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Onlinehandel Verkehrskollaps per Mausklick

Die Zustellung von über drei Milliarden Paketen brachte Deutschlands Innenstädte 2016 an den Rand des Verkehrsinfarkts. Doch obwohl der Onlinehandel weiterhin sprunghaft wächst, bleiben Notfallpläne in der Schublade.
20.11.2017 - 06:10 Uhr Kommentieren
Die Zahl der Päckchen und Pakete wird in Deutschland bis 2021 um 30 Prozent steigen. Quelle: dpa
DHL-Laster im Stau

Die Zahl der Päckchen und Pakete wird in Deutschland bis 2021 um 30 Prozent steigen.

(Foto: dpa)

Berlin Diesen März schien es, als seien die Heinzelmännchen für fünf Wochen nach Köln zurückgekehrt. Ausgerüstet mit leisen Elektro-Lkws, schallgedämpften Rollwagen und schweigsamem Personal machten sich Milch-, Obst- und Gemüselieferanten auf zu drei Rewe-Filialen im Ortsteil Dellbrück, und zwar stets in den zwei Stunden bis Mitternacht. Den piepsenden Rückfahr-Warner hatten die Brummifahrer ausgeknipst, die Fahrertüren zum Öffnen und Schließen gedämmt.

Gemeinsam mit Bundesforschungsministerium, Fraunhofer-Institut und der Stadt Köln wollten sie testen, ob die Filialbelieferung weit nach Ladenschluss die Nachbarschaft um die Nachtruhe bringt. Ein vages Unterfangen: In Wohngebieten gilt es laut Vorschrift, den Geräuschpegel von 40 Dezibel niemals zu überschreiten, also nicht lauter zu werden als ein normales Gespräch oder leises Radio.

Was geschah, war kein launiger Zeitvertreib von Wissenschaftlern, um auf fantasievolle Weise Forschungsgelder zu verjubeln. Die bittere Wahrheit hinter der Aktion: Deutschlands Städten droht der Verkehrsinfarkt.

Allein die Innenstadt von Nordrhein-Westfalens Kapitale Düsseldorf, fand das Fraunhofer-Institut heraus, steuern täglich 60.000 Lastfahrzeuge an. „Die städtische Infrastruktur ist schon heute an ihrem Kapazitätslimit“, warnt Dietmar Prümm, Logistikexperte der Beratungsfirma PwC.

Weiterer Anstieg in Sicht

Dabei steht fest: Es kommt noch schlimmer. Wurden 2016 deutschlandweit 3,16 Milliarden Päckchen und Pakete ausgeliefert, wird sich das Volumen nach Schätzungen des Bundesverbands Paket- und Expresslogistik (BIEK) bis 2021 auf 4,15 Milliarden erhöhen. Ein Plus von über 30 Prozent.

Was den Lieferverkehr kräftig erhöht, ist der nach wie vor boomende Onlinehandel. Hier wachsen seit neuestem Branchen, die Shoppern bislang kaum einen Mausklick wert waren: an vorderster Front der Interneteinkauf von Lebensmitteln, der auf Jahresfrist um 21 Prozent zunahm, gefolgt von Heimwerkerprodukten, Möbeln und Haushaltswaren. Ihr Fernabsatz wuchs laut Handelsverband Deutschland (HDE) vergangenes Jahr mit einer Quote von 13 bis 15 Prozent.

Die Auswirkungen auf das Durchkommen in der City sind verheerend. „Der Güterverkehr macht etwa 20 bis 30 Prozent des Stadtverkehrs aus“, stellt PwC in einer soeben vorgelegten Studie fest, „verursacht aber etwa 80 Prozent der innerstädtischen Staus in Stoßzeiten.“

Damit nicht genug. Der US-Versender Amazon ebenso wie der DHL-Ableger Allyouneed oder die DPD-Beteiligung Tiramizoo verschärfen die Lage, indem sie Belieferungen am Bestelltag („Same Day Delivery“) versprechen – zumindest aber knappe Zeitfenster. Das Urteil des Fraunhofer-Instituts ist beängstigend. All dies führe zu einer „höheren Tourenzahl bei geringerer Auslastung der Einzeltouren und damit zu wachsender Verkehrsdichte“, warnen die Wissenschaftler.

