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Standortpolitik Uhrenstadt Glashütte – zwischen Aufschwung und AfD

Glashütte gilt als Beispiel für gelungenen Aufbau Ost. Wieso machen ausgerechnet dort neuerdings die „Abgehängten“ mobil? Eine Spurensuche.
20.03.2018 - 19:21 Uhr 2 Kommentare
„Lang tradierte Unternehmenswerte.“ Quelle: Glashütte
Eine Preziose von A. Lange & Söhne

„Lang tradierte Unternehmenswerte.“

(Foto: Glashütte)

Glashütte Wenn es um Glashütte geht, ist Roland Schwertner hin- und hergerissen. Mal schaut der Unternehmer voller Liebe und Bewunderung auf dieses sächsische Nest südlich von Dresden. Mal versteht er’s einfach nicht mehr, was da unten im tiefen Tal der Prießnitz los ist, die nicht mehr zu bieten hat als gelegentliche Überschwemmungen.

Er sitzt in dem großen Glasanbau des Bahnhofs von Glashütte, den er gekauft und zur Firmenzentrale umgewidmet hat. Vor ihm die neuesten Modelle seiner Uhrenmarke Nomos, deren Gründer, Chef und Haupteigentümer er ist. Ab Mittwoch wird er die Neuheiten mit seinem Team auf der weltgrößten Uhrenmesse, der Baselworld, präsentieren. Neue Umsatzrekorde sind zu erwarten. Es könnte alles so schön sein.

Glashütte, das ist ja auch ein bisschen Schwertners (Neu-)Erfindung, seit er kurz nach der Wende hier herüberkam, ein noch junger Düsseldorfer Buchhalter und EDV-Berater, um die ebenso alte wie völlig ruinierte Uhrmacher-Tradition des Standortes wiederzubeleben. Glashütter Uhrenbetriebe (GUB) hieß das DDR-Unternehmen, das dieses Erbe am Ende kaum noch verwaltete und erst recht nicht vorantrieb.

Dabei reicht die Geschichte des Standorts bis ins Jahr 1845 zurück. Damals begann ein gewisser Ferdinand Adolph Lange unter den Augen der königlich-sächsischen Regierung in Glashütte, Taschenuhren zu bauen, nachdem er sich vorher überall auf der Welt Inspirationen geholt hatte.

Das Tal erlebte einen Boom, immer neue Marken siedelten sich an, bis nach zwei Weltkriegen, Bombardement, russischer Besatzung und DDR im Jahr 1989 von der guten alten Zeit nicht viel mehr übrig war als ein paar marode Fabriken und ein bisschen nostalgisch-verklärte Erinnerung.

Auferstanden aus den Ruinen

Auferstanden aus Ruinen ist dann zunächst Schwertners Nomos, als neue Marke mit altem Namen und der Idee, Feinmechanik made in Germany in Bauhaus-Design zu verpacken. Nomos wurde als unprätentiöse Uhr schnell eine Art Must-Have für den deutschen Gymnasiallehrer und Abteilungsleiter. So erfolgreich, dass schnell auch große Uhrenkonzerne aus der Schweiz die Kraft von Glashütte entdeckten:

Aus dem alten Volkseigenen Betrieb GUB sicherte sich der Swatch-Konzern die Marken Glashütte Original und Union Glashütte. Das Luxuskonglomerat Richemont übernahm die kostbarste Marke, A. Lange & Söhne.

Viele Millionen wurden investiert, neue Ateliers gebaut, schicke Zentralen eröffnet, Uhrmacher angelockt oder gleich vor Ort ausgebildet. Der Hamburger Juwelier Wempe renovierte liebevoll die alte Sternwarte oben auf dem Hügel, Tutima kaufte sich im Stadtzentrum ein. Moritz Grossmann (eine neue Marke, die an einen Uhrenfabrikanten aus dem 19. Jahrhundert erinnern soll) inszeniert sich in strahlendem Neubau am Hang.

Mittlerweile tummeln sich zehn Marken in Glashütte, das längst als Beispiel für gelungenen Aufbau Ost taugt. Hier werden sogar Uhren gebaut wie die Grand Complication von A. Lange & Söhne, die mehr kostet, als die meisten Leute in ihrem ganzen Leben verdienen – nicht nur in Sachsen.

