Konjunkturpaket Die gesenkte Mehrwertsteuer ist für den Handel mehr Last als Hilfe

Sämtliche Systeme müssen für den neuen Mehrwertsteuersatz umgestellt werden.
Düsseldorf, München Ein gigantisches Konjunkturpaket für den Handel mitten in der Coronakrise – so feiert die Bundesregierung die geplante Senkung der Mehrwertsteuer für ein halbes Jahr. Sie sinkt in diesem Zeitraum von 19 auf 16 Prozent, der ermäßigte Satz von sieben auf fünf Prozent. Doch viele Händler sind enttäuscht.
Martin Kerner vom Outdoor-Shop Basislager in Karlsruhe beispielsweise hält die Steuersenkung für einen Fehler. „Unsere Artikel, aktuell sind es 28.408, jetzt alle umzupreisen ist völlig absurd. Vor allem wenn ich das im Januar wieder ändern muss“, ärgert sich Kerner. „Davon abgesehen sind drei Prozent bei vielen Artikeln geradezu lächerlich.“
Ähnlich sieht es Tobias Schonebeck, geschäftsführender Gesellschafter des Traditionskaufhauses Schäffer in Osnabrück. „Es ist natürlich ein immenser Aufwand, jeden Artikel für eine kurze temporäre Phase umzuzeichnen“, sagt er. „Bei geringem Lagerumschlag hieße das ja, zum 1. Juli herunterzeichnen und zum 31.Dezember wieder hinauf – und das in unserem Fall mit 60.000 Artikeln.“
Ob Einzelhändler, Handwerker, Verlage oder Maschinen- und Autobauer – die von der Bundesregierung angekündigte Senkung der Umsatzsteuersätze zum 1. Juli trifft in Deutschland nahezu jedes Unternehmen. Nur Wohnungsvermieter, Ärzte und Hebammen, Kleinunternehmer und der Verkauf von Standardbriefmarken sind ausgenommen.
Für den Rest werden die kommenden drei Wochen zur Tortur. Jede Ladenkasse, jedes Rechnungsprogramm, Warenwirtschaftssysteme, Buchhaltungsprogramme und Online-Shops muss auf die neuen Steuersätze umgestellt werden. Hinzu kommt, dass Rechnungsbögen neu gedruckt werden müssen, Leasing- und Mietverträge einer Anpassung unterzogen werden. „Das ist ein Beitrag zur Konjunktur, insbesondere bei den Softwareherstellern und Kassensystemanbietern“, sagt Ralf Klein von der Essener Steuerberatung FRTG.
Gerade für den Einzelhandel ist es zunächst eine riesige Belastung. „Die Mehrwertsteuersenkung hört sich erst mal gut an, für den schwer angeschlagenen Handel bringt sie aber keine Vorteile“, fasst Michael Gerling, Geschäftsführer des Handelsforschungsinstituts EHI aus Köln, die Situation zusammen. „In einer Branche, die bereits jetzt mit Preissenkungen von 20 bis 30 Prozent agieren muss, ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein.“
„Der Aufwand für die Unternehmen, Preisauszeichnungen und Kassensysteme zu ändern, übersteigt die positiven Effekte“, ist sich auch der Wuppertaler Event-Unternehmer und IHK-Vizepräsident Jörg Heynkes sicher. Das werde zum „Nullsummenspiel“. Er erwartet sogar, dass die Absenkung der Steuer zum größten Teil als zusätzliche Marge beim Verkäufer hängen bleiben wird. „Der angebliche Kaufimpuls wird komplett verpuffen.“
Dabei ist die technische Umstellung noch das kleinste Problem. SAP beispielsweise bereitet die temporäre Senkung der Mehrwertsteuer kein Problem: In der Finanzsoftware können Kunden den Satz mit wenigen Handgriffen zu den jeweiligen Stichtagen ändern. Das System zur Steuerung der betriebswirtschaftlichen Prozesse, im Fachjargon ERP genannt, berücksichtigt den neuen Wert anschließend automatisch, beispielsweise bei der Buchhaltung.
