Autoindustrie Mit einem Kurswechsel will der neue Conti-Chef gegenüber den Wettbewerbern aufholen

Der Continental-Chef setzt auf das Zukunftsgeschäft mit dem assistierten und dem automatisierten Fahren.
Düsseldorf Nikolai Setzer geht mit einer Hypothek in sein erstes Jahr als neuer Continental-Chef. Der Dax-Konzern hat 2020 wegen der Folgen der Corona-Pandemie und wegen Abschreibungen auf den Wert früherer Firmenzukäufe einen Milliardenverlust geschrieben. Die Aktionäre quittierten das Ergebnis am Dienstag mit Verkäufen: Mit einem Minus von acht Prozent war die Aktie am Dienstag größter Verlierer im Dax.
Es war ein turbulentes Jahr. Nach der überraschend angekündigten Schließung eines Reifenwerkes in Aachen, gingen die Arbeitnehmervertreter im Spätsommer vergangenen Jahres auf die Barrikaden. Selbst CDU-Chef Armin Laschet schaltete sich in die Conti-Debatte ein. Im Oktober dann musste Ex-Conti-Chef Elmar Degenhart aus gesundheitlichen Gründen seinen Posten als Vorstandschef aufgeben.
Setzer will das alles 2021 hinter sich lassen und hat für Continental eine Zukunftsstrategie entwickelt. Wenn alles nach Plan läuft, wird sich das Unternehmen aus Hannover von seiner Antriebssparte Vitesco im zweiten Quartal vollständig trennen. Setzer und Conti setzen dann alles auf eine Karte. Der neue Vorstandschef will den Zulieferer stärker denn je auf Digitalisierung, Software und Sensorik ausrichten und Continental von seiner Verbrenner-Vergangenheit vollständig lösen.
Dazu gehört auch ein neuer Stil: Setzer versteht sich als Stratege aber auch als Chef, der sich aktiv ins Geschäft einmischt. Anfang des Jahres bekamen die Führungskräfte von Continental ein Video, in dem sich der ehemalige Volleyballer Setzer als Spielertrainer darstellt, der mit einem Bein im Spielfeld steht.
Die Botschaft: Der Vorstandschef ist nicht nur Stratege, er kann auch aktiv ins Spiel eingreifen. So machte Setzer zuletzt die Lösung des Chip-Mangels zur Chefsache, die derzeit größte Herausforderung in der Autoindustrie. In Gesprächen mit den Kunden und Lieferanten trat Setzer persönlich auf.
Conti investiert in Software-Experten
Trotz der schwindenden Erlöse erhöht Conti die Entwicklungsausgaben für das autonome Fahren.. „Der Markt für Fahrerassistenz und das automatisierte Fahren wächst sehr dynamisch und eröffnet uns zusätzliches Wachstumspotenzial“, sagt Setzer dem Handelsblatt. „Daher bündeln wir unsere Kräfte und erhöhen unsere Anstrengungen.“
Konkret bedeutet das: Continental wird 2021 bis zu 250 Millionen Euro zusätzlich in diesen Bereich investieren. Laut Finanzvorstand Wolfgang Schäfer wird ein Großteil der Summe in neue Köpfe fließen. Denn Software-Experten sind in der Automobilbranche zu einer knappen Ressource geworden.
Conti sucht vor allem Experten für die Bereiche Sensorik – also für Kamera, Radar und Lidar. Außerdem investiert der Zulieferer Schäfer zufolge in neue Kapazitäten für das Datenmanagement und in Künstliche Intelligenz.
Mittelfristig will das Unternehmen auf diese Weise ein organisches Wachstum von fünf bis acht Prozent pro Jahr erreichen. „Für die bereinigte Ebit-Marge haben wir uns zwischen rund acht und elf Prozent vorgenommen, bei der Rendite auf das eingesetzte Kapital rund 15 bis 20 Prozent“, teil der Conti-Chef mit.
