Report Mitten in der Coronahölle: So ergeht es deutschen Start-ups in New York

Die Straßen sind leer gefegt, die Geschäfte geschlossen, die Menschen verlassen die Stadt.
New York Der Lärm der Sirenen ist allgegenwärtig. New York ist im Ausnahmezustand, das Coronavirus wütet, kaum in einer Stadt sterben so viele Menschen wie hier. Die Krankenwagen heulen rund um die Uhr, Polizisten kontrollieren im Park.
Die Sirenen hören Konstantin und Bernhard Mehl nur gedämpft. Sie sitzen im kleinen Garten ihres Reihenhauses im Brooklyner Stadtteil Bedford-Stuyvesant, tippen in ihre Laptops. Die Brüder aus Bayern sind vor ein paar Jahren mit ihren Unternehmen in die amerikanische Metropole gekommen, um hier ihr Glück zu versuchen. Seit das Coronavirus die Stadt in ein Krankenlager verwandelt hat, haben sie sich in ihrem Zuhause verschanzt.
Konstantin Mehl ist in den USA mit der Gesundheits-App Kaia Health auf den Markt gegangen. Sie bietet Telemedizin für Rückenschmerzen an. Sein Bruder Bernhard hat das Unternehmen Kisi mitgegründet, das Smart-Office-Lösungen anbietet.
Kisi verkauft seinen Kunden Lesegeräte für Eingangstüren, die dank der App auf dem Smartphone erkennen, ob jemand befugt ist, ein Bürogebäude zu betreten. Die Nachfrage war groß, im Jahr 2018 hatte es Kisi sogar in die berühmte „Inc 500“ geschafft, jene Rangliste des „Inc. Magazine“, das die am schnellsten wachsenden Unternehmen aufnimmt.
Doch während Konstantins Geschäft blüht, weil Kranke nicht mehr zur Physiotherapie können, bleiben seinem Bruder derzeit die Kunden weg. „Wir bieten Software und Hardware für Büros an. Aber heute darf keiner mehr ins Büro“, erklärt Bernhard die missliche Lage. Er hat bereits amerikanische Staatshilfen für sein Unternehmen beantragt.

Die Telemedizin des einen boomt, dem anderen brechen im Smart-Office-Bereich die Kunden weg.
Rund hundert deutsche Gründer sind in den vergangenen Jahren nach New York gekommen, um von hier aus den US-Markt zu erobern. Die Stadt schien alles zu bieten, was in Europa und in Deutschland fehlte: einen riesigen Markt mit einheitlichen Regeln, eine gemeinsame Sprache, spendierfreudige Wagniskapitalgeber und jede Menge Kontakte und Großkunden.
Doch nun, in Zeiten von Corona, bricht das alles zusammen.
Infektionen haben sich verdreifacht
Die Spannung liegt hier in der Luft, dazu kommen besorgte Anrufe der Familien aus der Heimat. Das deutsche Konsulat in New York legt den Auswanderern bereits die Heimkehr nahe. „If I can make it there, I’ll make it anywhere“ – wenn ich es dort schaffe, dann schaffe ich es überall: Der Liedtext von Frank Sinatra, die Hymne der Stadt, beschreibt, warum viele Menschen nach NYC kommen, um sich hier zu beweisen.
Doch nun ist dieser Traum für viele zum Albtraum geworden. In den vergangenen Tagen hat sich die Sterberate bei Corona-Infektionen verdreifacht. Rund 75.000 Menschen haben sich bislang laut den neuesten Daten mit dem Virus angesteckt, mit etwa 4000 Menschen starben in der Stadt fast 1500 mehr an den Folgen der Infektion als in ganz Deutschland.
New York zählt mit 149.000 Infizierten die meisten Corona-Fälle weltweit
Die Straßen und Bürgersteige in New York sind leer gefegt, die Geschäfte geschlossen, die Menschen verlassen die Stadt. Auf einmal stehen die deutschen Unternehmer mit leeren Händen da, lernen eine harsche Lektion. „Wir haben uns jetzt auf ‚Recession Proofing‘ spezialisiert“, sagt Christian Busch, der den German Accelerator in New York leitet.
Ziel des „deutschen Beschleunigers“ war es eigentlich, Start-ups zu helfen, in den USA Fuß zu fassen. Doch jetzt geht es in erster Linie darum, die Unternehmen krisenfest zu machen, ihnen durch die Rezession zu helfen. Wachstum ist jetzt nicht mehr angesagt, sondern vielerorts nur noch Schrumpfen.
Viele Gründer müssen auf einmal mit ihren Mitteln haushalten. Während sie vorher mit Millionen überschüttet wurden, ziehen sich die Wagniskapitalgeber zurück. „Die meisten Investoren konzentrieren sich nur noch auf ihr bestehendes Portfolio“, sagt Busch. „Einen kalten Anruf bei einer Venture-Capital-Firma braucht man in diesen Zeiten gar nicht erst zu versuchen. Da meldet sich keiner zurück“, ist er überzeugt.
