Analyse Klagewellen und Imageschaden – Monsanto ist für Bayer ein Milliardenrisiko

Düsseldorf, New York Am vergangenen Dienstag begann eine neue Zeitrechnung bei Bayer. Der 21. August war „Day One“, wie er intern hieß, der offizielle Startschuss für die Integration des US-Konzerns Monsanto. Bayer-Vorstandschef Werner Baumann fuhr dazu die wenigen Kilometer von der Konzernzentrale in Leverkusen nach Monheim, wo die Agrardivison Bayer Crop Science auf der grünen Wiese ihren Sitz hat.
Es ist ein idyllischer Ort, umgeben von Baggerseen und Feldern, ganz anders als das nüchterne Leverkusen. Monheim hat Historie zu bieten, es gibt dort Fachwerkhäuser und den Schelmenturm, fast 600 Jahre alt.
Einen Moment für die Geschichtsbücher erlebten auch die Bayer-Mitarbeiter an diesem Dienstag. Noch nie wagte Bayer, wagte überhaupt ein deutsches Unternehmen eine so große Übernahme. Die Belegschaft von Bayer Crop Science hat sich auf dem Firmengelände versammelt, um den Worten von Baumann zu lauschen.
7200 Kilometer westlich haben sich in St. Louis im US-Bundesstaat Missouri zeitgleich Hunderte von Monsanto-Mitarbeitern per Videokonferenz zugeschaltet. Auf großen Monitoren wird Baumanns Rede übertragen, die er ganz global auf Englisch hält. Am Sitz von Monsanto spricht zudem Bayer-Agrarvorstand Liam Condon, in dessen Verantwortungsbereich das bisherige Monsanto-Geschäft künftig fallen soll.
Die beiden Topmanager wollen die Belegschaften auf die bevorstehende Integration einschwören. Endlich sind alle behördlichen Auflagen für die Übernahme des US-Saatgutherstellers im Wert von 63 Milliarden Dollar erfüllt, mehr als zwei Jahre hat Bayer dafür gebraucht, viel länger als erwartet.
Jetzt geht es um Aufbruchstimmung. Baumann düngt seine Rede mit Superlativen: Man wolle gemeinsam das beste und innovativste Unternehmen der Landwirtschaft bilden. Zugleich mahnt der Bayer-Chef die Mitarbeiter zur ethischen Verantwortung, auch bei Nachhaltigkeit und Transparenz soll Bayers Agrargeschäft künftig führend sein.
So gar nicht zu diesem Tenor von Aufbruch und Anstand passt eine Meldung aus Amerika, die Bayer eine Woche zuvor ereilte. 289 Millionen Dollar soll ein krebskranker Platzwart eines Schulbezirks von Monsanto erhalten, der regelmäßig mit dem Pflanzenschutzmittel Glyphosat gearbeitet hat.
Es ist eine überraschende Niederlage für den Konzern und eine teure noch dazu. Die Bayer-Aktie stürzte nach dem Urteil ab, verlor bis zu 15 Milliarden Euro an Marktkapitalisierung. Investoren fürchten gigantische Forderungen aus weiteren Glyphosat-Verfahren – immerhin sind rund 8000 ähnliche Klagen anhängig.
Der Kurs erholte sich in dieser Woche wieder, die Anleger hoffen auf eine Absenkung der Strafzahlung in der Berufung. Bis zum endgültigen Urteil könnten vier Monate bis vier Jahre vergehen. Für diese Kategorie von Bedrohungslagen wurde einst das Bild vom Damoklesschwert erfunden.
Der Leverkusener Konzern steht wegen der Übernahme des umstrittenen Monsanto-Konzerns schon länger im Dauerfeuer der Öffentlichkeit. Für viele Bayer-Mitarbeiter ist die Situation ungewohnt und irritierend. Nach dem kalifornischen Glyphosat-Urteil hat sich die Tonlage der Kritik verschärft.
Es steht die Frage im Raum: Hat Bayer unterschätzt, was man sich mit Monsanto an neuen Rechtsrisiken eingekauft hat? War die Übernahme wirklich eine gute Idee? Oder ist das Bayer-Management der eigenen Sehnsucht nach Größe erlegen und setzt dafür die Zukunft des deutschen Traditionskonzerns leichtfertig aufs Spiel?
