Interview François-Henry Bennahmias Chef der Luxusuhren-Manufaktur Audemars Piguet: „Wir alle müssen smarter werden“

Der CEO von Audemars Piguet trimmt die schweizerische Luxusuhrenmanufaktur trotz Krise auf mehr Wachstum.
Genf Die Uhrenindustrie war einerseits lange erfolgsverwöhnt und hat andererseits schon mehrere existenzielle Krisen überlebt – etwa die Quarz-Revolution in den Siebzigerjahren, der viele Marken zum Opfer fielen. Doch Corona stellt auch die besten Uhrmacher vor gewaltige Herausforderungen.
Fast alle großen Absatzmärkte sind zusammengebrochen. Die ausbleibenden asiatischen Touristen fehlen zudem in den Uhren-Boutiquen und Flagship Stores im Rest der Welt. In der Schweiz wird aktuell kaum noch produziert. Kurzarbeit und Entlassungsrunden drohen.
Zum kleinen Kreis der Luxusmarken, die bislang mehr als eine Milliarde Schweizer Franken jährlich erlösen, gehört Audemars Piguet aus dem Bergstädtchen Le Brassus im Schweizer Jura. Und das bei Preisen, die pro Uhr bei rund 20.000 Euro starten. CEO François-Henry Bennahmias hat das Unternehmen in den vergangenen Jahren in die Spitzengruppe katapultiert.
Doch jetzt hat auch er Probleme: „Wir wissen, wo wir starten, aber nicht, wo das Ende liegt und wie sich die Epidemie weiterentwickelt.“ Selbst die Eröffnung des neuen, von Bjarke Ingels entworfenen AP-Museums, Musée Atelier Audemars Piguet, muss ein paar Monate verschoben werden.
Trotzdem will Bennahmias weder Personal freistellen noch seine Prognosen senken. In Corona-Zeiten gehe es „mehr denn je“ darum, rund um das Produkt Emotionen zu schaffen. Und er lässt keinen Zweifel daran, dass er dazu die gesamte Wertschöpfungskette kontrollieren will: Produktion, Verkauf, Online-Handel – ja, sogar das Geschäft mit gebrauchten Uhren.
Auch vor den Smartwatches des US-Konzerns Apple, der mittlerweile weit mehr Uhren verkauft als die gesamte Schweizer Uhrenindustrie, ist ihm nicht bange: Das verändere höchstens „das Geschäft in den unteren Preisregionen. Für uns wäre das, als wollten Sie ein Drei-Sterne-Restaurant mit Fast Food vergleichen: Es ist Platz für beide.“
Das komplette Interview lesen Sie hier:
Monsieur Bennahmias, die Coronakrise trifft Ihr erfolgreiches Unternehmen wie auch die gesamte Schweizer Uhrenindustrie. Wie schätzen Sie die Zukunftsaussichten ein?
Bis Februar hatten wir Zahlen, die 15 Prozent über dem Vorjahr lagen. Dann kam der erste Schlag aus Macau, Taiwan, China und vor allem Hongkong…
… wegen der dortigen Proteste?
Sicher auch. Das dadurch wegbrechende Geschäft wurde anfangs aber noch völlig kompensiert durch andere Märkte. Doch dann hat uns natürlich die Krise eingeholt.
Über welche Größenordnung sprechen wir da?
Das hängt davon ab, wie sich die Pandemie weiterentwickelt und wie lange sie anhält. Wir arbeiten aktuell an verschiedenen Szenarien, werden also keine Leute freistellen. Aktuell arbeiten rund 2000 Menschen für Audemars Piguet. Ich prophezeie, dass es in wenigen Jahren 3000 sein werden.
Audemars Piguet kann sich eine gewisse Langfristigkeit leisten, weil es noch immer zu den wenigen familiengeführten Unternehmen der Branche gehört.
Unser Pragmatismus hat auch damit zu tun, dass wir uns schon vor vielen Jahren entschieden haben, uns nicht zu sehr auf China zu konzentrieren. Stattdessen haben wir unser Geschäft lieber breit gestreut.
Welcher Markt hat für Sie die größte Bedeutung?
Die USA sind unser Nummer-eins-Markt.
Wer kommt danach?
Japan. Die Schweiz. Dann erst Hongkong.
Audemars Piguet hat in den vergangenen Jahren das Kunststück fertiggebracht, konstant 40.000 Uhren pro Jahr zu produzieren und dennoch seit Ihrem Start als CEO die Umsätze zu verdoppeln auf mittlerweile 1,25 Milliarden Schweizer Franken. Nun wollen Sie die Produktion erstmals um rund ein Zehntel erhöhen. Warum hat das so lange gedauert?
