Autobranche Wie China zur neuen Automacht aufsteigt
![Gegen BMW, VW und Co.: Wie China zur neuen Automacht aufsteigt Quelle: Byton [M] Handelsblatt](/images/byton-suv/21205690/3-format2020.jpg)
Peking will bei E-Mobilität und autonomem Fahren die westliche Konkurrenz abhängen.
Peking, Düsseldorf Daimler gibt sich selbstbewusst. Vor dem Auftakt zur weltgrößten Automesse haben die Stuttgarter eine wichtige Kooperation bekanntzugeben. Mit Chinas Technologiekonzern Alibaba soll stärker im Bereich künstlicher Intelligenz zusammengearbeitet werden. Auch Audi und Volvo sind eine Partnerschaft mit Alibaba eingegangen.
Viel spricht dafür, dass die neue Kooperation mit Alibaba eher ein nötiges Übel für Daimler ist, um Chinas Machthaber bei Laune zu halten, als eine Partnerschaft, die für beide Seiten Mehrwert generiert. Denn rein technisch betrachtet sind die Stuttgarter überhaupt nicht auf die Dienste von Alibaba angewiesen.
Erst im Februar präsentierte Daimler mit viel Pomp seine neue Mercedes A-Klasse. Der Kompaktwagen ist das erste Modell, das Daimler mit dem Multimediasystem MBUX ausgestattet hat, bevor es auch der Rest der Sternenflotte erhält. Das Kürzel MBUX steht für „Mercedes-Benz User Experience“ und soll Mercedes-Autos in so etwas wie Smartphones auf Rädern verwandeln.
Über den Befehl „Hey Mercedes“ wird ein cleverer Sprachassistent aktiviert. Wer der A-Klasse etwa sagt: „Ich habe Hunger“, wird prompt zum nächsten Restaurant navigiert. Auf den Hinweis: „Mir ist kalt“, wird die Temperatur im Auto hochgeregelt. Und auf die Frage, ob man morgen einen Regenschirm in München benötigt, erläutert einem MBUX detailliert den Wetterbericht.
Daimler hat die clevere Sprachsteuerung selbst entwickelt. Die Stuttgarter sind zwar stolz darauf, dass sich Apples Siri und Amazons Alexa mit MBUX verknüpfen lassen – darauf angewiesen sind sie aber nicht. Es gilt das Credo: Künstliche Intelligenz können nicht nur die Vorreiter aus dem Silicon Valley, sondern auch die Schwaben. Daimler versucht mit der eigenen Software, die Oberhand über die Kundendaten zu behalten. Durch die Kooperation mit Alibaba gerät dieses Ziel aber in Gefahr.
Tmall Genie, das Sprachsteuerungssystem des chinesischen Technologiekonzerns, kann letztlich auch nicht mehr als der clevere Assistent von Daimler. Aber Alibaba versucht, seine Plattform tief in den Autos der deutschen Hersteller zu verankern.
Der Schritt steht für Pekings Strategie, beim vernetzten Fahren den chinesischen Anbietern zu einer globalen Führungsrolle zu verhelfen. Wer als internationaler Autobauer selbstfahrende Autos auf Chinas Straßen bringen will, ist auf eine Zusammenarbeit mit chinesischen Partnern angewiesen.
„Die Gesetze schreiben vor, dass internationale Firmen gar nicht alleine agieren dürfen“, sagt der Unternehmensberater Georg Stieler aus Schanghai. Selbstfahrende Autos sind etwa auf hochauflösende Karten angewiesen. Und Peking will diese Daten in chinesischer Hand halten. Internationale Autobauer kommen also an einer Partnerschaft nicht vorbei.
In China vollzieht sich eine Kräfteverschiebung. Über Jahrzehnte dominierten internationale Autobauer das Geschäft auf dem am schnellsten wachsenden Markt der Welt. Die drei deutschen Marken Mercedes, Audi und BMW machen seit Jahren den Großteil im Premiumgeschäft unter sich aus. Trotz langjähriger Zwangspartnerschaften mit chinesischen Autobauern gelang es keinem der chinesischen Konzerne, an die Leistungen der deutschen Hersteller heranzukommen. Doch jetzt ändert Peking seine Strategie.
