Systemgastronomie Vom Bäcker zum Snacker – Wie sich Backwerk neu aufstellt

Backwerk in neuem Design. Speisen werden vor Ort frisch zubereitet.
Foto: Backwerk
Essen So mancher mag bei Backwerk immer noch an karge Filialen mit Brötchen und Gebäck zum Discountpreis denken. Doch die 350. Filiale in Bochum kommt wie ein hippes Bistro daher. Selbstbedienung ist geblieben, aber auf zwei gläsernen Etagen mit mehr als 100 Sitzplätzen gibt es neben belegten Brötchen unter anderem warme Focaccia, Salate und frisch gepresste Säfte und Smoothies.
Ein Kaminofen soll zum Entspannen einladen. Beim Design der Filialen habe Backwerk einen deutlichen Schritt nach vorne gemacht, meint Michael Lidl, Gastronomie-Experte von Treugast.
In Bochum wie im neu eröffneten Backwerk „Deli“ in Moers können die Kunden erstmals auch das Zubereiten der Speisen beobachten. „Jeder soll merken, dass wir das Essen vor Ort frisch machen: von der Suppe bis zum Wrap“, sagt Karl Brauckmann, Deutschland-Chef von Valora Food Service, der Schweizer Mutter von Backwerk und Brezelbäcker Ditsch. Schließlich arbeiten im Schnitt zehn Mitarbeiter pro Filiale, bislang war nur der Kassierer sichtbar.
Der SB-Bäcker Backwerk hat sein Geschäftsmodell komplett geändert. Die Essener wollen weg vom Image des Billigbäckers und sich noch stärker als Backgastronom präsentieren. Nun geht Backwerk den nächsten Schritt: mit eigenen Läden in Tankstellen.
Die ersten Testläden in Esso-Filialen in Köln und Frankfurt starten gerade, sagte Brauckmann. „Unsere Qualität, Vielfalt und Preispositionierung ermöglichen es, neue Kunden zu erschließen, die Tankstellen aufgrund mangelnder Kulinarik und zu hoher Preise bisher eher gemieden haben”, hofft er.
Ein Grund für die Tankstellenshops ist offenbar, dass Backwerk an seinen jetzigen Standorten an Grenzen stößt. Der Ausbau von Backwerk in Innenstadtlage sei „aufgrund rückläufiger Frequenz“ niedriger ausgefallen als ursprünglich angenommen, berichtete Valora in einem Investoren-Papier. Wachstum erhofft man sich durch neue Standorte wie an Tankstellen oder „Shop-in-Shop“-Auftritte.
Backwerk selbst hatte vor Jahren die deutsche Bäckerzunft disruptiert. „Backwerk gehört zu den Pionieren, die als erste unverpacktes frisches Brot in Selbstbedienung angeboten haben“, bestätigt Armin Juncker, Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Großbäckereien. Das erste Backwerk mit Backwaren zu Kampfpreisen gab es in der Düsseldorfer Nordstraße. Ein Gründerpaar hatte rund zehn Filialen aufgebaut, die aber nicht so recht liefen.
Zwei frühere Roland-Berger-Berater, Hans-Christian Limmer und Dirk Schneider, kauften und sanierten Backwerk und expandierten rasch über Franchising. Das Konzept florierte und setzte das traditionelle Bäckerhandwerk unter Druck. Denn immer mehr Nachahmer wie Backkönig, Backexpress oder Back-Factory boten Günstig-Backwaren zum Selbstbedienen.
Neues Konzept geht auf
„Das Geschäftsmodell funktionierte gut, bis Supermärkte und Discounter mit Backstationen nachzogen. Viele Kunden dachten: Dann kann ich mein frisches Brot gleich beim Discounter holen“, so Juncker. „Als Aldi 2010 den ersten Backautomaten in Ravensburg aufstellte, wussten wir: Unser Kaiserbrötchen für 13 Cent funktioniert nicht mehr, wenn man es für 9 Cent bei Aldi bekommt“, so Brauckmann.
Backwerk reagierte schnell und wollte sich mit belegten Brötchen und Coffee-to-go sich zum Backgastronom wandeln. „Die Discounter sind nicht wie wir am Bahnhof und können keine Brötchen vor Ort frisch belegen“, so Brauckmann, Studienfreund der Berger-Berater und seit 2004 mit an Bord. „Wir wussten, dass der Wandel nötig war, aber nicht, wie schwierig es würde.“ Fast alle anderen SB-Discount-Bäcker bis auf Back-Factory, Tochter von Großbäcker Harry Brot, verschwanden vom Markt.
