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Lebensmittelkonzern Das Nestlé-Paradox – Wieso der umstrittene Konzern so erfolgreich ist

Firmenchef Ulf Mark Schneider trimmt den Nahrungsmittelkonzern auf Wachstum. Investoren loben den Manager, sehen ihn aber noch nicht am Ziel.
28.07.2019 - 16:47 Uhr Kommentieren
Der Schweizer Lebensmittelkonzern gilt für Kritiker in Deutschland als dankbares Ziel. Quelle: AP
Kitkat-Schokolade von Nestlé

Der Schweizer Lebensmittelkonzern gilt für Kritiker in Deutschland als dankbares Ziel.

(Foto: AP)

Zürich „In Deutschland wird es in den nächsten Tagen so heiß – Nestlé überlegt bereits, den Schatten zu privatisieren“, lästert die „Heute-Show“ angesichts der jüngsten Hitzewelle auf Twitter. Die Satiriker nahmen damit den Nahrungsmittelhersteller Nestlé auf die Schippe, der mit Wasser in Flaschen viel Geld verdient.

Der Schweizer Konzern gilt für Kritiker in Deutschland als dankbares Ziel. Das Paradox: Trotz teils beißender Kritik, vor allem in Deutschland, ist das Unternehmen global erfolgreich. Das zeigen auch die jüngsten Zahlen, die Nestlé am Freitag präsentierte: Im ersten Halbjahr konnten die Schweizer den Umsatz um 3,5 Prozent steigern, die Marge wächst ebenfalls.

Analysten sehen die Zahlen als Beleg dafür, dass sich der von Konzernchef Ulf Mark Schneider angestoßene Umbau bezahlt macht. Der Manager setzt mit neuen Produkten stärker auf Gesundheit und Nachhaltigkeit. Nestlé soll fitter werden. Dafür bekommt der Nestlé-Chef von der Börse viel Lob. Doch Aktionäre sehen ihn noch längst nicht am Ziel.

Zuletzt konnte Nestlé die Umsätze so stark steigern wie seit drei Jahren nicht. Unter dem Strich blieb ein Gewinn von fünf Milliarden Franken – weniger als im Vorjahr, als der Konzern von einem Einmaleffekt profitierte. „Wir sind auf gutem Weg, die für 2020 gesteckten Ziele zu erreichen“, sagte Firmenchef Schneider am Freitag. Jean-Philippe Bertschy zeigt sich begeistert: „Was für ein Wandel bei Nestlé in kurzer Zeit“, schreibt der Vontobel-Analyst. Schneider treibe Nestlé noch schneller zu höheren Wachstumsraten und Renditen als erwartet.

Kräftiger Umbau bei Nestlé

Tatsächlich hat Schneider den Konzern seit seinem Antritt im Januar 2017 bereits kräftig umgebaut. Der ehemalige Fresenius-Chef setzt auf das Geschäft mit Kaffee, Tiernahrung, Babykost und Wasser, wo er sich die größten Wachstumschancen ausrechnet. Was dagegen nicht in sein Konzept passt, wird verkauft. So hat Nestlé das Süßwarengeschäft in den USA an den Rivalen Ferrero abgetreten. Auch für die Hautgesundheitssparte Skin Health fand Schneider einen Interessenten: Bis zum Jahresende soll das Geschäft an ein Konsortium um den schwedischen Investor EQT und einen Staatsfonds aus Abu Dhabi gehen. Der 10-Milliarden-Franken-Deal soll in der zweiten Jahreshälfte über die Bühne gehen. Und in Deutschland prüft man strategische Optionen für die Wurstmarke Herta.

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Frei gewordene Mittel will Schneider in neue Wachstumsfelder investieren. So schmiedeten die Schweizer im vergangenen Jahr eine milliardenschwere Kooperation mit der Kaffeehauskette Starbucks. „Wir sehen massives Interesse“, berichtete Schneider am Freitag. Konkretere Zahlen wollte er aber noch nicht verraten.

