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Nachhaltigkeit Warum es so schwer ist, Plastik aus den Verpackungen zu verbannen

Alle Hersteller und Händler wollen auf nachhaltige Verpackungen umsteigen, doch es passiert wenig. Denn viele Schwierigkeiten verzögern die Plastikwende.
06.12.2021 - 04:00 Uhr 1 Kommentar
Auch der Düsseldorfer Konsumgüterhersteller sucht nach Wegen, Plastik zu vermeiden und zu reduzieren.
Verpackungen von Henkel

Auch der Düsseldorfer Konsumgüterhersteller sucht nach Wegen, Plastik zu vermeiden und zu reduzieren.

Düsseldorf Auf den ersten Blick sehen die Papp-Displays unscheinbar aus, auf denen ab dieser Woche Procter & Gamble Rasierer der Marke Gillette bei Lidl und Kaufland präsentiert. Doch in dem Material stecken ein Jahr Entwicklungsarbeit und ein ganz neuer Rohstoff: die Faser der Silphie-Pflanze.

Die Umverpackung ist das erste Ergebnis einer ungewöhnlichen Allianz: Der Konsumgüterhersteller P&G und Europas größter Händler, die Schwarz-Gruppe, haben eine strategische Partnerschaft geschlossen. Gemeinsam wollen sie jetzt innovative nachhaltige Verpackungslösungen entwickeln.

Die Kooperation ist ungewöhnlich – und zeigt, wie verzweifelt der Kampf von Herstellern, Handel und Entsorgern gegen den Plastikmüll ist. Alle suchen nach nachhaltigen, umweltfreundlichen Verpackungen, doch der Weg dahin ist schwierig.

Hierzulande fallen laut Umweltbundesamt 6,3 Millionen Tonnen Plastikmüll pro Jahr an – etwa die Hälfte durch Verpackungen. Doch so wichtig Plastik noch für Verpackungen ist, so groß sind seine Nachteile: Für die Herstellung einer Tonne Plastik fallen zwei Tonnen Öl an. Und wenn Plastik einmal in die Natur gelangt, braucht es Jahrzehnte, bis es verrottet ist.

Doch was macht es so schwer, nachhaltige Verpackungslösungen zu entwickeln und im Markt durchzusetzen? Das Handelsblatt hat sich die gesamte Wertschöpfungskette angeschaut und beschreibt, vor welchen Herausforderungen Hersteller, Händler, Kunden und Entsorger stehen.

Hersteller können nicht auf Plastik verzichten

Das Plastik-Bashing in der Öffentlichkeit kratzt am Image der Konsumgüterriesen Henkel, Beiersdorf und L’Oréal. Deshalb haben sie sich alle ähnliche Ziele gesetzt: Bis 2025 sollen 100 Prozent ihrer Verpackungen wiederverwertbar sein, Neuplastik wollen sie nur noch halb so oft einsetzen.

Um Plastik zu vermeiden, setzen die Firmen auf Papier. L’Oréal vertreibt Sonnencremes, deren Verpackung zur Hälfte aus Karton besteht. Persil-Hersteller Henkel hat in Österreich „Eco Power Bars“ auf den Markt gebracht. Das ist festes Waschmittel im Legostein-Format, verpackt in Kartons. Doch für die meisten Produkte gibt es eben keine Alternative zur Flüssigkeit – und damit keine zum Plastik.

„Ganz auf Plastik bei Verpackungen verzichten kann man oft nicht, weil es wegen seiner Eigenschaften notwendig ist“, bekräftigt Astrid Teckentrup, Deutschlandchefin von P&G. „Deswegen ist es ein wichtiges Ziel, den Einsatz von fossilem Neuplastik zu reduzieren und so viel wie möglich mit Rezyklaten zu arbeiten.“ P&G will ab 2030 weltweit 300.000 Tonnen Neuplastik in Verpackungen eliminiert haben.

Das Recycling von Kunststoffen aus Plastikverpackungen ist aufwendig und teuer. Auch weil die Konsumenten zu viele Reste in den Verpackungen lassen, bevor sie sie in die Gelbe Tonne werfen. Quelle: ddp
Begehrt bei den Herstellern: Rezyklate

Das Recycling von Kunststoffen aus Plastikverpackungen ist aufwendig und teuer. Auch weil die Konsumenten zu viele Reste in den Verpackungen lassen, bevor sie sie in die Gelbe Tonne werfen.

