Volkswagen: VW-Vorständin Hiltrud Werner im Interview
Benachrichtigung aktivierenDürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafftErlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviertWir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke
Anzeige
Autokonzern„Ein schmerzhafter Prozess“ – So will die Recht-Vorständin VW skandalfrei machen
Die VW-Vorständin für Integrität und Recht spricht im Interview über die Kritik des US-Kontrolleurs Thompson, das unnötige „Hochdelegieren“ von Entscheidungen und das problematische Silo-Denken im Konzern.
Als Vorstandsmitglied für „Integrität und Recht“ pocht Werner auf einen grundlegenden Kulturwandel im Konzern.
(Foto: Christian Burkert für Handelsblatt)
DüsseldorfEigentlich hat Hiltrud Werner an diesem Tag frei. Für das Gespräch in der Düsseldorfer Handelsblatt-Zentrale hat sie sich aber Zeit genommen. Nach einer Blattkritik stellt sie sich den Fragen der Redakteure. Direkt nach dem Interview geht es mit dem Firmenflieger zurück nach Wolfsburg.
Frau Werner, US-Monitor Larry Thompson hat seinen ersten Bericht vorgelegt. Er vermisst bei VW die Ernsthaftigkeit zum Wandel. Was läuft falsch? Larry Thompson ist für drei Jahre bestellt, das ist sein erster Bericht. Es ist wichtig, dass er uns aufzeigt, wo die Probleme liegen. Mir ist kein Unternehmen bekannt, in dem ein erster Bericht positiv ausgefallen wäre. Ich bin froh darüber, die Themen früh zu kennen, denn wir haben bis zum Ende des Monitorships viel zu bewältigen. Jetzt muss ein Ruck durch den gesamten Konzern gehen. Wir wollen in 24 Monaten die Zertifizierung bekommen.
Was verlangt Thompson? Es gibt 32 Themen, die wir konkret angehen müssen. VW braucht etwa eine Whistleblower-Hotline, die überall sieben Tage die Woche 24 Stunden erreichbar ist. Unser Compliance-System darf auch nicht an Ländergrenzen haltmachen. Der Monitor fordert außerdem Nachhaltigkeitsrankings für Zulieferer. Bei Unternehmenskäufen muss Volkswagen vorher sorgfältig prüfen, dass das Kaufobjekt rechtlich sauber ist. Ferner müssen wir Mitarbeiter schulen, wie sie mit Aufbewahrungspflichten für Emails, Dokumente und andere Unterlagen analog US-Recht umgehen müssen. Da ist in der Diesel-Affäre einiges falsch gemacht worden.
Thompson moniert, dass der Dieselskandal bei VW kaum personelle Konsequenzen hatte. Das ist falsch interpretiert. Thompson fordert nicht Köpfe, sondern sichtbare Konsequenzen. Das sind nicht immer Entlassungen. Das könnten auch Boni-Kürzungen, Abmahnungen oder Versetzungen sein. Jeder Mitarbeiter soll wissen: Fehlverhalten hat Folgen. So hat der Konzern nicht klar kommuniziert, dass wegen der Diesel-Affäre einige Dutzend Mitarbeiter gehen mussten.
Wie viele Interviews haben Thompson und sein Team mit VW-Mitarbeitern geführt? Mehrere Hundert. Die kann man aber nicht mit den Befragungen von Staats- oder Rechtsanwälten vergleichen. Thompson mag auch den Begriff Interview nicht, er spricht lieber von Gesprächen. Er sieht sich nicht als Vertreter einer juristischen Gewalt. Er will vor allem wissen, wie Volkswagen tickt und wie so etwas wie die Diesel-Affäre passieren und so lange unentdeckt bleiben konnte.
Wie integer und gesetzeskonform ist VW heute? Im jährlichen Stimmungsbarometer haben allein in Deutschland rund 4.000 Mitarbeiter gesagt, dass sie nicht immer integer arbeiten können. Da müssen wir nach Ursachen suchen, möglicherweise haben sie auch persönliche Gründe. Mehr Aufklärung tut Not, das steht außer Frage. Was passiert etwa, nachdem jemand einen Hinweis gegeben hat? Wir müssen intern deutlich stärker kommunizieren, welches Verhalten erwünscht ist. Das Stichwort lautet „Transparenz“. Der Monitor hat uns bis Ende August Zeit gegeben, daran zu arbeiten.
Wie laufen solche Prozesse ab? Thompson kommt nicht auf uns zu und sagt: „Nun macht doch mal.“ Wir sollen eigenverantwortlich handeln. Sein Team schaltet sich bei Bedarf ein und diskutiert auf Augenhöhe Lösungen mit uns.
Hiltrud Werner – zur Person
Die 52-jährige Managerin hat langjährige Branchenerfahrung. Werner war bei BMW und beim Lkw-Bauer MAN. Vor ihrem Wechsel zu VW arbeitete sie beim Zulieferer ZF.
