Zulieferindustrie Zeitenwende bei Knorr-Bremse: Jan Mrosik tritt das schwere Erbe des Patriarchen an

Der frühere Siemens-Manager steht seit Januar an der Spitze von Knorr-Bremse.
München Hinter Knorr-Bremse liegt ein mehr als turbulentes Jahr: Mitten in der Coronakrise tauschte der Zulieferkonzern seinen Vorstandschef – mal wieder. Eine Woche vor der Bilanzpressekonferenz verstarb der Mehrheitsaktionär und Unternehmenspatriarch. „Heinz Hermann Thiele stellte höchste Ansprüche an sich selbst und andere“, sagte der neue Konzernchef Jan Michael Mrosik am Donnerstag in München. „Wir werden den erfolgreichen Wachstumskurs der Knorr-Bremse fortsetzen.“
Mrosik steht seit Januar an der Spitze des Weltmarktführers für Zug- und Lkw-Bremsen. Seine Berufung hat er im Wesentlichen Thiele zu verdanken. Der hatte sich im vergangenen Jahr wieder in den Aufsichtsrat wählen lassen und betrieb von dort aus den Vorstandswechsel.
Mrosiks Vorgänger Bernd Eulitz entsprach wie zahlreiche andere Manager in der Vergangenheit nicht Thieles Erwartungen und musste nach wenigen Monaten wieder gehen. Nun ist es also an dem ehemaligen Siemens-Manager, die Erwartungen des Patriarachen posthum zu erfüllen.
Mrosik ist nach eigenen Worten noch im „Onboarding-Modus“. Kennengerlernt habe er bislang ein Unternehmen mit „Hochleistungskultur“, das keineswegs neu ausgerichtet, sondern nur verbessert werden könne.
Der studierte Elektrotechniker sieht sich dafür gut gerüstet. Der 56-Jährige war zuletzt Chief Operating Officer der Sparte Digital Industries bei Siemens. Er kam aus der Energieverteilung, hatte sich aber schnell in das Industriegeschäft eingearbeitet, unter seiner Führung entwickelte sich die Vorzeigesparte Digitale Fabrik gut.
Mrosik gilt als durchsetzungsstark, manchem im Auftreten als zu forsch. Als Cedrik Neike und nicht er zum Vorstandschef der Sparte ernannt wurde, war sein Karriereweg bei Siemens zu Ende. Die anspruchsvolle Führungsaufgabe bei der benachbarten Knorr-Bremse reizte ihn.
Denn der Zulieferkonzern, den Thiele in den vergangenen Jahrzehnten zum Global Player machte, ist kein einfaches Konstrukt. Der vergangenen Dienstag im Alter von 79 Jahren verstorbene Thiele hatte bis zuletzt sein eigenes Büro in der Firmenzentrale und wusste über die Vorgänge in der Firma genau Bescheid. Zu wichtigen Kunden hielt er bis zum Schluss Kontakt.
Und auch im Haus hat ein CEO bei Knorr-Bremse nicht automatisch Durchgriff, wenn er von außen kommt. Die beiden sehr eigenständigen Sparten Lkw und Zug werden wie eigene Unternehmen von selbstbewussten Vorständen geführt. Mrosiks Vorgänger wurden in dieser Welt schnell zerrieben.
Die Familie bleibt Ankeraktionär
Das könnte nun anders werden. Thieles Erben – Tochter Julia und Ehefrau Nadia halten 60 Prozent der Anteile – dürften als Ankeraktionäre an Bord bleiben. Der starke unternehmerische Einfluss der Familie wird mit Thieles Tod aber abnehmen.
Die Kontrolle wird ein personell gestärkter Aufsichtsrat ausüben. Neben Tochter Julia Thiele Schürhoff sind im vergangenen Jahr Ex-Airbus-Chef Tom Enders sowie Theodor Weimer, Chef der Deutschen Börse, in das Gremium eingezogen.
Aufsichtsratschef Klaus Mangold hat zudem BMW-Finanzchef Nicolas Peter als Kontrolleur berufen. Ein wichtiges Signal. Knorr-Bremse ist seit dem Börsengang 2018 ein wichtiges Mitglied im MDax und braucht den Nachweis einer soliden Corporate Governance.
Operativ übernimmt Mrosik auf den ersten Blick ein exzellentes Geschäft, finanziell gesteuert von Finanzvorstand Frank Weber, der von Daimler zu Knorr gewechselt ist. Zwar sanken die Umsätze um 11,2 Prozent auf rund 6,1 Milliarden Euro. Die Ebit-Marge von 13.2 Prozent liegt aber nur zwei Jahre unter dem Vorjahreswert.
