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Wie Aldi Nord sich neu erfindet Im Testlabor des Discounts

Mehr Tageslicht, Markenprodukte und Holz statt Kartons: Aldi Nord erfindet sich nicht am Reißbrett neu, sondern in der Praxis. Das ist dringend nötig, denn die Konkurrenz hat vorgelegt. Ein Besuch in der Filiale der Zukunft.
28.07.2016 - 18:30 Uhr
Wo Aldi seine Ideen testet
Das Testlabor von Aldi Nord
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In diesem Markt in Raesfeld, einer Kleinstadt in der münsterländischen Provinz, probiert der Discount-Riese Ideen, Produkte und neue Services aus, bevor sie konzernweit eingeführt werden – oder eben auch nicht.

(Foto: Florian Kolf / Handelsblatt)
Shopping bei Tageslicht
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Große, bodentiefe Fensterfronten prägen die neue Generation der Filialen bei Aldi Nord. Für ausreichend Tageslicht im gesamten Markt sorgen auch die großen Oberlichter im rückwärtigen Bereich.

(Foto: PR)
Was nicht funktioniert, fliegt raus
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So fällt manche vermeintlich gute Idee aus dem Management im Praxistest in Raesfeld durch. „Bei Tests von Innovationen in den Märkten vertrauen wir sehr stark auf das Urteil unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, sagt Aldi-Nord-Geschäftsführer Kay Rüschoff. „Sie erkennen sehr rasch, was funktioniert und was nicht.“

(Foto: Florian Kolf / Handelsblatt)
Coffee to go
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Neben dem frischen Brotangebot lädt ein Kaffeeautomat die Kunden in Raesfeld zu einem Schwätzchen ein. Doch das Kaffeeangebot hat den Praxistest nicht bestanden, es wird nicht konzernweit eingeführt.

(Foto: Florian Kolf / Handelsblatt)
Zum Mitnehmen
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Auf einem Ständer liegt das „Rezept des Tages“ für die Kunden zum Mitnehmen. Alle Zutaten, die man dafür braucht sind appetitlich und griffbereit auf dem Tisch drum herum drapiert. So sollen Kunden animiert werden, Produkte auszuprobieren, die sie sonst nicht kaufen.

(Foto: Florian Kolf / Handelsblatt)
Holz statt Pappe
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Weg vom Pappkarton: Stilvoll in Holzkisten bietet Aldi Nord in der Testfiliale die Weine aus aller Welt an. Auch hier wird ein täglich wechselnder „Wein des Tages“ extra präsentiert, mit einer ausführlichen Beschreibung.

(Foto: Florian Kolf / Handelsblatt)
Modernisierung der Filialen
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Zuweilen sind es nur Kleinigkeiten, wie die Anordnung der Regale, vieles aber erfordert größere Umbauten. Aldi Nord steckt deshalb eine Milliardensumme allein in die Modernisierung des deutschen Filialnetzes – wie viel genau ist natürlich streng gehütetes Geschäftsgeheimnis. Aber das Programm zeigt Erfolge: In den Filialen, die nach dem neuen Konzept renoviert wurden, stieg der Umsatz nach Unternehmensangaben pro Monat im Schnitt von 396.000 auf 437.000 Euro.

(Foto: Florian Kolf / Handelsblatt)

Raesfeld Die komplett verglaste Front taucht den Laden in Tageslicht, ein Kaffeeautomat lädt die Kunden zu einem Schwätzchen ein. Wein und Gemüse werden stilvoll in Holzkisten präsentiert. Auf einem Ständer liegt das „Rezept des Tages“ zum Mitnehmen – alle Zutaten appetitlich und griffbereit drumherum drapiert. Breite Gänge, schicke Regale statt Pappkartons, vegane Produkte, frisches Brot – nichts erinnert auf den ersten Blick an einen Discounter.

Und doch sind wir im Testlabor von Aldi Nord. In diesem Markt in Raesfeld, einer Kleinstadt im Münsterland, probiert der Discount-Riese Ideen, Produkte und neue Services aus, bevor sie konzernweit eingeführt werden – oder eben auch nicht.

So zum Beispiel der Kaffeeautomat gleich neben dem Eingang. Sosehr die Idee dem einen oder anderen Kunden gefallen haben mag, sie wird nicht in Serie gehen. Wie sich herausgestellt hat, passt sie nicht zu einem Discounter, bei dem die Kunden sich nicht länger aufhalten möchten, als für den Einkauf notwendig ist.

