ABB-Investor Jacob Wallenberg Tradition verpflichtet

Große Verantwortung für Schweden.
Stockholm Entspannt sieht er meistens aus. Die gewellten, gar nicht so adrett gekämmten Haare, die markante Brille und der wache Blick – all das spricht für einen Mann, der mit sich selbst im Reinen ist und den kaum etwas aus der Ruhe bringen kann.
Kann es aber. Denn Jacob Wallenberg ist dieser Tage ein vielbeschäftigter, um nicht zu sagen gestresster Mann. Das Oberhaupt der mächtigen schwedischen Familiendynastie muss nicht nur das einhundertjährige Jubiläum der von seiner Familie kontrollierten Investmentgesellschaft Investor AB am 16. Oktober planen, sondern sich auch noch mit seiner Meinung nach uneinsichtigen Aktionären bei Wallenberg-Beteiligungen herumschlagen. Gerade hat sich der 60-jährige Investor-Aufsichtsratschef durchsetzen können und die Aufspaltung des Schweizer Elektrokonzerns ABB verhindert.
An ABB hält die Investor insgesamt 10,5 Prozent und ist damit größter einzelner Aktionär. Allerdings stammt auch der mit einem ABB-Anteil von 6,2 Prozent zweitgrößte Aktionär aus Schweden, und der hatte ganz andere Pläne für das Konglomerat. Cevian, ein in der Vergangenheit häufig aggressiv auftretender Investmentfonds, befürwortete die Abspaltung der Stromnetzsparte von ABB. Sie sollte nach den Vorstellungen von Cevian-Chef Christer Gardell als unabhängiges Unternehmen an die Börse gebracht werden. Doch er hatte die Rechnung ohne Jacob Wallenberg gemacht. „Wir haben eine große Verantwortung für Schweden“, erklärte der vor einigen Tagen. Und damit meinte er vermutlich auch die Stromnetz-Sparte von ABB, die hauptsächlich in Schweden produziert. ABB wird also nicht aufgespalten, alles bleibt beim Alten.
Auf Tradition haben die Wallenbergs schon immer gesetzt. Revolutionen, kleinere oder größere, waren ihnen stets ein Gräuel. Und mit dieser Strategie sind sie weit gekommen. Heute ist die die von Jacob Wallenberg angeführte Familiendynastie aus Stockholm die wohl mächtigste in Europa. „Die halbe Börse gehört Wallenberg“. Die Makler in Stockholm sind sich einig, dass das geflügelte Wort durchaus einen hohen Wahrheitsgehalt hat. Keine andere Familie dominiert die schwedische Wirtschaft so wie die Wallenbergs, und auch nach europäischen Maßstäben gemessen gibt es kaum so eine einflussreiche Dynastie.
Weltumspannendes Kontaktnetz
Die Unternehmen, die zur Wallenberg-Sphäre gezählt werden, haben heute einen Börsenwert von umgerechnet 250 Milliarden Euro und beschäftigen etwa eine halbe Million Menschen. Zu den wichtigsten Beteiligungen zählen ABB, der Arzneimittelkonzern Astra Zeneca, der Hausgerätehersteller Electrolux, der Telekomausrüster Ericsson, der Kugellager-Riese SKF und die Bank SEB. Es gibt in Schweden kaum ein namhaftes Unternehmen, an dem die Wallenbergs nicht direkt über Investor oder indirekt über die Investmentgesellschaft EQT beteiligt sind.
Der 60-jährige Jacob Wallenberg ist zusammen mit seinem Cousin Marcus das Gesicht der Familie. Der passionierte Segler, der es sich nie nehmen lässt, einmal im Jahr trotz vollen Terminkalenders an der Hochseeregatta Gotland Runt teilzunehmen, übernahm schon früh Verantwortung im Familienimperium. Er war Chef der Wallenbergschen Hausbank SEB und engagiert sich in diversen Aufsichtsräten – sowohl von Unternehmen, die von seiner Familie kontrolliert werden als auch von Konzernen, die nicht zum Einflussbereich der Wallenbergs zählen, wie etwa Coca Cola, wo er als einziger Nicht-Amerikaner sieben Jahre lang im Kontrollgremium saß.
