Abgasskandal Dubioses Smart-Zulassungsverfahren bringt Daimler und KBA in Erklärungsnot

Obwohl das KBA schon im Prüfverfahren unvorschriftsmäßige Kupplungszeitpunkte feststellte, erteilte es zunächst eine Genehmigung für die Abgas-Anlage. Es ist nicht die einzige Kuriosität in diesem Fall.
Düsseldorf Das Kraftfahrt-Bundesamt hat 2014 das Abgas-System eines Daimler-Modells zugelassen, obwohl der Autokonzern auf dem Teststand wissentlich gegen die Prüfbedingungen verstieß. Das belegen Recherchen des Handelsblatts. Bei dem Fahrzeug handelte es sich um ein Benziner-Modell des Smart forfour. Erst später nahm das Amt die Genehmigung wieder zurück.
Angeblich ging es dabei um den Einsatz der damals noch recht neuen Start-Stopp-Technik auf dem Prüfstand. Wer der Sache auf den Grund gehen will, stößt jedoch auf auffällige Widersprüche in den Begründungen von Autohersteller und Zulassungsbehörde.
Anwälte, die im Dieselskandal gegen Daimler vorgehen, vermuten deshalb, dass mehr dahinter steckt. „Es scheint, dass auch die Abgastricksereien bei Daimler einen größeren Umfang haben als angenommen“, glaubt Rechtsanwalt Andreas Baier von der Karlsruher Kanzlei Baier Depner. Der Autokonzern weist solche Vermutungen zurück.
In der Dieselaffäre hat sich das Kraftfahrt-Bundesamt bislang nicht gerade als Aufklärer entpuppt. 2017 musste die Münchner Staatsanwaltschaft dem Amt sogar Ermittlungen wegen Behinderung der Justiz androhen, bevor die Arbeit der obersten Kfz-Zulassungsbehörde in Gang kam.
Dann deckte das Handelsblatt vor wenigen Wochen auf, dass die Behörde auch die zivilen Klageverfahren von Kunden bremst – indem es wichtige Bescheide unter Verweis auf Geschäftsgeheimnisse der Autobauer nicht an die Gerichte herausgibt. Nun kommt ein weiterer Fall ans Licht, der es so aussehen lässt, als ob die Behörde nicht ausreichend ermittelte.
Ausgangspunkt ist ein Bescheid des Flensburger Amts, der am 4. Juli 2014 an die Daimler AG in Sindelfingen ging. Er liegt dem Handelsblatt vor.
Darin nimmt das KBA eine bereits erteilte Genehmigung für das Abgassystem eines Mercedes-Modells mit der Nummer e1*715/20007**136/2014W*1074*01 zurück. Laut Aussage von Daimler und KBA handelte es sich dabei um einen Smart forfour, Schaltwagen mit 52 kw, Benziner.
Daimler betont auf Nachfrage, dass kein Fahrzeug mit dem in Rede stehenden Abgassystem jemals in Verkehr gebracht wurde. Interessant ist aber, warum das KBA die zunächst erteilte Genehmigung für das Abgas-System zurückzog.
In seinem Bescheid wählt die Behörde dazu nur wenige Worte. Begründung: Bei den Prüfungen des Fahrzeugs auf dem Teststand sei festgestellt worden, dass „in den Leerlaufphasen nicht die in der Vorschrift vorgegebenen Kupplungszeitpunkte verwendet“ wurden.
Obwohl das KBA also schon im Prüfverfahren unvorschriftsmäßige Kupplungszeitpunkte feststellte, erteilte es zunächst eine Genehmigung für die Abgas-Anlage. Es ist nicht die einzige Kuriosität in diesem Fall.
Testfahrer habe Ablauf missachtet
Um ihn zu verstehen, muss man wissen, dass alle Fahrzeuge vor Zulassung einen exakt vorbestimmten Fahrzyklus auf dem Prüfstand durchlaufen müssen – den so genannten NEFZ. Darin ist auch der Ablauf von Schalt- und Kupplungsvorgängen genau beschrieben.
Diesen Ablauf habe der Testfahrer missachtet, teilt Daimler auf Anfrage mit. „Es handelte sich um eine Frage im Hinblick auf das manuelle Schaltverhalten des Fahrers in der Leerlaufphase des NEFZ“.
Das KBA präzisiert auf Nachfrage diese Ausführungen. Danach ging es angeblich um den Einsatz der Start-Stopp-Automatik, die durch Betätigung des Kupplungspedals aktiviert wird. Offenbar setzte der Testfahrer die Start-Stopp-Automatik in Standphasen zu spät außer Kraft – und das wohl gezielt.
Laut Daimler wurde das spezielle Schaltverhalten des Fahrers nämlich bereits „vor“ Durchführung der Testfahrt beim KBA „adressiert“. Der Testfahrer kuppelte also nicht nur bewusst, sondern laut Daimler auch mit Kenntnis des KBA nicht so, wie es der Fahrzyklus vorgab. Warum das geschah, teilt Daimler nicht mit.
