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Glyphosat-Einsatz in Florida

Die größte Übernahme, die je ein deutsches Unternehmen im Ausland gewagt hat, verläuft nicht wie von Bayer erhofft.

(Foto: Imago)

Agrarchemie Wie Bayer die Monsanto-Übernahme doch noch zum Erfolg machen will

In der Kornkammer der USA wirbt Bayer für die Vorteile der Fusion. Bei den Glyphosat-Prozessen fährt Konzernchef Werner Baumann die harte Linie.
02.11.2018 Update: 02.11.2018 - 12:49 Uhr Kommentieren
  • Die Monsanto-Übernahme läuft bisher nicht wie von Bayer erhofft.
  • Saatgut und Pflanzenschutz soll künftig die Erfolgsformel werden.
  • Konzernchef Baumann will im Glyphosat-Prozess durch alle Instanzen gehen.

Mark Scott schreitet an seinem abgeernteten Maisfeld entlang und ist sichtlich stolz. Es ist ein milder Herbsttag in Wentzville im US-Bundesstaat Missouri, einer Region, die mit ihren riesigen Feldern zur Kornkammer Amerikas zählt.

Die Sonne scheint warm über die sanften Hügel und die gut gefüllten grauen Wellblech-Silos. „Ich habe 1700 Hektar über die Region hier verteilt, und ich kann sie heute mit zwei bis drei Leuten bewirtschaften“, erklärt der hoch gewachsene Farmer im karierten Holzfällerhemd. „Das wäre früher undenkbar gewesen.“

Vor drei Jahrzehnten hat Scott mit 25 Jahren die Landwirtschaft von seinem Vater übernommen. Da war sie erst 320 Hektar groß. Ein Grund für die heutige Effizienz seiner Farm steht auf dem Hof: ein riesiger grün-gelber Mähdrescher von John Deere mit digitalen Apps auf dem Tablet im Fahrerhaus. Damit erfährt er exakt, wie es seinen Pflanzen Quadratmeter für Quadratmeter geht.

Ein anderer Grund liegt in der Erde: Modernstes, genmodifiziertes Saatgut, auf das ein bis zweimal im Jahr das glyphosathaltige Unkrautmittel Roundup des Agrarkonzerns Monsanto gespritzt wird. „Dank der schädlingsresistenten Pflanzen habe ich seit sieben Jahren kein einziges Mal mehr ein Insektizid sprühen müssen“, erklärt Scott. „Und dank Roundup muss ich auch den Boden nicht mehr pflügen.“

Es sind Geschichten wie die von Mark Scott, mit denen Bayer wieder an Meinungshoheit gewinnen will – beim umstrittenen Herbizid Glyphosat wie beim Kauf von Monsanto insgesamt. 63 Milliarden Dollar haben die Leverkusener für den weltgrößten Saatguthersteller bezahlt. Die Übernahme soll Bayers Führungsanspruch in der Agrarchemie untermauern und die Zukunft des gesamten Konzerns sichern.

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Doch die größte Übernahme, die je ein deutsches Unternehmen im Ausland gewagt hat, verläuft nicht wie von Bayer erhofft. Wenige Wochen nach Abschluss des Kaufs möchte der Konzern fahrplangemäß am liebsten nur über die Chancen reden, über die neuen Produkte für die Landwirte, die in den Labors der Deutschen und der Amerikaner gemeinsam entstehen sollen – und über den Vorteil für die Aktionäre: „Ich kenne keine Transaktion, die so wertschaffend ist, wie der Kauf von Monsanto“, so hat es Bayer-Chef Werner Baumann mehrfach betont.

Davon ist allerdings bisher nichts zu sehen. Statt die Übernahme zu feiern, fragen sich Investoren wie Mitarbeiter, welche immensen Schadenersatz-Risiken sich Bayer mit Monsanto eingekauft hat. Annähernd 30 Prozent an Wert hat Bayer seid Abschluss der Transaktion im August verloren, mehr als 25 Milliarden Börsenwert sind dahin.

Schadensbegrenzung ist angesagt

Es ist das Ergebnis des ersten großen Prozesses in San Francisco um das Monsanto-Mittel Glyphosat, den Unkrautvernichter, der im Verdacht, krebserregend zu sein. Das Verfahren hat sich für die Leverkusener bisher zum Albtraum entwickelt. Statt des angestrebten Freispruchs stehen Monsanto und damit auch Bayer nun öffentlich am Pranger.

In dem Fall geht es um einen schwer an Lymphdrüsenkrebs erkrankten Mann, der beruflich intensiv mit Glyphosat gearbeitet hat. Er macht Monsanto für sein Leiden verantwortlich und bekam bisher Recht.

