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Tarifstreit bei der Bahn „Lassen uns nicht vorschreiben, wie lange ein Arbeitskampf geht“ – Bahn unterliegt GDL erneut

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Konzerns zurückgewiesen. Für die Bahn ist es nun kaum noch möglich, die Streiks juristisch zu stoppen.
03.09.2021 Update: 03.09.2021 - 14:59 Uhr 1 Kommentar
Die Lokführer-Gewerkschaft will ihren Streik bis Dienstagfrüh fortsetzen. Quelle: dpa
Claus Weselsky

Die Lokführer-Gewerkschaft will ihren Streik bis Dienstagfrüh fortsetzen.

(Foto: dpa)

Frankfurt Der Lokführerstreik kann nach einem Gerichtsbeschluss wie geplant bis Dienstagmorgen weitergehen. Das hessische Landesarbeitsgericht teilte am Freitag mit, es habe die Berufung der Deutschen Bahn zurückgewiesen, mit der der Staatskonzern den Arbeitskampf der Lokführergewerkschaft GDL stoppen wollte.

Die Bahn wirft der Gewerkschaft vor, mit dem Streik nicht nur bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen zu wollen, sondern auch politische und rechtliche Ziele zu verfolgen. Richter Peter Gegenwart erklärte, es habe durchaus Bedenken in einigen Punkten gegeben. Dies habe aber als Begründung nicht ausgereicht, um der Berufung stattzugeben.

Die GDL werde den Streik nun bis zum geplanten Ende am Dienstag um 2 Uhr fortsetzen, sagte der Vorsitzende Claus Weselsky am Freitag. „Wir lassen uns von niemandem vorschreiben, wann und wie lange ein Arbeitskampf geht.“ Der Streik sei rechtmäßig, zulässig und verhältnismäßig, sagte Weselsky im Gericht. „Wir sind sehr erleichtert, dass wir recht bekommen haben in einem gerechten Arbeitskampf.“

Der Personalchef der Bahn zeigte sich dagegen enttäuscht. „Wir haben im Interesse unserer Kunden alles unternommen, damit die GDL ihre Blockade der Tarifverhandlungen aufgibt“, sagte Martin Seiler. Das Arbeitsgericht Frankfurt habe am Donnerstag dringend zu einer gütlichen Einigung aufgerufen. „Aber auch dieser Appell der Richter verhallte bei der GDL-Spitze.“

Das Management war am späten Donnerstagabend in erster Instanz mit einem Eilantrag gegen den laufenden Streik vor dem Arbeitsgericht gescheitert. Richter Volker Schulze hatte zunächst versucht, die beiden Tarifpartner wieder mit einem Vergleich zurück an den Verhandlungstisch zu holen. Doch die Gewerkschaftsvertreter lehnten Gespräche ab, solange nicht alle Forderungen erfüllt seien.

Das zeigt das enorme Selbstbewusstsein der GDL-Spitze um Gewerkschaftsführer Claus Weselsky. Denn wenn es Voraussetzung für Verhandlungen ist, dass die Gegenseite alle Forderung erfüllen muss, stellt sich die Frage, was noch verhandelt werden soll. Schon jetzt ist die Bahn der GDL weit entgegengekommen, inklusive einer Corona-Prämie von bis zu 600 Euro.

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Gleichwohl ist Richter Schulze dem Antrag der Bahn, den Streik per Eilentscheidung zu stoppen, nicht gefolgt. In Deutschland entscheiden Arbeitsgerichte äußerst selten gegen eine streikende Gewerkschaft. Die Richter prüfen vor allem die Verhältnismäßigkeit von Arbeitskämpfen. Diese dürfen zum einen nicht dazu führen, dass der Arbeitgeber in den Ruin getrieben wird. Zum anderen darf nur für Dinge die Arbeit niedergelegt werden, die auch in Tarifverträgen geregelt werden können.

So verbot das Arbeitsgericht Düsseldorf 2015 zum Beispiel einen Streik der Kabinengewerkschaft UFO bei Lufthansa für den Standort Düsseldorf. Die Begründung damals: Das Streikziel sei zu unklar definiert worden. Im selben Jahr untersagte das Landesarbeitsgericht Frankfurt einen Ausstand der Pilotenvertretung Vereinigung Cockpit bei der Lufthansa. Die Richter erklärten in zweiter Instanz, dass der Streikgrund – der Kampf gegen eine Verlagerung von Stellen zum Billigableger Eurowings – kein Gegenstand eines Tarifvertrags sein könne.