Die letzten zwei Jahre waren wirklich hart, weil es uns einfach an Uhren fehlte, die Nachfrage zu bedienen. Aber dazu müssen eben auch die Voraussetzungen geschaffen werden, was gutes Personal und Produktionsstätten angeht. Wir sind jetzt so weit. Und ob wir am Ende des Jahres auf 44.000 oder 45.000 Uhren steigern, werden wir sehen. 2022 könnten es 50.000 sein. Immerhin bauen wir auch gerade eine neue Manufaktur an unserem Heimatstandort in Le Brassus.
Wo liegen aktuell die Chancen – und die Herausforderungen?
Zurzeit geht es darum, nach vielen unglaublich erfolgreichen Jahren unseren Mitarbeitern zu sagen: „Okay, lasst uns unsere Hausaufgaben machen!“
Zum Beispiel?
Wir haben jetzt Zeit, unsere Fähigkeiten zu verbessern, die Abläufe zu optimieren, Innovationen voranzutreiben und vielleicht einige Dinge abzuschließen, für die vorher keine Zeit war. Die Herausforderung: Wir wissen, wo wir starten, aber nicht, wo das Ende liegt und wie sich die Epidemie weiterentwickelt.
Ist das Virus ein globaler Unfall oder Beginn einer Ära der Unsicherheit?
Werden wir jetzt philosophisch?
Warum nicht?
Meiner Meinung nach hat noch jede Erschütterung die Menschheit irgendwie weitergebracht. Und trotzdem ist unsere Natur weitgehend dieselbe geblieben. Was brauchen wir denn? Liebe, Essen und Wasser.
Wegen Corona mussten auch die beiden großen Fachmessen Ihrer Branche in Basel und Genf aussetzen. Für Sie dürfte das nicht viel bedeuten, denn Audemars Piguet hatte vorher schon angekündigt, dass man ab diesem Jahr auf diese Großevents verzichten werde. Aber wie steht’s mit dem Rest der Branche?
Wir alle müssen smarter werden, um unsere Botschaften unter die Leute zu bringen.
Dabei unterstützen wir Sie hier gern!
Nennen Sie mir mal die wichtigsten Länder, deren Küche Sie lieben?
Hm… Italien, Frankreich, Deutschland, Japan …
… womit bewiesen wäre: Sie lieben es, eine Wahl zu haben! Sie als Journalist mussten sich schon bei den Messen überlegen, über wen Sie berichten wollen. Jetzt wird das eben noch herausfordernder für uns. Es werden die Marken gewinnen, die Sie für besonders interessant halten. Unsere Aufgabe wird sein, dass Sie Audemars Piguet nicht vergessen.
Gutes Stichwort! Im vergangenen Jahr haben Sie eine neue Kollektion rausgebracht unter dem Namen Code 11.59 mit nicht weniger als 13 Modellen. Für die Uhrenbranche war das ähnlich sensationell, als ob in der Autoindustrie Mercedes von der A- bis zur S-Klasse seine ganze Produktpalette neu startet. Statt Begeisterung ernteten Sie anfangs einen ziemlichen Shit-storm. Haben Sie’s gut verdaut?
Wir waren großartig auf den Start vorbereitet. Was wir vielleicht übersahen: Manche, die darüber schrieben, hatten die Code 11.59 nie in den Händen. Man muss diese Uhren aber erlebt und gespürt haben, um sie beurteilen zu können.
Wir können es uns nicht leisten, dass ein Kunde irgendwo unzufrieden ist, und wir wissen vielleicht gar nichts davon. François-Henry Bennahmias
Was haben Sie aus dem anfänglichen Ärger fürs Leben gelernt?
Dass man in sozialen Netzwerken heute immer nur einen Teil des Publikums glücklich machen kann, während der andere Teil da sitzt und hasst. Und die Hasser können sehr laut sein. Die finden immer einen Weg, Sie schlecht aussehen zu lassen. Die Aufregung ist sehr schnell sehr groß, vergeht aber ebenso schnell.
Dieser Tage wird am Firmensitz in Le Brassus auch Ihr neues Museum fertig – entworfen von dem dänischen Star-Architekten Bjarke Ingels. Welche Absicht verfolgt das Projekt?
Wir brauchten ein anderes Umfeld, für unsere Geschichte, unsere Uhren, unsere Philosophie. Vor allem hatte sich ja auch die Marke in den vergangenen zehn, 15 Jahren enorm weiterentwickelt. Die Leute werden auch der fantastischen Architektur wegen kommen. Und dem Haus wie unseren Uhren geht es um zweierlei: Design und vorausschauendes Denken.
Das Museum ist ein spiralförmiger Traum aus Glas, Stahl und Holz. Was kostete das Projekt?
Es war nicht so kostspielig, wie Sie vielleicht denken. Es ging darum, das Erlebnis unserer Marke zu verbessern, für Fans und Neugierige, die sich schon auf den Weg machen nach Genf und von dort hier hoch in die Berge von Le Brassus. Nun können sie die Uhren erleben sowie den Prozess ihrer Produktion. Einigen unserer hochqualifizierten Uhrmacher kann man hier ja den ganzen Tag über die Schulter schauen.