Zwar hat das Gericht in Kalifornien den zunächst von der Jury am 11. August 2018 zugesprochenen Schadenersatz deutlich von 289 Millionen Dollar auf 79 Millionen Dollar gesenkt. Doch an dem grundsätzlichen Schuldspruch hielt das Gericht trotz Beschwerde von Bayer überraschend fest: Danach hat Monsanto es versäumt, den Mann und andere Verbraucher vor Krebsrisiken zu warnen.

„Die Beweise, die wir vorgelegt haben, waren ehrlich gesagt, überwältigend“, kommentierte die Kanzlei Baum Hedlund Aristei Goldman, die den Kläger vertritt, den Schuldspruch. Rechtsanwalt Michael Baum ist optimistisch, dass es noch weitere Urteile gegen Monsanto beziehungsweise Bayer geben wird. Er habe in der Kürze der Zeit nur einen Bruchteil des Materials verwenden können. „Wir haben noch viel mehr“, erklärte er.

Nun ist Schadensbegrenzung angesagt bei Bayer. Das Unternehmen stellt sich auf den Standpunkt, dass Glyphosat und damit auch das Mittel Roundup nicht krebserregend sind. Diese Woche öffnete der Konzern einem Dutzend Journalisten die Türen in St. Louis, dem Geburtsort und Hauptstandort der ehemaligen Monsanto.

Wie entscheidend die derzeitige Phase des Megaprojekts für Bayer ist, zeigt schon die personelle Aufwartung bei dem Pressetermin. Bayers Vorstandschef Werner Baumann hat sich in letzter Minute entschieden, persönlich ins Forschungszentrum Chesterfield westlich von St. Louis zu kommen.

Baumann stellt die Übernahme von Monsanto auch nach dem jüngsten Urteil in San Francisco nicht in Frage. „Der Unterschied zwischen dem 9. und dem 11. August ist, dass es ein einziges Urteil gibt, das nicht sachgerecht ist. Sonst hat sich nichts geändert“, betont er. Deshalb bleibt er bei seiner Devise: „Wir werden uns mit allen Mitteln in diesem Rechtsprozess verteidigen. Das Produkt könnte nicht besser sein.“

Saatgut plus Pflanzenschutzmittel als Erfolgsformel

Für Baumann war es der erste Trip nach Missouri, seit Bayer die Übernahme des amerikanischen Saatgutherstellers Anfang August abgeschlossen hat. Die Abfahrt zum Hauptsitz in St. Louis heißt zwar immer noch „Monsanto Drive“. Aber auf dem Firmenschild prangt nun das Bayer-Kreuz.

Die Wissenschaftler in den Laboren und im Gewächshaus auf dem Dach des roten Backsteingebäudes schwärmen davon, wie sehr es ihnen hilft, dass sie nun Zugang zu dem chemischen Know-how von Bayer haben. Saatgut plus Pflanzenschutzmittel, das soll die neue Erfolgsformel des Agrarchemie-Weltmarktführers Bayer werden.

Aber die Investoren und Beobachter treibt derzeit nur eines um: Wie teuer werden die Verfahren um Glyphosat? Schließlich gibt es schon jetzt wohl deutlich mehr als 9000 Klagen gegen das Unternehmen. Eine ganze Reihe von Sicherheits- und Rechts-Experten aus dem ehemaligen Monsanto-Haus fährt Bayer bei dem Pressetermin in St. Louis auf.

Digitale Landwirtschaft und Pestizideinsatz machen hohe Erträge möglich. Quelle: Katharina Kort
Bauer Mark Scott

Digitale Landwirtschaft und Pestizideinsatz machen hohe Erträge möglich.

(Foto: Katharina Kort)

Sie wiederholen die Rechtsposition von Monsanto und Bayer immer wieder: Es sei allein eine Behörde der Weltgesundheitsbehörde WHO, die 2015 zu dem Schluss kam, dass Glyphosat „wahrscheinlich bei Menschen krebserregend“ sei. Mehrere Hunderte Studien bestätigten dagegen die Sicherheit des Mittels. Bayer setzt voll auf die Kraft dieser wissenschaftlichen Untersuchungen.

Doch längst nicht alle diese Studien befassen sich mit dem Thema Krebs. Zudem kritisieren die Kläger in den Glyphosat-Prozessen mit Unterstützung von Wissenschaftlern die Methodik der wichtigsten Stütze der Bayer-Verteidigung – eine Langzeitstudie der US-Regierung mit 57.000 Beteiligten. Diese Studie kam zu dem Schluss, dass Glyphosat bei sachgemäßer Anwendung sicher ist.

Unter dem Eindruck des aufsehenerregenden ersten Prozesses stellen sich Investoren die Frage: Hat Bayer die Rechtsrisiken von Monsanto unterschätzt? Einen Fehler in der Bewertung von Monsanto sieht Baumann nicht.