Für viele Start-ups ist das eine völlig neue Erfahrung. Sie sind in Boomzeiten groß geworden. Geld spielte oft keine Rolle. Die Träume konnten in den USA nicht groß genug sein, um die Millionen-Investitionen zu rechtfertigen. Doch jetzt bricht alles ein. „Eines unserer Start-ups hatte sich auf Medizintourismus spezialisiert. Das Geschäft ist komplett weggebrochen“, berichtet Busch.
Auch Gründer, die sich auf B2B spezialisiert haben, verzeichnen auf einmal keine Umsätze mehr, weil die Unternehmen geschlossen sind. Bei E-Commerce-Anbietern, die sich direkt an den Endkunden wenden, sei das Bild noch gemischt: „Wer echte Bedürfnisse bedient, dem geht es in diesen Zeiten gut“, erzählt Busch. Die allerdings, die im Luxusbereich unterwegs seien, hätten Probleme.
Viele Gründer haben noch nie eine Rezession erlebt. Die meisten waren 2008 gerade einmal an der Universität. Christian Busch (German Accelerator New York)
„Viele Gründer haben noch nie eine Rezession erlebt“, gibt Busch zu bedenken. Auch nicht zu Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise, die die Banken- und Börsenstadt New York besonders hart traf. „Die meisten waren 2008 gerade einmal an der Universität.“
Deshalb verbringt der Start-up-Mentor seine Tage nun mit Videokonferenzen, in denen er mit den jungen Unternehmenschefs deren Bücher und Geschäftsmodelle durchgeht. Dabei muss er auch unangenehme Fragen stellen: Was ist, wenn der Umsatz um 70 Prozent einbricht? Was passiert, wenn die Lagerhäuser nicht mehr liefern? Braucht man wirklich 16 Leute im Vertrieb? Müssen vier Büros sein?
Busch selbst hat New York Richtung Süden verlassen. Er harrt mit seiner Frau und Tochter in einer Ferienwohnung in Playa del Carmen aus, einem Urlaubsort an der mexikanischen Karibikküste. Busch beobachtet nun aus der Ferne, was in New York geschieht. Über die Konferenzplattform Zoom hält er seine Kontakte zu Unternehmen, Kapitalgebern und Gründern. Persönliche Treffen – die gibt es schließlich in New York auch schon lange nicht mehr.
An Covid-19 erkrankt
Einer, der New York nicht verlassen hat, ist Johannes Quodt. Der Mitgründer des angesagten Edel-Sneaker-Herstellers Koio ist in der Stadt sogar an Covid-19 erkrankt. Zwei Wochen lang kämpfte der hochgewachsene Deutsche in seiner Wohnung in Downtown-Manhattan mit dem Virus, verlor seinen Geschmackssinn, litt unter Lungenschmerzen und Müdigkeit.
Ein überfülltes Krankenhaus oder gar eine Beatmung blieben ihm in diesen chaotischen Zeiten in New York zum Glück erspart. Mittlerweile ist Quodt wieder gesund, am Wochenende war er zum ersten Mal seit zweieinhalb Wochen wieder vor der eigenen Haustür. Er hat sich auch zum Blutspenden gemeldet, damit seine Antikörper schwerkranken Covid-Patienten im Zuge einer neuen experimentellen Therapie vielleicht helfen können.
Noch während er mit dem Virus kämpfte, musste er mit seinem Geschäftspartner Chris Wichert zusehen, wie der Umsatz von Koio von einem Tag auf den anderen um 70 bis 80 Prozent einbrach. „Die Leute sitzen alle zu Hause. Da brauchen sie keine neuen Schuhe“, erklärt er die Lage. „Die kaufen sich jetzt online eher Lebensmittel oder Heimtrainer.“

Kaum jemand kauft sich Luxus-Sneaker in der Krise.
Auch die vier Geschäfte zwischen New York und Los Angeles mussten sie schließen. Nur ein Vermieter ist mit der Miete heruntergegangen. Am Freitag haben die beiden staatliche Hilfen der US-Regierung beantragt. Hinzu kommt, dass Koio die Edel-Sneaker ausgerechnet in Italien fertigen lässt, das ebenfalls besonders heftig von dem Virus betroffen ist – und dessen Regierung zu drastischen Maßnahmen gegriffen hat: Die Produktionsanlagen im Land sind bis auf Weiteres geschlossen, dazu gehören auch die Fabriken, die Sneaker für Koio produzieren.
Wie ernst die Lage ist, zeigt auch, dass die Investoren jetzt jede Woche anrufen, um einen Lagebericht zu erhalten. Denen erzählen Quodt und Wichert, dass sie zum ersten Mal Sonderangebote auf der Seite haben.
