Tod von Thomas Wagner Der rätselhafte Trip des Unister-Chefs

Wagner und drei weitere Insassen verbrannten im Wrack.
Düsseldorf Die E-Mail wäre bei den meisten Menschen wohl im Papierkorb gelandet. Ein israelischer Diamantenhändler bietet einen Kredit an, gegen eine Vorabzahlung in bar. Die Nachricht, die dem Handelsblatt vorliegt, ist an Unister-Chef Thomas Wagner adressiert, sie datiert nur ein paar Wochen vor dem verhängnisvollen Trip nach Venedig, der mit einem Flugzeugabsturz und Wagners Tod endete. In Unternehmenskreisen glaubt man, dass hinter dieser Nachricht der Grund für die Reise stecken könnte. Vorausgesetzt, die Dokumente sind echt.
Denn polizeilich belegt ist nur, dass Wagner mit drei weiteren Insassen einer einmotorigen Piper 32 vor acht Tagen in den slowenischen Alpen abstürzte. Die in Venedig gestartete Maschine befand sich auf dem Weg nach Leipzig, vereiste in rund 5 000 Meter Flughöhe, zerschellte in einem Waldstück bei Nova Goriza und brannte aus. Die Identität der Todesopfer wird in diesen Stunden per DNA-Analyse in Ljubljana überprüft.
Offiziell war Wagner laut Unister nach Italien gereist, um Investoren zu finden. Rätselraten aber löste ein Rucksack mit 10 000 Schweizer Franken und einem polizeilichen Anzeigeformular aus, den die Rettungskräfte im Flugzeug fanden. Für erhöhte Aufmerksamkeit sorgte zuvor schon eine Falschmeldung: Es sei ein Koffer mit drei bis vier Millionen Euro an der Unglücksstelle gefunden worden, meldeten Boulevardblätter kurz nach dem Absturz.

Rätsel um 10 000 Schweizer Franken in bar.
Nun der merkwürdige E-Mail-Verkehr zwischen Wagner und dem Bankier Karsten K. Darin bietet K. dem Unister-Geschäftsführer einen Kredit des israelischen Diamantenhändlers Levy V. über zehn Millionen Euro an. Wagner solle sich nicht wundern, dass der Geldgeber im Internet nicht zu finden sei, schließlich arbeite er in einer diskreten Branche. Dafür seien die Konditionen geradezu selbstlos: Die ersten zwei Jahre sollte es das Geld zinslos geben, für die nächsten acht Jahre würden lediglich 2,75 Prozent veranschlagt. Eine Sicherheit verlange der Israeli nicht. Die Kopie des Personalausweises genüge, den Zweck des Kredits solle Wagner „kurz darstellen“.
Laut Absprache sollte Wagner in Venedig eine Million Euro Bargeld an den Finanzier überreichen, um im Gegenzug 2,5 Millionen Euro zu erhalten. Die restlichen 7,5 Millionen Euro würden überwiesen, sicherte Bankier K. zu. Mit Wagners Bargeld solle „eine Kreditausfallversicherung bezahlt“ werden.
Offenbar lief vor Ort einiges nicht so wie geplant. Wie die italienische Polizei bestätigte, erstattete Wagner in Venedig eine Anzeige.
Mitgesellschafter stellt Strafanzeige
Die Spekulationen riefen Daniel Kirchhof auf den Plan, den Unister-Mitbegründer, der sich jahrelang mit Wagner das Büro teilte. Kirchhof, der als Juniorpartner knapp 17 Prozent an der Leipziger Holding hält, ließ unmittelbar nach Bekanntwerden des Flugzeugunfalls Strafanzeige erstatten – wegen des Verdachts der Untreue. Offiziell geht die Anzeige gegen unbekannt. Ins Rampenlicht aber rückte sie allein eine Person: Wagner.
Mit dem gleichaltrigen Co-Gründer verband ihn zuletzt eine intensive Feindschaft. Sie eskalierte vor anderthalb Jahren, als Wagner bei dem Versuch scheiterte, die Reisesparte von Unister zu verkaufen. Für das Paket aus Ab-in-den-Urlaub.de, Fluege.de und anderen Touristikportalen soll er Preise zwischen 700 und 900 Millionen Euro aufgerufen haben, was Interessenten wie Pro Sieben Sat 1 oder den Konzertticketverkäufer CTS Eventim offenbar zum Rückzug veranlasste.
Es sei „ein hohes Maß an Realitätsverlust in der Geschäftsführung zu konstatieren“, schrieb Kirchhof damals in einem Brief, der rasch in die Öffentlichkeit gelangte. Gleichzeitig behauptete er, „dass offenbar seit langem erhebliche Aufwendungen [...] getätigt werden, um Mitarbeiter, Gesellschafter und Geschäftspartner in rechtswidriger Weise mit geheimdienstlichen Methoden (illegal) überwachen zu lassen“. Wagner setzte daraufhin alles in Bewegung, Kirchhof als Aufsichtschef der Tochter Travel24 abberufen zu lassen. Bei Unister selbst setzte er ihn buchstäblich vor die Tür. Kirchhof revanchierte sich, indem er bei Travel24 eine Compliance-Prüfung zum Vorwurf des Kapitalanlagebetrugs anregte.
Seit dem Insolvenzantrag vom Montag setzt Kirchhof bei Unister seine Querschüsse fort, wie aus Unternehmenskreisen zu hören ist. Schon macht in Leipzig das Wort vom „Akkordstörer“ die Runde. Anders als alle übrigen Gesellschafter und Mitglieder des Gläubigerausschusses hält er angeblich nichts von der Meinung des Insolvenzverwalters, dass ein neuer Investor gefunden werden muss. Unmittelbar vor dem Insolvenzantrag hatte Kirchhof nach eigenen Angaben (siehe Interview) versucht, den Internetkonzern aus eigener Kraft zu retten.
Insolvenzverwalter Lucas Flöther hat mit Kirchhofs Querschüssen zu kämpfen. Allen Beteiligten sei klar, dass das Unternehmen zum Zeitpunkt des Insolvenzantrags „völlig zahlungsunfähig“ war, berichten Unister-Kenner. Nur Kirchhof hält daran fest, dass sie „vermeidbar“ war.
Mit dieser Meinung ist er allerdings allein. Überbordende Marketingkosten für Google-Platzierungen und TV-Werbungen belasteten Unister-Portale wie „Ab-in-den-Urlaub“ oder „Fluege.de“. Hinzu kamen Neuentwicklungen wie die IT-Firma Ad Up Technology oder Shopping.de, die mehr Geld verschlangen, als sie verdienten. „Es gab eine massive Überschuldung. Geld floss stets aus der Gesellschaft ab, die gerade Cash besaß. Das alles passierte ohne Rechtsgrundlage“, berichtet ein Kenner des Unternehmens. „Es herrschte das völlige Chaos.“
Wie dringend jetzt Lösungen gefunden werden müssen, zeigt sich auch daran, dass am Donnerstag auch die Muttergesellschaft der Portale „Ab-in-den-Urlaub.de“ und „Fluege.de“ in eine Folge‧insolvenz rutschte. „Es ist ein volatiles Geschäft, deshalb muss man die Verkäufe schnell angehen“, sagt ein mit dem Fall befasster Berater.
Das ist auch der Grund, warum Insolvenzverwalter Flöther den Unister-Mitbegründer in die Schranken weisen will. „Die Rechte der Gesellschafter sind in der Insolvenz stark beschränkt“, erklärt er. „Das alleinige Sagen haben nun im Wesentlichen die Gläubiger.“
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.