Autoindustrie Französischer Autozulieferer Faurecia übernimmt Hella für 6,8 Milliarden Euro

Patrick Koller kann mit der Hella-Übernahme die Transformation von Faurecia beschleunigen.
Düsseldorf, Frankfurt Die Eigentümerfamilie des deutschen Automobilzulieferers Hella hat einen Käufer für ihre Anteile gefunden. Am Samstagabend hat das Unternehmen in einer Ad-hoc-Meldung mitgeteilt, dass die Hueck-Familie ihr Aktienpaket in Höhe von 60 Prozent an Faurecia verkauft. Der Zulieferer mit Sitz in Nanterre, nordwestlich von Paris, setzte sich gegen die Konkurrenten Plastic Omnium und den deutschen Zulieferer Mahle durch.
Mit der Übernahme entsteht nach Bosch, Continental und ZF ein vierter großer europäischer Autozulieferer mit einem Umsatzpotenzial von mehr als 20 Milliarden Euro. Weltweit wird Faurecia zum siebtgrößten Zulieferer aufsteigen. Die Transaktion ist eine Antwort auf die sich stark verändernde Autoindustrie. Die Antriebswende und die zunehmende Bedeutung von Elektronik und Software lösen eine Konsolidierungs- und Fusionswelle aus, die Branchenexperten bereits seit Längerem erwarten.
Allerdings muss Faurecia für die Übernahme viel Geld bewegen. Denn mit dem Kauf des Familienanteils muss Faurecia auch den übrigen Hella-Aktionären ein Übernahmeangebot machen. Um alle Anteile zu erwerben, wird Faurecia gut 6,8 Milliarden Euro zahlen müssen, wie aus der Pflichtmitteilung von Hella hervorgeht. Rund 3,4 Milliarden Euro bezahlt das französische Unternehmen in bar. Die restlichen 3,4 Milliarden Euro finanziert Faurecia über eine Kapitalerhöhung, die Ausgabe von Anleihen und mit Krediten. Bis Anfang 2022 soll die Transaktion vollzogen werden.
Wie das Handelsblatt bereits berichtet hatte, trennt sich die Hueck-Familie nicht vollständig von ihren Anteilen. „Über eine Rückbeteiligung in Höhe von bis zu neun Prozent werden die derzeitigen Poolaktionäre von Hella an der börsennotierten Obergesellschaft beteiligt bleiben und Hella somit auch in Zukunft eng begleiten“, teilte der MDax-Konzern mit. Ein Vertreter der Hueck-Familie wird zudem in den Verwaltungsrat von Faurecia einziehen.
Jürgen Behrend, der als Leiter des Pools der Familiengesellschafter den Transaktionsprozess federführend koordiniert hat, sieht die Hella-Anteile bei Faurecia in sicheren Händen. „Die Verantwortung der Familie gebietet es ihr, einen sicheren Hafen für Hella zu finden – zum Wohl des Unternehmens und aller 36.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, da erkennbar ist, dass sie diese Kontrollkompetenz in den nächsten Jahren nicht wird aufrechterhalten können“, erklärte Behrend in einem Schreiben den Rückzug der Familie. Die Familie sei überzeugt, mit Faurecia den richtigen Partner für Hella gefunden zu haben.
Auch Hella-Chef Rolf Breidenbach sieht die Übernahme positiv. „Faurecia und Hella passen sehr gut zusammen. Das gilt insbesondere mit Blick auf Produktspektrum und Marktabdeckung“, sagte Breidenbach zum Deal mit dem französischen Konkurrenten. Berater für die Familie war Rothschild. Hella wurde von Parella Weinberg beraten, für Faurecia waren die Investmentbank Lazard und die Société Générale tätig.
Personen, die die Übernahme begleitet haben, sagten dem Handelsblatt, dass es ein durchaus ungewöhnlicher Verkaufsprozess gewesen sei. „Herr Behrend ist nicht patriarchisch aufgetreten. Die Familie war sehr daran interessiert eine langfristige Lösung für den Standort und die Mitarbeiter zu finden“, sagte der Insider.
Für Faurecia ist die Übernahme ein finanzieller Kraftakt. Der Zulieferer hat bereits Schulden von über drei Milliarden Euro. Im kommenden Jahr kalkuliert das Unternehmen mit deutlich höheren Schulden. 2023 solle sich die Nettoverschuldung im Verhältnis zum Gewinn wieder auf ein Niveau vor der Übernahme einpendeln.
Der Kauf der Anteile ist allerdings an Bedingungen der Familie geknüpft. Demnach solle Faurecia die Mehrsäulenstrategie von Hella und die hohe Investitionsbereitschaft in „die Entwicklung automobiler Zukunftstechnologien zur Sicherung der Position als Technologie- und Marktführerschaft“ fortgesetzt werden. Faurecia muss zudem Hella-Standorte erhalten und weitreichende Zusagen an die Hella-Beschäftigten einhalten. Alle Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge bleiben demnach bestehen, ebenso wie die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat. Ein paritätisch besetztes Gremium wird die Einhaltung der Vereinbarung überwachen, heißt es in der Hella-Mitteilung.