Der Starbucks-Deal ist nur ein Beispiel dafür, wie Nestlé schneller auf Kundenbedürfnisse eingehen will. Diese hätten sich in den letzten Jahrzehnten drastisch verändert, erklärte der Konzernchef vor einiger Zeit vor Managern beim „Swiss Economic Forum“ in Interlaken. Diesen Veränderungen müsse man auch im Konzern begegnen. „Es gibt Teile, aus denen müssen wir diszipliniert raus, und es gibt neue Sachen, in die müssen wir diszipliniert rein“, so Schneider.

Zugleich macht der Manager im eigenen Haus mehr Tempo. Stolz ist man bei Nestlé etwa darauf, dass die neuen Starbucks-Kaffeesorten binnen sechs Monaten zur Marktreife gebracht wurden. Auch setzt der Konzern stärker auf vegetarische Produkte. „Sie sollten nicht nur schmecken, sondern auch ein überlegenes Ernährungsprofil bieten“, sagt Schneider. Man wolle zu einem der „großen Spieler“ in dem Feld aufsteigen. Dass Nestlé als Supertanker bezeichnet wird, ist dem CEO ein Dorn im Auge. Denn Supertanker sind träge.

Lieber bedient er sich einer Metapher aus dem Tierreich: „Wir sind ein Elefant, der sehr schnell laufen kann“, sagt Schneider.
Doch der Elefant läuft nicht ganz freiwillig. Die Aktionäre haben ordentlich Druck gemacht. Allen voran der aktivistische Investor Dan Loeb. Ein Jahr ist es her, dass er unter dem Schlagwort „Nestlé Now“ einen radikalen Umbau des Konzerns gefordert hatte.

Lukrativer Einstieg

Der Name war dabei Programm: „Kühner“ und „schneller“ müsse der Nahrungsmittelriese Nestlé werden, sich von Geschäftsbereichen trennen und sein Management verschlanken, forderte der Investor, der rund 40 Millionen Nestlé-Aktien hält – und damit etwas mehr als ein Prozent aller Papiere. Nestlé müsse Chancen nutzen, bevor die Konkurrenz dem Konzern zuvorkommt.

Der Amerikaner pochte etwa darauf, dass der Konzern weitere Geschäftsbereiche verkauft – darunter Eiscreme, Tiefkühlkost und Süßigkeiten. Von bis zu 15 Prozent des Umsatzes solle der Konzern sich durch ‧Verkäufe, Spin-offs oder auf anderen Wegen trennen. Vor allem solle Nestlé seine 23-prozentige Beteiligung am französischen Schönheitskonzern L’Oreal zu Geld machen, deren Wurzeln Jahrzehnte zurückreichen. Doch diesem Wunsch sind die Schweizer bislang nicht nachgekommen. Man sei mit dem Engagement schließlich ausgesprochen gut gefahren, so die offizielle Linie.

Wenn Schneider auf Loeb angesprochen wird, bleibt er demonstrativ gelassen. Er nehme die Kritik nicht persönlich, es gehe ums Geschäft. Womöglich kommt der Druck des Aktivisten dem Nestlé-Chef sogar gelegen, mutmaßt ein anderer Aktionär der Schweizer. Schließlich habe Schneider so seine eigenen Umbaupläne forcieren können. Kommentieren will man das bei Nestlé freilich nicht. Auch Loebs Firma Third Point ließ eine Anfrage des Handelsblatts unbeantwortet.

Fest steht: Gut ein Jahr nach der Attacke durch Loeb haben sich die Wogen geglättet. Das könnte auch daran liegen, dass sich der Nestlé-Einstieg für Third Point kräftig bezahlt gemacht hat. Seit seinem Einstieg im Sommer 2017 hat der Nestlé-Kurs kräftig zugelegt, dazu kommen durchaus ansehnliche Dividendenzahlungen. Loeb dürfte mit seinem Engagement etwa eine Milliarde Franken verdient haben.

An der Schweizer Börse zählt Nestlé in diesem Jahr zu den begehrtesten Werten überhaupt. Fast 30 Prozent legten die Papiere zu. Aktionäre stellen dem Nestlé-Chef ein gutes Zeugnis aus. „Ulf Mark Schneider macht prinzipiell einen guten Job“, sagt Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei der Deka Investment. „Er muss jedoch auch mit aktivem Portfoliomanagement für mehr Wachstum sorgen.“ Der Konzern müsse in den kommenden Jahren zu seiner alten Wachstumsstärke zurückfinden.