Das neue Konzept ging auf. Derzeit arbeiten 3000 Menschen bei Backwerk, der Außenumsatz lagt 2017 bei rund 210 Millionen Euro. „Backwerk verdiente immer Geld, auch in Zeiten des Umbruchs“, versichert der Geschäftsführer. Schließlich lassen sich mit belegten Brötchen für 1,50 Euro höhere Margen erzielen als mit unbelegten für 20 Cent.
Heute macht Backwerk nur noch acht Prozent seines Geschäfts mit „unveredelten“ Backwaren. Zudem werden Snacks den ganzen Tag über gekauft und nicht nur morgens wie Brötchen. „Die Fixkosten wie Miete werden deutlich wirtschaftlicher auf mehrere Geschäftszeiten verteilt“, sagt Michael Lidl, geschäftsführender Partner der Beratung Treugast Solution Group.
Doch nicht nur Backwerk stieß in diese lukrative Marktlücke. „Teilweise mit Bedienung, schickerem Interieur und Café-Ambiente geben sich die Discount-Bäckereien ein gehobeneres Image“, beobachtet Juncker. Die Filialen sitzen bewusst in publikumsstarken 1A-Lagen. Sie profitierten dabei von veränderten Essgewohnheiten, dem Trend zu belegten Brötchen etwa.
In deutschen Innenstädten und Bahnhöfen ist das Angebot von Snacks-to-go heute fast unüberschaubar. Kamps, Rewe-to-go, Dean & David, Crobag oder Yorma‘s konkurrieren um hungrige Passanten. Kamps mit rund 450 Filialen erprobt derzeit mit Kampus ebenfalls ein SB-Konzept etwa am Bahnhof Duisburg. „Der Wettbewerb ist extrem hart“, sagt Brauckmann. „Wir müssen uns durch Sortiment und Lage abheben.“
Synergien erhofft sich Backwerk nun durch das Zusammenrücken mit Brezelbäcker Ditsch. Beide gehören zur börsennotierten Valora-Gruppe, die durch Kioske (K Kiosk), Zeitungs- (Press & Books) und Tabakläden (Cigo) bekannt ist. Die Holding machte zuletzt 2,7 Milliarden Franken Umsatz.
Backwerk plant bis zu 100 neue Filialen
Ditsch aus Mainz, der gerade 100. Geburtstag feiert, wurde bereits 2012 für geschätzte 350 Millionen Franken an Valora verkauft. Backwerk, das 2014 an den Finanzinvestor EQT ging, wurde 2017 von den Schweizern übernommen.
Gerade wurden Einkauf, Buchhaltung, Produktentwicklung, Logistik, Standortbetreuung und Hygieneuntersuchung von Backwerk und Ditsch in Essen zusammengelegt, was Berater Lidl für sinnvoll hält. Dabei fielen etwas mehr als 20 Stellen weg. Rund 120 Mitarbeiter von Valora Food in Essen arbeiten nun gemeinsam an neuen Produkten. „Heute entwickeln wir eine Spargelpizza für Ditsch und morgen einen Fruchtsalat für Backwerk“, so Brauckmann.
Seit kurzem kauft Backwerk bei Schwester Ditsch ein, als wichtigster Einzelkunde. Die Produktion von Ditsch bleibt eigenständige Einheit in der Valora-Gruppe. Im brandenburgischen Oranienbaum werden die Kapazitäten gerade für 40 Millionen Euro um ein Fünftel ausgebaut.
Ditsch ist mit rund 700 Mitarbeitern Weltmarktführer für Laugengebäck. Das wird nicht nur in den mehr als 200 Filialen in Backautomaten frisch gebacken, sondern auch als Tiefkühl-Gebäck in 36 Länder exportiert. Auch im eigenen US-Werk in Cincinnati entsteht derzeit eine zusätzliche Linie. „Allerdings ist Ditsch mit Laugengebäck sehr viel fokussierter aufgestellt als Backwerk“, so Brauckmann.
Backwerk ist außerhalb Deutschlands in den Niederlanden und Österreich präsent. Dort wollen die Essener weiter wachsen. Aber auch die Schweiz sei ein interessanter Markt. Bis 2025 soll es insgesamt 425 bis 450 Filialen geben.
„Dabei kann es auch vorkommen, dass wir Standorte schließen, die nicht profitabel wirtschaften“, betont Brauckmann. Nach der Zusammenlegung mit Ditsch wäre es nun auch möglich, kleinere Marken zuzukaufen und über Franchising schnell zu verbreiten.
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