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Kunststoff Innovative Verpackungen: Es geht auch ohne Plastikmüll

Der Druck auf Konsumgüterhersteller steigt, nachhaltige Verpackungen einzuführen. Doch Alternativen wie Flaschen aus Papier haben ihre Tücken.
02.07.2021 - 04:00 Uhr Kommentieren
Der Unternehmer hat einen innovativen Papierbeutel für Tiefkühlgerichte-Gerichte entwickeln lassen. Doch es gab ungeahnte Schwierigkeiten. Quelle: Frosta
Frosta-Chef Felix Ahlers

Der Unternehmer hat einen innovativen Papierbeutel für Tiefkühlgerichte-Gerichte entwickeln lassen. Doch es gab ungeahnte Schwierigkeiten.

(Foto: Frosta)

Düsseldorf Capri-Sun ist bei Kindern als schneller Durstlöscher beliebt – doch der Müll ist ein Problem. Mehr als sechs Milliarden Saftbeutel produziert das Familienunternehmen aus Eppelheim im Jahr, die meisten mit Trinkhalmen aus Plastik. Ab 3. Juli sind Wegwerfhalme jedoch EU-weit verboten – wie etwa auch Einwegbesteck und -geschirr aus Plastik.

Was gut für die Umwelt ist, stellt viele Konsumgüterhersteller vor eine echte Herausforderung. „Das plötzliche Strohhalmverbot ist eine Existenzfrage für uns“, sagte Hans-Peter Wild, Inhaber von Capri-Sun vor zwei Jahren, dem Handelsblatt. „Die Umstellung ist ein riesiger Akt für uns mit beachtlichen Kosten.“

Nun ist es Capri-Sun gelungen, einen Trinkhalm aus Papier zu entwickeln, der alle Anforderungen an Hygiene erfüllt, geschmacksneutral ist und keine Fasern abgibt. Zusätzlich lässt Capri-Sun die gleiche Zahl Bäume pflanzen, die für die Papierhalme benötigt werden.

Auch die Trinkbeutel sind problematisch. „Verpackungen aus nicht recyclingfähigen Verbundmaterialien sind eine Umweltkatastrophe“, sagt Viola Wohlgemuth von Greenpeace. Capri-Sun-Beutel sollen in Zukunft aus nur einem Material bestehen. Das Problem: Der Saftbeutel muss zuverlässig Licht, Luft und Fruchtsäure standhalten. Die Entwicklung eines neuen Monomaterials sei komplex und erfordere laut Capri-Sun noch Zeit.

Politik und Öffentlichkeit haben den Druck auf Konsumgüterhersteller massiv erhöht, Plastikmüll zu minimieren. Immer mehr Konsumgüterhersteller tüfteln deshalb an alternativen Verpackungen – und zeigen: Es geht auch ohne Plastik aus endlichen fossilen Quellen.

„Viele Verpackungsinnovationen wurden bisher nicht aufgegriffen, weil sie teurer sind. Im Handel herrscht knallharter Preiswettbewerb“, sagt Sven Sängerlaub, Professor für Verpackungstechnik an der Hochschule München. Zudem seien auffällige Verpackungen eben der „stille Verkäufer“.

„Plastikbashing“ beschleunigt Innovationen

4,3 Millionen Tonnen Plastikverpackungen werden in Deutschland jedes Jahr produziert, so Zahlen der Industrievereinigung Kunststoffverpackung. Noch nicht einmal die Hälfte der Plastikpackungen wurde 2018 stofflich verwertet, ermittelte die Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung. Nun macht die EU Druck und erhebt eine „Plastiksteuer“ von 80 Cent je Kilo nicht recyceltem Verpackungsmüll aus Kunststoff. Die Abgabe zahlt im Moment Berlin an Brüssel. Sie könnte aber künftig auf die Hersteller umgelegt werden.