Zugleich dürfe Nestlé aber die Nachhaltigkeit nicht aus den Augen verlieren, fordert Speich. Er verweist etwa auf eine Reihe von Negativmeldungen der vergangenen Monate, in denen Nestlé im Zusammenhang mit Kinderarbeit auf Kakaoplantagen erwähnt wird. „Aus Nachhaltigkeitssicht sehen wir Nestlé kritisch“, sagt der Deka-Experte.

Nestlé sei zwar um Transparenz bemüht. Durch seine Größe, die Fokussierung auf Nahrungsmittel und die bekannten Marken sei der Konzern aber großen Reputationsrisiken ausgesetzt. Speich wünscht sich, dass der Konzern das Thema noch stärker forciert: „Bei Nachhaltigkeit und Menschenrechten darf sich Nestlé keine offenen Flanken leisten.“ Denn die Themen spielten bei Investitionsentscheidungen eine zunehmend wichtigere Rolle.

Im Visier der NGOs

Einem Nestlé-Sprecher zufolge hat der Konzern „in seiner gesamten Firmengeschichte Wert darauf gelegt, nachhaltig zu agieren“. Dabei berichte man auch darüber, was noch zu tun sei. Firmenchef Schneider habe dem Thema mehr Nachdruck verliehen. Auch das Problem der Kinderarbeit beim Kakaoanbau gehe man seit Jahren an. So habe man etwa ein Monitoringsystem eingeführt. Zudem habe man 11 300 Kindern geholfen und mit dem Bau von Schulen für mehr Bildungsmöglichkeiten gesorgt.

Trotz aller Bemühungen gerät Nestlé immer wieder ins Visier von Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Das dürfte allerdings auch daran liegen, dass der Konzern ein dankbares Ziel darstellt. Schließlich finden sich Produkte der Marken Maggi, Kitkat oder Vittel in fast jedem Haushalt. Weltweit werden tagtäglich mehr als eine Milliarde Nestlé-Produkte gegessen oder getrunken, Tendenz weiter steigend.

Das schmeckt nicht jedem. So kritisiert etwa die NGO Foodwatch den Konzern wegen seiner süßen Produkte. „Viele Frühstücksflocken, Riegel und Milchsnacks von Nestlé enthalten viel zu viel Zucker“, sagt Oliver Huizinga, der die Rechercheabteilung von Foodwatch leitet. Er verweist auf eine aktuelle Studie, in der Foodwatch den Zuckergehalt diverser Frühstücksflocken getestet hat. In 13 von 14 Produkten des Konzerns habe man einen Zuckergehalt gemessen, der über den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO für Kinderlebensmitteln liegt. Zwar versuche Nestlé, den Zuckergehalt seiner Produkte zu reduzieren, lobt auch Foodwatch. „Aber ein bisschen weniger Zucker zu verwenden genügt nicht“, sagt Huizinga. „Es braucht eine bessere Kennzeichnung, weniger Werbung an Kinder und eine Limo-Steuer.“

Nestlé versichert, man reduziere den Zuckergehalt wo immer möglich. Man habe ihn etwa bei Cerealien oder Joghurts schrittweise um rund 30 Prozent verringert. Zudem setze man auf neue Produkte, die von ‧Beginn an ausgewogener sein sollen. Das Versprechen: „Healthy Snacking“, gesunde Snacks.

Nicht nur die Produkte sollen fit werden, sondern der gesamte Konzern – so das Versprechen von Nestlé-Chef Schneider. Nach zweieinhalb Jahren an der Spitze sieht er sich noch nicht am Ziel. „Wir sind erfreut, aber nicht zufrieden“, sagte Schneider seinen Investoren am Freitag. „Und wir sind noch lange nicht fertig“.

Mehr: Nestlé trotzt dem Abschwung. Trotz des schwierigen Umfelds wächst das Geschäft des Schweizer Nahrungsmittelkonzerns im ersten Halbjahr weiter.

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