Rabattpolitik im Handel Blindlings in den Preiskrieg

„In einem Preiskrieg gibt es fast nie Gewinner“, sagt Georg Tacke, Chef der globalen Strategieberatung Simon-Kucher & Partner.
Düsseldorf/Hamburg Die Idee ist einfach und klingt bestechend: Statt die Rabatte wie mit der Gießkanne an alle Kunden auszuschütten und so das Preisniveau nach unten zu treiben, sollen die Nachlässe ganz speziell auf den einzelnen Kunden zugeschnitten werden. So soll er dazu gebracht werden, Produkte mitzunehmen, die er sonst nicht oder woanders gekauft hätte – und nicht Rabatte mitzunehmen bei Waren, die ohnehin in seinem Einkaufskorb gelandet wären. Doch wie kann man das umsetzen?
Der ostdeutsche Regionaldiscounter Netto hat dazu testweise eine Kundenkarte eingeführt, die alle Einkäufe des Kunden auswertet. Daraus berechnet eine Software des Dienstleisters SO1 mit Hilfe von künstlicher Intelligenz, mit welchen Rabatten er zu weiteren Käufen animiert werden könnte. Wenn er vor dem nächsten Einkauf mit der Karte im Laden an einem Scanner eincheckt, bekommt er sieben auf ihn zugeschnittene Angebote. „So können wir unsere Rabatte ganz gezielt steuern und erzielen damit den maximalen Effekt“, sagt Netto-Geschäftsführer Paul Berg.
Doch solche intelligenten Preisinstrumente sind in der Wirtschaft häufig noch eine Ausnahme. „Viele Unternehmen setzen ihre Preise im totalen Blindflug“, beobachtet Georg Tacke, Chef der globalen Strategieberatung Simon-Kucher & Partner. Ihnen fehlten die Methoden und Instrumente, um zu überprüfen, wie ihre Preissenkungen wirken. „Mehr als jede zweite Rabattaktion verbrennt nur Geld und ist damit sogar kontraproduktiv – doch viele Unternehmen merken es nicht einmal“, wundert sich Tacke.
Das Ergebnis: Die Unternehmen rutschen in einen Preiskrieg, aus dem sie nur schwer wieder herauskommen. Welches Ausmaß das in der Wirtschaft mittlerweile quer durch alle Branchen angenommen hat, dokumentiert die „Global Pricing Study 2016“ von Simon-Kucher. Danach klagen 82 Prozent aller Unternehmen über zunehmenden Preisdruck. Knapp die Hälfte sieht sich einem regelrechten Preiskrieg ausgesetzt, häufig angefeuert durch Billiganbieter.
Gefährliche Spirale
Im Großflächen-Möbelhandel beispielsweise sind Rabatte inzwischen das wichtigste Verkaufsargument. Discount-Anbieter wie die XXXL-Gruppe liefern sich mit den anderen Möbelhäusern ein stetiges Rennen um die ausgefallensten Angebote – von Mehrwertsteuer-Erstattung bis zu Pauschalrabatten. Leidtragende sind auch die Möbelhersteller, die sich seit Jahren erfolglos über diese Strategie beklagen. „Die größten zehn Händler vereinen 54 Prozent des Markts auf sich. Sie bilden ein Nachfrageoligopol, das sich allein über Rabatte definiert. Und bei der Neueröffnung des nächsten Möbelhauses gibt es wieder 60 Prozent Rabatt“, sagte Hülsta-Chef Oliver Bialowons kürzlich im Handelsblatt-Interview. Er fürchtet um seine Marke: Markenmöbel würden mit Rabatten beworben, um Kunden in die Läden zu locken und ihnen anschließend die Eigenmarken der Möbelhäuser zu verkaufen.
„In einem Preiskrieg gibt es fast nie Gewinner“, bestätigt Pricing-Spezialist Tacke. Der Wettbewerber interpretiere jede Preissenkung als Angriff, und so gerieten die Beteiligten schrittweise in eine gefährliche Preisspirale.
Wie aus dem Lehrbuch kann man das bei den Drogerien beobachten. „Wir hauen uns hier die Preise um die Ohren wie in keinem anderen Land der Welt“, schimpft Dirk Roßmann, Chef der Drogeriekette Rossmann. So senkte im August 2015 Konkurrent dm für 800 Produkte dauerhaft den Preis. Rossmann zog nach und machte gleich 900 Artikel billiger. Daraufhin reagierte die kleinere Drogeriekette Müller und drückte sogar bei 3.000 Artikeln den Preis. Das hatte Folgen auch für die Profite: Rossmann beispielsweise meldete für 2015 den ersten Gewinnrückgang seit zehn Jahren.
