Luftfahrt Flugbuchungen steigen: Airlines erleben Kundenansturm

Die Zahl der Buchungen steigt wieder.
Frankfurt Kaum eine Branche wurde so sehr von der Pandemie gebeutelt wie die Luftfahrt – aber selbst für die Fluggesellschaften geht die Durststrecke zu Ende. „Wir spüren plötzlich eine Dynamik, die ich nach 30 Jahren in der Branche nicht kenne. Innerhalb weniger Stunden füllen sich 150 Sitze auf einem Flug“, sagte der CEO der Lufthansa-Tochter Eurowings, Jens Bischof, im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Nachdem die Ticketnachfrage bei Eurowings in den zurückliegenden zwei Wochen um 100 Prozent gestiegen ist, hat die Airline rund 150 Zusatzflüge auf Verbindungen nach Palma de Mallorca, Ibiza oder Griechenland ins Programm genommen. Auch die Reiseveranstalter würden Tag für Tag deutlich höhere Kontingente bei Eurowings einkaufen, sagte Bischof.
Seit über einem Jahr befindet sich die Luftfahrt wegen der weltweiten Reisebeschränkungen mehr oder weniger im Tiefschlaf. Nach Daten der europäischen Flugsicherungsorganisation Eurocontrol liegt die Zahl der Flüge in Europa derzeit noch rund 65 Prozent unter dem Vorkrisenniveau.
Doch angesichts der deutlich steigenden Quoten an Geimpften und der sinkenden Infektionszahlen in vielen Ländern schöpfen die Airline-Manager langsam wieder Hoffnung. So berichtete Finnair-Chef Topi Manner kürzlich von einer spürbaren Nachfrage. Auch Ryanair geht von einem starken Sommer aus.
Wizz-Air-Chef Jozsef Varadi rechnet damit, dass seine Airline im Sommer 60 bis 80 Prozent der Vorkrisenkapazität im Angebot haben wird. Der Buchungssystemspezialist Amadeus hat anhand seiner Daten im März die höchsten Buchungszahlen seit Februar 2020 errechnet.
Kunden buchen Urlaub, weil sie zweiten Impftermin kennen
„Das steigende Impftempo ist aus unserer Sicht der Auslöser und Wendepunkt“, sagte Eurowings-Chef Bischof. Das Unternehmen fliege aktuell mit etwa 30 Flugzeugen und wollte eigentlich schon bei 45 sein. „Ich bin aber überzeugt, dass wir den sogenannten ‚Ketchupflaschen-Effekt‘ vor uns haben: Erst kommt lange nichts und dann plötzlich alles auf einmal.“
Viele Kunden wüssten inzwischen, wann sie ihre zweite Impfung bekämen, gäben zwei Wochen dazu und planten für die Zeit danach ihren Urlaub, vermutet der Airline-Manager: „Offenbar sind immer mehr Menschen sicher, dass die Erleichterungen für Geimpfte und Genesene wieder einen sorgenfreien Urlaub möglich machen.“
Angesichts dessen hoffen die Verantwortlichen, dass der aktuelle Boom nachhaltiger sein wird als bisherige Belebungen. „Der aktuelle Nachfrageanstieg steht wegen der konkreten Impftermine auf deutlich breiteren Beinen als noch im vergangenen Sommer oder auch an Ostern“, glaubt Bischof. Er beschränke sich zudem nicht mehr nur auf Buchungen für Mallorca. Auch für Griechenland, Spanien, Italien oder Frankreich sehe er sprunghafte Steigerungen.
Auch Fraport-Chef Stefan Schulte zeigte sich kürzlich im Gespräch mit dem Handelsblatt unter Verweis auf die Impfungen und sinkende Inzidenzen wieder optimistisch: „Ein sicherer Urlaub auch an Warmwasserzielen wird wieder möglich sein. Daher bin ich zuversichtlich, dass wir spätestens ab Juli ein deutliches Wachstum des Luftverkehrs sehen werden.“
Auf die Fluggesellschaften kommen nun allerdings große Herausforderungen zu. Um ihre Liquidität zu sichern und die Kosten zu drücken, haben viele Unternehmen große Teile ihrer Flotte geparkt. Nun müssen die Jets wieder fit gemacht werden. Das Gleiche gilt für das fliegende Personal.
Michael Santo vom Luftfahrt-Beratungsunternehmen H&Z sieht dabei einige Hürden, die es zu überwinden gilt. Das würden auch die Ergebnisse einer gemeinsam mit Aerovation Consulting durchgeführten Umfrage zeigen: „Der aktuelle Flugbetrieb läuft stark ressourcenverzehrend aus dem alten Flottenbestand. Viele Airlines haben in der bestehenden Flotte Ersatzteile geräubert, um die Fixkosten in der Pandemie zu drücken.“
Zudem seien Flugzeuge vor einer großen Wartung außer Betrieb gestellt worden, um den Wartungsaufwand zu vermeiden. Diese Jets müssten vor dem Ramp-up, dem Neustart, alle durch den großen und zeitaufwendigen Check. „Das alles geht in der aktuellen Planung nicht mit entsprechenden Reserven in der Technik einher, Engpässe zeichnen sich ab“, warnt Santo.