Bei VW leitete Werner erst die Revision. Nach dem Abschied von Christine Hohmann-Dennhardt Anfang 2017 stieg die Ökonomin in den Vorstand auf.
Sieht Thompson Interessenskonflikte? Vor allem Chefaufseher Hans Dieter Pötsch wird kritisiert. Thompson hat mehrfach mit Herrn Pötsch gesprochen. Von sich aus hat er mir gegenüber dieses Thema nicht aufgeworfen. Es gibt auch regelmäßige Gespräch des Monitor-Teams mit dem Aufsichtsrat, auf verschiedenen Ebenen, Betriebsrat und die Familien Porsche und Piëch eingeschlossen.
Wo greift der Monitor sonst noch ein? Für ihn beginnt und endet unsere Compliance-Verantwortung nicht in den Fabriken. Wir sind also aufgefordert, uns auch Lieferanten und Vertriebspartner genau anzusehen. Diese Prozesse müssen ebenfalls sauber und nachhaltig sein.
Was muss sich aus Ihrer Sicht verbessern? Es gibt zwei wichtige Punkte, die ich vermisse. Im Management gibt es wenig Instrumente für die Steuerung von Veränderungsprozessen – Change-Management beherrschen wir nicht gut genug. Vielen fehlen dazu die theoretischen Grundlagen, da muss unbedingt etwas passieren. Und die Personalinstrumente bei den einzelnen Marken sind auch zu unterschiedlich. Topmanager werden bei uns noch nicht einheitlich gefördert, das ist ein echtes Problem. Mit dem neuen CEO Herbert Diess und Personalvorstand Gunnar Kilian wird der Kulturwandel an Fahrt aufnehmen. Wir müssen das Unternehmertum stärken.
Krankt VW an zu wenig Eigeninitiative? In vielen Bereichen ja. Auch ich erlebe, dass immer noch zu viele Mitarbeiter den direkten Weg zu mir suchen – obwohl die Entscheidungen genauso gut eine oder zwei Ebenen darunter getroffen werden könnten. Ein solches „Hochdelegieren“ müssen die Chefs konsequent ablehnen.
Der neue VW-Chef Diess ist mächtiger als sein Vorgänger. Ist das nicht kontraproduktiv? Herbert Diess will nicht alle Entscheidungen selbst treffen, er will sie vielmehr kontrollieren. Prozesse sollen funktionieren und routiniert abgewickelt werden. Nur wenn ein Rad ins andere greift, sind wir auch schnell. Diess arbeitet sehr genau darauf hin, dass die Entscheidungen dort getroffen werden, wo die Kompetenzen liegen. Und wenn es diese Kompetenzen nicht gibt, werden sie aufgebaut.
Können Sie ein Beispiel nennen? Nehmen Sie das Produktcontrolling. Die Mitarbeiter dort achten darauf, dass die Kosten bei einem neuen Auto nicht aus dem Ruder laufen. Es darf keine überflüssige Schraube geben, Werkzeuge sollen nicht doppelt und dreifach entwickelt werden. Wenn aber ein Topmanager kommt und kurz vor Produktionsstart einschneidende Veränderungen verlangt, ist das extrem frustrierend für die Controller und es entstehen gewaltige Zusatzkosten. Wir brauchen Prozesse, die so etwas ausschließen.
Der Diesel-Skandal hat gezeigt, dass bei VW vieles im Argen liegt. Ein Problem ist das Silo-Denken. Das Abschotten und das Bilden von Silos hat immer etwas damit zu tun, dass die Leute denken: Abstimmungsprozesse verlangsamen mich, lasse ich es also lieber sein. Und viele sind ihr ganzes Berufsleben in einem eng umgrenzten Bereich tätig, sehen dadurch Zusammenhänge nicht.
Wie wollen Sie das verändern? Viele haben Angst davor, ihre Arbeit von anderen kritisieren zu lassen, denn das könnte sie in eine Rechtfertigungsfalle bringen. Wenn wir ihnen die Angst nehmen und jeder Mitarbeiter weiß, der andere fühlt sich mitverantwortlich für das große Ganze, dann sind wir einen großen Schritt weiter. Wir bei VW bauen alle gemeinsam Autos. Gerade nach der Diesel-Krise ist das Denken entstanden: Andere sind daran schuld, aber ich doch nicht! Das funktioniert nicht, Compliance und Integrität geht alle an, so wie die Qualität unserer Produkte.
Was heißt das für das Risikomanagement bei VW? Wir brauchen eine hohe Akzeptanz dafür. Es darf nicht sein, dass Mitarbeiter beim Stichwort Risikomanagement denken: „Oh Gott, schon wieder Bürokratie.“ Der Wert eines nicht eingetretenen Risikos ist kaum messbar. Aber jedem sollte gerade nach dem Dieselskandal klar sein, dass es sogar existenzbedrohlich werden kann.