In jedem Fall gilt: Am Dienstag begann in Monheim und St. Louis eines der größten Integrationsabenteuer der deutsch-amerikanischen Wirtschaftsgeschichte. Sein Ausgang dürfte maßgeblich darüber mitbestimmen, ob sich andere deutsche Vorstandschefs in den kommenden Jahren an ähnlich dimensionierte Übernahmen wagen werden.
Baumann steht zu seinem Projekt. „An der zwingenden Logik der Übernahme von Monsanto, am Wertschaffungspotenzial für unsere Aktionäre, an der Attraktivität des Agrarmarkts und an unseren kommunizierten Zielen hat sich überhaupt nichts geändert“, sagt er im Interview mit dem Handelsblatt und kündigt an, den aktuellen Glyphosat-Fall und auch die weiteren Verfahren „sehr entschieden zu verteidigen“.
Für Baumann spricht: Der Bayer-Chef ist kein Draufgänger, kein Machotyp wie der ehemalige Daimler-Chef Jürgen Schrempp, der für die vermeintliche „Hochzeit im Himmel“ mit dem maroden US-Autobauer Chrysler einst die Zukunft von Daimler riskiert hatte. Baumann ist einer, der seine Pläne akribisch ausarbeitet und kein Detail auslässt. Ereignisse wie das Glyphosat-Urteil kennzeichnet er als bloße „Datenpunkte“ im großen Projekt der Monsanto-Übernahme, mit der Bayer zum Weltmarktführer der Agrarchemie aufsteigt.
Seit er im Mai 2016 Bayer-CEO wurde, kämpft Baumann für diese Übernahme – erst in den monatelangen und zähen Gesprächen mit dem Monsanto-Management, dann in den schwierigen Verhandlungen mit den Kartellwächtern in Europa und den USA. Doch die schwierigste Phase hat erst diese Woche begonnen.
Die Integration beider Firmen gilt als die eigentliche Herausforderung. Hier die deutsche Bayer AG mit ihrem wissenschaftlich-analytischen Anspruch und ihrem guten Ruf, den weltweit beliebte Produkte wie Aspirin begründen. Und dort Monsanto aus den USA, das als bestes Pflanzenbiotech-Unternehmen gilt, dem aber seit Jahren ein katastrophales Image vorauseilt und das als Vorreiter der Pflanzengentechnik im Visier von Umweltschützern und Agraraktivisten steht.
Die Arroganz des Missionars
Um zu verstehen, wie Monsanto tickt, muss man sich nach St. Louis aufmachen. Die Stadt liegt im Mittleren Westen der USA, umgeben von Maisfeldern und Bauernhöfen, mitten im Korngürtel Amerikas. In der Vorstadt Chesterfield stehen die Versuchslabors des Konzerns. Verwaltungsgebäude und Treibhäuser reihen sich aneinander, ein riesiges Areal. In einem der vielen Labors arbeitet Anil Gowda. Kurz geschnittenes, schwarzes Haar, Polohemd, unkompliziert-freundliche Ausstrahlung.
Der Wissenschaftler hat seit mehr als einem Jahrzehnt bei Monsanto gearbeitet, inzwischen leitet er bei Bayer das weltweite Regulationsgeschäft für insektenresistente Sojabohnen. Gowda wuchs im Süden Indiens auf einem Bauernhof auf. Nach der Schule musste er jeden Tag auf dem Feld helfen. Bei 40 Grad im Schatten hängte er sich oft einen Tank mit Insektenspray auf den Rücken und pumpte das Gift auf die Reisfelder. „Einen Mundschutz habe ich nie getragen“, erinnerte er sich.
Später studierte Gowda in Bangalore, machte an einer Universität in Alabama seinen Doktor in Insektenkunde. Dann heuerte er bei Monsanto an, mit einem klaren Ziel vor Augen: Er forschte an gentechnisch veränderten Samen etwa für Mais, um ihn resistent gegen Schädlinge wie den Wurzelbohrer oder den Ohrwurm zu machen. Beide Schädlinge vernichten ganze Ernten.
Viele Monsanto-Mitarbeiter ticken wie Gowda. Sie sehen sich als Diener einer guten Sache: der Ernährung einer immer weiter wachsenden Weltbevölkerung. Dass dazu auch genveränderte Samen vonnöten sind, bezweifelt bei Monsanto kaum jemand – ebenso wenig wie in den übrigen USA.