Eine Rückkehr zum geduldigen Warten aber wird es kaum geben. Längst sind es die Onlineanbieter selbst, die auf rasche Auslieferungen drängen – und damit dem Wunsch von 59 Prozent ihrer Kunden folgen, wie eine PwC-Umfrage ergab. „Die Liefergeschwindigkeit ist von hoher Bedeutung“, glaubt etwa Karl Strüning, Distributionschef beim Shoppingkanal QVC. So auch für Mediamarkt: Für nur 14,95 Euro extra stellt die Kette seit kurzem innerhalb von drei Stunden nach dem Kauf zu.

Auch andere traditionelle Filialisten sind an der Misere nicht unschuldig. Zu lange blieben die Ladenbetreiber bei der eigenen Warenversorgung tatenlos. „Kleinteilige Warenströme mit dem 7,5-Tonner in die Stadt – und dann mit dem Pkw wieder raus?“, lästert Raimund Klinkner, Vorstandschef des Bundesverbands Logistik (BVL). Da gebe es doch bestimmt auch intelligentere Lösungen.

Sorge um die Nachtruhe

Nach diesen forschen Transporteure derzeit scheinbar im Übermaß. Medienträchtig liefern sich Versender wie UPS, Amazon und DHL ein Wettrennen am Himmel, wo Drohnen die Zustellung übernehmen sollen. Hermes schickte vor einem Jahr in Hamburg als Erstes einen Zustell-Roboter in die Stadt, mit dem die Otto-Tochter Pakete austeilen will. Automarken wie Smart und Audi erlauben probeweise DHL-Zustellern, Päckchen und Pakete in den Kofferraum der Adressaten zu verfrachten. Hermes-Deutschlandchef Frank Rausch fragt sogar: „Ist die Haustür-Belieferung überhaupt noch durchhaltbar und sinnvoll?“ Seine Paketshops, wo abgeholt werden kann, will er jedenfalls bis 2020 um ein Drittel auf 20.000 vermehren.

Keinen Aufwand scheuten die Mitternachts-Lieferanten in Köln, dem alltäglichen Stau in der City beizukommen. Für die Genehmigung, fünf Wochen lang drei Läden zwischen 22 und 24 Uhr anzufahren, klingelten sie beim städtischen Bauaufsichtsamt, beim Amt für Umwelt- und Verbraucherschutz, bei der Stadtentwicklung und dem Ordnungsamt an. Schließlich gilt die Nachtbelieferung als größter Hoffnungsträger, um den Verkehr in den Innenstädten einzudämmen. Von allen Ideen, die PwC in der Bevölkerung abfragte, erhielt sie mit 75 Prozent den größten Zuspruch.

Doch selbst ihre vorübergehende Erlaubnis verband die Domstadt mit einer scharfen Warnung: Sobald nur an einem der Abende die in der „Technischen Anleitung (TA) Lärm“ geregelte Höchstgrenze überschritten würde, warnten die Stadtoberen, müsse der Supermarktbetreiber den Versuch sofort abbrechen.

Das Problem: Alle übrigen verkehrsmindernden Lösungen sind in weiter Ferne. Auf dem Deutschen Logistik-Kongress in Berlin antworteten gerade einmal zehn Prozent der Teilnehmer bei einer Blitzumfrage, dass sie an eine Zukunft von Robotern und Drohnen glauben. Kaum besser sah es aus, als sich PwC bei Passanten über die Kofferraum-Zustellung erkundigte. Nur 16 Prozent fanden die Idee gut, 68 Prozent lehnten sie strikt ab – wohl aus Furcht vor Diebstahl.

Dabei wäre es viel einfacher, wenn sich die Paketdienste auf einen gemeinsamen Transporteur für die Innenstadt einigen könnten. Doppelte oder dreifache Anfahrten an der Haustür würden überflüssig, der Verkehr entlastet. 