Für den IT-Anbieter ist das ein wesentliches Verkaufsargument: Für Konzerne, die in Ländern mit unterschiedlicher Steuergesetzgebung aktiv sind, wird so die Komplexität beherrschbar.
Keine Preissenkungen mit dem Rasenmäher
Der hohe administrative Aufwand liegt an ganz anderen Stellen. „Es ist ausgeschlossen, dass Händler die Preise mit dem Rasenmäher senken. Sie müssen für jeden Artikel den Preis neu kalkulieren und vieles neu auszeichnen“, erklärt Handelsexperte Gerling. Und genau das müsse in einem halben Jahr wieder rückgängig gemacht werden.
Die meisten Lebensmittelhändler wie Aldi, Lidl oder Rewe haben bereits angekündigt, dass sie die Steuersenkung an die Kunden weitergeben wollen. Doch auch hier dürfte der Preis nicht einheitlich um den Steuerbetrag sinken. „Wir unterstützen die Zielsetzung der Bundesregierung, damit die Entlastung bei allen Bürgern ankommt und sie bei ihrem täglichen Einkauf profitieren“, formuliert es beispielsweise Lidl-Deutschlandchef Matthias Oppitz etwas wolkig.
Gerade im Lebensmittelhandel könnte die Steuersenkung bei einzelnen Produkten sogar eine gefährliche Preisschlacht auslösen, die auch zulasten von Produzenten wie etwa Bauern gehen könnte. „Bei Markenartikeln oder Waren, bei denen der Kunde den Preis gut kennt, wie Butter oder Milch, könnte die Preissenkung sogar höher ausfallen als die Steuersenkung“, erwartet EHI-Experte Gerling. „Es wird aber sicher auch viele Produkte geben, bei denen der Preis nicht sinkt.“
In einem aber sind sich alle in der Branche einig: Dass die insgesamt geringen Preissenkungen einen wirklichen zusätzlichen Kaufanreiz bieten, daran glaubt niemand ernsthaft. Für wohlhabendere Verbraucher, die auch ohne die staatlichen Zuwendungen diesen Sommer in eine neue Küche, ein Auto oder eine Immobiliensanierung investiert hätten, bietet das Steuergeschenk allenfalls einen Mitnahmeeffekt.
Eine kurzfristige Belebung erwarten Wirtschaftsexperten dadurch kaum – eher das Gegenteil. „Wenn die Investition für den Käufer planbar ist“, glaubt Steuerberater Klein, „wird er mit dem Kauf bis in den Juli einfach warten.“
Auch Handelsexperte Gerling erwartet sogar zunächst einen gegenteiligen Effekt. „Das dürfte kurzfristig zunächst die allgemeine Konsumzurückhaltung noch mal verstärken“, ist er sich sicher. „Bei der letzten Mehrwertsteuererhöhung konnte man deutliche Vorzieheffekte beobachten. Das wird jetzt genau umgekehrt wirken“, warnt er. „Es gibt jetzt schon Fälle, wo Kunden Bestellungen storniert haben. Die warten, bis sie ihre drei Prozent Mehrwertsteuer sparen“, bestätigt Outdoor-Händler Kerner.
Das würde viele Händler aktuell hart treffen, die kurzfristig Hilfe brauchen. Denn sie leiden jetzt schon unter der allgemeinen Kaufzurückhaltung – ausgelöst durch Rezessionsängste, aber auch durch die strengen Hygienemaßnahmen, die beim Einkaufen keine Freude aufkommen lassen. „Die Kauflaune ist bei uns leider immer noch sehr verhalten“, sagt Händler Kerner. „Wir dümpeln bei 50 Prozent der normalen Umsätze herum.“
Politik schürt zu hohe Erwartungen
Auch Helmut Hagner, Chef der Unternehmensgruppe Frey im bayerischen Cham, berichtet, die Lust auf neue Kleider sei momentan nicht sehr ausgeprägt. Größtes Problem sei die Maskenpflicht, „die es uns sehr schwer macht, stationäre Kundenerlebnisse zu generieren.“
Dazu kommt: „Die neuen Steuersätze bringen den Unternehmen in der derzeit schwierigen Lage zunächst überhaupt keine zusätzliche Liquidität“, moniert Thomas Kluth, Chef der Steuerberatung FRTG. Damit dürfte er recht behalten. Mehrwertsteuer-Einnahmen aus dem Monat Juli müssen Verkäufer – vermindert um ihre Vorsteuerausgaben – frühestens am 10. August ans Finanzamt abführen.
