Tengelmann und Edeka Die unendliche Geschichte

Die geplante Übernahme der defizitären Supermarktkette entwickelt sich zur wahrscheinlich längsten Hängepartie in der Geschichte der Branche.
Mühlheim Die Ungeduld steht Karl-Erivan Haub ins Gesicht geschrieben. „Es ist eine furchtbare Situation für einen Unternehmer, nichts tun zu können“, klagt der Tengelmann-Chef bei der Bilanzvorlage des Familienunternehmens. „Ende Juli ist für mich die Deadline, da will ich sehen, ob es vorangeht“, schimpfte er auf der Bilanzpressekonferenz von Tengelmann. „Mir ist versichert worden, dass die notwendigen Tarifverträge bis Ende des Monats vorliegen können“, sagte Haub.
Im Klartext: Theoretisch könnten die 16.000 Mitarbeiter mit einer klaren Perspektive in die Sommerferien gehen. Doch daraus wird wohl nichts und Haub weiter auf den Verkauf der Tochter Kaiser‘s Tengelmann an Edeka warten müssen. In der Region NRW sind die Verhandlungen so verfahren, dass die weiteren Gespräche auf August vertagt wurden. „Die Positionen sind noch sehr weit auseinander“, sagt Heino Georg Kassler, der für Verdi die Verhandlungen führt, dem Handelsblatt. „Was Edeka umsetzen will, würde nicht der Ministererlaubnis entsprechen.“
Denn eins ist klar: Bevor Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel die vom Kartellamt verbotene und bereits im Oktober 2014 angekündigte Übernahme durch die Nummer eins im deutschen Lebensmittelhandel genehmigt, muss Edeka mit den Arbeitnehmervertretern Tarifverträge aushandeln. Und in denen müssen die 16.000 Arbeitsplätze bei Kaiser‘s Tengelmann und die Betriebsratsstrukturen gesichert werden.
Doch das ist noch nicht in Sicht: Nachdem Verdi Edeka „Erpressung“ vorgeworfen hatte, hatten die Genossen die für diese Woche geplanten Gespräche in Nordrhein-Westfalen zunächst abgesagt. Nun spricht man wieder miteinander, hat die Gespräche aber wegen der Komplexität auf nach der Urlaubszeit verschoben. Deswegen geht es wohl erst Mitte August weiter. Edeka sagt nichts zum Stand der Verhandlungen, teilt nur mit, dass man „eine zügige Einigung“ anstrebe. Haub hingegen droht nun indirekt damit, Kaiser‘s Tengelmann in die Insolvenz gehen zu lassen: „Irgendwann ist Schluss.“
Der kritischste Punkt ist die Zukunft der rund 400 Beschäftigten in der Mülheimer Hauptverwaltung von Kaiser‘s Tengelmann. Edeka will die Zentrale abwickeln und die Mitarbeiter an andere Stellen im Konzern versetzen. Dagegen wehrt sich Verdi. „Da werden Ersatzarbeitsplätze in Ingolstadt angeboten“, echauffiert sich Gewerkschaftler Kassler. Zusätzlich für Sprengstoff sorgt der Umstand, dass sich Tengelmann nach dem beschlossenen Verkauf an Edeka nicht mehr darum kümmert, für auslaufende Mietverträge von Filialen neue Verträge mit den Immobilieneigentümern auszuhandeln. Das betrifft allein in Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr 40 Märkte.
Edeka fühlt sich offenbar für Standorte und deren Mitarbeiter, die vor dem Abschluss der Tarifverträge schließen, nicht zuständig. Verdi aber pocht darauf, dass der Beschäftigungsstand vom 31. Dezember 2015 verbindlich festgeschrieben wird. Umstritten ist auch, wie mit Aushilfen und befristet Beschäftigten verfahren wird.
Damit wird die geplante Übernahme der defizitären Supermarktkette zur wahrscheinlich längsten Hängepartie in der Geschichte der Branche. Am 7. Oktober 2014 hatte Tengelmann-Chef Haub bekanntgegeben, die Tochter an Edeka verkaufen zu wollen. Seitdem kämpfen die Unternehmen um eine Genehmigung der Übernahme – und Kaiser‘s Tengelmann verliert jeden Tag weiter Marktanteile, gute Mitarbeiter und viel Geld.
