Tarifstreit Lokführerstreik geht weiter – Bahn legt Berufung gegen Gerichtsentscheid ein

Das Gericht lehnte den Antrag der Bahn ab.
Düsseldorf, Frankfurt Der Lokführerstreik kann nach einem Gerichtsbeschluss weitergehen. Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main teilte am Donnerstagabend mit, es habe den Antrag der Deutschen Bahn auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Streiks der Gewerkschaft GDL abgelehnt. Das erklärte der zuständige Richter Volker Schulze nach der fast dreistündigen Verhandlung. Damit geht der am Donnerstagmorgen begonnene Arbeitskampf im Personenverkehr vorerst wie geplant bis Dienstagfrüh weiter.
Zuvor war der Versuch Schulzes gescheitert, mit einem Vergleich beide Seiten an den Verhandlungstisch zurückzuholen. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hatte es erneut abgelehnt, in Gespräche einzutreten, bevor nicht ihre sämtlichen Forderungen aus dem vergangenen Mai erfüllt würden.
Die Bahn hatte am Morgen einen Eilantrag eingereicht, um den Streik der GDL verbieten zu lassen. „Auch nach den jüngsten Äußerungen der GDL geht es bei diesem Arbeitskampf offenkundig mehr um rechtliche und politische Themen als darum, Lösungen für gute Arbeitsbedingungen am Verhandlungstisch zu finden“, argumentierte der Staatskonzern. Seit dem frühen Donnerstagmorgen läuft der Streik im Personenverkehr, seit Mittwochnachmittag im Güterverkehr.
Die Deutsche Bahn legte umgehend Berufung gegen das Urteil ein. Der Konzern wolle das Urteil in zweiter Instanz vor dem Landesarbeitsgericht prüfen lassen, teilte eine Sprecherin am Donnerstagabend mit. Verhandelt wird dort am Freitag seit 11 Uhr.
„Egal wie das jetzt heute ausgeht, wir müssen das versuchen“, sagte Bahn-Sprecher Achim Stauß am Freitag im ARD-„Morgenmagazin“. „Denn dieser Streik ist unsäglich, er ist völlig überzogen – auch in seiner Länge.“ Die GDL-Spitze müsse dringend ihre Blockadehaltung aufgeben.
„Die Zielsetzung des Bahn-Vorstandes ist die Existenzvernichtung der GDL“, hatte GDL-Vorstand Weselsky bereits am Donnerstagmorgen in Leipzig erklärt. Mit ihren rund 38.000 Mitgliedern sieht sich die GDL im scharfen Wettstreit mit der größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG.
Auseinandersetzung zwischen Bahn und GDL erinnert an frühere Streiks
Nach dem 2015 verabschiedeten Tarifeinheitsgesetz soll bei zwei Gewerkschaften in einem Betrieb nur der Tarifvertrag der größeren Arbeitnehmervertretung angewendet werden. „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ wird dieser Grundsatz genannt. In einem Großteil der rund 300 Bahn-Betriebe ist das aus Sicht der Bahn die EVG.
Die eigentlich im Fahrbetrieb verankerte GDL sieht sich gezwungen, ihren Einfluss auch auf andere Konzerntöchter auszuweiten – und will die Bedingungen für Werkstattbeschäftigte nun ebenso regeln wie für Angestellte in der Verwaltung oder der Bahn-Infrastruktur.
Das erinnert an die Auseinandersetzungen in den Jahren 2014/2015. Damals wollte die Gewerkschaft ihre Tarifhoheit auf Zugbegleiter und Rangierlokführer ausdehnen – und hatte damit nach acht Streikwellen auch Erfolg.
Die Bahn vermutet hinter dem Fünf-Tage-Streik der GDL politische und juristische Zielsetzungen, die in einem Tarifvertrag nicht regelbar seien. Auch im November 2014 klagte die Bahn gegen laufende Streiks der GDL in der damaligen Tarifrunde. Damals argumentierte die Bahn, dass der Arbeitskampf unverhältnismäßig hohen Schaden anrichte – vergeblich.

GDL-Chef Claus Weselsky (vorne rechts) zu Beginn der Verhandlung vor dem Arbeitsgericht Frankfurt.
Die GDL siegte in zwei Instanzen vor den Arbeitsgerichten in Frankfurt. Gewerkschaftschef Weselsky brach nach dem Triumph überraschend den laufenden Streik ab. Damals erklärte er: „Ich stehe an dieser Stelle nicht als Sieger, sondern als derjenige, der die Grundrechte der Lokomotivführer und der Zugbegleiter verteidigt hat.“
Die Bahn hatte am Mittwoch ein neues Angebot unterbreitet
Vor der jetzigen Gerichtsentscheidung hatte sich der GDL-Chef im „Spiegel“-Interview siegessicher gezeigt: „Was kann man uns vorwerfen? Unsere Forderungen liegen seit Mai auf dem Tisch, bisher scheint es so, als hätten wir alles richtig gemacht. 2015 haben wir 109 Stunden am Stück gestreikt.“ Das hätten die Gerichte für zulässig gehalten.
Die Bahn hatte der Gewerkschaft am Mittwoch ein neues Angebot unterbreitet und darin eine wichtige Forderung aufgegriffen: Noch in diesem Jahr sollen die Beschäftigten eine Corona-Prämie von bis zu 600 Euro erhalten. Weselsky lehnt das Angebot auch inhaltlich ab und moniert etwa, dass es in diesem Jahr keine Lohnerhöhung geben soll.
Aus Sicht des Tarifexperten Hagen Lesch vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft kämpft die GDL erneut um ihren Status als Tarifpartner der Bahn. Demnach hätte Weselsky den Status quo bereits im vergangenen Jahr in einer Schlichtung absichern können, die schließlich scheiterte. Dann hätte man erneut eine Regelung wie 2015 finden können, mit der die Koexistenz von EVG und GDL abgesichert worden war – unter Verzicht auf die Regelungen des Tarifeinheitsgesetzes.
Deutsche Bahn erleidet Schlappe vor Gericht
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Einstweilige Verfügungen gegen Streiks werden von deutschen Gerichten sehr selten verhängt. Ein Beispiel ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Frankfurt, das im September 2015 in zweiter Instanz einen Streik der Vereinigung Cockpit bei der Lufthansa stoppte. Die Piloten hätten gegen die Verlagerung von Stellen an die Tochter Eurowings gestreikt, was tariflich gar nicht regelbar sei, hatte der Vorsitzende Richter Michael Horcher damals befunden.
Den Fahrgästen der Bahn bleibt nichts anderes übrig als abzuwarten. Der Ersatzfahrplan sei am Donnerstag stabil angelaufen, teilte die Bahn mit. Das Unternehmen wollte erneut rund ein Viertel der Fernzüge fahren lassen. Im Regional- und S-Bahnverkehr wird ein Grundangebot von 40 Prozent angestrebt. „Die Streikschwerpunkte liegen im Osten und in einigen Metropolregionen. Insbesondere hier kommt es zu stärkeren Einschränkungen.“
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