Wie weit ist VW zweieinhalb Jahre nach Ausbruch der Dieselkrise mit der juristischen Aufarbeitung? Die rechtliche Situation ist sehr komplex und in jedem Land unterschiedlich. Es gibt nicht nur zulassungsrelevante Themen. Auch im Marketing und Vertrieb sind Fehler gemacht worden, außerdem gab es persönliche Verfehlungen, Zoll- und Exportthemen, Steuerthemen und Klagen wegen angeblicher kapitalmarktrechtlicher Versäumnisse. Insgesamt geht es um mehrere Tausend rechtliche Verfahren. Inzwischen sind wir weltweit aber gut aufgestellt, mit deutlich erweiterten Kapazitäten. Ich gehe aber davon aus, dass die vollständige rechtliche Aufarbeitung bis zu zehn Jahre dauern wird.
Wie gehen die Mitarbeiter damit um? Dies ist ein schmerzhafter Prozess. Mitarbeiter müssen immer wieder Rede und Antwort stehen. Erst wurden sie von den Anwälten von Jones Day befragt, dann von den Staatsanwälten, schließlich von Monitor Larry Thompson. Dazu gibt es auch noch Ermittlungen wegen eines möglichen Kartellverdachts. Am Ende haben viele Mitarbeiter nur noch Angst – und das kann ich gut verstehen.
Aufsichtsratschef Pötsch hat die Dieselkrise jüngst für beendet erklärt. War das vorschnell? Hierzu gibt es zwei Blickwinkel. Das eine ist die Frage: Wer hat wann was gemacht? Diese Frage ist größtenteils beantwortet, insofern hat Herr Pötsch recht. Jedoch sind die Konsequenzen noch längst nicht überschaubar. Aber das ist auch normal, weil sich gerichtliche Verfahren oft über Jahre hinziehen. Denken Sie an die Korruptionsaffären bei anderen deutschen Unternehmen, nach denen die US-Justiz auch einen Monitor eingesetzt hat. Die Dieselkrise wird dauerhaft ein Teil der Unternehmensgeschichte von VW bleiben.
VW ist dezentral organisiert. Ist das in dieser Situation ein Problem? Das kann in der Tat schwierig sein, etwa bei Fragen der Zulassung der Autos. Das US- Justizministerium hat zur Auflage gemacht, dass bestimmte Rechtsauffassungen im gesamten Konzern künftig abgestimmt und vereinheitlicht werden. Da gibt es noch viel zu klären. In den Bereichen Compliance und Recht, generell bei Fragen der Governance sind zentrale Leitlinien ganz wichtig.
Was lernt VW aus der Diesel-Affäre? Wir wollen das Unternehmen so aufstellen, dass es insgesamt skandalfrei wird. Ich gehe übrigens fest davon aus, dass sich der Monitor bald auch andere Bereiche anschaut, etwa die Finanz, den Einkauf und den Vertrieb. Das ist auch richtig so.
Wie trifft es VW, wenn wieder ein neuer Skandal publik wird, wie die Abgastests mit Affen? Grundsätzlich halte ich es für zutiefst verabscheuungswürdig, solche Tests zu machen, wenn sie einfach nicht notwendig sind. Ich plädiere aber zugleich dafür, ethischen Fragen wie die Notwendigkeit von Tierversuchen breiter zu debattieren. So stand wieder nur Volkswagen in der Kritik, in der Gesellschaft wurde die Diskussion nicht geführt.
Und der Streit mit dem Zulieferer Prevent, der VW vorwirft, Führungskräfte ausspioniert zu haben? Die Geschäftsbeziehung zwischen VW und Prevent hat in den letzten Jahren sehr gelitten. Auch Wettbewerber aus dem Süddeutschen haben Probleme. Wir haben neue Zulieferer aufgebaut, um nicht mehr abhängig zu sein. Das hat VW Millionen gekostet. Wir mussten das tun, weil das Vertrauensverhältnis gestört ist, seit uns Prevent in Brasilien massivste Probleme bereitet hat. Wir wollten mehr über Prevent und sein Unternehmensgeflecht wissen und haben wir im Rahmen des rechtlich Möglichen gehandelt. Trotzdem prüfen wir, ob der Auftrag beim Dienstleister sauber abgewickelt wurde.
Seit Ausbruch des Dieselskandals erhitzt auch die Diskussion über die Gehälter die Gemüter. Verdienen VW-Vorstände zu viel? Es soll mal jemand sagen, welche Vergütung er für richtig hält. Als der Aufsichtsrat vor einem Jahr die Regeln neu justiert hat, bekamen wir viel Beifall, auch in den Medien. Jetzt soll das wieder schlecht sein? Für mich ist das nicht nachvollziehbar. Wir reden von einer Aktiengesellschaft. Die Eigentümer legen die Vorstandsgehälter fest. Für mich ist es richtig, dass die Aktionäre dies entscheiden.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.