Abgasskandal Immer mehr Diesel-Besitzern droht die Zwangsstilllegung ihres Autos
Düsseldorf Für Dieter Herrmann (Name geändert) war es eine schwierige Entscheidung: Sollte er seinen Volkswagen umrüsten lassen und so seine Prozesschancen gefährden – oder das Risiko eingehen, das Auto womöglich für immer abstellen zu müssen?
„Teilen Sie uns bitte bis zum 30.4.2018 Ihre Entscheidung mit, da wir danach ein gebührenpflichtiges Schreiben gegen Sie erlassen müssen“, hatte ihm die Kfz-Zulassungsstelle Hannover Ende März geschrieben. Er sollte dann für einen Brief zahlen, mit dem sein VW Caddy „außer Betrieb gesetzt wird“.
Für die Zulassungsstelle war das Vorgehen konsequent. Herrmann brachte es in die Bredouille. Er weigerte sich schließlich, das zu tun, was die Behörde von ihm verlangte: Hermann sollte ein Software-Update auf sein Fahrzeug aufspielen lassen. Doch genau das, befürchtet Hermann, hätte seine Position im Rechtsstreit mit dem Hersteller geschwächt.
Seit Monaten kämpft der Diesel-Fahrer um Schadensersatz. Volkswagen verkaufte ihm ein Auto, das nicht schadensfrei war. Die Software, die den Ausstoß von Abgasen regelte, funktionierte nicht wie versprochen. Wenn er nun ein Update zulässt, könne er dies im Zweifel nicht mehr beweisen, meint Herrmann.
Der Skandal um manipulierte Diesel produziert die nächsten Opfer. Millionen von Diesel-Fahrzeugen haben in den vergangenen drei Jahren Milliarden Euro an Wert verloren, weil sie viel mehr Abgase ausstoßen als vom Hersteller versprochen. Mit den Angaben in den Hochglanz-Prospekten hat VW seine Kunden in die Irre geführt.
Die Diesel-Motoren erkannten mittels einer Software, ob das Auto auf der Straße oder auf dem Prüfstand unterwegs war. Sauber waren sie nur im Labor. In den USA zahlte Volkswagen bereits viele Milliarden an Strafen und Schadensersatz. In Deutschland tut der Konzern so, als sei alles mit einem Software-Update zu regeln. Dabei gibt es zahlreiche Urteile, die genau dies verneinen.
„Manipulationssoftware“ nennen Richter landauf, landab die programmierten Zeilen, mit denen Volkswagen sich die Zulassung seiner Fahrzeuge erschwindelte. Volkswagen habe dem Kunden „bei Abschluss des Kaufvertrages arglistig verschwiegen, dass die Stickoxidwerte nach der Euro-5-Abgasnorm nicht eingehalten werden, weil die maßgebenden Abgaswerte nur unter unzulässiger Nutzung der Software vorgetäuscht werden können“, formulierte das Landgericht Wuppertal.
Deshalb, so das Landgericht Baden-Baden, hätten die Kunden jetzt auch „wenig Anlass, der Herstellerin in Bezug auf die Software zu vertrauen, nachdem diese sowohl die Behörden als auch ihre Kunden über Jahre hinweg systematisch irregeführt hat.“
In den Urteilen sparen die Richter auch nicht mit Kritik an den Autobehörden. „Nutzlos und gleichsam durch das Kraftfahrt-Bundesamt aufgezwungen“, nennt das Landgericht Krefeld das Angebot von Volkswagen, die Diesel-Motoren umzuprogrammieren. Vorsorglich stellte es fest: „Dieser Nacherfüllungsversuch mittels Software-Update im Wert von 60 Euro lässt den begangenen Betrug nicht entfallen.“
Doch wie sollen die Kunden ihren erlittenen Betrug nachweisen, wenn Volkswagen die Betrugs-Software überschreibt? Ende April lief für viele Volumen-Modelle die 18-monatige Frist nach dem Rückruf ab, bis zu der ihnen eine neue Software aufgespielt werden musste. Maßgeblich hierfür ist eine Entscheidung des Kraftfahrt-Bundesamtes.
Ende 2017 war bereits der Pick-up Amarok betroffen, jetzt geht es um Hunderttausende Passats, Golfs und Touaregs. Wer sein Fahrzeug nicht umrüsten lässt, dem droht dessen Stilllegung.