In Europa hingegen und insbesondere in Deutschland gilt genverändertes Saatgut als Teufelszeug, als Frankenfood. In fast allen EU-Ländern ist der Anbau untersagt. Gowda hat wenig Verständnis für solche Ansichten. Er verweist auf die vielen Studien, die Gentechnik an Pflanzen als unbedenklich ausweisen. Mithilfe der Gentechnik will er den Einsatz von Pestiziden mindern – damit kein kleiner Junge in Indien mehr die giftigen Gase einatmen muss.
Gutes tun und damit viel Geld verdienen: So stellt sich Monsanto das Geschäft vor. Doch Nahrung ist ein emotionales Thema, für nicht wenige versündigt sich Monsanto an der Schöpfung. „Unsere Kinder wachsen neben dem giftigen Getreide auf“, sang 2015 Neil Young in seinem Album „Monsanto Years“. Einmal im Jahr im Mai gibt es den „March Against Monsanto“, an dem weltweit Zehntausende Demonstranten teilnehmen.
Der Empörung begegnete Monsanto lange Zeit mit dem Unverständnis des Missionars, der von der Reinheit seiner Religion überzeugt ist. Mit geballter Lobbymacht versuchte der Konzern, seine genmodifizierten Pflanzen auch in Europa in den Markt zu drücken. Das brachte die Öffentlichkeit noch mehr auf.
Der schlechte Ruf kostet Geld
Vor dem Geschworenengericht in San Francisco hielten die Klägeranwälte Monsanto genau diese Arroganz vor. Sie präsentierten Monsanto-interne Mails, die nachweisen sollten, dass dem Konzern eine angeblich von dem Glyphosat-haltigen Mittel Roundup ausgehende Krebsgefahr bewusst war. Eine Strategie, die aufging: Die Geschworenen interessierten sich beim Prozess wenig für die Gutachten wie jenes von der US-Umweltschutzbehörde, das 2017 nach jahrzehntelanger Bewertung Glyphosat als wahrscheinlich nicht krebserregend für Menschen einstufte. Die Geschworenen fühlten sich dem Schicksal des erkrankten Platzwarts näher als den Ausführungen von Wissenschaftlern und Bürokraten.

Einmal im Jahr im Mai kommt es überall in der Welt zum „Marsch gegen Monsanto“ – seit sieben Jahren in Folge.
Das Gerichtsurteil zeigt, wie gefährlich die Vergangenheit von Monsanto für Bayer sein kann – konkret: dass sich die Deutschen ein hohes Reputations- und Rechtsrisiko in Amerika eingekauft haben. „Kein anderes Unternehmen kann die Menschen mehr gegen sich aufbringen als Monsanto“, sagte Mark Connelly, Analyst beim US-Kapitalmarktdienstleister CLSA.
Das liegt zum Teil auch an einer katastrophalen Kommunikationspolitik. Viele Jahre igelte sich Monsanto ein, äußerte sich gar nicht, was auch mit der Vergangenheit des Unternehmens zu tun hat. Vorgängerfirmen von Monsanto stellten das im Vietnamkrieg eingesetzte Entlaubungsmittel Agent Orange oder das später verbotene Insektenvernichtungsmittel DDT her.
Die eigene Firmenhistorie war derart belastet, dass sich Monsanto in den achtziger Jahren neu erfand – als Biotechunternehmen. Seine Wissenschaftler waren mit die ersten, die 1983 eine Pflanzenzelle genetisch modifizierten. Seitdem besteht das Monsanto-Geschäftsmodell vereinfacht gesagt darin, im Genlabor Saatgut zu züchten, das im Vergleich zu konventionellen Sorten resistenter gegen Schädlinge wie auch gegen spezielle hochwirksame Pflanzenschutzmittel ist, die ebenfalls von Monsanto produziert werden.
Das steigert die Erträge der Landwirte. Im Gegenzug verbietet es Monsanto seinen Kunden, das Saatgut fürs Folgejahr einfach der eigenen Ernte zu entnehmen. Die Samen müssen immer wieder neu bei Monsanto gekauft werden. Ein Landwirt, der seinen Betrieb einmal für genmanipuliertes Saatgut optimiert hat, kann sich aus der Abhängigkeit von Monsanto nur noch schwerlich befreien. Aber die Kunden – vor allem US-Farmer – interessiert die ethische Debatte um gentechnisch veränderte Pflanzen im wahrsten Sinne des Wortes nicht die Bohne. Ihnen geht es um Effizienz, um höheren Output pro Hektar.