Arbeitsrichter stärken in der Regel das Streikrecht

Doch das sind Ausnahmen. In Summe stärkt die deutsche Arbeitsgerichtsbarkeit in ihren Urteilen das Streikrecht. Will eine der beiden Parteien das Urteil in zweiter Instanz nicht akzeptieren, bliebt bei Eilverfahren nur noch der Gang vor das Verfassungsgericht. Das Bundesarbeitsgericht ist in diesen Fällen nicht zuständig. Das wäre aber eine weitreichende Entscheidung, denn die Entscheidung der Bundesverfassungsrichter ist dann eine grundsätzliche, die Auswirkungen auf das gesamte Streikrecht hat.

Seit Donnerstagmorgen bestreiken die Lokführer den Personenverkehr. Quelle: dpa
Fahrgäste am Berliner Hauptbahnhof

Seit Donnerstagmorgen bestreiken die Lokführer den Personenverkehr.

(Foto: dpa)

Es ist nicht ausgeschlossen, dass der aktuelle Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn tatsächlich noch in Karlsruhe landen wird. Denn der Streit hat eine bisher kaum gekannte Dimension erreicht. Die Bahn-Spitze wirft der GDL vor, in Wahrheit für politische Ziele zu streiken, nämlich die Ausweitung ihres Machtbereichs. GDL-Chef Weselsky will, dass der Tarifvertrag für alle Mitglieder der Gewerkschaft gilt, auch für die, die in Betrieben arbeiten, in denen die konkurrierende EVG nach Einschätzung der Bahn die Mehrheit hat.

Weselsky testet damit die Grenzen des sogenannten Tarifeinheitsgesetzes aus. Es legt fest, dass die Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern in einem Betrieb die Tarifkonditionen aushandelt. Die kleinere bleibt zwar aktiv, soll den von der anderen Gewerkschaft ausgehandelten Vertrag aber mitzeichnen. Auf diese Vorgabe beruft sich die Bahn und will, dass der GDL-Vertrag nur in 16 von 300 Bahnbetrieben gilt.

Auch wenn das Landesarbeitsgericht nun kein Streikverbot aussprach, so hat es nach Auffassung der Bahn aber klargestellt, dass die GDL-Tarifverträge ausschließlich in den Betrieben zur Anwendung kommen, in denen die GDL eine Mehrheit hat. In diesem Punkt sieht sich die Bahn bestätigt und will deshalb nun auch nicht mehr mit der GDL über diese Forderung verhandeln.

Deutsche Bahn verliert erneut vor Gericht – Streik geht weiter

Da die Frage nach der Umsetzung der Tarifeinheit eine sehr grundsätzliche ist, das Gesetz zudem schon länger in der Kritik steht, ist es durchaus denkbar, dass eine der beiden Parteien den Konflikt bei der Bahn nutzt und versuchen wird, die erheblichen Mängel des Gesetzes durch die Verfassungsrichter korrigieren zu lassen.

Auch am zweiten Tag des Lokführerstreiks kommt es bei der Bahn zu massiven Ausfällen. So stünden rund 75 Prozent der Züge im Fernverkehr still, teilte die Bahn am Freitag mit. Für das Wochenende will der Konzern mehr Züge einsetzen, sodass nur 70 Prozent des regulären Fahrplans gestrichen werden müssen. Im Regional- und S-Bahn-Verkehr fallen rund 60 Prozent der Züge aus.

In der Öffentlichkeit wächst derweil die Kritik am Streik. Der Fahrgastverband Pro Bahn und der Deutsche Städte- und Gemeindebund forderten ein sofortiges Ende und neue Verhandlungen.
Mit Agenturmaterial

Mehr: Das Tarifeinheitsgesetz ist einer der größten politischen Fehler in Sachen Arbeitsrecht

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1 Kommentar zu "Tarifstreit bei der Bahn: „Lassen uns nicht vorschreiben, wie lange ein Arbeitskampf geht“ – Bahn unterliegt GDL erneut"

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  • Hoffentlich gibt der Bahnvorstand nicht klein bei! Das ist doch inzwischen Erpressung. Die Bahnkunden zahlen zwei mal; einmal für immer teurere Tickets bei überschaubarer Gegenleistung sowie mit den Steuern über den Bundeshalt zum Ausgleich des enormen Defizits. Die zuständigen Arbeitsgerichte scheinen in diesem Fall überhaupt kein Verständnis für die wirtschaftliche Situation der Bahn bei aus Umweltgründen gewünschten Steigerung des Personen- und Güterverkehrs zu haben.

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