Das Schalten hatte jedenfalls Folgen: Auf dem Teststand zeigte das Fahrzeug sowohl einen geringeren CO2-Ausstoß als auch einen geringeren Spritverbrauch, als es bei einem regulärem Schaltverhalten gehabt hätte. Laut KBA betrug die CO2-Abweichung 1,5 g/km, der Kraftstoffverbrauch 0,1 Liter auf 100 Kilometer.
Gleichwohl akzeptierte das KBA offenbar die unzulässige Testfahrt und erteilte zunächst sogar die Genehmigung für das Abgas-System. Daimler erklärt dazu: „Das KBA hatte uns die Systemgenehmigung zunächst erteilt, jedoch eine Abstimmung auf EU-Ebene dazu angekündigt.“
Schon das ist ein ungewöhnliches Vorgehen: Eine deutsche Behörde erteilt vorab eine Genehmigung, ohne zu wissen, ob diese überhaupt zulässig ist. Aber noch etwas anderes ist merkwürdig.
Abstimmung „irrtümlicherweise“ vergessen
Mit der Abstimmung auf EU-Ebene ist offenbar das so genannte Type Approval Authorities Meeting (TAAM) gemeint, bei dem sich die europäischen Zulassungsbehörden treffen und die Auslegung von Verfahrensregeln diskutieren. Deren Entscheidungen haben laut KBA keinerlei bindende Wirkung für das Zulassungsverfahren in Deutschland.
Dennoch verweist das KBA als Grund für die spätere Rücknahme der Abgas-Genehmigung auf das TAAM. Dort sei das Verfahren zum Einsatz des damals recht neuen Start-Stopp-Systems diskutiert worden. Und von den dort aufgestellten Regeln wich die Daimler-Testfahrt offenbar ab.
Nur: Laut KBA lag die Abstimmung über die Start-Stopp-Automatik im TAAM längst vor, als die Daimler-Testfahrt erfolgte, und zwar schon im Dezember 2012.
Wieso also hätte das KBA – wie von Daimler behauptet – 2014 eine Abstimmung ankündigen sollen, die schon eineinhalb Jahre zuvor passiert war? Und wenn die für Daimler negative Abstimmung im TAAM längst vorlag, wieso wurde dann die Genehmigung überhaupt erteilt? Laut KBA, weil die Prüfer die Abstimmung „irrtümlicherweise“ vergessen hatten.
Die KBA-Prüfer vergaßen also eine Abstimmung auf EU-Ebene, die von übergreifender Bedeutung war für den Einsatz einer neuen Technik wie die Start-Stopp-Automatik. Und das, obwohl Daimler laut eigener Aussage diese Thematik „vor“ der Testfahrt ja noch einmal ausdrücklich bei den KBA-Prüfern „adressiert“ hatte.
Dann führte der Fahrer die Testfahrt wissentlich falsch durch. Und das KBA genehmigte sie mit dem Hinweis auf eine längst erfolgte Abstimmung auf EU-Ebene – die man eigentlich vergessen hatte?
Im Rücknahme-Bescheid findet sich dazu im Übrigen kein Wort, das TAAM wird dort mit keiner Silbe erwähnt.
Ging es um etwas anderes?
Bei so viel Ungereimtheiten drängt sich die Frage auf, ob es womöglich um etwas ganz anderes ging. Immerhin führte das falsche Schalten auf dem Prüfstand zu künstlich verringerten CO2- und Verbrauchswerten des Smart.
Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Hersteller über das Schaltverhalten auf dem Prüfstand Abgaswerte manipulierte. So trickste Volkswagen offenbar Jahre lange auf dem Teststand beim Schaltverhalten von Automatikgetrieben – mit der Folge von geringeren CO2-Ausstößen und Spritverbräuchen.
Ende August dieses Jahres musste sich VW auf Druck der US-Umweltbehörde EPA deshalb bereit erklären, US-Besitzer von Benzinern mit insgesamt knapp 100 Millionen Dollar zu entschädigen. Das Handelsblatt hat zudem kürzlich aufgedeckt, dass dieser Trick offenbar auch in ganz Europa und bei Diesel-Motoren zum Einsatz kam.
Ging es um etwas Ähnliches auch beim Smart? Daimler bestreitet das und erklärt dazu, der Vorgang betreffe „ausschließlich den smart forfour mit Handschaltgetriebe“ und sei „sehr spezifisch“ gewesen.
Mehr: Dem Handelsblatt liegen brisante Bescheide des Kraftfahrt-Bundesamtes über manipulierte Motorentypen vor. Die Papiere helfen bei Klagen gegen den Hersteller.
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Das Problem von Verbrennungsmotoren sind deren schlechten Wirkungsgrade. Von der in Benzin oder Diesel enthaltenen Energie, kommen ja gerade einmal etwa die Hälfte als Antriebskraft an den Antriebsrädern an. Der Rest ist Wärme. Und an so einer Technik will die Bundesregierung allen Ernstes festhalten. Das ist bescheuert!