Swarovski-Chef im Interview „Wachstum finanzieren wir aus eigener Kraft“

„In einem Familienunternehmen treffen das sozialistische System Familie, das kapitalistische System Eigentum und das System Unternehmen zusammen“, sagt Markus Langes-Swarovski.
Wer die Zentrale des Swarovski-Konzerns in Wattens bei Innsbruck betritt, der muss durch ein Spalier aus Kristall-Vorhängen. Mehrere Hundert Glassteine aus eigener Produktion sind dort zu wallendem Dekor verarbeitet. Der Chef des Milliardenunternehmens arbeitet in der oberen Etage, in einem weithin gläsernen Büro, das großzügig den Blick auf die umliegenden alpinen Gipfel freigibt. Markus Langes-Swarovski, der Europas größte Schmuckfirma in fünfter Generation leitet, begrüßt im warmen Tonfall seiner Tiroler Heimat. Der CEO ist 42 Jahre alt, mittelgroß und sehr schlank. Er trägt an diesem heißen Frühsommertag ein weißes Hemd zu dunkelblauer Hose. Das Jackett hat er auf einem der weißen Stühle abgelegt. Wie überhaupt die Farbe Weiß seine Umgebung dominiert: Schreibtisch, Wände, Fußboden – alles hier wirkt elegant, sehr stylish würde man auf Neudeutsch wohl sagen.
Herr Langes-Swarovski, was halten Sie vom Brexit-Votum der Briten?
Ich persönlich bedauere das Ergebnis des Referendums. Der formalisierte Zusammenhalt innerhalb der EU bietet aus meiner Sicht im globalen Wettbewerb große Vorteile.
Was heißt das für die Zukunft?
Als Unternehmen wissen wir, dass die Veränderungen um uns herum signifikant bleiben werden. Das ist die neue Normalität und etwas, mit dem wir umgehen müssen und worauf wir uns einstellen. Dazu zählen auch Entwicklungen wie der Brexit.
Neben der Bewältigung dieser neuen Normalität: Was würden Sie als Ihre herausforderndste Aufgabe beschreiben: Die Billigkonkurrenz aus Asien abzuwehren? Die Marke zu pflegen? Oder die weitverzweigte Familie zusammenzuhalten?
Familienangelegenheiten sind ja immer komplex. Aber noch komplexer ist es sicher, die Transformation zu bewerkstelligen. Wir waren im Kristallgeschäft bis 2008 ein Quasimonopolist. Und dann gab es plötzlich eine Explosion des Wettbewerbs, getrieben durch extrem billige Anbieter aus Fernost.
Wie haben Sie die Situation gemeistert?
Das war schwierig, und ist es bis heute. Unsere gesamte Produktion war ausgelegt auf einen Volumenmarkt. Wir mussten flexibler und agiler werden. Die Kunden verlangten immer schneller nach neuen Kollektionen, diese aber in kleineren Stückzahlen. Der Hebel über Skaleneffekte verlor an Wirkung. Wir brauchten entsprechend neue Prozesse, neue Maschinen und eine neue Denke.
Würden Sie sagen, dass diese Transformationsphase inzwischen abgeschlossen ist?
Nein, das ist sie noch nicht. Die Transformation des Kristallkomponentengeschäfts greift, aber wir sind noch nicht wieder auf einem nachhaltigen Wachstumskurs. Gerade das erste Halbjahr 2016 hat das gezeigt. Als Gesamtunternehmen legen wir bei Ergebnis und Umsatz zu, aber nicht so stark, wie wir uns das vorgenommen hatten. 2015 hatten wir Erlöse von 2,6 Milliarden Euro im gesamten Geschäftsbereich Kristall. Wir haben rund 6 Prozent Wachstum in diesem Jahr geplant. Das werden wir wohl knapp nicht schaffen.
Was bedeutet das für die Finanzkraft von Swarovski?
Wir haben nie wirklich Fremdkapital gebraucht. Und das soll auch so bleiben. Die Swarovski-Gruppe finanziert Wachstum aus eigener Kraft. Das würde im Übrigen auch für Zukäufe gelten. Unsere finanzielle Autonomie – so lautet unser Modus Operandi, eine Art Grundgesetz der Familie – hat uns auch durch die wirklich schweren Jahre 2008 und 2009 getragen.
Woher kamen in diesen schwierigen Jahren die finanziellen Mittel für den Konzernumbau?
Wir hatten glücklicherweise schon Jahre zuvor unsere Vertriebsstruktur geändert und aus Swarovski eine echte Marke geformt. Heute finden Sie unsere Produkte in über 170 Ländern in mehr als 2.680 Boutiquen, von denen wir knapp über die Hälfte selbst betreiben. Die Einnahmen aus dem Handel haben extrem geholfen, den Kostendruck in der Produktion abzufedern.
Aber dieser Kostendruck wird doch nicht nachlassen – oder?