Das rigorose Vorgehen der Zulassungsstellen treibt die VW-Kunden in die Arme von Anwälten. „Allein am Wochenende haben wir 14 neue Fälle hereinbekommen“, sagt Markus Klamert von der Münchner Kanzlei KMP3G Rechtsanwälte. Nur manchmal würden die Behörden die sofortige Vollstreckung der Stilllegung zeitweilig aussetzen. Die meisten stellten sich stur, berichtet Klamert – auch wenn man versuche, ihnen klarzumachen, dass das Verweigern des Updates nur deshalb geschehe, weil man Beweise für die Manipulation sichern will.
Nachfragen bei den Behörden bestätigen diese Darstellung. „Rechtsstreitigkeiten um manipulierte Fahrzeuge spielen für das Rückrufverfahren keine Rolle“, heißt es aus der Zulassungsstelle in München. Auch der ADAC warnt. „Es geht nicht um die Frage, ob solche Autos aus dem Verkehr gezogen werden, sondern allenfalls wann“, sagt Markus Schäpe, Leiter der juristischen Zentrale des Automobilclubs.
Ob Schadensersatzkläger weiterfahren können oder nicht, hängt auch von seiner Ausdauer und von seiner Bereitschaft ab, Geld in eine juristische Auseinandersetzung zu stecken. Gerade hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf einen Audi Q5 mit dem Betrugsmotor EA189 stillgelegt. Es stehe dem Antragsteller schließlich frei, seinen Wagen unverändert zu lassen, ihn abzumelden und außerhalb des öffentlichen Straßenverkehrs zu lagern, um ihn für einen Sachverständigen vorzuhalten.
Dem Antragsteller ist jedoch nicht danach, seinen SUV „außerhalb des öffentlichen Straßenverkehrs zu lagern“ – er geht gegen die Entscheidung an.
Nicht nur die Gerichte machen den hintergangenen Kunden Ärger, sondern auch die Behörden. Und das kostet meist sogar Geld. Die Ämter stellen den Diesel-Besitzern die Hiobsbotschaften über die drohende Stilllegung gleich in Rechnung. Der Landkreis Uelzen berechnet eine Verwaltungsgebühr von 14,30 Euro. Im Landkreis Wesermarsch sind es 30 Euro.
Ein VW-Kunde aus Düsseldorf beschreibt seinen Austausch mit der Behörde so: „Ich habe sowohl telefonisch als auch schriftlich um Fristverlängerung gebeten, beides wurde abgelehnt.“ Wenn er bis zum 26. April keinen Nachweis über ein Software-Update erbringe, sei ein weiteres Schreiben angekündigt worden, für das er 20 Euro bezahlen soll. „In diesem Schreiben wird mir eine erneute Frist von 40 Tagen eingeräumt. Danach wird das Stilllegungsverfahren eingeleitet, das dann mindestens 140 Euro kostet.“
Warum die Eile? Jahrelang ließen die Behörden Volkswagen seine Kunden betrügen. Was drängt die Zulassungsstellen nun dazu, die Manipulationssoftware überschreiben zu lassen, bevor die Rechtsansprüche der Kunden geklärt sind? „Das habe ich auch gefragt“, sagt der VW-Kunde in Düsseldorf. „Mir wurde gesagt, es gebe einen entsprechenden Erlass des Verkehrsministeriums.“
Tatsächlich scheint die Politik aufs Tempo zu drücken. In Nordrhein-Westfalen etwa gibt es eine interne Handlungsanweisung an die Zulassungsbehörden, die Stilllegungen strikt durchzuziehen. Man sei sich mit dem Bund und den anderen Ländern einig, heißt es im nordrhein-westfälischen Verkehrsministerium, dass der Vertrauensschutz des Bürgers zurückstehen müsse. Denn dem Gesetzgeber gehe es darum, „ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und somit die Menschen vor Gesundheitsschäden infolge von Luftverschmutzung zu schützen.“
Anwälte empfehlen, sich dadurch nicht einschüchtern zu lassen. „Soweit es sich um Ansprüche gegen den Händler handelt, bleibt es bei der Empfehlung, die Installation des Updates so lange wie möglich hinauszuzögern“, sagt Julius Reiter, dessen Düsseldorfer Kanzlei Baum, Reiter & Collegen Tausende VW-Geschädigte vertritt. Sein Kollege Ralf Stoll von der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer geht sogar noch ein Stück weiter. „Wir raten den Mandanten generell, das Update nicht durchführen zu lassen. Dies wäre eine Beweisvereitelung“, sagt Stoll.
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