Verkehr 3.000 Kilometer Bahnstrecke sollen reaktiviert werden

Viele Tausend Kilometer Schiene werden heute nicht genutzt.
Düsseldorf Werden in den nächsten Jahren 3.000 Kilometer stillgelegte Eisenbahnstrecken in Deutschland reaktiviert? Die Eisenbahnlobby wittert ihre Chance. Denn noch nie war die politische Unterstützung für den Schienenverkehr so groß wie derzeit. Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD widmet sich seitenlang dem Ausbau des Bahnverkehrs – aus verkehrspolitischen Gründen, aber auch, weil die klimapolitischen Ziele ohne Eisenbahn wohl kaum zu erreichen sind.
Am Montagmorgen präsentierten die Allianz pro Schiene und der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen einen Plan, welche Strecken in Betrieb genommen werden könnten und sollten. Identifiziert wurden 186 Strecken mit einer Länge von 3.072 Kilometern, die für den Personen- und den Güterverkehr wieder hergerichtet werden sollten.
Oft sind es nur Trassen, meist liegen aber sogar noch die Gleise, die seit Jahren ungenutzt sind. Sie müssten instandgesetzt werden. Aber es sei das „einfachste Instrument, um Nachfrage nach mehr Schienenverkehr schnell zu erfüllen“, sagte VDV-Präsident Ingo Wortmann. Ein Beispiel ist die Strecke der früheren Westfälischen Landeseisenbahn von Münster nach Beckum, auf der früher Güter- wie Personenzüge fuhren.
Schon in den zurückliegenden 25 Jahren seit der Bahnreform und der Umwandlung der Bundesbahn zur Deutschen Bahn AG wurden laut Allianz pro Schiene 827 Kilometer Strecke für den Personenverkehr und 359 Kilometer für den Gütertransport reaktiviert. Gemessen an den rund 6000 Kilometern stillgelegten Strecken seit der Reform, davon allein 3600 Kilometer im Personenverkehr, eine vergleichsweise geringe Zahl. Aber selbst die Wiederinbetriebnahme kurzer Streckenabschnitte kann weit reichende Wirkung haben. Etwa der nur drei Kilometer lange Lückenschluss vom westfälischen Gronau zur niederländischen Grenze. Jetzt ist wieder durchgehender Verkehr via Enschede möglich.
Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, sagte, „die Schiene kommt zurück in Regionen, die lange verwaist waren“. Im Westen Deutschlands gehen viele Stilllegungen schon auf Pläne aus den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts zurück. Nach der Wende wurde auf besonders vielen Nebenbahnen in Ostdeutschland der Bahnverkehr eingestellt. „Im Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung eine Verdopplung der Fahrgastzahlen vorgenommen“, sagte Flege, „wenn wir das erreichen wollen, müssen wir den langjährigen Rückzug der Schiene aus der Fläche stoppen.“
Finanzierung des Ausbaus ist ungeklärt
Offen ist allerdings die Finanzierung dieser Forderung. Denn die gerade im Haushalt verankerten Mittel für die nächsten zehn Jahr reichen nicht einmal aus, um den Investitionsrückstau aus früheren Jahren aufzuholen. Ende vergangener Woche einigten sich Koalitionsvertreter darauf, der Deutschen Bahn, die den größten Teil des Eisenbahnnetzes verantwortet, bis 2029 rund 52 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Die Bahn selbst soll noch einmal 31 Milliarden Euro aus eigenen Mitteln dazulegen.
Die Finanzierung des Eisenbahnnetzes will der Bund damit um 1,1 Milliarden Euro auf dann 4,6 Milliarden Euro jährlich aufstocken. Für die Jahre ab 2025 will der Bund jeweils 5,6 Milliarden Euro zusichern. Experten und Bahngewerkschaften hatten dagegen sieben Milliarden jährlich angemahnt, um den aufgelaufenen Sanierungsbedarf abzuarbeiten.
Möglicherweise kommt die Europäische Union den Bahnlobbyisten zu Hilfe. Seit vielen Jahren sind zwar strategische Bahnen kein Thema. Jetzt aber hat die Kommission in Abstimmung mit der Nato einen Aktionsplan zur Verbesserung der militärischen Mobilität im Rahmen der Verteidigungsunion vorgelegt, der auch den Eisenbahnverkehr betrifft, berichtet die Allianz pro Schiene. In diesem Jahr soll eine Liste vorrangiger Infrastrukturprojekte vorgelegt werden.
Ob die darin aufgeführten Eisenbahnstrecken allerdings wirklich für den zivilen Güter- oder Personenverkehr brauchbar sind, muss sich zeigen. Frühere Militärbahnen waren das jedenfalls oft nicht. Im Volksmund „Kanonenbahnen“ genannt führten die Strecken durch menschenleere Regionen und in Richtungen, die ohnehin niemand fahren wollte. Außer Soldaten natürlich.
Mehr: Bahn-Chef Richard Lutz wirbt dafür, die Schiene stärker für den Verkehr zu nutzen. In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt erklärt er, welche Argumente dafür sprechen.
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