2021 rechnet Conti wiederum mit einem Umsatz zwischen 40,5 und 42,5 Milliarden Euro und einer operativen Gewinnmarge von bis zu sechs Prozent. Das wäre fast ein Verdopplung der bereinigten Ebit-Marge des abgelaufenen Geschäftsjahres.
Die Kernsparte Automotive Technologies wird wegen der höheren Investitionen in das Zukunftsgeschäfts und der Sonderkosten infolge des Chipmangels, der noch einmal mit etwa 200 Millionen Euro zu Buche schlägt, allerdings nicht viel dazu beitragen. Hier rechnet Conti 2021 mit einer Ebit-Marge von gerade einmal einem bis zwei Prozent.
Die Probleme des Kerngeschäfts sind vielfältig. Vor allem leidet es unter einer nach wie vor zu hohen Kostenstruktur. In wirtschaftlich guten Zeiten blieb sie verborgen. Doch das Corona-Jahr hat die Schwächen offengelegt. Der direkte Vergleich mit der Konkurrenz zeigt, dass Bosch und ZF trotz Corona besser abschneiden als Continental.
Während Contis Kernsparte einen Umsatzrückgang von fast 19 Prozent hinnehmen musste, kam Boschs Autosegment mit einem Rückgang von 9,5 Prozent und ZF Friedrichshafen mit einem Minus von elf Prozent vergleichsweise glimpflich davon. Dass der Umsatzrückgang des Continental-Gesamtkonzerns bei 37,7 Milliarden Euro „lediglich“ 15,2 Prozent beträgt, verdankt Continental seinem starken Traditionsgeschäft mit Reifen.
„Unser Unternehmensbereich Automotive Technologies wurde im vergangenen Jahr durch mehrere Effekte gleichzeitig belastet“, rechtfertigt Finanzchef Schäfer das schwache Ergebnis. So sei die weltweite Autoproduktion pandemiebedingt um 16 Prozent eingebrochen. „Hinzu kommen Sonderabschreibungen und Kosten für unser Strukturprogramm.“
Ein Problem von Automotive Technologies ist auch, dass es sich aus diversen Firmenzukäufen der vergangenen Jahre – darunter Siemens VDO, Teves und Motorola – zusammensetzt. Konzernkenner berichten, dass die einzelnen Firmenkulturen nie wirklich aufeinander harmonisiert wurden. Diverse Grabenkämpfe um Investitionsmittel und Personalien bremsen das Kerngeschäft von Continental nach wie vor aus.
Laut Aufsichtsratskreisen stehe daher auch eine weitere leichte Anpassung der Automotive-Struktur im Raum. Setzer hat sich damit in seinen ersten hundert Tagen direkt eines fundamentalen Conti-Problems angenommen, das unter Degenhart nie vollständig gelöst wurde.
„Es wird versucht die Automotive-Sparte noch stärker zu profilieren, vor allem im Bereich der Fahrerassistenz“, sagt ein Aufsichtsratsmitglied. Ziel sei eine klarere Finanzstruktur, vor allem in der Automotive-Sparte Autonomous Mobility and Safety (AMS). Die Veränderungen sollen Conti auch dabei helfen besser mit neuen Partnern zusammenzuarbeiten. Dem Zulieferer dürften Kooperationen mit Tech-Konzernen, wie die zuletzt verkündete mit dem Chip-Designer Recogni, vorschweben.
Continental-Vorstand könnte verkleinert werden
Die Strukturanpassung des Automotive-Geschäfts könnte laut Aufsichtsratsmitgliedern auch mit einer Verkleinerung des Conti-Vorstands einhergehen. Derzeit zählt der Vorstand rund acht Mitglieder, was verglichen mit anderen Dax-Konzernen eine recht hohe Anzahl ist.
Im Fokus stehen dabei vor allem Helmut Matschi, Chef der Abteilung Vehicle Networking and Information (VNI), und Frank Jourdan, Chef von AMS. Noch gibt sich der Konzern zugeknöpft, kommentiert keinerlei Personalien. Aber aus Aufsichtsratskreisen war bereits vor Monaten zu hören, dass sich die Funktionen der beiden langjährigen Conti-Vorstände unter Setzer verändern dürften.