Seit mehr als 15 Jahren muss Haub die Tochter mit Quersubventionen aus Schwesterunternehmen wie Obi oder Kik stützen. Nach letzten verfügbaren Angaben produzierte die Supermarktkette jeden Tag einen sechsstelligen Verlust. Damit ist über die vergangenen Jahre ein Minus von deutlich mehr als 500 Millionen Euro angefallen. Schon deswegen hat Haub großes Interesse daran, dass der Verkauf endlich abgewickelt wird.
Doch nicht nur in Nordrhein-Westfalen stocken die Verhandlungen über die Tarifverträge. Auch in Bayern gestalten sich die Gespräche zäh. „Die Verhandlungen sind sehr schwierig“, berichtet ein Tengelmann-Betriebsrat, der daran teilnimmt. Die Gespräche mit Edeka gingen nun in die achte Runde, trotzdem seien die Positionen teils noch weit entfernt. Auch hier sind die Filialen einer der Knackpunkte. „Edeka will einen Freifahrtschein, dass defizitäre Filialen oder Märkte, deren Mietvertrag endet, geschlossen werden. Doch darauf können wir uns nicht einlassen“, sagt der Arbeitnehmervertreter. Ziel der Gewerkschaft sei es, dass die Bedingungen der Ministererlaubnis eins zu eins umgesetzt werden.
Und die haben es in sich: So fordert der Minister nicht nur, dass die Tarifverträge für mindestens fünf Jahre betriebsbedingte Kündigungen ausschließen. Es heißt in den aufschiebenden Bedingungen auch explizit, dass die „Struktur der Betriebsstätten“ erhalten bleibt. Daraus schließen die Gewerkschaften, dass nicht nur die Märkte erhalten bleiben müssen, sondern auch die Unternehmensstruktur von Kaiser‘s Tengelmann bei der Integration in den Edeka-Verbund erhalten bleibt – und damit auch die Zuständigkeit der Betriebsräte. „Wir wollen keine Aufspaltung oder Zergliederung“, sagt Verdi-Sekretär Kassler.
Doch genau das plant Edeka. So sollen etwa in Nordrhein-Westfalen die profitabelsten Läden in eine neu zu gründende Gesellschaft „Edeka Schnellkauf“ übergehen. Diese Läden könnten dann nach Ablauf der Fünf-Jahres-Frist an selbstständige Edeka-Händler weitergereicht werden. Ein weiterer Teil wird in Netto-Discounter umgewandelt – ebenfalls in einer eigenen Gesellschaft. Und die Mitarbeiter der Läden mit bald auslaufenden Mietverträgen sollen zusammen mit den Mitarbeitern der bisherigen Zentrale von Kaiser‘s Tengelmann in eine Auffanggesellschaft übergehen. Von dort sollen sie in andere Jobs im Edeka-Verbund vermittelt werden.
Und als wäre das nicht schon kompliziert genug, droht im Hintergrund die Klage des Edeka-Konkurrenten Rewe gegen die Ministererlaubnis. Im Moment prüft der zweite Senat des Oberlandesgerichts Düsseldorf, ob der Nummer zwei im deutschen Lebensmittelhandel für die Klage einstweiliger Rechtsschutz gewährt wird – was dann für die Übernahme aufschiebende Wirkung hätte. Nach Einschätzung von Kartellrechtsexperten könnte das Verfahren Jahre dauern. „Nach unserer Erfahrung überlebt das keine Transaktion“, urteilt Susanne Zuehlke von der Brüsseler Kanzlei Willkie Farr & Gallagher.
Rewe-Chef Alain Caparros wirft der Edeka-Führung in einem Brief an den Aufsichtsrat von Kaiser‘s Tengelmann „frühkapitalistisches“ Verhalten vor und beteuert ein weiteres Mal, Rewe stehe „weiterhin bereit, Kaiser‘s Tengelmann als Ganzes oder auch die Märkte einzelner Regionen zu übernehmen“. Wenn sich die Tarifverhandlungen zwischen Edeka und der Gewerkschaft weiter ohne Ergebnis hinziehen, könnte es letztlich sogar zu einer Einzelverwertung der Standorte kommen. Denn auch wenn der Minister keine Frist für eine Einigung gesetzt hat, macht Tengelmann-Chef Haub keinen Hehl daraus, dass er sich das nicht ewig anschaut. „Das darf keine unendliche Geschichte werden“, mahnt er. Auf Nachfrage bestätigt er, dass auch eine Insolvenz von Kaiser‘s Tengelmann im schlimmsten Fall eine mögliche Option wäre: „Irgendwann ist Schluss.“ Und dann käme beim Rosinenpicken sicher auch Konkurrent Rewe zum Zuge.
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