Marketing Werbespots zielen an der Mediennutzung vorbei

Rund 15 Millionen Deutsche nutzen das Netzwerk Facebook. Doch die Werbeindustrie lässt das Potential bisher brachliegen.
DÜSSELDORF. Es ist ein 15-jähriger Schüler aus Schwaben, der gestandenen Marketingexperten derzeit beeindruckt. Philipp Riederle, leger mit dunkler Wuschelmähne und im schlabbrigen Kapuzenpullover, unterhält eines der erfolgreichsten Podcasts des Landes: Auf "Meiniphoneundich.de" informiert der Schüler auf unterhaltsame Weise über die Feinheiten des kultigen Apple-Gerätes - rund 200 000 Menschen laden sich pro Monat seinen Podcast runter.
Mittlerweile ist Riederle ein gefragter Redner auf Kongressen und Veranstaltungen. Seine Botschaft: "Denkt nicht mehr so versteift. Lasst Euch auf das Medium Social Web ein." Doch was dem Schüler so leicht über die Lippen kommt, ist für weite Teile der deutschen Kommunikationswirtschaft ein Riesenproblem.
Das Mediennutzungsverhalten verändert sich schneller und radikaler als noch vor einiger Zeit gedacht. Immer mehr Menschen lesen die Nachrichten inzwischen lieber auf dem Smartphone als in der Zeitung. Filme schauen sie nicht mehr auf dem Fernseher, sondern auf dem Laptop. Und die amerikanische Internetgemeinde Facebook wird zu dem sozialen Online-Herz schlechthin.
In einer Studie über das Medien- und Konsumverhalten der 20- bis 39-Jährigen, die dem Handelsblatt vorliegt, hat die Digitalagentur Interone festgestellt: Die neue Onlinewelt ist keine Zukunftsmusik mehr, sie ist längst da. Doch die Digitalexperten sehen keinen Hinweis für einen vollständigen Paradigmenwechsel.
Ergänzen, nicht ablösen
Vielmehr haben sie durch Befragungen von 1 000 Menschen herausgefunden: Das Medium Online wird die alte Medienwelt, zu der vor allem Fernsehen und Print gehören, nicht ablösen, so wie einst das Automobil die Pferdekutschen überflüssig machte, sondern es wird die klassischen Medien ergänzen.
Denn: Immer mehr Menschen nutzen TV-Gerät und Computer parallel. Während eine Sendung läuft, wird im Internet gesurft, gechattet und getwittert. Als die deutsche Nationalmannschaft ihre ersten WM-Spiele in Südafrika gegen Australien und Serbien machte, rollte parallel eine Kommunikationswelle durch den Kurznachrichtendienst Twitter.
Dieser Trend hat Konsequenzen für die Werbewirtschaft - aus Sicht vieler Experten liegt viel Potenzial brach. "Klassische Werbespots sind auf die Parallelnutzung meist gar nicht eingestellt", beobachtet Lewinski. Dabei könnten sie gezielt Produkte vorstellen, die sich die Konsumenten dann parallel im Internet anschauen. "Werbetreibende müssen viel verzahnter denken", meint Interone-Geschäftsführer Marco Mehrwald.
Polo GTI wird nur online beworben
Soziale Medien im Internet, allen voran Facebook, haben sich indes tief ins Bewusstsein der Menschen gegraben. In Deutschland zählte das Netzwerk im März 2010 rund 15 Millionen aktive Nutzer - knapp 300 Prozent mehr als noch vor Jahresfrist.
Markenartikler wie der Autokonzern Volkswagen reagieren bereits auf den digitalen Megatreffpunkt: Der Autobauer aus Wolfsburg kündigte unlängst an, er wolle bei der Einführung des Kleinwagens Polo GTI komplett auf klassische Werbung verzichten. Stattdessen will sich Marketingchef Luca de Meo auf Facebook konzentrieren.
Die Internetexperten gehen noch einen Schritt weiter und empfehlen den Markenartiklern gleich die Eröffnung eines eigenen Facebook-Shops. Der Grund: Der stationäre Handel übt wenig Faszination aus. "Die jungen Konsumenten haben im Internet ein höheres Shoppingerlebnis als im stationären Handels, denn sie finden dort die Empfehlungen ihrer Freunde und können Preise vergleichen", sagt Lewinski.
Empfehlungen sind die neue Währung. Auch semiprofessionelle Blogger gelten als authentisch, so wie der 19-jährige Abiturient Sami. Unter dem Namen "Herr Tutorial", zeigt er in zig Videos auf der Onlineplattform Youtube, welches Haargel etwas taugt und wie man sich am besten eine Krawatte bindet. Das kommt an: Mehr als 100 000 Fans gucken sich die Videos an. Einige Unternehmen schicken ihm inzwischen ihre Produkte zu, damit er sie vor laufender Kamera in seinem Jugendzimmer testet und bewertet.
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