Uhrmacher sind ja eher zurückgezogene Typen. Waren die gleich begeistert von der Idee, vor Publikum zu arbeiten?
Anfangs sorgte die Idee sicher für Diskussionen. Mittlerweile haben sich die ausgewählten Kollegen, die dort arbeiten, mit der Situation angefreundet.
Was auffällt: Andere Topunternehmen wie Patek Philippe in Genf, IWC in Schaffhausen und auch Konzerne wie die Swatch Group in Biel haben sich ebenfalls neue architektonische Denkmäler gesetzt. Hatte die Branche zu viel Geld?
Hahaha! Brauchen Sie selbst Geld? Oder warum fragen Sie?
Geht es vielleicht darum, den Kunden die Marken erlebbarer zu machen?
Auch, aber vor allem geht es darum, diese Firmen für die nächste Generation wetterfest aufzustellen. Ich selbst begann 1994 bei Audemars Piguet. Im Jahr 2000 haben wir 18.000 Uhren produziert. Und schon damals haben wir weit in die Zukunft gedacht. Gerade wenn es um neue Gebäude geht, muss man eher in Dekaden planen.
Was bedeutet „Kunden-Erlebnis“ überhaupt für eine Marke wie die Ihre? Nur das neue Museum?
Oh nein. Alles, was wir tun, ist dem Kundenerlebnis geschuldet. Zuallererst geht es um Emotionen rund um das Produkt.
Selbst in Coronazeiten?
Mehr denn je! Ich habe gerade erst mit ein paar unserer Kunden in Hongkong gesprochen, die es gar nicht abwarten können, sich wieder frei bewegen und sich unsere Uhren anschauen zu können. In der Zwischenzeit wollen wir keine Uhren verkaufen, sondern uns als Dienstleister sehen. Vielleicht können wir gerade mit etwas ganz anderem helfen, und sei es nur eine Kleinigkeit.
Es geht nicht nur ums Verkaufen?
Es geht ums Kümmern.
Aktuell verfügt AP über 67 Boutiquen weltweit, von denen man 33 selbst betreibt. Weil Sie die ganze Wertschöpfungskette kontrollieren wollen?
Komplett! Wir können es uns nicht leisten, dass ein Kunde irgendwo unzufrieden ist, und wir wissen vielleicht gar nichts davon. Da kann ja irgendein Verkäufer, der gar nicht zu AP gehört, irgendwo auf der Welt einen schlechten Tag gehabt haben. Heutzutage kehren die Leute einer Marke sehr schnell den Rücken, wenn sie sich schlecht behandelt fühlen.
Wie digitalisiert ist Ihre Branche eigentlich mittlerweile? Immerhin baut man wertvollste mechanische Zeitmesser?
Die Digitalisierung ist vor allem ein weiterer Kanal, um mit den Kunden zu kommunizieren – mit allen Licht- und Schattenseiten, die wir schon besprochen haben. Es hat aber noch niemand das perfekte Rezept dafür gefunden, in all den unterschiedlichen Kulturen der Welt alle Altersgruppen richtig anzusprechen. Jede Marke muss da ihren eigenen Weg finden. Das sind Lernkurven, die sich ständig verändern.
Apple verkauft inzwischen mehr Uhren – wenn auch Smartwatches – als die gesamte Schweizer Uhrenindustrie. Was bedeutet das?
Dass das Geschäft in den unteren Preisregionen sich verändert. Für uns wäre das, als wollten Sie ein Drei-Sterne-Restaurant mit Fast Food vergleichen: Es ist Platz für beide.
Wie würden Sie deutsche Uhrenfans beschreiben?
Sie sind die technikaffinsten auf dem Planeten, ähnlich wie die Japaner. Aus dem gleichen Grund hatten wir in Deutschland zwei Probleme. Einige unserer Händler wählten aus, auf welche Kollektionen sie sich konzentrieren wollten und auf welche nicht – wie etwa die Royal Oak Offshore, obwohl sie eine unserer erfolgreichsten Kollektionen ist. Und auf der anderen Seite hatten wir vor vielen Jahren Qualitätsprobleme .... die Leute vergessen so etwas nicht. Das hat uns zehn Jahre gekostet. Und um zum Schluss zu kommen, ist das ein weiterer Grund, warum wir die totale Kontrolle über unsere Marke haben müssen. Sie können es sich nicht leisten, eine solche Situation heute zu wiederholen, jetzt wo AP auch in Deutschland eine der am meisten geschätzten Marken ist.
Monsieur Bennahmias, vielen Dank für das Interview.
Mehr: Uwe Ahrendt im Interview – Der Nomos-Chef warnt vor Einbürchen der Uhrenbranche
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