Ungarische Billigairline Expandieren in der Pandemie – Wizz Air baut unter Jozsef Varadi das Fluggeschäft aus

„Wizz Air und Ryanair sind die einzigen europäischen Flugunternehmen mit guten Geschäftsaussichten“, sagt Varadi.
Budapest Gegen die Konkurrenz teilt Wizz-Air-Mitgründer und CEO Jozsef Varadi aus, wie sich das sonst kaum ein Manager getraut. Große Netzwerkbetreiber wie die Lufthansa Group oder Air France/KLM nennt er „Legacy“-Unternehmen, also Firmen mit Altlasten. Neben seinem Unternehmen, der ungarischen „Ultrabilligfluglinie“ (Ultra-Low-Cost-Carrier), lässt er nur Ryanair gelten. „Wizz Air und Ryanair sind die einzigen europäischen Flugunternehmen mit guten Geschäftsaussichten“, sagt er im Gespräch.
Das sind große Worte für den Vertreter eines Unternehmens, das ebenso wie die Konkurrenten von der Pandemie in eine Warteposition versetzt wurde. Wie andere Fluggesellschaften schreibt Wizz Air ebenfalls Verluste und verbraucht pro Monat rund 60 Millionen Euro Liquidität. Aber während fast alle Fluggesellschaften ihr Netz straffen, expandiert Wizz Air, als gäbe es keine Pandemie. Vergangene Woche gab es gar Vermutungen, wonach das Unternehmen den zurückgefallenen Konkurrenten Easyjet übernehmen wolle. Easyjet hatte bestätigt, dass es ein Übernahmeangebot gegeben hat – das Angebot habe Easyjet aber abgelehnt. Woher die Offerte gekommen war, erklärte die Fluggesellschaft nicht. Dann waren Spekulationen entstanden, dass Wizz Air dahinterstecken könnte, doch keine der beiden Seiten bestätigte das. Auch Varadi persönlich will sich dazu nicht äußern.
Dabei hat Wizz Air derzeit bereits 140 Flugzeuge im Einsatz, und deren Zahl soll bis in fünf Jahren ungefähr verdoppelt werden. Zum Vergleich: Bei Ryanair sind es 450. Der Aktienkurs von Wizz Air liegt zwar unter dem im März erreichten Allzeithoch, der Titel weist aber im Branchenvergleich eine außerordentliche Performance auf. Bei den Investoren kommt Varadis „Story“ also an. „Wizz Air ist ein relativer Pandemiegewinner“, sagt Bernd Maurer, Analyst bei der Raiffeisen Bank International in Wien.
Das Unternehmen verbrennt zwar wie andere Airlines Geld; es verfügt aber über einen Cash-Bestand von 1,7 Milliarden Euro. Wizz Air hat noch einen Kredit der Bank of England von 300 Millionen Pfund ausstehend. Abzüglich dieser Schuld sollte das Geld aber reichen, um den Betrieb aus heutiger Sicht zwei Jahre aufrechtzuerhalten.
Auf das Stichwort Liquidität kommt der 55-jährige Manager wiederholt zu sprechen. Aus Erfahrung weiß er, wie wichtig flüssige Mittel sind, um die scharfen Zyklen im Fluggeschäft zu überstehen. Von 2001 bis 2003 leitete er die ungarische Fluggesellschaft Malev. Diese ging 2012 Konkurs.
Keine Staatshilfen
Heute freut sich Varadi diebisch darüber, dass Wizz Air in der Pandemie keine Staatshilfe und keine Kurzarbeitsentschädigungen in Anspruch nahm – anders als die von ihm geschmähten „Legacy-Carrier“. Der große Geldgeber im Hintergrund ist der Texaner William Franke mit seiner Private-Equity-Firma Indigo Partners, die auf Finanzierungen in der Luftfahrt spezialisiert ist. Franke ist immer noch Aufsichtsratschef der ungarischen Airline.
2003 gründete Varadi Wizz Air. Sie gehört damit zu den jüngsten Airlines. Newcomer müssen Geschäfte jeweils neu denken, um gegen die Etablierten eine Chance zu haben. Das gelang dem Unternehmen. Das Management verstand es besonders gut, neue Märkte zu erschließen. Wizz Air wendet das klassische Erfolgsrezept der Low-Cast-Carrier an – und treibt es auf die Spitze: Das Unternehmen bedient vornehmlich kleine und mittelgroße Flughäfen, betreibt eine sehr junge Flotte und nutzt nur einen Flugzeugtyp (A320/321). Und selbstverständlich profitiert es zum Teil auch von den verhältnismäßig niedrigen Löhnen in Osteuropa. All das hält die Kosten tief, und dieser Faktor scheint neben der Liquidität eine Obsession von Varadi zu sein.
