Argo AI Volkswagen und Ford geben Milliardenprojekt für autonomes Fahren auf – Mitarbeiter entsetzt

Argo AI steht nun vor dem Aus.
Berlin, Albuquerque Der Volkswagen-Konzern und der US-Autohersteller Ford geben ein Gemeinschaftsprojekt für das autonome Fahren auf. Beide Unternehmen stellen die finanzielle Unterstützung für den Softwareentwickler Argo AI ein, der sowohl für Ford als auch für VW Computersysteme für autonom eingesetzte Robotaxis entwickeln sollte. Das US-Unternehmen Argo AI muss deshalb voraussichtlich seinen Geschäftsbetrieb einstellen. Der VW-Konzern hatte vor drei Jahren 2,6 Milliarden US-Dollar in das Projekt investiert.
Ford steigt unmittelbar aus dem Gemeinschaftsunternehmen aus und verbucht dafür in der Bilanz eine Abschreibung von 2,7 Milliarden Dollar, wie der zweitgrößte amerikanische Autohersteller am späten Mittwochabend nach US-Börsenschluss mitteilte. Volkswagen legt am Freitag seine Bilanz für das dritte Quartal vor. Darin dürften ebenfalls Abschreibungen auf Argo AI enthalten sein.
Die beiden Autohersteller haben bislang jeweils 40 Prozent an Argo AI gehalten und hatten sich 2019 auf eine breit angelegte Zusammenarbeit beim autonomen Fahren verständigt. Die restlichen Anteile liegen beim Argo-Management um dessen Gründer Bryan Salesky. VW will für seine bisher mit Argo geplanten Robotaxis, die nach wie vor über die Mobilitätstochter Moia in Hamburg 2025 an den Start gehen sollen, in Kürze einen neuen Partner präsentieren.
Den Namen des künftigen Partners nennt das Unternehmen derzeit noch nicht. In Konzernkreisen wird die Intel-Tochter Mobileye als Favorit gehandelt. VW-Vorstandschef Oliver Blume hatte Anfang Oktober in einem Handelsblatt-Gespräch gesagt, dass „wir aktuell in guten Gesprächen mit einem der weltweit renommiertesten Anbieter sind.“ Mobileye gehört zu den führenden Unternehmen bei der Entwicklung autonomer Fahrsysteme.
Wie es am Abend in Branchenkreisen hieß, geht die Auflösung von Argo AI vor allem auf den US-Konzern Ford zurück. Der amerikanische Autohersteller sei nicht besonders zufrieden gewesen mit der Entwicklung der autonomen Systeme durch Argo AI. Ford habe schon recht bald Robotaxis einsetzen wollen, echte Fortschritte seien aber nicht erkennbar gewesen.
Ford habe danach seine Argo-Anteile dem deutschen Konkurrenten angeboten. Doch Volkswagen habe darauf verzichtet, deshalb sei jetzt das überraschende Ende von Argo AI gekommen. Nach dem Ford-Vorstoß zum Verkauf der Argo-Anteile sei auch in Wolfsburg das Vertrauen in das Gemeinschaftsunternehmen immer weiter geschwunden.
Überraschende Abwicklung
Viele Argo-Beschäftige in den USA und Deutschland reagierten am Mittwoch erstaunt bis entsetzt auf die Nachricht. „Es gab Einsparungen in den vergangenen Monaten. Aber wir haben noch letzte Woche neue Kollegen eingestellt. Niemand hier hat mit einem Aus gerechnet“, sagte ein Insider dem Handelsblatt.