Zudem verbucht Knorr-Bremse einen Auftragsbestand von fast fünf Milliarden Euro, ein Rekordwert in der Firmengeschichte. Sowohl das Schienengeschäft als auch die Lkw-Sparte melden wieder deutlich steigende Produktion, gebremst lediglich durch den Chipmangel, der die gesamte Industrie derzeit plagt. Mrosik ist sich aber sicher, dass die Produktionsverzögerungen im Jahresverlauf wieder aufgeholt werden können.
Für das laufende Jahr erwartet das Unternehmen wieder einen Umsatz von 6,5 bis 6,9 Milliarden Euro und eine operative Marge von 13 bis 14,5 Prozent. Mit diesen Zahlen ist Knorr-Bremse nach wie vor eines der stärksten Unternehmen im globalen Zuliefergeschäft. An der Börse lag die Aktie am Donnerstagnachmittag leicht im Plus.

Der Münchener Zulieferkonzern steht vor großen Herausforderungen.
Das ist aber nur die Momentaufnahme, Mrosik steht vor strategischen Herausforderungen. In China, dem größten Einzelmarkt, protegiert die Regierung zunehmend einheimische Lieferanten bei der Erstausrüstung von Zügen und U-Bahnen. Die Lkw-Branche bereitet sich auf das automatisierte Fahren vor, Bremse und Lenkung werden zu einem von Computern dirigierten System. Knorr braucht neue Kompetenzen.
Der wesentlich größere Zulieferkonzern ZF kaufte im vergangenen Jahr den Bremsenspezialisten Wabco und begibt sich damit in direkte Konkurrenz. Die Münchener sicherten sich den US-Lenkspezialisten R.H. Sheppard sowie Hitachi Steering. „Es gibt nicht viele Wettbewerber, die beide Technologien im Haus haben“, sagt Mrosik selbstbewusst – wohl wissend, dass Knorr jetzt in einer neuen Gewichtsklasse antritt.
Knorr hat mit dem „E-Qubator“ eine eigene agile Forschungseinheit gegründet, die Lösungen für die Elektromobilität entwickeln soll. Stromlaster haben ein anderes Bremsverhalten als konventionelle Lkws.
Neben der Elektromobilität und dem autonomen Fahren wird die Digitalisierung das nächste große Feld sein, auf dem sich die Zukunft des MDax-Konzerns entscheidet. Mrosik setzt große Hoffnungen in die Auswertung von Daten, die beispielsweise den Verschleiß von Bremsen frühzeitig erfasst. Solche Systeme könnten den Wartungsaufwand von Zügen und Lastwagen deutlich reduzieren.
Knorr-Bremse braucht dafür zusätzliche Softwarekompetenzen. Der Ex-Siemens-Manager bringt die entsprechenden Erfahrungen mit, muss sie im Unternehmen aber auch durchsetzen.
Streit mit Bosch
Und eine weitere Baustelle hat Mrosik geerbt. So muss Knorr-Bremse dem Konkurrenten Bosch dessen 20-Prozent-Beteiligung am eigenen Europageschäft mit Nutzfahrzeug-Bremsen abkaufen. Das habe ein Schiedsgericht Ende des vergangenen Jahres entschieden, sagte Knorr-Finanzvorstand Frank Weber.
Nun müsse noch über den Kaufpreis für den Anteil an der Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge (SfN) und eine gemeinsame Firma in Japan verhandelt werden. Knorr-Bremse habe dafür in der Bilanz bereits 379 Millionen Euro zurückgestellt. Das entspricht in etwa dem Betrag, für den der Stuttgarter Autozulieferer das Anteilspaket nach dem Vertrag an Knorr-Bremse verkaufen darf. Bislang hatte Knorr immer bestritten, dass Bosch das Recht hat, die Verkaufsoption zu ziehen.
Hintergrund des seit Jahren schwelenden Streits ist der Vorwurf von Bosch, dass Knorr-Bremse dem langjährigen Partner bei Lkw-Lenksystemen absprachewidrig Konkurrenz mache. Die Auseinandersetzung war vor dem Börsengang von Knorr-Bremse 2018 eskaliert.
Bosch hatte sein Geschäft mit Lkw-Bremsen vor mehr als 20 Jahren an die Münchener abgegeben und war im Gegenzug bei der SfN eingestiegen, in der Knorr-Bremse sein Europageschäft gebündelt hat. Ein zweites Schiedsgerichtsverfahren zu den Lieferbeziehungen zwischen Knorr-Bremse und Bosch sei noch anhängig, sagte Weber.
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