegangen, einige Eilanträge sind bereits abgelehnt worden. Manche davon richten sich gegen das gesamte Maßnahmenpaket, andere gegen einzelne Punkte. Unter den Beschwerdeführern sind Anwälte, Unternehmen, aber auch Politiker verschiedener Parteien.

Alexander von Preen ist CEO des Sporthändlerverbunds Intersport und koordiniert die Beschwerde für die Initiative „Händler helfen Händlern“. Er betont, dass sie bewusst keinen Eilantrag für eine Wiederöffnung gestellt hatten, sondern in aller Ruhe dafür sorgen wollten, dass „die handwerklichen und damit inhaltlichen Fehler im Bundesgesetz“ festgestellt würden – und damit letztlich die Verfassungswidrigkeit.

Das Gutachten von Verfassungsrechtler Josef Franz Lindner fokussiert sich auf drei Bereiche: eine mögliche Verletzung der Berufsfreiheit, des Eigentumsrechts und des Gleichheitsgrundsatzes.

Lindner argumentiert, dass die Berufsfreiheit eingeschränkt wurde, ohne nachzuweisen, dass mit einer Öffnung des Handels das Infektionsgeschehen stark zugenommen hätte. „Studien des Robert-Koch-Instituts belegen, dass ein etwaiges Ansteckungsrisiko durch die bestehenden Hygienekonzepte im Handel gering ist“, betont Intersport-CEO von Preen.

Besonders gravierend ist für die Händler der Eingriff ins Eigentumsrecht. Quelle: dpa
Lockdown in Berlin

Besonders gravierend ist für die Händler der Eingriff ins Eigentumsrecht.

(Foto: dpa)

Besonders gravierend ist für die Händler der Eingriff ins Eigentumsrecht. Waren hätten wegen des Lockdowns nicht verkauft werden können und später mit hohen Abschlägen verkauft oder sogar vernichtet werden müssen, weil sie nicht mehr verkäuflich gewesen seien. „Zahlreiche Betriebe sind durch die Ladenschließungen in ihrer Existenz gefährdet. Hierdurch wird in die grundrechtlich geschützte Substanz des Betriebs eingegriffen“, sagt der Intersport-Chef.

Zwar gab es mehrere Programme der Bundesregierung und der Landesregierungen mit Sofortzahlungen, Überbrückungshilfen und staatlichen Bürgschaften. Doch viele Unternehmen erfüllten die Kriterien für Hilfen nicht oder bekämen nur einen Teil der Verluste ersetzt. Auch wird ein Teil der Hilfe nur als Darlehen gewährt. Dass die Händler fordern, entschädigt zu werden, begründen sie damit, dass der Großteil der Umsatzverluste nicht kompensiert wird.

Infektionsschutzgesetz regelt Ansprüche auf Entschädigung

Ein heikler Punkt im Infektionsschutzgesetz ist auch die Frage, welche Branchen als notwendig für die tägliche Versorgung galten und deshalb trotz des Lockdowns öffnen durften. So gab es beispielsweise Ausnahmen für Blumenläden und Babyfachmärkte.

Schuhgeschäfte oder Sportartikelmärkte dagegen mussten schließen. Dies verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Artikel 3 des Grundgesetzes, argumentiert der Verfassungsrechtler Lindner im Gutachten.

Auch Klagen von anderen Kanzleien kritisieren, dass die betroffenen Unternehmen durch staatliche Eingriffe ein „Sonderopfer“ gebracht hätten. Da sie dies zugunsten des Allgemeinwohls erbracht hätten, stehe ihnen eine Entschädigung zu, erklärt die Kanzlei Gansel Rechtsanwälte, die die Interessen von Hunderten Gastronomen vertritt.

Ein Anspruch ergebe sich auch direkt aus dem Infektionsschutzgesetz. So besagt Paragraf 56, dass demjenigen, der aufgrund dieses Gesetzes „als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern (…) Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt“, eine Entschädigung zustehe. Es sei nicht zu verstehen, warum ausschließlich die Unternehmer entschädigt werden sollten, die aufgrund einer Corona-Infektion oder einer angeordneten Quarantäne ihren Betrieb schließen mussten, nicht aber jene, die aufgrund der Corona-Maßnahmen schließen mussten, so die Argumentation der Kanzlei. 

Auch Gerichte haben bereits geurteilt, dass die Corona-Schutzmaßnahmen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstießen. So hatte der Bayrische Verwaltungsgerichtshof Ende März entschieden, dass Schuhgeschäfte genau wie Lebensmittelläden oder Drogerien für die tägliche Versorgung unverzichtbar seien.

Geklagt hatte der regionale Händler Schuhhaus Mücke gegen die Corona-Verordnung des Landes Bayern, die daraufhin verändert wurde. Dieser Erfolg hat die Handelsgruppe ANWR Group bestärkt, über ihre Tochtergesellschaft Schuhhaus Mücke nun auch Verfassungsbeschwerde gegen das Bundesinfektionsschutzgesetz einzureichen. Dies solle „Rechtsklarheit für die Zukunft bringen“, teilte ANWR mit.

Das erhofft sich auch die Initiative „Händler helfen Händlern“. Das Gesetz werde den zukünftigen Umgang mit anderen Infektionskrankheiten vorzeichnen und damit die Geschäftspolitik vieler Unternehmen stark beeinflussen. „Wenn wir das Infektionsschutzgesetz eng auslegen, könnte uns in Zukunft jede normale Grippe wieder in den Lockdown schicken“, fürchtet Händler Diekmann.

Mehr: ECE-Chef Alexander Otto im Interview: „Wir haben auf mehr als 150 Millionen Euro Miete verzichtet“

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1 Kommentar zu "Infektionsschutzgesetz: Bund droht nach Ende des Lockdowns eine Welle an Entschädigungsklagen aus dem Handel"

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  • Das ist von den Unternehmen doch recht kurz gedacht. Sollten die Milliarden wirklich fließen, dann doch nur von den Steuergeldern der Bürger sprich Kunden. Das diese dann kein Geld mehr haben werden, um neue Ware zu kaufen dürfte doch eigentlich klar sein. Wo von wollen dann die Unternehmen noch existieren ?

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