Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke

Abgas-Manipulationen Verbraucherschützer lassen Dieselkläger allein

Trotz des großen Erfolgs im Vergleich mit Volkswagen klagt der Verbraucherverband nur in einem weiteren Fall gegen einen Autohersteller. Dieselkläger und Anwälte suchen nach Alternativen.
11.11.2021 - 15:56 Uhr Kommentieren
Der VZBV lehnte ab, eine Musterklage gegen Audi auf den Weg zu bringen. Quelle: dpa
Verbraucherzentrale

Der VZBV lehnte ab, eine Musterklage gegen Audi auf den Weg zu bringen.

(Foto: dpa)

Köln Es war der größte Massenvergleich in der Geschichte Deutschlands: Etwa einer Viertelmillion Dieselfahrern zahlte Volkswagen eine Entschädigung. Insgesamt 830 Millionen Euro stellte der Autobauer dafür zur Verfügung. Für die Geschädigten sprangen dabei zwischen 1350 und 6250 Euro heraus.

Das war im Frühjahr 2020, und Klaus Müller, Chef des Verbraucherzentrale-Bundesverbands (VZBV) sagte, dass man sich nun sehr viele Sachverhalte genau anschaue und prüfen werde, wie man die Rechte am besten durchsetzt. „Uns ist bewusst, dass Volkswagen nicht der einzige Konzern ist, der beim Thema Diesel manipuliert hat", so Müller.

Eineinhalb Jahre später ist wenig passiert – und das, obwohl bei den Gerichten Zigtausende von Dieselklagen eingingen und noch immer eingehen. Fast alle Autohersteller sind betroffen. Doch eine Musterklage, die wie im Fall des Dieselmotors EA189 Hunderttausende von Autofahrern betrifft, ist nicht in Sicht.

Nur in einem einzigen Fall hat der VZBV die Initiative ergriffen. Der Verband führt eine Musterfeststellungsklage gegen die Daimler AG. Es geht um relativ exotische Modelle der Mercedes GLC- und GLK-Reihe. Bis dato haben sich beim Bundesamt für Justiz 549 G-Klasse-Fahrer für die Klage registrieren lassen.

Keine Regung zeigt der VZBV bezüglich anderer Dieselfahrzeuge. So wies er eine Initiative der Klägerkanzlei Gansel zurück, die eine Musterfeststellungsklage gegen die VW-Tochter Audi auf den Weg bringen wollte. Die Anwälte sehen gute Chancen auf Schadensersatz für Fahrer von V-TDI-Motoren der Marken Audi, VW und Porsche, die von Audi hergestellt wurden und für die das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) 2018 Rückrufe anordnete. Aufgrund der Datenbank des Amtes gehe die Kanzlei davon aus, dass bis zu 250.000 Kunden Ansprüche gegen die Hersteller geltend machen können, so Timo Gansel.

Konkret betroffen sind die Fahrzeugmodelle Audi A4-A8, Q5, SQ5 und Q7 sowie die Porsche-Fabrikate Cayenne, Panamera und Macan und der VW Touareg mit einem Hubraum zwischen 3 und 4,2 Litern. In der Rückrufdatenbank des KBA können Kunden unter dem Hersteller-Code oder über den Markennamen herausfinden, ob ihr Fahrzeugtyp von einem Rückruf betroffen ist.

Viel Zeit bleibt nicht. So müssten die Ansprüche noch 2021 geltend gemacht werden, da für nahezu alle betroffenen Kunden „die Verjährung ihrer Ansprüche mit Ablauf des Jahres 2021 droht“, sagt Gansel. Denn „die allermeisten Rückrufe und Aufforderungen an die betroffenen Fahrzeughalterinnen und -halter zur Überarbeitung ihres Dieselmotors wurden im Jahre 2018 ausgesprochen.“

Verbraucherschutz: „Keine Kapazitäten“

Der VZBV lehnte jedoch ab, in dieser Sache eine Musterklage auf den Weg zu bringen. Der Grund: keine Zeit. „Aufgrund seiner begrenzten Kapazitäten kann der VZBV nicht jeden Rechtsverstoß eines Unternehmens zum Gegenstand einer Musterfeststellungsklage machen“, erklärte der Verband auf Anfrage des Handelsblatts.