Wer sich mit der Finanzverwaltung auf eine vierteljährliche Zahlungsweise verständigt hat, zahlt sogar erst am 10. November. Bis dahin bleibt der Vorteil durch die Steuersenkung, verglichen mit den alten Umsatzsteuersätzen, für ihn gleich null.
Das ist besonders fatal angesichts der hohen Erwartungen, die die Politik geschürt hat. „Die dürften wahrscheinlich enttäuscht werden“, ist sich Handelsexperte Gerling sicher. „Denn selbst wenn die Steuersenkung komplett weitergegeben wird, macht das bei vielen Produkten nur Cent-Beträge aus“, betont er. Ein wirklicher zusätzlicher Kaufanreiz sei das eher nicht.
Viele mittelständische Händler wollen das Ganze daher eher pragmatisch angehen. „Für unser Haus kann ich sicher sagen, dass wir an der Corona-Situation kein Geld verdienen wollen und damit auch diese politische Intention, die Privathaushalte zu stärken, nicht konterkarieren werden“, sagt der Osnabrücker Händler Schonebeck, der sich auf edles Geschirr und Gläser, auf Küchenutensilien und Spielzeug spezialisiert hat.
Er prüfe gerade als praktikable Umsetzung neben der technischen Steuerreduzierung, möglicherweise einfach in der Zeitspanne einen pauschalen Rabatt von zum Beispiel drei oder fünf Prozent zu geben und damit den staatlich gewollten Vorteil sogar noch etwas aufzustocken. „Das erspart uns eine arbeits- und kostenintensive Umzeichnung, ist für den Verbraucher von Vorteil und sehr einfach und transparent.“
Richtig kompliziert jedoch wird es bei Waren mit langen Lieferfristen wie beispielsweise Möbeln. Ein Beispiel: Ein Kunde hat im Mai eine Küche gekauft, für 10.000 Euro mit 19 Prozent Mehrwertsteuer. Die Küche wird im Juli ausgeliefert. Da der Leistungszeitraum für den Steuersatz entscheidend ist, gelten jetzt 16 Prozent. „In letzter Konsequenz müssten wir dem Kunden die Differenz nachträglich auszahlen“, sagt Unternehmer Hagner, der auch mehrere Möbelhäuser betreibt.
Im Herbst würde es theoretisch genau andersherum laufen. Bestelle ein Kunde eine Küche im Oktober für 10.000 Euro, und diese könne erst im darauffolgenden Jahr geliefert werden, würden dann wieder 19 Prozent fällig. Hagner: „Hier brauchen wir eine klare Regelung, wie wir damit umgehen sollen, damit Bestellungen, die bis zum 31.12.2020 mit dem Mehrwertsteuer-Vorteil von 16 Prozent verkauft werden, auch 2021 ausgeliefert werden können.“
Mehr: Steuersenkung, Autoprämien und Kinderbonus - das steckt im „Kraftpaket“ für die Konjunktur.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.
@ Helmut Metz
"Das Problem ist die Geldumlaufgeschwindigkeit. Die ist "dank" den Corona-Maßnahmen eingebrochen. Nur das ermöglicht den Zentralbanken für eine gewisse Zeit exzessives Gelddrucken.
Exzessives Gelddrucken + stark steigende Geldumlaufgeschwindigkeit = ab geht die Post Richtung Mega-Inflation!"