„Glashütte kommt mir ein bisschen vor wie die Schweizer Uhrenindustrie in klein: die Licht- wie die Schattenseiten“, sagt Nomos-Mann Schwertner. „Positiv ist die große Tradition hier, die dazu führt, dass jede Marke, die startet, sich in ihrem Segment auch wirklich besondere Mühe gibt. Positiv ist auch, dass Glashütte für Made in Germany und hiesige Ingenieurskunst steht.“ Dass „Swiss Made“‧ global immer noch vorne liegt, sei „schlichter Zufall“.

Toll findet er zudem, dass das breite Cluster aus unabhängigen Kämpfern wie Nomos und großen Konzernen, Zulieferern und Uhrmacher-Schulen „am Ende allen hilft. Und positiv ist durchaus auch, dass man hier günstiger produzieren kann als in der Schweiz. Rein theoretisch hat Glashütte also echte Wettbewerbsvorteile.“

Aber dann kam die letzte Bundestagswahl. Und seither ist in Glashütte nichts mehr, wie es vorher vielleicht auch schon nicht war. Der Grund: Die AfD hat in Sachsen atemberaubende Ergebnisse eingefahren. Mit 25,4 Prozent der Wählerstimmen lag die Rechtspartei weit vorn, woraufhin CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich seinen Rücktritt erklärte.

Schlimmer noch: Glashütte liegt im Wahlkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, wo die einstige AfD-Chefin Frauke Petry mit 37,4 Prozent alle anderen klar hinter sich ließ und das Direktmandat holte. Und am allerschlimmsten: Auch in Glashütte selbst wählte mehr als jeder Dritte die AfD.

Und das trotz wirtschaftlichen Aufschwungs, hoher Gewerbesteuereinnahmen, kaum existenter Arbeitslosigkeit und eines gemeinsamen Auftrags als „Stadt der Uhren und Feinmechanik“ (Glashütte über Glashütte), die für Weltoffenheit und Toleranz steht. Bereits während der Flüchtlingskrise 2015 reagierten sie bei Nomos mit einem Transparent am Firmeneingang: „Wir ticken international.“ So was provoziere dann zwar „gern mal einen Shitstorm aus dem AfD-Lager, aber das ist es uns wert“, sagt Schwertner.

Den sonst so fröhlichen Sponti haben die Wahlergebnisse nun schlicht „entsetzt. Sie bedrohen das Image von uns allen hier. Es gab sogar schon Stornierungen.“ Angeblich fragten manche Kunden, ob ihre schöne mechanische Uhr neuerdings von Nazis zusammengeschraubt werde. Die Unruhe war jedenfalls groß. Bei allen.

„Abends werden hier die Bordsteine hochgeklappt.“ Quelle: Nomos
Blick auf Glashütte

„Abends werden hier die Bordsteine hochgeklappt.“

(Foto: Nomos)

Kim-Eva Wempe sagt: „Solche Wahlergebnisse tun weder Glashütte noch Dresden oder dem Land Sachsen gut. Aber ich frage auch zu Hause in Hamburg meine Leute nicht, was sie gewählt haben. Das ist deren Privatsache … In Glashütte selbst stellt sich das für mich so dar: Da nörgeln ein paar wenige gegen die Erfolge des ganzen Ortes und wünschen sich eine gute, alte Zeit zurück, die es so nie gab.“

Thomas Meier, Chef von Glashütte Original, erklärt: „Internationalität ist nicht nur für uns als Marke, sondern auch für den Standort Glashütte ein essenzieller Erfolgsfaktor sowie wichtiger Bestandteil des Tagesgeschäfts. Unsere Produkte sind unpolitisch, und wir freuen uns darüber, Kunden weltweit ‚Engineering made in Germany‘ ans Handgelenk legen zu dürfen.“

Ute Delecate von Tutima flankiert, dass ihre Marke „international in vielen Märkten erfolgreich ist. Grenzenlose Freiheit und Weltoffenheit sind dafür Grundvoraussetzungen – und auch Teil unserer Geschichte: Nur durch den Fall der Mauer konnte Tutima wieder nach Glashütte zurückkehren. Das prägt und verpflichtet.“

Und Wilhelm Schmid, CEO bei A. Lange & Söhne, sagt: „In erster Linie bauen wir Uhren und machen keine Politik. Mich persönlich stört das starke Abschneiden der AfD bei der letzten Bundestagswahl sehr.“ Er beschäftige „Mitarbeiter mit 20 verschiedenen Nationalitäten. Damit entsprechen wir unseren lang tradierten Unternehmenswerten wie Weltoffenheit, Toleranz oder kultureller Aufgeschlossenheit.“ Schmid ist persönlich richtig sauer.