Den Entscheidern in China geht es nicht länger darum, den deutschen und anderen Autobauern Marktanteile beim Geschäft mit klassischen Verbrennungsmotoren abzujagen. Sie setzen hingegen konsequent auf einen Zukunftsmarkt. Bei den komplexen Verbrennungsmotoren ist die Qualität internationaler Hersteller bis heute unerreichbar.
Aber die Motoren in E-Autos sind deutlich einfacher zu bauen. „Der Elektroantrieb reduziert die Eintrittsbarriere in den Automobilbau massiv. Dadurch sehen wir auf einmal eine Menge neuer Spieler auf dem Markt“, sagt Axel Schmidt, Automotive-Chef der Beratung Accenture.
Alleine 2017 wurden in China mit 777.000 Einheiten mehr E-Autos und Hybride als in jedem anderen Land der Welt verkauft. Und Peking schafft die Voraussetzungen, damit Chinas Firmen das künftige Geschäft dominieren können.
Doch Peking kann mehr, als nur den staatlichen Rahmen zu schaffen. China hat eine neue Riege innovativer Start-ups hervorgebracht, die den Automobilsektor aufmischen wollen, argumentiert Ed Tse von der Strategieberatung Gao Feng Advisory Company.
„Chinesische Anbieter von autonomen Fahrsystemen etablieren neue Standards mit globalem Anspruch“, sagt Tse, der ein Buch über Chinas innovativste Unternehmen geschrieben hat. Als vielversprechende Firmen zählt er Nio, CHJ, WM Motors, XPENG und die von Ex-BMW-Manager Carsten Breitfeld gegründete Automarke Byton auf.
Und diese Angreifer könnten auch die deutschen Autobauer unter Druck setzen, argumentiert Tse. VW, Daimler und Audi seien zwar in Bereichen wie Produktion, Systemintegration oder Maschinenbau führend. Doch Tse warnt: „Deutsche Autobauer fallen in Bereichen wie der Software für selbstfahrende Autos sowie neuartigen Geschäftsmodellen zurück.“
Genau dort seien chinesische Firmen stark. Der Technologiekonzern Baidu will mit seinem kostenfrei zur Verfügung gestellten System Apollo den globalen Standard für selbstfahrende Autos setzen und zählt Firmen wie Bosch, Continental und Daimler zu seinen Partnern.
In der Sechs-Millionen-Einwohner-Stadt Wuxi, nordwestlich von Schanghai gelegen, kommunizieren die Autos mit der Ampel. In Echtzeit werden Daten über eine schnelle mobile Internetverbindung zwischen Fahrzeug und Verkehrsinfrastruktur übertragen. Der Nutzen: Der Fahrer sieht im digitalen Armaturenbrett, ob er mit der erlaubten Geschwindigkeit die nächste grüne Ampel erreicht.
Wenn das nicht der Fall ist, zählt ein Countdown die Zeit bis zur nächsten Grünphase. Bis dahin kann der Fahrer entscheiden, ob er verlangsamen möchte oder eine andere Route wählt.
Seit September 2017 läuft dieses Pilotprojekt des Forschungsinstituts für Verkehrsmanagement der Nationalen Sicherheitsbehörde, bei dem auch der chinesische Netzbetreiber China Mobile, das Telekommunikationsunternehmen Huawei sowie der staatliche Autobauer FAW mitmachen. Audi ist dabei und stellt die Verkehrskommunikationstechnik.
Überall in China wird an den besten Systemen für die Zukunft getüftelt. Baidu sowie der staatliche Autobauer SAIC und das Start-up Nio sind die ersten drei Firmen, die eine Lizenz haben, um ihre autonomen Fahrsysteme auch auf Chinas Straßen zu testen.
Die chinesischen Firmen wollen so schnell wie möglich Daten sammeln, um ihre Systeme zu verbessern. Noch sind die USA und besonders Google führend. Doch das könnte sich ändern, meint Ferdinand Dudenhöffer. Der Leiter des Center Automotive Research an der Universität Duisburg-Essen sagt: „Die Chinesen holen mächtig auf.“
Tesla sei und bleibe vorerst Technologieführer. Aber chinesische Anbieter entwickelten vielversprechende Plattformlösungen. „Und China ist es gelungen, eine gute Batterie-Industrie aufzubauen. Das fehlt uns in Deutschland völlig“, sagt Dudenhöffer. Die deutschen Autobauer müssen sich auf immer bessere Konkurrenten aus China einstellen.
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