Mehr Umsatz in neuen Märkten

Zuweilen zeigt sich auch, dass der Kunde einfach nicht bereit ist, sich umzustellen. So hat Aldi in Raesfeld Kassen getestet mit einer langen Auslauffläche für die abkassierten Waren, wie sie in den meisten Supermärkten üblich sind. „Wir wollten den Kunden den Stress nehmen, alles gleich in den Wagen oder in die Tasche packen zu müssen“, sagt ein Mitarbeiter. Doch den Kunden gefiel es nicht.

So fällt manche vermeintlich gute Idee aus dem Management im Praxistest in Raesfeld durch. „Bei Tests von Innovationen in den Märkten vertrauen wir sehr stark auf das Urteil unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, sagt Aldi-Nord-Geschäftsführer Kay Rüschoff. „Sie erkennen sehr rasch, was funktioniert und was nicht.“ Doch hat sich eine Idee als gut herausgestellt, wird auch nicht lange gezögert. „Wenn sich Innovationen bei Tests in einzelnen Märkten oder Regionen bewähren, dann werden sie direkt und schnell im ganzen Filialnetz eingeführt“, so Rüschoff.

Aldi Nord erfindet seine eigene Zukunft nicht am Reißbrett, sondern in der Praxis. „Wir sind überzeugt, dass man die besten Entscheidungen trifft, wenn man ganz nah an den Kundinnen und Kunden ist“, sagt Marketing-Manager Rüschoff.

Zuweilen sind es nur Kleinigkeiten wie die Anordnung der Regale, vieles aber erfordert größere Umbauten. Aldi Nord steckt deshalb eine Milliardensumme allein in die Modernisierung des deutschen Filialnetzes – wie viel genau ist natürlich streng gehütetes Geschäftsgeheimnis. Kleine, alte Filialen, die nicht zukunftsfähig sind, werden geschlossen, allein rund 50 im vergangenen Jahr. Die Märkte sollen künftig idealerweise eine Fläche von 1000 bis 1200 Quadratmetern haben.

„Seit dem Jahr 2012 haben wir alle Filialen in unserem Netz modernisiert“, sagt Rüschoff. Nicht alle Märkte sehen hinterher so aus wie die Testfiliale in Raesfeld, schon weil es baulich nicht immer geht. Aber das Programm zeigt Erfolge: In den Filialen, die nach dem neuen Konzept renoviert wurden, stieg der Umsatz nach Unternehmensangaben pro Monat im Schnitt von 396.000 auf 437.000 Euro.

„Das Unternehmen hat sich von einer eher passiven in eine eher aktive Rolle begeben“, stellt Boris Planer anerkennend fest. Der Handelsexperte bei der renommierten Marktforschungsgesellschaft Planet Retail sieht das Unternehmen in eine „sehr gute Richtung“ unterwegs.

Schatten über dem Aufbruch

Das war noch vor wenigen Jahren alles andere als selbstverständlich. Während Konkurrent Lidl schon Markenartikel in hellen Regalen präsentierte, lagen bei Aldi Nord die Eigenmarken noch lieblos in Pappkartons. Enge Gänge und dunkle Geschäfte machten den Einkauf zum notwendigen Übel, nicht zum Erlebnis. Lidl habe als Erster die Marktlücke des aufgewerteten Discounters besetzt und profitiere davon heute noch, sagt Handelsexperte Planer. „Die Konkurrenten haben das lange verschlafen.“

Nun startet Aldi Nord eine rasante Aufholjagd. Nicht nur die Märkte werden modernisiert, auch die Logistik wurde überarbeitet, die Öffnungszeiten wurden verlängert. Die Belegschaft wurde deswegen in den vergangenen Jahren um mehr als 4000 Mitarbeiter erweitert.