Der hat sich in seinen ersten hundert Tagen auch um das zerrüttete Verhältnis mit den Arbeitnehmervertreter gekümmert. Die Bereitschaft zu einem Dialog zwischen Arbeitnehmervertretern und Vorstand auf informeller Ebene sei unter Setzer gewachsen, heißt es in Betriebsratskreisen. Setzer habe zudem bereits angedeutet, dass er die Arbeitnehmervertreter künftig stärker in einige strategische Fragen einbinden wolle.
Für einen neuen Gesprächsfaden und die neue Kompromissbereitschaft des neuen Conti-Chefs spricht die Einigung mit den Arbeitnehmervertretern im Fall Babenhausen. Ursprünglich sollten in dem Werk, in dem unter anderem analoge Tachoanzeigen gefertigt werden, bis 2025 über 2600 der 3300 Arbeitsplätze abgebaut werden. Im Januar konnten sich Vorstand und IG Metall auf eine Firstverlängerung bis 2028 einigen.
Arbeitnehmervertreter werten das als Erfolg und sehen in der Einigung eine Blaupause für die weiteren von Schließungen oder Arbeitsplatzabbau betroffenen Standorte. Doch dieser Hoffnung macht Setzer einen Strich durch die Rechnung. „Die Herausforderungen in unseren Geschäftsbereichen sind unterschiedlich und somit auch die Gründe, die zu strukturellen Anpassungen an Standorten weltweit führen. Daher gibt es keinen einheitlichen Ansatz, der für alle betroffenen Standorte gleichermaßen anwendbar ist“, teilt Setzer dem Handelsblatt mit.
Keine Kooperation zwischen Vitesco und Schaeffler
Auf der anderen Seite hat Setzer bei der Dividende ein Einsehen. Dem Aufsichtsrat wird er die Streichung der Dividende vorschlagen, was Großaktionär Schaeffler sicherlich nicht gutheißen dürfte. „Bereits die Senkung der Dividende im Vorjahr war nur schwierig durch den Aufsichtsrat zu bekommen“, verrät ein Aufsichtsratsmitglied dem Handelsblatt. Mit der vorgeschlagenen Aussetzung der Dividende zeige Setzer nun, dass er kein Befehlsempfänger des mächtigen Aufsichtsratsmitglied Wolfgang Reitzle sei.
Unklar hingegen bleibt weiterhin, wie es nach der Abspaltung für Vitesco weitergehen wird. Die Antriebssparte wird am 25. März zum ersten eigenen Kapitalmarkttag einladen. Vorab wurde bekannt, dass Continental offenbar die Schulden der Vitesco in Höhe von einer Milliarden Euro in die eigene Bilanz aufnimmt, um die Antriebssparte schuldenfrei zu entlassen.
„Conti bezahlt die einmalige Mitgift für Vitesco, um einen langjährigen Verlustbringer aus der Bilanz streichen können. Die langfristige Logik ist richtig“, sagt ein Arbeitnehmervertreter. Allerdings bedeutete die Schuldenübernahme auch, dass die finanziellen Belastungen der Abspaltung den ertragsreichen Conti-Bereichen aufgebürdet werden. „Und das ist in diesem Fall in erster Linie die Reifensparte.“
Eine entscheidende Frage wird auch sein, wie Schaeffler mit seinen Anteilen umgehen wird. Denn nach der Abspaltung wird die Familienholding wie bei Conti rund 46 Prozent des Unternehmens besitzen. In einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ hatte Schaeffler-Chef Klaus Rosenfeld bereits einer möglichen Kooperation oder Übernahme von Vitesco eine Absage erteilt.
Mehr: Continental-Chef Nikolai Setzer: „Wir werden alle Investitionen prüfen und gezielter steuern“
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