Das Geheimnis für den Erfolg der Familie beruht laut Wallenberg-Kenner David Bartal, einem in Schweden lebenden US-Journalist und Buchautor, in dem weltumspannenden Kontaktnetz, das über die letzten Jahrzehnte entstanden ist. So nimmt Jacob Wallenberg regelmäßig an der Bilderberg-Konferenz teil, wo sich das Who-is-who aus Politik, Wirtschaft und Kultur ein Stelldichein gibt. Auch ist der stets milde lächelnde Wallenberg ein gern gesehener Gast und Redner auf dem World Economic Forum in Davos.
Bartal hat sich vor einigen Jahren in seinem auf Englisch erschienenen Buch „Das Imperium – Wie die Wallenbergs Europas mächtigste Familiendynastie aufbauten“ intensiv mit dem Clan auseinandergesetzt. Er spricht von dem „charmanten Anachronismus“ eines modernen industriellen Imperiums mit feudalen Tendenzen. Den Erfolg der Familie Wallenberg erklärt Bartal außerdem mit deren langfristiger Perspektive. „Sie wollen Einfluss haben, sie setzen nicht auf das schnelle Geld“.
Kontrolle oder Ausstieg
Und tatsächlich hat die Familie oftmals in der Vergangenheit auch an Unternehmen festgehalten, deren Ertragssituation weniger rosig war. „Unser Instinkt sagt uns, nichts abzugeben, was nicht in Ordnung ist und kein Geld abwirft“, hat Jacobs Vater, Peter Wallenberg, in einem seiner seltenen Interviews betont. Das heißt auf der anderen Seite nicht, dass sich die Wallenbergs nicht von Teilen des Imperiums trennen können. „Wenn sie ein Unternehmen nicht kontrollieren können, steigen sie aus“, fasst Bartal die Strategie zusammen.
Aufgebaut wurde das Imperium Anfang des 19. Jahrhunderts von André Oscar Wallenberg. Er gründete die Stockholms Enskilda Bank, aus der die heutige Großbank SEB hervorging. Der Vater von 21 Kindern legte damit den Grundstein für das Imperium. Die nächsten Generationen bauten den industriellen Komplex auf.
Die Geschichte der Wallenbergs enthält auch düstere Kapitel: Ihnen wird vorgeworfen, während des Zweiten Weltkriegs mit deutschen Firmen Geschäfte gemacht zu haben. Und auch das Schicksal von Raoul Wallenberg, der als Diplomat in Budapest während des Krieges zwischen 20.000 und 100.000 Juden vor den Nazis rettete, dann aber von Russen verhaftet wurde und seitdem verschwunden ist, wirft Fragen auf. Steht sein Verschwinden im Zusammenhang mit den Handelsbeziehungen zu Nazi-Deutschland?
Schon vor dem Tod von Familienoberhaupt Peter Wallenberg 2015 übernahmen sein Sohn Jacob zusammen mit einem Bruder und dem Cousin die Leitung der mächtigen Wallenberg-Stiftung sowie der Holding Investor. Unter der Führung von Jacob Wallenberg setzt die fünfte Wallenberg-Generation stärker als zuvor auf Informationstechnologie, Telekommunikation und Health Care.
Alte Beteiligungen wie die an ABB sind deshalb nicht uninteressant geworden. Den Machtkampf um ABB hat Jacob Wallenberg zunächst für sich entschieden. Doch er ist nicht der Typ, der triumphiert. Eher jemand, der im Stillen genießen kann. Allerdings bleibt dafür kaum Zeit, denn jetzt heißt es erst einmal, die Vorbereitungen zum Jubiläum von Investor abzuschließen.
1.500 Gäste werden erwartet, darunter das schwedische Königspaar. Jacob Wallenberg wird die Gäste im altehrwürdigen Grand Hotel mitten in der Stockholmer Innenstadt in Empfang nehmen. Das Hotel, in dem sonst Staatsgäste und Pop-Größen absteigen, wurde für die Festlichkeiten komplett reserviert. Kein Problem – es gehört Jacob Wallenberg und seiner Familie.
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