6.000 Transportfahrten, rechnen die Fraunhofer-Wissenschaftler vor, könnten allein in Düsseldorf durch eine solche Bündelung pro Tag entfallen – ein Zehntel aller Belieferungen. In einer Studie schreiben die Forscher: „Wird das Konzept auf die Ballungszentren in NRW angewendet, ließen sich die Stauwahrscheinlichkeit um bis zu 20 Prozent und die Schadstoffemissionen um bis zu 15 Prozent reduzieren.“ Allein die gewonnene Zeitersparnis im Verkehr, glauben die Fraunhofer-Experten, könnte in NRW das Bruttoinlandsprodukt um 500 Millionen Euro steigern.

Doch Versuche einer Bündelung erwiesen sich meist als Flop. Von den 46 City-Logistik-Projekten der vergangenen 20 Jahre wurden 38 eingestellt. Post-Chef Frank Appel gibt dafür den Städten die Schuld, die sich aus Wettbewerbsgründen nicht trauten, einen exklusiven Paketdienst zu bestimmen.

Die Fraunhofer-Forscher glauben hingegen, dass die Paketdienste selbst eine Erlösminderung fürchten. Schließlich müssten sie Zusatzkosten für ein Umpacklager tragen und dem koordinierenden Dienstleister einen Teil des Gewinns abgeben.

Niederlande als Vorbild

Im niederländischen Utrecht hat man eine Lösung längst gefunden. Dort machte die Verwaltung kostengünstig Flächen am Stadtrand für Umpackzentren frei, sorgte aber gleichzeitig mit sanftem Druck dafür, dass die Paketdienste ihre Stadtfahrten bündeln. Der Trick: Kostenfreie Lieferungen in die City gibt es für sie nur in eng begrenzten Zeitfenstern außerhalb der Stoßzeiten. Wer die ansonsten anfallenden Gebühren vermeiden will, muss seine Ladung am Umpackzentrum mit den anderen bündeln. In Zukunft sollen in der City zudem nur noch Transporteure mit alternativen Antrieben zugelassen sein, entschieden die Stadtväter vor wenigen Wochen.

In Deutschland fehlt es hingegen schon allein an geeigneten Immobilien in der Innenstadt, um von dort aus eine Kleinverteilung vorzunehmen. Statt wendiger E-Lieferwagen oder Lastenräder rangieren deshalb meist Lkws durch heimische Fußgängerzonen. 
„Es gibt noch nicht einmal eine öffentliche Diskussion darüber, wie eine solche innerstädtische Logistikimmobilie aussehen soll“, klagt Malte-Maria Münchow, Experte beim Immobilienfinanzierer Deka. Die Genehmigungen seien von Stadt zu Stadt verschieden. So erlaubte Berlin dem Versandhändler Amazon, eine Promarkt-Filiale am Kurfürsteneck zur Drehscheibe für Kurierfahrten umzubauen. In Hamburg dagegen scheiterte der Onlineversender mit ähnlichen Plänen. Dort untersagte die Bezirksbehörde, ein Bürohaus am Berliner Tor in ein Umpacklager zu verwandeln.

So müssen sich Zusteller wie UPS notdürftig helfen. Für kurze Zeit stellen sie Stahlcontainer auf Parkplätze, um sie als Umschlagstation zu nutzen. Dauerlösungen sehen anders aus.

Entsprechend schwer wird es die Nachtlogistik haben. „Darüber werden wir in Deutschland viele Debatten bekommen“, warnt Franz-Reinhard Habbel vom Deutschen Städte- und Gemeindebund. Dabei sind die Ende Oktober präsentierten Ergebnisse beeindruckend. Nirgendwo in Köln überschritten die Lieferanten die gesetzliche Lärmgrenze.

„Nicht ein Nachbar beschwerte sich“, berichtet Rewe-Logistikchefin Birgit Heitzer. Der Kölner Supermarktbetreiber habe doch eine Nachtzustellung angekündigt, erkundigten sich Anwohner bei ihr – Wochen nach dem Test. Wann es denn losgehe?

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