Selbst Markenartikel sind nicht mehr tabu. Pampers-Windeln, Pizzen von Dr. Oetker, Oreo-Kekse und o.b.-Tampons haben gerade erst den Weg ins Sortiment gefunden – und weitere Marken werden folgen. Der Anteil der Eigenmarken an den 1200 Artikeln liegt heute nur noch bei 93 Prozent, auch wenn Rüschoff betont: „Unser Kerngeschäft bleiben natürlich unsere Eigenmarken.“

Dem Wachstumskurs fällt auch die alte Zentrale an der Eckenbergstraße im Essener Arbeiterviertel Kray zum Opfer. Direkt nebenan wird ein Logistiklager abgerissen, ab Anfang nächsten Jahres entsteht dort ein moderner Campus mit neuen Verwaltungsgebäuden. Doch über der Aufbruchstimmung in Essen hängt ein Schatten. Denn eins ist klar: „Eine Renovierung des gesamten Filialnetzes ist ein riesiges Investment“, sagt Experte Planer.

Doch dass diese Gelder auch in Zukunft so selbstverständlich fließen wie bisher, ist unsicher. Die Finanzierung aller größeren Investitionen stemmen drei große Stiftungen der Eigentümerfamilie Albrecht. Das Problem: Nur wenn alle Stiftungen einstimmig entscheiden, darf Geld fließen.

Mit der Eintracht zwischen den Stiftungen aber ist es vorbei, seit sich Gründersohn Theo Albrecht jun. mit der Witwe seines Bruders Berthold verkracht hat – und dieser Streit auch öffentlichkeitswirksam vor Gerichten ausgetragen wird. Während Theo mit seiner Mutter Cilly die Markus- und die Lukas-Stiftung kontrolliert, entscheiden über Auszahlungen der Jakobus-Stiftung seine Schwägerin Babette und ihre Kinder.

Bisher hätten Babette und die Kinder noch keine wichtige Entscheidung für das Unternehmen blockiert, betont ihr Anwalt. Im Gegenteil: Gerichtsakten zeigen, dass sie beispielsweise einer Zahlung von 127 Millionen Euro für eine Kapitalerhöhung bei Aldi Nord zugestimmt haben.

Doch wenn der Streit weiter eskaliert, könnte es irgendwann mit der Kooperation auf operativer Ebene vorbei sein. Dann könnten, wie Theo Albrecht es im Handelsblatt-Interview bildreich beklagte, „die Kinder von Berthold zusammen mit ihrem Anwalt das Unternehmen am Nasenring durch die Manege führen“.

Für das Unternehmen Aldi Nord wäre das fatal. Ist doch der Weg zum Discount der Zukunft wahrscheinlich nie abgeschlossen. Denn auch die Konkurrenz schläft nicht.

Kulturwandel auch bei Lidl

Allein Lidl will mit rund drei Milliarden Euro sein mehr als 3000 Filialen umfassendes Netz in Deutschland modernisieren. Erst im Juni verkündete Lidl-Chef Sven Seidel, dass dieses Programm um weitere 200 Millionen Euro aufgestockt wurde. „Breitere Gänge, höhere Decken, mehr Licht und auch Kundentoiletten mit Wickeltisch“, beschrieb Seidel im Handelsblatt-Interview das neue Konzept. „Wenn Sie sich so manche Filialen älteren Baujahrs anschauen, dann ist vielerorts schon alles sehr kleinteilig.“ Das sei geradezu ein Kulturwandel, schwärmte er.

Auch Aldi Süd schafft Fakten. Stolz präsentierte Geschäftsführerin Jeanette Thull Mitte März die „Filiale der Zukunft“ in Unterhaching bei München. Nach diesem Vorbild sollen mittelfristig alle rund 1 860 Märkte in Deutschland umgestaltet werden, auch hier mit viel Licht, Holzverkleidungen und Kundentoiletten. Dabei erwirtschaftet jede Aldi-Süd-Filiale heute schon im Schnitt rund 7,5 Millionen Euro pro Jahr. Zum Vergleich: Selbst die modernisierten Aldi-Nord-Läden schaffen im Schnitt nur einen jährlichen Umsatz von rund fünf Millionen.

Aber die Aufholjagd von Aldi Nord hat ja auch gerade erst richtig begonnen. „Wenn die modernisierten Filialen bei den Kunden gut ankommen und das neue Format ausgerollt wird, dürfte das Unternehmen starke Jahre vor sich haben“, prognostiziert Experte Planer.

Oder wie Aldi-Nord-Geschäftsführer Rüschoff es formuliert: „Die Modernisierung der Filialen ist ein Prozess, der nie vollständig abgeschlossen ist.“ Deswegen dürfte auch im Testmarkt in Raesfeld die Arbeit nie ausgehen.

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