Auch bei der Due Diligence, also der Prüfung der Bücher nach der Übernahme, sei nichts herausgekommen, das die Bewertung geändert hätte, sagt er. „Wenn es Risiken gibt bei unseren Produkten, dann liegt es in unserem Interesse, die vom Markt zu nehmen“, sagt er. Bei Glyphosat ist das offensichtlich nicht der Fall.

Baumann räumt Defizite bei der Kommunikation ein

Bayer sei im industrieüblichen Umfang gegen Rechtsrisiken versichert, sagt Baumann. Eine Höhe nennt er nicht. Er sagt lediglich, dass mehrere Versicherer die Risiken bis zu einer bestimmten Höhe abdecken. Seinen Optimismus gründet er auch auf die jahrelange Erfahrung mit Prozessen in den USA. „Wir als Pharmaunternehmen haben mehr Erfahrung als Monsanto, wie man solche Jury-Prozesse vorbereitet“, erklärt er.

Bei der Kommunikation dagegen räumt Baumann ein paar Defizite ein: „Wir müssen mehr erklären und kommunizieren“ gibt Baumann zu. „Das ist ein Thema, mit dem ich mich auch beschäftige auch angesichts der Klagewelle, der wir uns gegenübersehen“.

Monsanto und Kommunikation – das war schon immer ein schwieriges Thema. Das Unternehmen gilt in Kommunikatoren-Kreisen als negatives Fallbeispiel, wie man es nicht machen sollte.

Monsantos Wissenschaftler haben Pflanzen gentechnisch manipuliert und damit die Öffentlichkeit – vor allem in Europa – gegen sich aufgebracht. Doch statt sich der Debatte zu stellen, igelte sich der Konzern in der Vergangenheit rechthaberisch ein. Öffnung nach außen? Fehlanzeige. Bayer will das nun ändern. Baumann sucht den Dialog.

In den Glyphosat-Verfahren fährt er jedoch die harte Linie. „Die Juristen von Monsanto haben schon gleich zu Beginn eine eher seltene juristische Prozedur gewählt und das Urteil trotz der Jury-Entscheidung komplett angefochten“, sagt Steve Tapia, Rechtswissenschaftler an der Universität Seattle und ehemaliger Unternehmensanwalt. „Auch jetzt gehen sie in die Revision und bestreiten den Zusammenhang zwischen Glyphosat und Krebs. Sie sind offensichtlich überzeugt, dass sie keine Alternative haben als die, zu beweisen, dass das Mittel keinen Krebs erregt.“

Von außergerichtlichen Vergleichen mit den Klägern will Baumann nichts wissen. Bayer will durch alle Instanzen gehen, möglicherweise bis zum obersten Gericht, dem California Supreme Court.

„Das Zeug ist nicht gefährlich“

Aber er räumt ein: „Wenn die Verteidigungskosten irgendwann höher sind als im Raum stehende Vergleiche, dann würden wir natürlich dementsprechende Überlegungen anstellen.“ Grundsätzlich bergen Vergleiche – auch ohne Schuldeingeständnis – das Risiko, dass sich noch mehr Menschen und Anwälte ermutigt fühlen, zu klagen.

Die meisten Bauern in Missouri muss Baumann ohnehin nicht von der Sicherheit seiner Mittel überzeugen. Davin Harms, ein Saatguthändler und Bauernsohn erzählt, wie Monsanto-Vertreter vor zwanzig Jahren vor ihren Augen Glyphosat getrunken haben. „Das Zeug ist nicht gefährlich“, sagt er.

Auch der Farmer Mark Scott ist ein glühender Verfechter von Glyphosat: „Ich habe überhaupt keine Sorge über die Sicherheit von Roundup. Wir benutzen das seit den 70er-Jahren“, sagt er, „und ich werde Roundup benutzen, solange es auf dem Markt ist.“

Theoretisch wäre ein neues, sicheres Mittel eine Lösung für Bayer. Doch die Frage, ob der Konzern nun wegen der Klagen mit Hochdruck an einem Glyphosat-Ersatz arbeitet, will Baumann nicht hören. „Roundup ist das beste Herbizid weltweit“, stellt er klar. „Natürlich forschen wir an neuen Herbiziden – auch wegen der steigenden Resistenzen. Aber nicht um Glyphosat zu ersetzen.“

Und was macht der Farmer Scott, wenn es eines Tages doch kein Roundup mehr gibt? „Dann muss ich das rostige Gerät da hinten wieder einsetzen“ sagt er lachend und zeigt auf den breiten, grünen Pflug, der hinter dem Zaun liegt. Statt drei Stunden braucht er dann wieder vier Tage, um ein Feld zu bestellen. Und seine hohen Erträge kann er dann vergessen.

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