Juristischer Krieg gegen Alnatura Das ungeschminkte Gesicht der Drogerie-Kette dm

In einigen Filialen klagen Mitarbeiter über einen rauen Umgangston, über Willkür in der Führung, über Mobbing – ohne dass das Konsequenzen hätte.
Düsseldorf/Hamburg Auf den ersten Blick ist es nur ein unscheinbares bürokratisches Kürzel, dabei dokumentiert es einen Kulturwandel: Unter dem Aktenzeichen 2–06 O 44/15 hat dm-Gründer Götz Werner seinen langjährigen Geschäftspartner, den Alnatura-Chef Götz Rehn, vor dem Landgericht Frankfurt verklagt. Ausgerechnet Werner, der Mann, der die Anthroposophie zu seinem Weltbild als Unternehmer erklärte.
Für Rehn geht es um die Existenz: Macht ihm Werner doch nicht weniger als die Markenrechte an Alnatura streitig. Fast 30 Jahre lang verkaufte dm mit großem Erfolg die Bioprodukte von Alnatura. Doch Mitte vergangenen Jahres dann der erste Schock: dm führt eine eigene Bio-Marke ein und listet die Produkte des Partners Stück für Stück aus. Dank des Sortiments des Bio-Pioniers hat sich dm als Anlaufstelle für ökologisch orientierte Verbraucher etabliert. Nun verspricht sich der Händler von der Eigenmarke offenbar eine höhere Marge. Dass das den Zulieferer, der einen Großteil seiner Produkte über dm verkauft hat, in ernste Probleme gestürzt hat, wird offenbar in Kauf genommen.
Als wäre das nicht genug, führt Werner nun auch noch einen juristischen Krieg gegen Rehn, der sein Schwager ist. Beide Unternehmen und die Chefs wollen sich zu den juristischen Streitigkeiten inhaltlich nicht äußern. Doch Werner steht offenbar auf dem Standpunkt, dass dm Alnatura erst groß gemacht hat und ihm der Wert der Marke zusteht.

Die Auslistung bei dm hat das Unternehmen schwer getroffen.
Das Landgericht Frankfurt hat die Klage abgewiesen. Doch Werner will es offenbar wissen. Er hat Berufung am Oberlandesgericht Frankfurt eingelegt, wie das Gericht dem Handelsblatt bestätigte.
Auf den ersten Blick überrascht diese unbarmherzige Haltung: Wirbt der Konzern doch in seiner Eigendarstellung damit, dass er sich „in sämtlichen Beziehungen zu Kunden, Mitarbeitern, Handelspartnern bis hin zur Umwelt konsequent dem Gedanken der Mitmenschlichkeit und Partnerschaftlichkeit verpflichtet fühlt“. Und der bekennende Anthroposoph Götz Werner redet seinen Unternehmerkollegen gerne ins Gewissen: „Wenn wir am Ende eines Jahres viel Gewinn gemacht haben, dann haben wir etwas falsch gemacht“, schreibt er in seiner Autobiografie.
Doch der aggressive Expansionskurs des Unternehmens scheint Spuren hinterlassen zu haben. Mitarbeiter, Lieferanten und Geschäftspartner berichten, dass sich hinter der freundlichen Fassade mehr und mehr ein knallhartes Geschäftsgebaren durchsetzt.
„Bei dm gibt es große Unterschiede zwischen dem, wie sich das Unternehmen nach außen darstellt und wie es wirklich aussieht“, sagt ein Branchen-Insider dem Handelsblatt. Der Drogeriekonzern kämpfe rücksichtslos darum, Marktanteile zu gewinnen. Im Wettlauf mit dem Konkurrenten Rossmann hat dm die Lücken besetzt, die der Zusammenbruch von Schlecker hinterlassen hat. Im Schnitt an jedem zweiten Tag wird ein neuer dm-Markt eröffnet, mehr als 1 700 sind es bereits allein in Deutschland.
Sind bei der rasanten Expansion der vergangenen Jahre einige der Ideale des Gründers auf der Strecke geblieben? Klafft bei der Drogeriekette dm ein Spalt zwischen Anspruch und Wirklichkeit?
dm-Chef Erich Harsch weist die Kritik zurück. „Wir haben für uns weder einen ,Anspruch’ noch ,Leitlinien’ definiert, denn wir sind kein anthroposophisches Unternehmen“, sagt er dem Handelsblatt. „Wenn es so etwas wie eine definierte Leitlinie gibt, dann lautet diese: Kooperation statt Konfrontation.“
Klaus Herber (Name geändert) hat andere Erfahrungen gemacht. Als stellvertretender Filialleiter eines dm-Markts in Süddeutschland stand er mit Begeisterung hinter der Firmenphilosophie. Doch dann bekam er eine neue Filialleiterin, die ihn mobbte, bis er den Druck nicht mehr aushielt. Er bekam eine Erschöpfungsdepression, konnte nicht mehr arbeiten und wurde für Wochen krankgeschrieben, wie er erzählt.
Was ihn am meisten enttäuschte: Niemand, so sagt er, gab ihm Rückendeckung. In einem 14-seitigen Brief an dm-Gründer Werner und Firmenchef Harsch habe er sich seinen Frust von der Seele geschrieben, die Firmenleitung an ihre Ideale erinnert. Eine direkte Reaktion blieb aus, immerhin folgte ein Gespräch mit dem Gebietsleiter. „Das ist schizophren: Die Philosophie, die nach außen getragen wird, wird innen nicht mehr konsequent gelebt“, klagt Herber.
„Wenn dm-Gründer Götz W. Werner oder ich Hinweise auf ein Fehlverhalten bei dm erhalten, dann geben wir diese Hinweise direkt weiter an den jeweiligen Regions- bzw. Ressortverantwortlichen“, verteidigt sich dm-Chef Harsch. „Sie können davon ausgehen, dass meine Kollegen dann prüfen, ob die Kritik berechtigt ist, da es in einem Unternehmen mit mehr als 50.000 Mitarbeitern auch zu einem Fehlverhalten kommen kann.“
Tatsächlich ist Klaus Herber wohl kein Einzelfall. In einigen Filialen klagen Mitarbeiter über einen rauen Umgangston, über Willkür in der Führung, über Mobbing – ohne dass das Konsequenzen hätte. Es gibt bereits Foren im Internet, in denen sich Betroffene austauschen.