Die Vorbereitung und Führung einer Musterfeststellungsklage sei sehr kosten- und personalintensiv, da der Gesetzgeber umfangreiche Voraussetzungen für die Musterfeststellungsklage formuliert habe. Der VZBV habe sich deshalb auch gar nicht erst mit der Sache beschäftigt. „Weil erkennbar war, dass wir keine Kapazitäten für eine Musterfeststellungsklage gegen Audi haben werden, haben wir auch keine Prüfung zu den Erfolgsaussichten angestellt“, sagte ein VZBV-Sprecher. „Diese Prüfung hätte wiederum Kapazitäten gebunden, die gerade nicht vorhanden sind.“

Die Juristen bei Gansel verstehen das Verhalten der Verbraucherschützer nicht. Gansel-Anwalt Philipp Caba bezeichnete es als „ein absolutes Unding, mehrere Hunderttausende von der Audi AG vorsätzlich sittenwidrig Geschädigte einfach im Regen stehen zu lassen“. Der Verweis auf den Aufwand sei „nur ganz schwer zu verstehen, wenn der Hauptaufwand doch bei der Kanzlei liegt, alle Haftungs- und Prozesskostenrisiken durch einen Finanzierer getragen werden und der Gegner vergleichsbereit ist“.

Die Kanzlei sucht nun einen anderen Weg und bereitet zusammen mit dem Prozessfinanzierer Spreefels eine Sammelklage vor, der sich Kunden über ein Onlineformular anschließen können. Ob ein solches Modell funktioniert, ist noch nicht endgültig geklärt.

Manche Gerichte machen nicht mit

Der Rechtsdienstleister Myright scheiterte mit einem ähnlichen Modell vor dem Landgericht Ingolstadt. Dort meinten die Richter, es fehle an einer Klagebefugnis. Damit bleibt das Risiko, dass Diesel-Fahrer schon aus rein formalen Gründen scheitern und somit leer ausgehen.

Bei Gansel fürchtet man dies in eigener Sache nicht. Es gebe vertragliche Unterschiede. Ebenso können sich bei Gansel keine ausländischen Personen anmelden. Das Oberlandesgericht Braunschweig hatte kürzlich in einem Myright-Fall eine Klage mit Verweis auf eine fehlende Legitimation abgewiesen, nachdem sich der Dienstleister auch Ansprüche von ausländischen Dieselkunden hatte abtreten lassen.

Audi gibt sich währenddessen gelassen. Den Vorstoß von Gansel bezeichnete ein Sprecher als „anwaltliche Werbung in einem umkämpften Markt“. Die Bilanz vor den Gerichten spreche eindeutig für die Ingolstädter. „Bezüglich der Verfahren sind mit Stand Oktober 2021 bislang rund 8.600 V-TDI Urteile mit Beteiligung der Audi in erster Instanz ergangen. Davon wurden etwa 80 Prozent zu unseren Gunsten entschieden. In zweiter Instanz sind rund 700 Entscheidungen ergangen. Davon wurden ebenfalls über 80 Prozent zu unseren Gunsten entschieden“, sagte der Sprecher.

Daneben dürfte es jedoch etliche außergerichtliche Vergleiche geben, über die Audi keine Angaben macht. Ein Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen fahrlässiger Aufsichtspflichtverletzung konnte Audi gegen Zahlung eines Bußgelds von 800 Millionen Euro abschließen.

Fest steht, dass sich die Gerichte weiter mit vielen Tausend Einzelklagen beschäftigen müssen, weil sich die Musterfeststellungsklage in der Praxis nicht bewährt hat. Die Präsidenten der Oberlandesgerichte bedauerten jüngst auf einer Tagung die massive Überlastung der Justiz vor allem durch Dieselfälle. Eine schnellere Lösung von Rechtsfragen sei nicht in Sicht und die Erwartungen würden nicht erfüllt.

Mehr: Der Strafprozess gegen Ex-Audi-Manager läuft, aber zahlreiche Verfahren werden eingestellt.

Startseite
Mehr zu: Abgas-Manipulationen - Verbraucherschützer lassen Dieselkläger allein
0 Kommentare zu "Abgas-Manipulationen: Verbraucherschützer lassen Dieselkläger allein"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%