Nach der Erfahrung der Experten dauert es meist Jahre, aus dieser Spirale nach unten wieder rauszukommen – wenn es denn überhaupt gelingt. Besonders hart erlebt das seit Jahren die Modebranche. „Es gibt im Modemarkt quasi keinen festen Preis mehr“, sagt Carsten Lurse von der Strategieberatung Hachmeister + Partner in Bielefeld. „Beratung und direkte Verfügbarkeit der Ware sind vielen Kunden weniger wichtig als der Preis.“ Lurse beobachtet, dass „viele Marken und Händler durch die allgegenwärtigen Preisaktionen massiv unter Druck geraten, weil sie in ihren stationären Läden nicht effizient genug arbeiten“.
Bis vor zwölf Jahren waren Auswüchse wie „Supersale“, „Midseason Sale“ oder „Pre-Midseason Sale“ in Deutschland noch unbekannt. Damals gab es nur zweimal im Jahr eine Aktion, um die Lager zu räumen: Sommer- und Winterschlussverkauf, jeweils zum Ende der Saison. Doch seit 2004 ist die geordnete Rabattwelt aus den Fugen geraten, sind die offiziellen Schlussverkäufe abgeschafft. Die Folge: Der Preiskampf wird immer heftiger und länger. Hachmeister + Partner hat ausgerechnet, dass früher etwa 70 Prozent der Kollektion regulär verkauft wurden. Heute sind es manchmal nur noch 30 bis 50 Prozent.
Der Preiskrieg drückt die Margen der Modebranche. So musste etwa Gerry Weber aus Halle in Westfalen 2015 wegen der Rabattschlachten im ersten Halbjahr seine Prognose für das Jahresergebnis nach unten schrauben. „Die besten Chancen hat in einem Preiskrieg der, der die niedrigsten Kosten hat. Das Problem für deutsche Firmen ist nur, dass sie fast nie Kostenführer sind“, warnt Berater Tacke. Das bekommt der Modekonzern Hugo Boss etwa in den USA zu spüren, wo viele Großhandelspartner die Anzüge des Metzinger Unternehmens regelrecht verramschen.
„Wir werden uns den Rabattschlachten in den USA entziehen“
Doch wie kommt man aus der Falle wieder raus? Der neue Hugo-Boss-Chef Mark Langer will den Vertrieb nun stärker in die eigene Hand nehmen. „Wir werden uns den Rabattschlachten in den USA entziehen, um nachhaltig profitabel zu wachsen“, sagte er zu den Halbjahreszahlen am vergangenen Freitag. Er will das schaffen, indem er den Verkauf der Kollektionen in vielen US-Stores stoppt und künftig lieber die Flächen bei amerikanischen Handelspartnern in Eigenregie betreibt, wie schon in Asien und Europa. „Es ist machbar, aus einem Preiskrieg herauszukommen, aber nur wenige Unternehmen besitzen die Fähigkeit dazu“, sagt Pricing-Spezialist Tacke. Wichtigste Voraussetzung sei, dass sich das Topmanagement persönlich um das Thema kümmere oder es zumindest eine globale Pricing-Einheit gebe, die direkten Zugang zum Vorstand habe.
Viele Unternehmen haben das Problem durchaus erkannt, ziehen daraus aber nicht die richtigen Rückschlüsse. So sehen 87 Prozent der befragten Unternehmen in der Simon-Kucher-Studie erheblichen Verbesserungsbedarf beim Preismanagement. Nur 13 Prozent jedoch haben in entsprechende Werkzeuge und Programme investiert. Dabei sind die Ergebnisse deutlich zu sehen. So konnten die Unternehmen, die in ein besseres Preismanagement investiert hatten, um 0,6 Prozentpunkte höhere Preissteigerungen durchsetzen.
Beim Discounter Netto sind die ersten Erfolge der individuellen Rabattaktion ermutigend. In den Testfilialen nutzt schon jeder vierte Kunde die neue Kundenkarte. Jetzt will das Unternehmen kurzfristig entscheiden, ob das Programm auf alle 350 Filialen ausgeweitet wird.
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