(Foto: ddp)

Das Problem: Recyclingplastik in hoher Qualität sei im Markt zunehmend knapp, beobachtet Sven Sängerlaub, der an der Hochschule München Verpackungstechnik und Verpackungsherstellung lehrt. „Weil sich immer mehr Firmen Nachhaltigkeitsziele setzen und die Industrie sehr aktiv an Alternativen zur herkömmlichen Kunststoffverpackung forscht, gibt es einen richtigen Run auf Rezyklat.“

Was knapp ist, ist teuer: Konsumgüterfirmen müssen für Rezyklat deutlich mehr zahlen als für Neuplastik. Mitunter ist Rezyklat so rar, dass die Firmen mehr Neuplastik beimischen müssen, als sie eigentlich wollen. Hinzu kommt: „Rezyklat ist in den Eigenschaften nicht so beständig wie Neumaterial“, sagt Thorsten Leopold, der bei Henkel die globale Verpackungsentwicklung der Reinigungsmittel leitet. Henkel muss das Rezyklat deshalb viel intensiver auf Materialmängel prüfen.

Mitunter müssen gar die Maschinen erneuert werden: Nivea-Hersteller Beiersdorf hat dieses Jahr eine Bodylotion auf den Markt gebracht, deren Verpackung nur halb so viel Kunststoff benötigt. Diese ist elastisch und lässt sich wie eine Zahnpastatube zusammenrollen. „Die Verpackung ist in leerem Zustand so fragil und leicht, sodass wir den kompletten Abfüllprozess anpassen mussten“, erklärt Beiersdorf-Verpackungsexperte Norbert Menzel.

Händler brauchen viel Zeit für den Umstieg

Vor ähnlichen Problemen stehen die Händler. Auch sie sehen sich unter Druck, klimaneutral zu werden. Gerade bei ihren Eigenmarkenprodukten haben sie die Chance, durch neue Verpackungen, CO2 einzusparen. Doch das ist aufwendig – und nicht zuletzt mit Investitionen verbunden.

„Wir müssen Ökonomie und Ökologie miteinander verbinden“, betont Thomas Kyriakis, Chef von Prezero, der Entsorgungstochter der Schwarz-Gruppe. Das ist gerade für Discounter wie die Konzernschwestern Lidl und Kaufland eine Herausforderung. „Aber wir sind uns bewusst, dass die nachhaltigen Verpackungen am Anfang auch ein paar Cent mehr kosten können“, sagt er.

Wie schwierig die Plastikwende ist, zeigen auch die oft langen Übergangsfristen bei den Händlern. Ikea beispielsweise hat jetzt verkündet, komplett auf Kunststoffe in den Verpackungen zu verzichten – allerdings erst bis zum Jahr 2028. Rund 55 Tonnen Plastik kamen im vergangenen Jahr in Verpackungen des Möbelhändlers zum Einsatz. Dies zu ersetzen ist nicht trivial.

Viele andere Händler, gerade im Lebensmittelbereich, wissen, dass sie wohl nie ganz auf Kunststoffe verzichten können. Aldi beispielsweise versucht deshalb, so viel Plastik wie möglich aus Recycling zu verwenden. So soll bis 2025 der Gesamteinsatz von Neukunststoffen im Vergleich zum Jahr 2020 immerhin um 20 Prozent sinken.

Kunden trennen den Müll oft nicht richtig

Ein Grundproblem beim Wettlauf zur Nachhaltigkeit: Verpackungen aus Rezyklat sehen oft leicht gräulich oder gelblich aus, auch Kartonverpackungen erscheinen im Supermarktregel unscheinbarer. „Kaufentscheidungen laufen oft unbewusst ab, und viele Kunden greifen immer noch zur attraktiver wirkenden Neukunststoffverpackung“, beobachtet Experte Sängerlaub.

Um weiterhin alle Kunden anzusprechen, ummantelt Henkel die Verpackung seines WC-Reinigers Biff, die bereits zu 75 Prozent aus Rezyklaten besteht, mit einer hauchdünnen Folie aus Neuplastik, damit das Produkt weiter im Supermarktregel glänzt.

Auch sind die Kunden oft nicht in der Lage, den Müll richtig zu trennen. Von Plastikmüll aus Privathaushalten kann laut Umweltbundesamt bislang nur ein Drittel stofflich verwertet werden. Das liegt auch daran, dass Plastik oft mit Speiseresten verschmutzt ist. Wenn Reste im Müll verschimmeln, nimmt auch das Plastik diesen Geruch an. Das erschwert das Recycling – und mindert die Menge des hochwertigen Rezyklats.