Eurowings-Chef Bischof weiß um diese Probleme. Es brauche seine Zeit, das fliegende Personal frisch zu lizenzieren und alle Flugzeuge technisch wie logistisch dahin zu bringen, wo sie hingehörten, räumt er ein: „Wir arbeiten aktuell bereits an dem Hochlauf, der sehr herausfordernd ist.“
Das wiederum kostet Geld, ohne dass die Airline-Chefs wissen, ob die Erlöse durch den Ticketverkauf auch wie erwartet erzielt werden. Doch für Bischof gibt es keine Alternative. „Im Vertrauen auf die deutlich steigende Nachfrage im Privatreiseverkehr produzieren wir für eine kurze Hochlaufphase gewisse Leerkosten“, sagte er.
Airlines müssen in Vorleistung gehen
Aber die Chancen, die sich jetzt für Eurowings bieten würden, seien so greifbar, „dass wir dieses unternehmerische Risiko sehr bewusst eingehen“, so der Airline-Manager: „Viele Strecken und Märkte im europäischen Luftverkehr werden jetzt neu verteilt, da werden wir Chancen konsequent wahrnehmen.“
Tatsächlich deuten die Umfrageergebnisse der gemeinsamen Studie von H&Z und Aerovation Consulting darauf hin, dass das Flugangebot nach dem Ende der Pandemie vorerst kleiner sein wird. „65 Prozent der Airlines reduzieren ihre Flotten, nur 25 Prozent gehen davon aus, ihre Flottengröße erhalten zu können“, sagte Santo: „Das bedeutet: Die Branche rechnet mittelfristig mit einer Schrumpfung in Europa.“
Bischof will dagegen mit Eurowings wachsen. Man werde neue Basen eröffnen, mit eigenen Flugzeugen und Mitarbeitern. „Dabei rekrutieren wir Personal bevorzugt aus stillgelegten Flugbetrieben der Lufthansa Group, etwa Germanwings und Sunexpress Deutschland“, sagte der Manager: „Eurowings gehört damit zu den ganz wenigen Airlines in Europa, die zurzeit bereits wieder einstellen.“
Spätestens im August oder September sollen dann wieder rund 80 Jets für den Lufthansa-Ableger abheben, davon 75 Flugzeuge aus dem eigenen Bestand. Hinzu kommen sogenannte Wetlease-Kapazitäten, also Jets einschließlich Crew, die angemietet werden, um vorübergehende Spitzen abzufangen. Für diesen Sommer sind das fest zwei Flugzeuge von Tuifly sowie die Option auf vier Flugzeuge von Helvetic Airways.

Der Airline-Manager erlebt einen nie da gewesenen Nachfrageboom nach Flugtickets.
Bei den Arbeitnehmervertretern stößt so ein Vorgehen, das auch von Tuifly bekannt ist, auf Kritik, weil es zum Nachteil der eigenen Mitarbeiter gehe. Doch Bischof macht klar, dass das dauerhaft die Strategie bleiben wird: „Grundsätzlich gilt, dass wir uns mit dem Fixkostenblock wie der eigenen Flotte eher an der Wintersaison orientieren und für den Sommer die Kapazitäten etwas aufstocken, etwa durch Wetleasing.“
Eurowings-Mitarbeiter werden aus der Kurzarbeit geholt
Nachteile für die Mitarbeiter sieht der CEO nicht: „Wenn wir unsere Kapazität wie geplant im Sommer aufstocken können, werden wir jeden Eurowings-Mitarbeiter im Laufe des Sommers aus der Kurzarbeit holen.“
Allerdings hat Eurowings wie die meisten Fluggesellschaften in der Pandemie ordentlich Federn lassen müssen. So wurde die Geschäftsführung um eine Position reduziert, das Management wurde um 30 Prozent und die Administration um 25 Prozent verkleinert. Zudem wurden Standorte geschlossen.
Damit sieht Bischof Eurowings gut gerüstet für den kommenden Aufschwung und den erwarteten härteren Wettbewerb nach der Krise. Die Pandemie habe das Auflösen komplexer Strukturen bei Eurowings noch mal beschleunigt. „Wir haben mit Eurowings Deutschland nur noch einen Flugbetrieb hierzulande und mit Eurowings Europe eine zweite Plattform für den Ausbau des europäischen Geschäfts“, sagte er. Mit dieser vereinfachten Struktur und der gestrafften Kostenbasis sei das Unternehmen jetzt in der Lage, paneuropäisch zu wachsen.
Auch den Wettstreit mit Rivalen wie Ryanair fürchtet der Airline-Manager nicht. Die kürzlich gestarteten Mallorca-Flüge von und nach Großbritannien seien sicher erst der Anfang. „Wettbewerber wie Ryanair mögen in vielen Teilen Europas ihren Spaß haben, aber ganz offensichtlich nicht so sehr in Deutschland“, gibt sich Bischof selbstbewusst: „Für deutsche Kunden sind überzeugende Sicherheits-, Gesundheits- und Hygienekonzepte eben wichtiger als Rubbellose an Bord.“
Doch Berater Santo mahnt bei aller Euphorie über den bevorstehenden Neustart in der Luftfahrt davor, ein zentrales Thema zu ignorieren: „Es wird künftig noch wichtiger, billiges Volumengeschäft perfekt zu managen. Der Privatreiseteil wird größer werden und ist nicht so margenträchtig wie der Geschäftsreiseverkehr.“
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