Den über 280 Mitarbeitern der deutschen Tochter, der Argo GmbH, hat VW bereits ein Übernahmeangebot gemacht. „Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass Ihr Beschäftigungsverhältnis nicht unterbrochen wird“, heißt es in einem internen Memo, das dem Handelsblatt vorliegt. Auch der 2022er-Bonus werde voll ausgezahlt. „Volkswagen plant, die Argo AI GmbH zu übernehmen.“
Am Donnerstag um zehn Uhr sollen die Argo-Mitarbeiter im Rahmen einer virtuellen Konferenz weitere Details erhalten. Dennoch ist die Stimmung schlecht. Zwar könnten deutsche Argo-Mitarbeiter unter anderem beim Hamburger Robotaxi-Projekt eingesetzt werden oder zu Cariad wechseln, aber die Volkswagen-Softwaretochter gilt im Münchener Argo-Team, in dem viele gut ausgebildete IT-Experten arbeiten, als zweitklassig. „Wir haben alle gehofft, unabhängig zu bleiben. Viele gute Leute werden das Unternehmen verlassen“, so eine Stimme.
Noch düsterer sieht es für die Mitarbeiter in den USA aus. Hier müssten sich viele einen neuen Job suchen, erklärte ein Argo-Sprecher. Nur einige Teams erhielten von Ford ein Übernahmeangebot.
Das intellektuelle Eigentum von Argo, also vor allem die entwickelte Software, soll von beiden Ex-Partnern verwertet werden. Mitarbeiter bei Ford und VW „haben Zugang zum intellektuellen Eigentum“ Argos, erklärte der Sprecher auf Anfrage.
Wie es in Argo-Kreisen heißt, hätten Ford und VW 400 bis 600 Millionen Dollar einbringen müssen, um das kommende Geschäftsjahr von Argo zu sichern. Dazu sei aber insbesondere Ford nicht mehr bereit gewesen.
„Gerade bei der Entwicklung von Zukunftstechnologien zählen Fokus und Geschwindigkeit. Unser Ziel ist es, unseren Kundinnen und Kunden die leistungsfähigsten Funktionen zum frühestmöglichen Zeitpunkt anzubieten und unsere Entwicklung möglichst kosteneffizient aufzustellen“, sagte VW-Chef Oliver Blume am Mittwochabend zum Rückzug bei Argo. Das Robotaxi-Projekt mit Ford war noch von seinem Vorgänger Herbert Diess ausgehandelt worden.
Ford plant Entwicklung autonomer Pkw
Der amerikanische Autohersteller Ford wird sich künftig voraussichtlich komplett aus der eigenen Entwicklung autonom fahrender Robotaxis zurückziehen. Die Amerikaner wollen sich stattdessen auf autonome Systeme für normale Pkw konzentrieren. Diese Entwicklung läuft langsamer als beim Robotaxi. Komplett autonom fahrende Pkw wird es wahrscheinlich erst zum Ende des Jahrzehnts geben.
Auch nach dem Ende der Zusammenarbeit mit Argo AI will VW 2025 die ersten Robotaxis auf die Straßen schicken. Seit einem guten Jahr bereitet der VW-Konzern die ersten autonom fahrenden Sammeltaxis für einen Einsatz in Hamburg vor. An diesen Vorbereitungsarbeiten war Argo AI wesentlich beteiligt. Dieses Projekt muss VW nun aber mit einem neuen Partner fortsetzen.
Unter den Argo-Beschäftigten herrscht Skepsis gegenüber diesem Zeitplan. „Wie will VW in drei Jahren schaffen, was Argo in sechs Jahren nicht geschafft hat?“, so eine Stimme.
Vor drei Jahren hatten VW und Ford eine umfassende Kooperation ausgehandelt. Dazu gehörte nicht nur das autonome Fahren. So liefert etwa Volkswagen Elektroplattformen an Ford für neue europäische Elektroautos. Außerdem produzieren beide Partner gemeinsam leichte Nutzfahrzeuge. Bei diesen Vorhaben soll es wie geplant weitergehen. „Alle weiteren Kooperationen mit Ford bleiben unverändert bestehen“, teilte Volkswagen am Abend mit.
In den USA planen die Wolfsburger laut Konzernkreisen zudem den Start einer eigenen Servicetochter für autonome Mobilitätsdienstleistungen.
Mit Agenturmaterial.
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