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L’Oréal-Nachhaltigkeitsdirektorin Irene Binder empfiehlt, den Deckel und das Gebinde von der eigentlichen Verpackung zu trennen, weil diese aus unterschiedlichen Kunststoffen bestehen und sie getrennt einfacher zu recyceln seien. Der Kosmetikhersteller hat auf seine Verpackungen Entsorgungshinweise gedruckt, um die Kunden über die richtige Mülltrennung aufzuklären.

Entsorger können viele Verpackungen nicht recyceln

Denn die Entsorgungsfirmen kämpfen mit der schlechten Mülltrennung. So liegt die Recyclingquote bei Plastikverpackungen zwar bei knapp über 60 Prozent. Doch über die eigentliche Wiederverwertung sagt das nicht viel aus: Als recycelt gilt alles, was in die Entsorgungsanlage gelangt. So zählen nicht verwertbare Verpackungen, die später verbrannt werden, in der Statistik dennoch als recycelt.

Der Einzelhandel hat erkannt, dass Kunststoffabfall ein wertvoller Sekundärrohstoff ist. Quelle: PreZero
Lidl-Schwester Prezero sammelt Verpackungsmüll ein

Der Einzelhandel hat erkannt, dass Kunststoffabfall ein wertvoller Sekundärrohstoff ist.

(Foto: PreZero)

Tatsächlich gibt es aber auch viele Verpackungen, die noch nicht gut recycelbar sind. Das ist häufig der Fall, wenn verschiedene Kunststoffe miteinander verklebt sind. Auch schwarze Kunststoffe können von den Sortieranlagen oft nicht nach verschiedenen Plastiksorten sortiert werden.

„Das A und O beim Verpackungsmanagement ist das Produktdesign am Anfang“, weiß Prezero-Chef Kyriakis. „Wie gestalte ich die Verpackung so, dass sie später einfach getrennt, sortiert, recycelt und somit wieder in den Kreislauf gebracht werden kann“, beschreibt er das Erfolgsgeheimnis.

Auch deshalb ist für die Schwarz-Recyclingtochter Prezero, die ein eigenes duales System betreibt und über fünf Recycling- und sieben Sortieranlagen verfügt, die Partnerschaft mit einem Konsumgüterhersteller wie P&G so wertvoll. Der Vorteil: „Wir haben aufgrund unserer Reichweite die Chance, neue Verpackungen als Standard zu etablieren“, so Kyriakis.

Allianzen sollen den Weg zur Nachhaltigkeit beschleunigen

Ob Hersteller, Handel, Konsument oder Entsorger: Das Plastikproblem ist noch lange nicht gelöst. „Die gesamte Industrie muss noch mehr machen und enger zusammenarbeiten. Das ist eine gemeinschaftliche Herausforderung“, sagt Henkel-Manager Leopold.

Allianzen können das beschleunigen. „Wir brauchen echte Durchbrüche bei innovativen nachhaltigen Verpackungen, und wir brauchen sie nicht irgendwann, sondern so bald wie möglich“, mahnt die Deutschlandchefin von Procter & Gamble, Teckentrup. „Die Partnerschaft mit Prezero leistet dazu einen Beitrag.“

Die Deutschland-Chefin von Procter & Gamble und der Chef von Prezero wollen gemeinsam innovative Verpackungslösungen entwickeln.
Astrid Teckentrup und Thomas Kyriakis

Die Deutschland-Chefin von Procter & Gamble und der Chef von Prezero wollen gemeinsam innovative Verpackungslösungen entwickeln.

Die Pläne sind ehrgeizig. „Uns verbindet ein gemeinsames Ziel, das weit über die Verwendung der Silphie-Faser hinausgeht“, erklärt Prezero-Chef Kyriakis. „Die Produktpalette bei Procter & Gamble ist sehr breit.“ Da gebe es Ideen und Möglichkeiten, viele weitere gemeinsame Projekte umzusetzen.

Der Konsumgüterhersteller hat sich das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2040 klimaneutral zu sein. Doch um das zu erreichen, muss das Unternehmen insbesondere bei Verpackungen ganz neue Wege gehen. Und P&G-Managerin Teckentrup weiß: „Was wir tun, dafür gibt es bisher in unserer Industrie keine Blaupause.“

Mehr: Rohstoff Müll: Die 800-Milliarden-Euro-Chance der Industrie

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1 Kommentar zu "Nachhaltigkeit: Warum es so schwer ist, Plastik aus den Verpackungen zu verbannen"

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  • die 55 Tonnen bei IKEA können ja wohl nicht stimmen. Bitte mal richtig recherchieren.

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