Solange unsere Kunden uns mögen – wo soll das Problem liegen? So dachte Monsanto lange und schwieg zu allen Vorwürfen. Doch das Schweigen ließ bizarre Verschwörungstheorien hochkochen: Mal heißt es, Monsanto habe den Söldnerkonzern Blackwater gekauft. Dann soll plötzlich nicht der Zikavirus, sondern Monsanto für die Babyerkrankung Mikrozephalie verantwortlich sein. Ein anderes Gerücht besagt, in der Kantine von Monsanto gäbe es nur organisches Essen, also keine genveränderten Lebensmittel.

Mit seinem Sieg vor einem Gericht in San Francisco sorgte er für ein Erdbeben bei Bayer.
Unter der Führung des seit 2003 agierenden CEO Hugh Grant änderte Monsanto vor einigen Jahren seinen Kurs, öffnete sich zögerlich. Journalisten durften sich die Versuchslabors ansehen, mit Mitarbeitern reden. Monsanto wehrte sich gegen die Verschwörungstheorien und antwortete selbst Rocksänger Young auf seine Attacke. „Bei Monsanto gibt es viele Neil-Young-Fans“, sagte das Unternehmen in einer Stellungnahme, aber der Kultsänger sei bei seinen Liedtexten „Mythen“ und „Fehlinformationen“ aufgesessen.
Grant hat das Unternehmen mit dem Abschluss der Übernahme durch Bayer verlassen. Mit den gewaltigen Rechtsrisiken, die aus seiner Amtszeit zurückbleiben, muss man nun in Leverkusen und Monheim fertig werden. Für Bayer-Mitarbeiter und -Aktionäre lautet die bange Frage: Was kommt da noch alles? Um sie zu beantworten, lohnt es sich, sich mit den Feinheiten des US-Zivilrechts vertraut zu machen.
Prozesse im Monatstakt
Im grauen, langärmeligen T-Shirt sitzt Dewayne Johnson vor dem Richterpult. Den von Blasen gezeichneten Kopf nach unten gesenkt, knetet der große Mann seine Hände, während Suzanne Bolandos das Urteil der Jury vorliest. „Haben Monsanto-Manager vorsätzlich gehandelt?“, liest die Richterin vor der kalifornischen Flagge und dem Sternenbanner die Frage an die Jury vor. „Antwort: Ja“, zitiert sie aus dem Beschluss der Geschworenen. „Welche Summe an zusätzlichen Strafzahlungen – wenn überhaupt – sprechen Sie Mr. Johnson zu?“ Antwort: „250 Millionen“.
Johnson bewegt seinen noch immer gesenkten Kopf langsam von rechts nach links, während ihm seine Anwälte behutsam auf die Schultern klopfen. In seinem Blick mischen sich Erleichterung und Ungläubigkeit. „Ich bin froh, hier zu sein und helfen zu können“, wird er später sagen. Das Urteil wird Johnsons Leben nicht verlängern. Die Ärzte geben dem Vater zweier Kinder höchstens bis 2020. Das Urteil werde den Krebs von Johnson nicht heilen, kommentierte Ken Cook, Präsident des Umweltverbands Environmental Working Group. „Aber es wird immerhin eine unüberhörbare Botschaft an dieses üble Unternehmen senden.“
Die Geschworenen in San Francisco kamen zu dem Ergebnis, dass Monsanto wissentlich die möglicherweise von Glyphosat ausgehenden Gefahren verschwiegen habe. Von den insgesamt 289 Millionen Dollar in dem Urteil sind nur 39 Millionen Schadensersatz im eigentlichen Sinne. Die restlichen 250 Millionen Dollar sind sogenannte „Punitive Damages“, die als Strafzahlung obendrauf kommen. Sie werden verhängt, wenn ein Unternehmen wissentlich falsch gehandelt hat.
Für Bayer hängt nun alles vom Berufungsverfahren ab. In dem könnte die Summe deutlich gesenkt werden: In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind Gerichte bei der Verhängung von „Punitive Damages“ eher zurückhaltender geworden. Der Bundesstaat Oklahoma hat sie sogar komplett abgeschafft.