Außerdem passen sie sich der neuen Homeoffice-Welt an: Noch bevor Italien alle Fabriken geschlossen hat, haben sie noch eine große Lieferung mit Koio-Filz-Hausschuhen produzieren und schicken lassen. Die gibt es nun für 58 Dollar als Carepaket mit einem Paar Baumwollsocken mit den Buchstaben WFH drauf – für „Work from Home“. Mit diesen Maßnahmen konnten sie den Umsatzeinbruch zuletzt zumindest abfedern.
Ob er es heute bereut, nach New York gegangen zu sein? „Nein, auf keinen Fall. New York kommt wieder zurück“, ist Quodt überzeugt. Außerdem hätte die Krise auch ihre Vorteile: Die italienischen Schuhhersteller, vorher undenkbar, haben jetzt gelernt, mit Zoom zu kommunizieren.
Es gibt nur weniger Unternehmen, denen es in der Krise gut geht. Ein Beispiel ist Ziggeo: Das Unternehmen von Oliver Friedmann und Mitgründerin Susan Danziger kann sich derzeit nicht über mangelnde Nachfrage beklagen.
Ziggeo entwickelt Software für Videoaufnahmen. Damit können etwa Jobvermittler oder Onlinedating-Seiten Videos von neuen Bewerbern aufnehmen oder Universitäten und Schulen ihre Tests per Videotechnik überwachen.
Bei den Jobvermittlungen und Dating-Sites lahmt das Geschäft zwar derzeit. Aber die Test-Software ist in Zeiten von Homeschooling und Heimstudium stärker gefragt denn je. „Auf unseren Servern ist der Traffic um 20 Prozent gestiegen“, beobachtet Friedmann.
Die 15 Mitarbeiter von Ziggeo arbeiten alle im Homeoffice. Friedmann selbst ist mit seiner Familie in die Hamptons – ein schicker Strandort zwei Stunden außerhalb von New York – geflohen. Von dort kontrolliert er die Firma und vermeidet jeden Außenkontakt. Schließlich sind auch die Krankenhäuser in den Hamptons schon längst an ihre Grenzen gestoßen.
Wann er wieder nach New York zurückgeht, das entscheidet der Naturwissenschaftler, der in München promoviert hat, nach Datenlage. „Da bin ich ganz Mathematiker. Ich schaue mir dauernd Modelle und Prognosen an“, erklärt er. „Sobald die Kapazitäten der Krankenhäuser die Zahl der schweren Fälle wieder übersteigen, gehen wir zurück. Vielleicht schon Ende des Monats.“

Seine Urlaubsapp MyPostcard.com nutzen viele Menschen nun, um den Großeltern einen analogen Gruß zu schicken.
Oliver Kray dagegen, der normalerweise zwischen New York und Berlin pendelt, hat die USA bereits vor drei Wochen verlassen. Der Gründer und CEO von MyPostcard.com sitzt derzeit in Berlin und wird auch so bald nicht zurückkommen.
„In New York geht ja gar nichts mehr“, sagt er. Alle seine Bekannten hätten die Stadt schon längst verlassen. Zurück nach Deutschland oder irgendwo raus aus der Stadt – in die Hamptons auf Long Island, ins Hudson Valley oder nach Pennsylvania aufs Land.
Dankeskarten per App
Probleme hat Kray trotzdem nicht. Im Gegenteil: Er kann sich in diesen Coronazeiten über eine hohe Nachfrage freuen. Mit seiner App können Kunden ihre privaten Fotos als echte Postkarte verschicken.
Was lange vor allem als Urlaubs-App genutzt wurde, erlebt dank des Virus eine ganz neue Verwendung: „Seit Mitte März beobachten wir einen Anstieg an privaten Grüßen an die Großeltern und in Italien Dankeskarten an Krankenhäuser und Ärzte“, erzählt Kray. „Eine Postkarte bedeutet den Menschen in diesen Zeiten mehr als eine WhatsApp-Nachricht.“
Auch bei Konstantin Mehl, der bei seinem Bruder in Brooklyn ausharrt, läuft das Geschäft blendend. „Telemedizin steht in Coronazeiten hoch im Kurs“, beobachtet der 31-Jährige. In Zeiten, in denen die Menschen nicht mehr rausgehen können, sind digitale Medizinlösungen stark gefragt.
Seine App Kaia Health bietet digitale Therapien für Menschen mit chronischen Rückenproblemen und anderen Schmerzen an. Sie reichen von physischen Übungen und Aufklärung über die Krankheit bis hin zu psychologischen Tricks.
Schon heute hat Kaia Health Verträge mit verschiedenen Versicherern, die zum Teil auch eigene Krankenhäuser betreiben. „Jetzt kommen auch die konservativen Versicherer auf uns zu“, beobachtet Mehl. Er schließt sogar gerade eine weitere Runde mit Venture-Capital-Investoren ab. „Das geht aber auch nur, weil sie uns schon lange kennen.“
Mehr: New York im Ausnahmezustand: Report aus einer abgeriegelten Stadt.
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