Man könnte die Gutscheine terminieren und über 6 Monate steuern, wann diese gültig sind und bei welchem Gewerbe sie eingesetzt werden dürfen. Damit könnte man den Geldfluss verträglich steuern. Das Ganze ließe sich über eine Mobile App steuern, in der sich berechtigte Gewerbe, die Gutscheine akzeptieren dürfen, anmelden können. Die App steuert dann, welche Gesamtsumme dieses Gewerbe an Gutscheinen annehmen können - so ist auch hier eine gleichmäßige Verteilung auf alle berechtigten Gewerbe möglich.
Das Ganze scheitert natürlich daran, dass diese Regierung keine Digitalkompetenz aufgebaut hat, es kein Digitalministerium mit ausgewiesenen Fachleuten gibt. Dadurch ist man nicht in der Lage, so ein System, das erfahrene Spezialisten in wenigen Wochen aufsetzen könnten, zu realisieren.
Die 3% werden die allermeisten als Kosten für diese Umstellung einfach einbehalten. Ist auch sinnvoll, denn das beste kommt ja noch, in 6 Monaten wieder umstellen. Und nach der Bundestagswahl dann nochmal, denn die Schulden von heute muss man auch beantworten. Ich denke so an MWST 25%.
@ Stephan B
"Warum geht man nicht her und investiert diese 20 Milliarden in Gutscheine, die gezielt an Kurzarbeitende, Arbeitslose und geringe Einkommen verteilt werden und die in lokalen Geschäften - Einzelhandel und Restaurants, also bei den von der Krise am härtesten betroffenen Gewerben - eingelöst werden können?"
Das Problem ist die Geldumlaufgeschwindigkeit. Die ist "dank" den Corona-Maßnahmen eingebrochen. Nur das ermöglicht den Zentralbanken für eine gewisse Zeit exzessives Gelddrucken.
Exzessives Gelddrucken + stark steigende Geldumlaufgeschwindigkeit = ab geht die Post Richtung Mega-Inflation!
Ganz einfach: Mehrwertsteuer nicht dauerhaft, sondern nur für ein paar Monate senken, bedeutet: nachdem sie dann wieder auf den ursprünglichen 19% ist, sind die Preise in der Zwischenzeit unbemerkt erhöht worden! ;-)
3% MwSt. Senkung als Kaufanreiz??
Man muss sich fragen, wer diese Regierung eigentlich berät, welche Fachleute entscheiden so was? Warum gibt es eigentlich die fünf Wirtschaftsweisen?
Warum geht man nicht her und investiert diese 20 Milliarden in Gutscheine, die gezielt an Kurzarbeitende, Arbeitslose und geringe Einkommen verteilt werden und die in lokalen Geschäften - Einzelhandel und Restaurants, also bei den von der Krise am härtesten betroffenen Gewerben - eingelöst werden können?
So würde die Hilfe wirklich wirksam sein und dort ankommen, wo sie wirklich benötigt wird: Bei den Betroffenen. Und nicht bei denen, die autark durch diese Krise gehen - den sicheren und höheren Einkommen und den Unternehmen die krisenresistent oder gar krisenprofitierend sind.
Nicht nur für den Handel, sondern auch zB. für Bauwirtschaft und Handwerk. Für ein halbes Jahr mit 20 Tagen Vorankündigung, OHNE Ausführungsgesetz bis heute! Noch nicht mal die Finanzämter oder OFDs wissen genaues. Wer soll denn die EDV umstellen? Es gibt Fragen über Fragen, die geklärt sein müssen: Langlaufende Projekte mit Abschlags und/oder Zwischenrechnungen. Wartungsverträge die in/über diese 6-Monatsperiode hinein/hinauslaufen. Projekte, die in der Zeit beginnen, aber ins nächste Jahr hineinlaufen etc etc etc. Sicher gut gemeint, aber zu schnell, zu unüberlegt, zu fahrig.