So sollte Philip Morris – heute Altria – ursprünglich etwa 28 Milliarden Dollar „Punitive Damages“ bei 850.000 Dollar Schadensersatz zahlen, weil der Tabakkonzern die Risiken des Rauchens verschleiert hatte. Neun Jahre später waren daraus in der außergerichtlichen Einigung leicht zu verkraftende 28 Millionen Dollar geworden, ein Tausendstel der ursprünglichen Summe.
Solche Fälle ruft Steven Tapia in Erinnerung, wenn es darum geht, die Folgen des kalifornischen Urteils für Bayer zu bewerten. Tapia, Rechtsprofessor an der Seattle University of Law kennt sich in Konzernen aus, war zuvor als Unternehmensanwalt tätig. „Es mag zwar zynisch klingen, aber bei Produkthaftungsfällen werden die Unternehmen immer versuchen, das Verfahren mit Anträgen und Revisionen so lange wie möglich hinauszuziehen“, beschreibt Tapia die klassischen Strategien. „Sie wissen, dass sie meist die größeren Mittel haben, und hoffen, den Gegner zu zermürben.“
Dazu passt, dass Monsanto einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zufolge ein wesentlich niedrigeres Vergleichsangebot von Johnsons Anwälten ausgeschlagen haben soll.
Laut Tapia sollte Bayer das jüngste Urteil aber nicht auf die leichte Schulter nehmen. „Da sind einige E-Mails zutage gekommen, die sich als Corpus Delicti herausstellen könnten, die man nur schwer ignorieren kann“, mahnt er in Hinblick auf die Mails, die darauf hinweisen, dass dem Unternehmen das Krebsrisiko bewusst gewesen sein könnte.
Dementsprechend siegessicher gibt sich die Gegenpartei von Bayer. Johnsons Rechtsanwalt Michael Baum von der Kanzlei Baum Hedlung Aristei sagt: „Normalerweise liegen die Punitive Damages bei dem Zehn- bis Zwanzigfachen des Schadensersatzes. In diesem Fall ist es nur das Sechsfache.“ Und die Höhe des eigentlichen Schadensersatzes rührten die Richter in der Berufung normalerweise nicht an, außer die Strafe sei „nicht rational“.
Mehr als 8000 Klagen wegen das Monsanto-Unkrautvernichtungsmittel Roundup sind derzeit anhängig. Sammelklagen, bei denen eine Klage stellvertretend für viele andere steht, gibt es bisher nicht. „Ich rechne bei Roundup nicht mit einer Sammelklage, weil die Fälle zu verschieden sind“, meint Rechtsprofessor Tapia. Die Kläger reichten vom Farmer über den Hobbygärtner bis zum Platzwart. Tapia: „Als Anwalt von Monsanto würde ich dem Unternehmen auch dringend raten, eine Sammelklage zu vermeiden, denn die Sympathie liegt bei so vielen Fällen immer bei den Klägern.“
Jurist Baum bereitet sich bereits auf den nächsten Fall vor. Im Oktober steht das Urteil in St. Louis an, wo der Hauptsitz von Monsanto liegt. Dann geht es fast im Monatsrhythmus weiter mit anderen Fällen in verschiedenen Bundesstaaten. „Wir werden in Zukunft sogar noch erfolgreicher sein, weil wir in diesem Fall in der kurzen Zeit gar nicht all das Material vorlegen konnten, das wir haben“, sagt der Anwalt. Da Johnson so schwer krank ist, hat das Gericht für ihn ein beschleunigtes Verfahren angewandt.
Hat das Urteil gegen Monsanto auch in der Revision Bestand, sind die Entscheidungen zu den Fakten fortan auch für andere Gerichte in Kalifornien bindend. Und auch in anderen US-Bundesstaaten hat das Urteil einen sogenannten „Persuasive Value“, einen Überzeugungswert. Das heißt laut Rechtsexperte Tapia, dass sich die meisten Gerichte in ihren Urteilen zumindest daran ausrichten. Tapia erwartet, dass auch in St Louis das Urteil gegen Monsanto ausfällt – wenn auch mit niedrigeren Zusatzstrafen.
Alles auf Verteidigung
Als Bayer 2016 Monsanto übernahm, war das Ausmaß der Glyphosat-Klagen für die Deutschen noch nicht absehbar. Sie bekamen zwar Einsicht in Dokumente von Monsanto. Eine tiefergehende Analyse der Rechtsfälle kann der Konzern aber erst jetzt angehen.
