Schienenverkehr Chinas Bahn-Riese CRRC drängt nach Westeuropa – Vier Triebzüge in Österreich

Mit den vier Elektrotriebwagen fahren erstmals Züge des chinesischen Staatskonzerns in Westeuropa.
Wien Bereits seit einiger Zeit versucht der chinesische Zughersteller CRRC in Westeuropa Fuß zu fassen. Nun zahlen sich die Anstrengungen für das Staatsunternehmen aus. Österreichs private Eisenbahngesellschaft Westbahn, die auf der Strecke Wien-Salzburg Züge betreibt, wird bei CRRC vier Elektrotriebzüge mieten.
Ein altbekannter Schweizer Eisenbahnmanager spielt in diesem Geschäft eine Schlüsselrolle: Benedikt Weibel, der ehemalige Chef der Schweizer Staatsbahn SBB, ist Aufsichtsratsvorsitzender der Westbahn. Im Gespräch sagt er, dass das Angebot von CRRC „substanziell günstiger“ sei als die sonst üblichen Offerten.
Man wolle daher testen, was die Züge im Tagesgeschäft wert seien. Indem die Westbahn die Züge mietet statt erwirbt, reduziert sie das Risiko dieses Geschäfts und entlastet die Bilanz. Mehr als die meisten staatlichen Eisenbahngesellschaften muss die Westbahn auf die Kosten achten.
„Wir spüren den Druck des freien Marktes“, sagt Weibel. Vor allem aber wollen die Geldgeber der Westbahn nicht mehr ewig warten, bis sie mit dem Unternehmen endlich Geld verdienen. Über die Jahre hat die Gesellschaft Verluste von Dutzenden Millionen Euro angehäuft, was die Investoren wiederholt dazu zwang, Kapital nachzuschießen.
Das Projekt einer privaten Bahngesellschaft war 2011 vom liberal gesinnten Unternehmer und Begründer der Baufirma Strabag, Hans Peter Haselsteiner, lanciert worden. Über eine Privatstiftung besitzt er einen Anteil von 49,9 Prozent an der Rail Holding, welche die Westbahn betreibt.
Westbahn will sich mit chinesischen Zügen sanieren
Schon vor einiger Zeit hat Haselsteiner dem Management der Bahn eine „Stop-Loss-Strategie“ verordnet. Schließlich habe er, so sagte der Investor einmal, „keinen Geldscheißer im Keller“. Der Deal mit den Chinesen ist daher nur eine von vielen Maßnahmen, um die Westbahn endlich dauerhaft in die schwarzen Zahlen zu führen.
Die Westbahn ist nicht nur über Weibel mit der Schweiz verbunden. Bisher stammten auch die Züge des Unternehmens ausschließlich aus dem Nachbarland. Stadler Rail ist gleichsam Hoflieferant des Wiener Zugbetreibers. Im Herbst dieses Jahres wird er 15 Züge vom Thurgauer Hersteller übernehmen.
Schon bei dieser Bestellung war es CRRC beinahe gelungen, mit der Westbahn ins Geschäft zu kommen. Doch im Aktionariat der Westbahn regte sich angeblich Widerstand gegen den chinesischen Giganten mit seinen 180.000 Angestellten.
17,4 Prozent der Anteile an der Rail Holding gehören der staatlichen französischen Eisenbahngesellschaft SNCF. Die Regierung des Landes, in dem der große CRRC-Konkurrent Alstom ansässig ist, möchte den Markteintritt der Chinesen in Westeuropa möglichst verhindern. Und so machte sie bei der Westbahn ihren Einfluss geltend.
Stadler, Alstom und Siemens geraten unter Druck
Am Schluss bekam Stadler den Zuschlag, wobei das Unternehmen sein Angebot für die Westbahn nachbessern musste. Diese hat zudem die Züge anders als die erste Stadler-Garnitur ein paar Jahr vorher nicht gekauft, sondern least sie von der Austrian Train Finance AG, einer Firma des Stadler-Chefs Peter Spuhler.
Über die Westbahn, die an die Entwicklung des neuen Zugs von CRRC sogar beteiligt war, nähern sich die Chinesen nun den Heimmärkten der beiden westeuropäischen Großanbieter Alstom und Siemens Mobility. In Wien betreibt CRRC seit einigen Jahren eine Art europäischen Hauptsitz und streckt von dieser Schnittstelle des Kontinents die Fühler nach West und Ost aus.
Bisher war es den Chinesen allerdings nur gelungen, im Osten des Kontinents Passagierzüge zu verkaufen. Einen ersten Erfolg erzielte CRRC, als man vor wenigen Jahren Züge nach Nordmazedonien lieferte. Auch das private tschechische Transportunternehmen Leo Express hat Züge von CRRC gekauft. Diese sind allerdings bloß mit 140 und 160 Stundenkilometern unterwegs, während es die von der Westbahn gemieteten Elektrotriebzüge auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke Wien – Linz auf 200 Stundenkilometer bringen werden.
Private Unternehmen haben weniger Berührungsängste
Dabei ist es wohl kein Zufall, dass ausgerechnet private Transportunternehmen bei einem chinesischen Anbieter Züge bestellen. Sie müssen nicht nur ihre Investoren zufriedenstellen und die Kosten im Auge behalten, sondern können bei der Lieferantenwahl auch freier agieren als Eisenbahnfirmen in staatlichem Besitz. Für diese ist es wohl nach wie vor nicht opportun, sich von den traditionellen europäischen Herstellern abzuwenden.
Aber auch die Westbahn verlässt sich nicht ganz auf die Chinesen. Die Türen der Züge etwa stammen von einem österreichischen Hersteller. Mehr noch als staatliche Anbieter ist die Westbahn auf zuverlässiges Zugmaterial angewiesen.
Um den Betrieb möglichst effizient abzuwickeln und Kosten zu sparen, befinden sich die Züge der Westbahn im Dauereinsatz. Gewartet werden sie in der Nacht. Die Westbahn hält auch keine Ersatzzüge bereit für den Fall, dass eine Einheit ausfällt, etwa wegen einer defekten Tür.
Voraussichtlich nimmt die Westbahn die neuen Züge im Herbst 2023 in Betrieb. Sie benötigen noch eine Betriebsbewilligung. Es sei sehr aufwendig, diese zu bekommen, sagt Weibel. „Die europäische Eisenbahnindustrie scheint alles zu unternehmen, um die Chinesen aus Europa fernzuhalten.“
Auf welchen Strecken die CRRC-Züge zum Einsatz kommen werden, sagt die Westbahn nicht. Das Unternehmen baut sein Angebot aber aus. So sollen die neuen Züge von Stadler („Flirt 3“) von Wien über Salzburg bis München fahren. Und laut Weibel verfolgt die Westbahn die Idee, die Strecke Wien – Budapest zu bedienen. Zwei Metropolen miteinander zu verbinden sei ein verlockender Gedanke, sagt Weibel.
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