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Zudem kratzt das „Plastikbashing“ immer mehr am Image von Konsumgüterfirmen und erzeugt moralischen Handlungsdruck. In der EU setzen viele Hersteller auf Recycling. Ab 2025 müssen sie mindestens 25 Prozent Rezyklat etwa für PET-Flaschen verwenden, ab 2030 sind es 30 Prozent. Die Folge: „Zukünftig wird Rezyklat für Lebensmittelkontakt knapper und ist nicht billiger als Neuplastik“, sagt Sängerlaub.

Bis 2025 wollen Handel, Konsumgüter- und Verpackungshersteller mindestens die Hälfte aller Waren nachhaltig verpacken, zeigt eine Umfrage der Beratung Inverto. 72 Prozent der Verbraucher würden höhere Preise von zehn Prozent und mehr akzeptieren.

Dabei ist Kunststoff nicht unbedingt schlechter als andere Materialien. Er hält Produkte frisch und punktet auch durch geringes Transportgewicht. Das Problem von Kunststoff ist nicht eine grundsätzlich schlechte Ökobilanz, sondern dass er extrem langsam verrottet, wenn er in die Umwelt gerät. Ein Plastikhalm braucht etwa 200 Jahre und eine Plastikflasche 450 Jahre, bis sie im Meer verrottet sind, schätzt die Meeresschutzorganisation 4Ocean. Mikroplastik landet außerdem in der Nahrungskette.

Frosta: Ein Zementsack dient als Vorbild

Der Tiefkühlkosthersteller Frosta aus Bremerhaven – schon beim Reinheitsgebot seiner Zutaten Vorreiter – geht auch in Sachen Verpackung neue Wege. Das Familienunternehmen will seine jährlich 40 Millionen Plastikverpackungen durch Papierbeutel ersetzen. Seit vier Jahren wird daran getüftelt. „Die Verpackung soll die Produkte schützen, recyclefähig sein, aber auch kompostierbar, falls sie nicht sachgemäß entsorgt wird“, beschreibt Unternehmer und Firmenchef Felix Ahlers die Herausforderungen der Neuentwicklung.

Das Material wurde nach dem Vorbild eines Zementsacks entwickelt, der keine Feuchtigkeit durchlässt. Innen- und Außenseite bestehen aus unterschiedlichem Papier, Stärke dient als Klebemittel. „Frosta hat ein sehr innovatives Material entwickelt“, bestätigt Experte Sängerlaub. Die Innovation ist zum Patent angemeldet und mit dem Deutschen Verpackungspreis ausgezeichnet worden. Zwei Millionen Euro hat Frosta bisher investiert.

Doch es ergaben sich ungeahnte Schwierigkeiten. So färbten etwa Rote Bete und Sojasauce durch die Papierbeutel. Folglich konnten erst vier von 50 Tiefkühlprodukten umgestellt werden. „Auch wenn es uns mehr kostet, ist es sinnvoll“, betont Ahlers. Ein unternehmerisches Risiko geht Frosta auch ein, denn die Produkte werden für den Verbraucher pro Beutel 20 Cent teurer.

Das Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung hat jüngst verschließbare Papierbeutel entwickelt. Proteine aus agrarischen Reststoffen dienen als Sauerstoffsperrschicht und Wachse als Wasserdampfbarriere. „Insgesamt wird die Haltbarkeit des Lebensmittels deutlich verlängert“, erklärt Michaela Müller, Forschungsleiterin beim Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik. Biobasierte Additive machen es möglich. Die Papierbeutel können im Altpapier entsorgt werden. Die Beschichtung stört das Recycling nicht.

Coca-Cola in der Papierflasche

Selbst Getränkehersteller setzen auf Papier als Verpackung. Coca-Cola hat den ersten Prototyp einer Papierflasche aus Holzfasern entwickelt. Er wird derzeit am Pflanzendrink „Adez“ in Ungarn getestet. „Der Markttest ist für uns ein Meilenstein hin zu unserem Ziel, eine Papierflasche zu entwickeln“, sagte Daniela Zahariea, Director of Technical Supply Chain & Innovation bei Coca-Cola Europe.