Die Verteidigungsstrategie für die kommenden Verfahren: weiterhin auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus zahlreichen Studien setzen, bei denen keine Krebsgefahr durch Glyphosat nachgewiesen wurde. Als Pharmaunternehmen kennt Bayer seit Jahrzehnten die amerikanische Jurisdiktion mit ihren Anwaltsheeren, ihrer Prozessindustrie. So steckt der Konzern derzeit in mehreren Verfahren wegen angeblicher Nebenwirkungen seines Topmedikaments, des Blutverdünners Xarelto. Die ersten Prozesse hat Bayer gewonnen, in einem weiteren wurde der Konzern zu einer Zahlung über 28 Millionen Dollar verdonnert. Das Urteil wurde in nächster Instanz aufgehoben.
Welche Ausmaße die Jury-Entscheidungen in US-Gerichten haben können, zeigte sich jüngst beim Pharmahersteller Johnson & Johnson. 22 Frauen hatten Klage eingereicht, weil sie ein Puder des US-Konzerns für Krebserkrankungen verantwortlich machten – also ein ähnlich gelagerter Fall wie Glyphosat.
Die Geschworenen verurteilten den Konzern im Juli zu einer Strafe von erstaunlichen 4,7 Milliarden Dollar. Allerdings: Die Aktie reagierte kaum auf das Urteil. Es dominierte die Erwartung, dass die Entscheidung in der nächsten Instanz wieder kassiert wird. Dieses Urteil steht noch aus.
Immer wieder zeigt sich in solchen Verfahren, dass Pharmakonzerne auch bei starker Rechtsposition einzelne Fälle mit einem Vergleich ohne Schuldanerkennung beilegen. Auf diese Weise wollen sie die Unsicherheit durch die Prozesse schneller beenden. Die Summen aus solchen Vergleichen können durchaus hohe dreistellige Millionenbeträge erreichen.
Analysten gehen daher derzeit davon aus, dass Bayer die Glyphosatprozesse in jedem Fall viel Geld kosten werden. Alistair Cambell von der Berenberg Bank schätzt die Risiken auf bis zu 3,8 Milliarden Dollar. Angesichts eines bereinigten operativen Gewinns von elf bis zwölf Milliarden Euro, den Bayer inklusive Monsanto 2017 erreicht hätte, wäre diese Summe verkraftbar. Der gewaltige Kurseinbruch der vergangenen Woche ließe sich damit nicht rechtfertigen.
Doch die Verfahren um den Unkrautvernichter werden Bayer eine lange Zeit beschäftigen und so für Unsicherheit sorgen. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass rechtliche Auseinandersetzungen lange auf Aktienkursen lasten können, kommentiert Peter Spengler von der DZ Bank.
Zum Ausmaß des Kursschocks vom 13. August trug auch bei, dass das kalifornische Glyphosat-Urteil Bayer in einer misslichen Lage traf: Aus rechtlichen Gründen durften die Leverkusener zu den Auswirkungen des Urteils weder gegenüber der Öffentlichkeit noch gegenüber den Bayer-Aktionären Stellung nehmen.

Der gebürtige Ire spricht sechs Sprachen fließend. Jetzt muss er die Glyphosat-Krise meistern.
Erst seit Donnerstag vergangener Woche ist die Übernahme formal vollzogen, und Bayer darf die Monsanto-Rechtsfälle erklären. Seitdem macht die Investor-Relations-Abteilung der Bayer AG Überstunden, was bereits Wirkung zeigte: Zahlreiche Analysten haben die Bayer-Aktie in dieser Woche wieder hochgestuft.
Auch Vorstandschef Baumann und Agrarvorstand Liam Condon sprachen gleich am Donnerstag direkt mit den Aktionären. Die Rechtsfälle sind aber nur eine der großen Herausforderungen, die die beiden bei der nun beginnenden Integration stemmen müssen.
Schwierige Integration
Es war am Abend des 15. September 2016, als die Bayer-Führung zum ersten Mal mit der Belegschaft von Monsanto zusammentraf. Beim Meeting in der Zentrale in St. Louis lauschten die Mitarbeiter schon einmal den Worten von Baumann und dem Agrarvorstand Liam Condon. Sie lobten die Qualität der Produkte beider Unternehmen, sie priesen die Chancen der Übernahme, sie flachsten wie zwei eingespielte Profi-Conférenciers.