Fliegen hält er für eine „Commodity“, also eine austauschbare Ware, bei der allein der Preis entscheidet. Hohe Preise scheinen dem Airline-Manager grundsätzlich ein Greuel zu sein. Wizz Airs Finanzabteilung ist in Genf angesiedelt. Varadi hat vor zehn Jahren dort gearbeitet, und noch immer erinnert sich der Multimillionär an die „teure“ Schweiz.
Die Kosten werden in den kommenden Quartalen im Flugmarkt ein Schlüsselfaktor bleiben, denn der Konkurrenzkampf wird noch härter werden. In diesem anspruchsvollen Umfeld hat Wizz Air ihr einfaches Geschäftsmodell von Zentral- und Osteuropa aus laufend auf weitere Märkte, die in Kurz- und Mittelstreckendistanz liegen, ausgedehnt. Die Finanzprobleme von Norwegian Airways nutzte die Gesellschaft etwa, um in den skandinavischen Markt vorzustoßen. Auch in Dortmund, Mailand oder London-Gatwick hat Wizz Air jüngst Flugzeuge stationiert.
Läuft es einmal schlecht an einem Flughafen, kippt Wizz Air ihn ohne viel Federlesen aus dem Flugplan und ersetzt ihn durch Destinationen, die mehr versprechen. Mittlerweile betreibt Wizz Air 44 Basen.
Keine zentralen Hubs
Derart flexibel ist das Unternehmen, weil es anders als etwa die Lufthansa keine zentralen Hubs betreibt. Das hat einen weiteren Vorteil: Die Flugzeuge von Wizz Air sind viel länger in der Luft als jene der Konkurrenten, da ihre Betriebszeit nicht auf Anschlussflüge abgestimmt werden muss.
Mit niedrigen Preisen und einem flexiblen Angebot spricht Wizz Air bestimmte Kundensegmente besonders an. So bedient die Airline eine vergleichsweise junge Klientel sowie viele Ferienreisende. Vor allem aber hat Wizz Air ein neues Kundensegment regelrecht geschaffen: die Arbeitsmigranten.
Osteuropäische Pflegekräfte beispielsweise nahmen früher lange Busreisen auf sich, wenn sie nach den Ferien oder einem verlängerten Wochenende an ihren Arbeitsplatz in Westeuropa zurückkehrten. Heute nutzen sie für solche Strecken Wizz Air – oder Ryanair. Der „ethnische Verkehr“ hat bei Wizzair laut Varadi inzwischen einen Anteil von 50 Prozent.
Selbstverständlich bietet ein Geschäftsmodell, wie Wizz Air es verfolgt, auch Angriffsflächen. So sind Gewerkschaften auf das Unternehmen ähnlich schlecht zu sprechen wie auf Ryanair. Varadi lässt im Unternehmen keine Arbeitnehmervertretungen zu. „Das führt zu einer besseren Firmenkultur“, begründet er dies.
Bei den Gewerkschaften ist Wizz Air allerdings auf dem Radar. „Früher oder später wird uns die Firma nicht mehr ausweichen können“, sagt Daniel Liebhart, Fachbereichsleiter Luftfahrt bei der österreichischen Gewerkschaft Vida. „Wir werden Wizz Air und Ryanair zwingen, mit uns zu kooperieren.“
Tiefe Fixlöhne
Liebhart stört unter anderem, dass Wizz Air teilweise tiefe Fixlöhne bezahle und diese je nach Umstand mit hohen variablen Zahlungen ergänze. „Das Management wälzt unternehmerische Risiken aufs Personal ab.“
Das sei „Blödsinn“, sagt Varadi, wobei der joviale Manager bei dieser Frage zum ersten Mal im Gespräch etwas die Contenance verliert. „Wizz Air muss marktübliche Arbeitsbedingungen bieten, sonst könnten wir nicht expandieren.“
Das zweite Thema, bei dem Varadi emotional wird, ist die Frage der Ökologie. Stellt eine rasch wachsende Airline nicht eine Provokation dar, etwa für Politiker, die das Fliegen einschränken möchten? Osteuropäer flögen immer noch viel seltener als Westeuropäer, kontert Varadi. „Haben diese Menschen nicht das gleiche Recht zu reisen wie die Westeuropäer?“
Varadi verweist zudem auf die vergleichsweise „junge“ und somit energieeffiziente Wizz-Air-Flotte. Wenn es den Politikern mit der Ökologie ernst wäre, so sagt er, müssten sie eigentlich darauf hinarbeiten, dass die Lufthansa und andere ihre Flotte reduzierten – statt ihnen mit Steuergeldern aus der Patsche zu helfen.
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