Coca-Cola entwickelt mit der Paper Bottle Company den Prototyp einer Flasche aus Papier. Noch kommt sie nicht ganz ohne Kunststoff aus. Quelle: Coca-Cola
Papierflasche

Coca-Cola entwickelt mit der Paper Bottle Company den Prototyp einer Flasche aus Papier. Noch kommt sie nicht ganz ohne Kunststoff aus.

(Foto: Coca-Cola)

Der Prototyp besteht aus einer Papierhülle mit einer recycelbaren Kunststoffauskleidung und -kappe. Irgendwann soll die Flasche ganz aus Papier bestehen. Entwickelt wird sie mit der Paper Bottle Company. Der dänische Verpackungsspezialist arbeitet auch an Papierflaschen für Carlsberg, Absolut Vodka und L’Oréal.

Der Vorteil einer Papierflasche: „In fast jeder Region der Welt gibt es ein Papier-, aber nicht unbedingt ein Kunststoffrecycling“, erklärt Experte Sängerlaub. Zudem verrotte Papier schnell und sei ein nachwachsender Rohstoff.

Auf Kunststoff, der nachwächst, hofft L’Oréal. Der französische Kosmetikkonzern setzt auf Plastik aus Industrieabgasen – ein bisher ungenutzter Rohstoff. Mit dem Mineralölkonzern Total und dem Start-up Lanza Tech hat der Beauty-Marktführer die nach eigenen Angaben „weltweit erste nachhaltige Verpackung vorgestellt, die aus wiederaufgefangenen und recycelten Kohlenstoffemissionen hergestellt wird“.

Dabei fängt Lanza Tech industrielle Kohlenstoffemissionen auf und wandelt sie in Ethanol um. Total macht aus dem Ethanol in mehreren Schritten Polyethylen (PET). Bis 2024 soll das Material für Flaschen mit Shampoos und Haarspülungen von L’Oréal verwendet werden.

L’Oréal hat mit Total und Lanza Tech eine PET-Flasche aus ungenutzten Industrieabgasen entwickelt. Quelle: L’Oréal
Flasche aus Abgasen

L’Oréal hat mit Total und Lanza Tech eine PET-Flasche aus ungenutzten Industrieabgasen entwickelt.

(Foto: L’Oréal)

Es gibt allerdings einen Haken: Biokunststoffe verrotten zwar, sind aber derzeit meist nicht für Kompostieranlagen geeignet. „Manche biologisch abbaubaren Kunststoffe müssen erst nach etwa zwölf Wochen kompostiert sein, die deutschen Kompostierer verlangen eine Verrottung in zwei bis vier Wochen“, so Sängerlaub.

Womöglich aber gibt es einen Weg, dass sich in Zukunft auch PET schnell und endlos kompostieren und recyclen lässt. Die französische Biotech-Firma Carbios hat gerade eine Methode entwickelt, die in nur 16 Stunden 97 Prozent des Kunststoffs abbaut. Möglich machen es Enzyme aus Komposthaufen, die sonst Blattmembranen von Pflanzen aufbrechen. Aus den Bausteinen lässt sich laut Carbios PET in Lebensmittelqualität immer wieder neu erzeugen – anders als bei mechanischem Recycling.

Carbios arbeitet in einem Konsortium mit L’Oréal, Nestlé Waters, Pepsico und Suntory. 2025 geht ein Werk mit der Jahreskapazität von 40.000 Tonnen in Betrieb. Dann soll auch die erste Flasche der L’Oréal-Marke Biotherm aus enzymatisch kompostiertem PET auf den Markt kommen.

Mehr: Ein kanadischer Gründer macht Plastikmüll aus den Meeren zum profitablen Geschäft

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