Dann erzählte Condon auf der Bühne eine Geschichte, die bei vielen Monsanto-Mitarbeitern bis heute haften geblieben ist. Als Kind habe der Ire nach der Schule und in den Ferien seinem Vater geholfen. Der fertigte als Steinmetz Grabsteine. Es sei natürlich etwas merkwürdig, räumte der Bayer-Vorstand ein, wenn ein Kind seine Zeit auf dem Friedhof verbringe und dauernd vom Tod umgeben sei. Darüber sprach er einst mit seinem Vater, und der sagte zu ihm: „Hier lernst du, was am wichtigsten im Leben ist. Man plant auf lange Sicht, aber man sollte aus jedem Tag das Beste machen. Schließlich weiß man nie.“
Das gilt auch für die Zusammenführung von Bayer und Monsanto. Der gebürtige Ire ist ein Mann von Welt, spricht sechs Sprachen fließend, darunter Mandarin und Japanisch. Seit 2012 leitet er die Agrarsparte Bayer Crop Science, er wechselte aus der Pharmasparte auf diese Position. Er wird auch die neue Agrardivision führen und sitzt so an der entscheidenden Stelle für den Erfolg der Integration. Die soll er mit einem seiner wichtigsten Mitarbeiter vorantreiben, dem Briten Martin Dawkins.
Die beiden Topmanager von Bayer werden in den kommenden Monaten zwischen St. Louis und Monheim pendeln. Für Bayer ist es entscheidend, dass die Zusammenführung der Organisationen von Anfang an in die richtige Bahn gelenkt wird. Es ist nicht allein der typisch deutsch-amerikanische Unterschied der Firmenkulturen, den es zu überwinden gilt. Bayer und Monsanto sind zwar seit Jahrzehnten in derselben Branche, doch die Geschäftspolitik trennt Welten.
Die Methoden der Monsanto-Verkäufer werden in der Branche bisweilen als aggressiv bewertet, was auch an der Natur des Geschäfts liegt: Saatgut wird in kurzen Zeitfenstern im Jahr verkauft. Schnelligkeit ist gefragt. Auch dieses Vorgehen hat zum schlechten Ruf von Monsanto beigetragen.
Der Dokumentarfilm „Seeding Fears“ erzählt von einem Bauern, der Samen von Monsanto-Sojabohnen an andere Landwirte gratis weitergab – Monsanto sieht die genveränderten Samen als sein geistiges Eigentum und pochte auf Zahlung. Laut dem Film tauchten von der Firma angeheuerte Detektive auf, ein Verkäufer soll dem alten Mann gar Gewalt angedroht haben. „Als er gestorben ist, hatte er immer noch Angst vor Monsanto“, sagte sein Sohn.
Der Farmer habe sehr wohl gewusst, was er macht, hält Monsanto dagegen. Aus „Mitgefühl“ habe man freiwillig nur wenig von der verhängten Strafe eingefordert.
Wesentlich bedächtiger geht es in Monheim bei Bayer Crop Science zu. Die Bayer-Division verfügt – wie es sich für ein deutsches Unternehmen gehört – über ausgeklügelte Prozesse, die laut Konzerninsidern schon mal bremsend wirken können.
Bayer will die gemeinsamen Geschäfte künftig strikt nach seinen eigenen ethischen Standards führen. Dazu sollen neben Kundenorientierung auch Transparenz, Integrität, Dialogbereitschaft und gesellschaftliche Verantwortung zählen – alles Werte, für die Monsanto in der Vergangenheit nicht bekannt war.
Zugleich versucht Bayer, das Beste aus beiden Welten zusammenzubringen und setzt auf die Mischung aller Führungsgremien. Das „Executive Leadership Team“ des kombinierten Unternehmens ist paritätisch besetzt. Monsanto-Manager nehmen dort wichtige Positionen ein, etwa die des Chief Operating Officers, des Forschungschefs und des Leiters der wichtigen Zukunftssparte Digital Farming. Bayer stellt unter anderem den Finanzchef, die Personalverantwortliche und den Produktionschef.
Das Personaltableau schürte Ängste bei Bayer-Mitarbeitern, dass Monsanto sogar bevorzugt würde. Jede Position würde mit der Führungskraft mit der besten Qualifikation besetzt, heißt es dagegen im Unternehmen. Das gelte für die Zentrale in Monheim ebenso wie für den Standort St. Louis, von dem künftig das weltweite Saatgutgeschäft gesteuert wird.