Wahrscheinlich nicht. Deshalb müssen wir unsere Marke weiter ausbauen. Neben Schmuck, Accessoires, Beleuchtungs- und Interieurlösungen werden wir neue Anwendungsfelder für unsere Kristalle erschließen. Diese sind glücklicherweise sehr kontextfreudig. Vom Designerkleid bis hin zur Bühnenausstattung der Oscar-Verleihung – all das machen wir schon und künftig noch mehr. Vor allem wollen wir mit Topkunden wie etwa Dolce & Gabbana bei Spezialaufträgen noch enger zusammenarbeiten und unser Profil als Manufaktur schärfen, ein Stückchen zurück zu den Wurzeln also.
Diese Wurzeln reichen zurück auf den Gründer Daniel Swarovski, einen Einwanderer aus Böhmen, der 1895 das Unternehmen im Tiroler Inntal gegründet hat. Inzwischen gehört die Swarovski-Gruppe über 70 Familiengesellschaftern aus fünf Stämmen, die als Kommanditisten fungieren. Ist das nicht schwierig, derart viele Interessen zu vertreten?
In einem Familienunternehmen treffen das sozialistische System Familie, das kapitalistische System Eigentum und das System Unternehmen zusammen, in dem Meritokratie gelten muss – das macht es spannend, aber auch komplex. Ein gutes Familienunternehmen zeichnet sich dadurch aus, dass es diese unterschiedlichen Interessen austariert.
Würden Sie sagen, dass Ihr Unternehmen auch in Governance- und Compliance-Fragen schon gut ist? Immerhin kontrollieren Sie sich in Ihrer Doppelfunktion als Mitglied der Geschäftsführung und des Beirates selbst. Zudem sind beide Gremien ausschließlich mit Mitgliedern der Familie besetzt.
Ich kann mir künftig auch familienfremde Aufseher und Geschäftsführer vorstellen. Außerdem soll es keine Doppelfunktionen mehr geben.
Wann wollen Sie diese Umstellungen vollziehen?
Dazu müssen wir innerhalb der Familie einen Konsens herstellen. Wir beschäftigen uns laufend und intensiv damit. Am Ende muss in der Gesellschafterversammlung Einigkeit erzielt werden.
Wie wollen Sie diese breite Zustimmung erreichen?
Da ist viel Überzeugungsarbeit nötig. Sie müssen die emotionalen Schwingungen in Mehrgenerationenfamilien berücksichtigen. Außerdem hat das Unternehmen in dieser Struktur gut über viele Jahrzehnte funktioniert. Warum also etwas ändern, werden sich viele fragen. Neben den fachlichen Argumenten, die für eine künftige Trennung sprechen, weise ich dann gern auf Giuseppe Tomasi di Lampedusas berühmtes Zitat aus dem „Leopard“ hin: „Alles muss sich ändern, damit alles so bleiben kann, wie es ist.“
In der Krise 2008/2009 musste Swarovski viele Arbeitsplätze abbauen. Hat das Spuren in der Firma und am Standort hinterlassen?
Das war schon besonders schmerzhaft, da die Swarovski-Gruppe – heute mit mehr als 6600 Mitarbeitern und davon 4800 Arbeitsplätzen allein hier in Wattens – größter privater Arbeitgeber im Bundesland Tirol ist und wir uns unserer Herkunft sehr verpflichtet fühlen. Dazu gehört es auch, hier in Tirol zu investieren – obgleich die Kosten besonders im Vergleich zu vielen ausländischen Standorten relativ hoch sind.
Ein Beispiel, bitte.
Wir werden bis 2020 rund 500 Millionen Euro in die Tiroler Standorte der Swarovski Gruppe investieren. Der größte Anteil entfällt auf den Kristallbereich in Wattens. Zudem unterhalten wir mit der Gemeinde Wattens seit Ende 2015 in frei gewordenen Produktionsstätten von Swarovski ein Gründerzentrum. Dort haben sich bereits junge Unternehmer angesiedelt und wir wollen damit die Gründungsrate im Land fördern. Dazu ist es uns gelungen, eine Niederlassung der Fraunhofer Gesellschaft zu uns auf den Campus zu holen. All das wird zu einer nachhaltigen Entwicklung der gesamten Region beitragen.
Hehre Absichten, der Swarovski-Chef als Wohltäter?
Nicht ausschließlich. Es ist wichtig altruistisch zu beginnen, um einen speziellen Typ stärker anzuziehen, dessen Profil nicht unmittelbar in Abhängigkeit zu Swarovski steht. Umgekehrt können wir von neuen Forschungserkenntnissen etwa bei Produktionsprozessen und -techniken profitieren. Wenn man sich vernetzt und zusammenarbeitet, kommt am Ende ein Vielfaches dabei heraus.
Herr Langes-Swarovski, vielen Dank für das Interview.
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