Faurecia erhofft sich besseren Zugang zu deutschen Autoherstellern
Ausschlaggebend für die Zusage an Faurecia waren unter anderem die sich ergänzenden Kompetenzen beider Konzerne. Hella und Faurecia würden über „komplementäre Geschäftsaktivitäten“ verfügen, heißt es in den Mitteilungen der Unternehmen. Der Lippstädter Zulieferer habe unter anderem ein starkes Angebot in den Bereichen der Batterie- und Leistungselektronik sowie der Sensorik. Das französische Unternehmen wiederum biete anspruchsvolle Wasserstoff-Lösungen und Speichersysteme an, teilt Hella mit. Auch im Wachstumsgeschäft mit Fahrerassistenzsystemen würden sich die Produkte beider Unternehmen ergänzen.
Das ermöglicht es Faurecia, den Hella-Beschäftigten langfristige Garantien zu geben, was von der Eigentümerfamilie vorausgesetzt wurde. Gäbe es zu viele Überschneidungen bei den Produkten beider Unternehmen, hätten Synergieeffekte mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Abbau von Arbeitsplätzen geführt.
Faurecia-Chef Patrick Koller wiederum kann mit der Hella-Übernahme den Transformationsprozess seines Unternehmens beschleunigen. Der französische Zulieferer ist zwar wegen seines Sitz- und Innenraumgeschäfts nicht so stark von der Transformation der Autoindustrie betroffen. Allerdings werden genau in diesen Bereichen die Margen durch die Autohersteller gedrückt.
Die müssen bereits große Summen in die Zukunftsthemen Elektromobilität und Digitalisierung investieren. Deswegen üben sie bei den traditionellen Komponenten einen höheren Kostendruck auf die Zulieferer aus. Hella wiederum ist in den Zukunftsbereichen Elektronik, Sensorik und der Autosoftware stark vertreten. Mit den Produkten von Hella kann Koller den Kostendruck auf Faurecia abfedern.
„Dieser Zusammenschluss ist eine einzigartige Gelegenheit, einen weltweit führenden Anbieter für Automobiltechnologien zu schaffen. Ich bin überzeugt, dass Faurecia und Hella hervorragend zueinanderpassen, da wir eine gemeinsame Vision, Werte und Kultur haben“, sagt Faurecia-CEO Patrick Koller.
Im laufenden Geschäftsjahr rechnet Koller mit einer operativen Gewinnmarge von über sieben Prozent. Durch den Zusammenschluss steigt der Umsatz von ursprünglich 16,5 auf voraussichtlich 23 Milliarden Euro. Allerdings waren mit Ausnahme von Volkswagen deutsche Autohersteller bislang keine nennenswerte Erlösquelle für Faurecia.
Sowohl BMW als auch Daimler sind nur für jeweils drei Prozent der Umsätze verantwortlich. Mit der Hella-Übernahme kann Faurecia die Anteile deutlich vergrößern und von den bevorstehenden Milliardeninvestitionen der deutschen Autobauer in die Elektromobilität, die Software und der Sensorik profitieren. Hella wiederum profitiert von Faurecias gutem Marktzugang in China und Japan sowie den USA.
Welche Rolle wird der bisherige Hella-Chef spielen?
Offen ist, wie künftig die Rolle von Hella-Chef Rolf Breidenbach aussehen wird. In der Mitteilung von Faurecia heißt es lediglich, dass bei der Integration beider Unternehmen wesentliche Aufgaben von Hella-Führungskräften übernommen werden.
Breidenbach hat Hella durch mehrere Krisen geführt und gilt als ausgewiesener Sanierungsexperte. Bei Hella ist der ehemalige McKinsey-Berater mit seinem aktiven Portfoliomanagement aufgefallen. Geschäftsbereiche, die unprofitabel waren oder immense Investitionen verlangt hätten, um eine marktrelevante Position zu erlangen, hat der 58-Jährige ohne großes Zögern veräußert.
Auf diese Weise hat er Hellas Finanzen aufpoliert. Das Unternehmen ist mit 170 Millionen Euro praktisch schuldenfrei, was im Zuliefersektor eine Seltenheit ist. Mit einer Eigenkapitalquote von über 37 Prozent ist Hella Branchenprimus. Ebenfalls Spitzenwerte erreicht das Unternehmen bei den Investitionen und den Ausgaben für Forschung und Entwicklung, die gemessen am Umsatz Quoten zwischen neun und zehn Prozent erreichen – üblich sind Quoten bis zu sieben Prozent.
Die hohe Investitionsbereitschaft ist eine Bedingung der Familie an den Käufer. Faurecia muss nach der Übernahme diesen Kurs fortsetzen. Neben den Übernahmekosten dürfte auch das für zusätzliche finanzielle Belastungen sorgen. Einen Teil davon können die Gewinne von Hella auffangen. Im abgelaufenen versetzten Geschäftsjahr, das am 31. Mai 2021 endete, kalkuliert Hella mit einem Gewinn von über 500 Millionen Euro. Die Jahresergebnisse wird der Zulieferer kommenden Donnerstag vorstellen.
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