Sie alle beschwören, beschwichtigen oder beschimpfen. Nur erklären kann das Rechts-Problem so richtig niemand von ihnen. Aber vielleicht liegt das daran, dass sie alle keine Glashütter sind. „Das Verrückte ist: Die messbare Entwicklung von Glashütte zeigt eindeutig nach oben, die emotionale leider eher nach unten“, sagt Bürgermeister Markus Dreßler, der sich im Stadtrat auf eine breite CDU-Mehrheit stützen kann. Noch.

Die AfD-Erfolge haben auch ihn „erschüttert“, sagt er. „Die Stimmung bei den Leuten ist schlechter als in den schweren Jahren des Umbruchs, als Arbeitslosenzahlen und Ungewissheit hier eigentlich viel größer waren.“ Dieser Kontrast lasse sich „nur schwer erklären, hat aber sicher vor allem auch mit Entwicklungen auf der nationalen und globalen Bühne zu tun“, glaubt Dreßler.

Er umschreibt damit höflich, was an Unsicherheiten und Ängsten auch und gerade eben in einem eher wohlhabenden Städtchen wie Glashütte ankommt: das Säbelrasseln in Peking, Moskau oder Washington, aber ebenso das allgegenwärtige Disruptionsgeschrei und natürlich Themen wie die Flüchtlingskrise.

Millionen investiert. Quelle: picture alliance / Andreas Frank
Firmengebäude vonA. Lange & Söhne

Millionen investiert.

(Foto: picture alliance / Andreas Frank)

Dazu kommt noch ein ganz anderer Zeit-Geist: „Abends werden in Glashütte die Bordsteine hochgeklappt“, sagt Uwe Streller, Chef einer kleinen Elektrofirma. „Die Bürger haben fast nichts von der florierenden Uhrenindustrie. Klar, der Ort hat dank der Gewerbesteuereinnahmen einen sehr guten Haushalt – aber damit sollte man den Leuten auch was zurückgeben. Und da meinen wir nicht große Parkhäuser für die Unternehmen, sondern kulturelle Vielfalt – von der netten Kneipe bis zum Stadtbad.“

Streller sagt: „Früher gab’s das hier alles.“ Heute gibt es ein Uhrenmuseum, aber nicht mal ein Café, und die Döner-Bude macht spätestens um 21 Uhr dicht. Streller ist Anhänger einer Wählervereinigung namens „Zeitlos“. Ihr Kandidat hätte bei den letzten Bürgermeisterwahlen aus dem Stand fast die absolute Mehrheit errungen. Sie seien gar nicht gegen die Uhrenindustrie und weder schwarz noch rot oder gar braun – nur bürgernah.

So ist „Zeitlos“ eine Macht geworden in Glashütte, ihre Anhänger kommen von rechts bis ganz links. Auch deshalb sind sie skurrilerweise die Hoffnung der Uhren-Industrie. Die „Zeitlosen“ kann man eher verkraften als die AfD, die in Glashütte bisher nicht direkt aktiv wird. Bisher. „Der hohe AfD-Anteil war letztlich ein Denkzettel der Glashütter und ein Warnschuss“, glaubt Uwe Streller.

Und wenn man ihm so zuhört, klingt in seiner Klage nicht nur Abgehängtsein-Larmoyanz durch, sondern vor allem der Ärger darüber, dass aus seiner Heimatstadt eine Art Disneyland für Freunde der Haute Horlogerie geworden ist. Ein Potemkin’sches Dorf, das immer weniger zum Leben taugt. Das wird man doch noch sagen dürfen, findet er.