Viele Manager packen nun ihre Umzugscontainer. So wechselt der bisherige Crop-Science-Finanzchef Michael Schulz ebenso nach St. Louis wie Strategiechef Frank Terhorst. Monsanto-Manager Robert Reiter wiederum wird als Chef des Bereichs Forschung und Entwicklung sein Büro in Monheim beziehen, ebenso der IT-Chef James Swanson. Dazu kommen weitere Manager aus der unteren Ebene. Die internationalen Schulen im Raum Düsseldorf und Köln bereiten sich schon intensiv auf die Familien von Monsanto-Managern vor, wie in der Branche zu hören ist.
Bayer-Vorstand Condon und sein Chef Baumann wissen, dass all diese Schritte zwar die Chancen erhöhen, dass die Integration gelingt – auch das Streichen des Namens Monsanto soll dazu beitragen. Eine Garantie für den Erfolg des Projekts bedeutet all das noch nicht. Fusionen und Übernahmen dieser Größenordnung scheitern nur selten an der betriebswirtschaftlichen Logik, sondern zumeist an kulturellen Unverträglichkeiten, die eine Organisation auf Jahre hinaus lähmen können.
Wie im Labor bei einer genveränderten Pflanze geht es nun darum, die guten Seiten der Monsanto-DNA in die von Bayer zu integrieren, ohne die schlechten mit zu übernehmen. Im besten Fall kann es gelingen, Monsantos Wachstumsdynamik mit Bayers Ansprüchen an ethische Unternehmensführung zu paaren.
Im schlimmsten Fall läuft es umgekehrt.
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@Herr Ralf Rössler
auch in meinem Bekanntenkreis ist es so: KEINER hielt die Übernahme von Monsanto wegen der Milliarden-Risiken für sinnvoll.
Eine Zeitreise in die Geschichte:
Wenn man bedenkt, dass die Münchner Rück durch die Übernahme von American Re für 6 Mrd Dollar kurz vor dem Anschlägen im September 2001 die Risiken der World Trade Center in die Bücher bekam, wobei KKR ein halbes Jahr vorher ca 660 Mio für die American Re zahlte, zudem die Münchner Rück WTC Schäden von ca. 50 Mrd Dollar bezahlen mußte, wird einem klar:
Die amerikanischen Unternehmen sind extrem überteuert UND die Risiken sind gigantisch!
.... später ging auch noch die Deep Water Horizons Ölplattform "unter"!.....
Aber die Bayer Manager sind halt nicht von dieser Welt und sehen nur das, was sie sehen wollen - oder müssen???
Was bedeutet der Untergang von Bayer?
Die Mitarbeiter bluten,
der Staat muss auf massive Steuereinnahmen verzichten,
der Aktionär leidet,
es wird ein enormer volkswirtschaftlicher Schaden angerichtet.
Dass irgendwelche Organisationen Glyphosat für unbedenklich hielten, interessiert nicht. Es gab auch mal Organisationen, die Rauchen für unbedenklich hielten....
Das hat man natürlich überhaupt nicht wissen können. Oder doch? War nicht ein früherer CEO dagegen, und musste deshalb das Feld räumen?
Herr Rössler hat natürlich recht, dass man gegen ein nichtamerikanisches Unternehmen in den USA besonders forsch vorgeht.
Solche Fusionen treiben jedoch die Oligopolisierung voran und hebeln die Marktwirtschaft aus. Das verspricht fetten Reibach. Es waren daher die großen Anteilseigner, BlackRock und Konsorten, in orwellschem Neusprech „Investoren“ genannt, welche die Fusion haben durchboxen lassen. Und diese mächtigen US-Companies werden nun dafür sorgen, dass der Konzern nicht allzu sehr gerupft werden wird.
Jedem in meinem Bekanntenkreis war es klar dass Monsanto nur solange Welpenschutz genießt wie es sich um ein amerikanisches Unternehmen handelt. Und es danach (wie üblich gegen europäische Unternehmen, siehe Autoindustrie und Banken) zu einer Lawine an erfolgreichen Klagen kommen wird. Dies alles soll dem sehr fähigen Managment von Bayer entgangen sein? Schwer zu glauben.