So ist Glashütte vielleicht ökonomisch die Schweiz in klein und politisch Deutschland en miniature. Die Uhrmacher, ihre Manager – die meisten von ihnen fahren abends nach Dresden. Oder sie kommen wie Nomos-Chef Schwertner eher mal zu Besuch aus Berlin, wo er lebt. Sie sind die Gewinner. Die Verlierer bleiben in Glashütte. Und ist das momentan nicht überall so? Die einen sind Sieger, die anderen fühlen sich verloren, abgehängt, unverstanden. Beide Seiten haben durchaus Argumente, reden aber zu wenig, um einander zu verstehen. Je besser es ihnen geht, umso mehr haben alle zu verlieren.

Ist Glashütte nicht auch da symptomatisch für den Rest der Republik? Wie hätte sich Ferdinand Adolph Lange positioniert, der für viele bis heute eine Art Schutzheiliger sächsischer Wirtschaftspolitik ist?

„Anspruchsvoller Markt.“ Quelle: Oliver Killig für Handelsblatt
Arbeit in der Manufaktur von Grossmann Uhren

„Anspruchsvoller Markt.“

(Foto: Oliver Killig für Handelsblatt)

Der Konflikt ist noch nicht ausgestanden, zumal ein weiteres Problem dazukommen könnte: dass selbst die verwöhnte Uhrenindustrie abrutscht. „Das Wachstum früherer Jahre ist heute nicht mehr zu erwarten“, sagt Bürgermeister Dreßler. „Es wird für die Marken nicht einfacher, denn der Markt ist anspruchsvoll geworden.“

Auch Nomos-Mann Schwertner ahnt: „Seit geraumer Zeit kriselt die Branche, und entsprechend wird es einen Verdrängungswettbewerb geben, den nicht alle Marken überleben werden – in der Schweiz wie in Glashütte. Es gibt zu viele Marken, und der Markt wächst nicht mehr. Also wird es eine Konzentration geben.“ Und was dann? Wenn es Glashütte irgendwann sogar ökonomisch nicht mehr so glänzend geht?

Das mit dem Denkzettel hat jedenfalls gesessen. Bei Nomos erwägen sie, demnächst politische Workshops anzubieten für die Beschäftigten – gemeinsam mit der Uni Dresden. Auch andere Firmen sollen mitmachen. Es geht um Bewusstsein. Um Argumente. Ums Miteinanderreden. Ums Verstehen. Also um alles.

Das Gute daran: Vielleicht könnte Glashütte auf diese Weise mal ein ganz neues Beispiel werden für den Aufbau Ost.

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2 Kommentare zu "Standortpolitik: Uhrenstadt Glashütte – zwischen Aufschwung und AfD"

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  • Vielleicht alles mal eine Frage der Sichtweis und Ansporn zur Handlung.

    JA so (sehr) vieles von der AfD geht gar nicht; Die sogenannte Alternativlosigkeit, welche Menschen des Ausschwungs, der Veränderung, vorgegaukelt wird, geht aber irgendwann auch nicht mehr.

    Es liegt doch an uns allen, etwas zu verändern, jegliche Sichtweisen zu diskutieren und vor allem ernst zu nehmen. Statt dessen wurde „sie“ (Sichtweis & Mensch) in eine Ecke gestellten - auf Dunkel titulieren und damit dieses Bild, auch durch die hiesige Presse, im Ausland zu erzeugt, über einen Zustand den wir vor über 70 Jahren überwunden haben. Erinnerung ist wichtig, Verhinderung ein Grundgedanke – polarisieren eher nicht.
    Wahlen sind auch Ausdruck der gelebte Veränderung, damit hat der „Ostbürger“, wenn nicht Nutznießer des Ostsystems, mehr Erfahrung als der „Westbürger“ – der glaubt die Veränderungen, wie man es im Osten vor 89 auch dachte, einfach aussitzen zu können.

    Damit kann man nur sagen – nicht warten, nicht Alternativlosigkeit hinnehmen, sondern von unten & oben verändern. Das bedeutet aber ggf. auch ein anderes Verhalten & Aussagen des „neuen“ Managements in der Region.

  • Mühle Glashütte:
    Kleine Ergänzung zur Markenübersicht:
    "Zufällig" vergaßen Sie -im Unterschied zu den anderen genannten- die Inhaber bei Mühle Glashütte, die seit Jahrhunderten und auch heute ortsansässige Familie Mühle (1896 Robert, heute Thilo Mühle) zu nennen.

    https://www.muehle-glashuette.de/muehle-glashuette/geschichte/

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