Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke

Automobilkonzern Dieselskandal: Volkswagen will Schadensersatz von Ex-Konzernchef Winterkorn

Der VW-Konzern hält Ex-Vorstandschef Winterkorn in der Dieselaffäre eine Verletzung der Sorgfaltspflicht vor. Auch Ex-Audi-Chef Stadler soll zahlen.
26.03.2021 Update: 26.03.2021 - 13:45 Uhr Kommentieren
Ein Bild aus besseren Tagen: Der damalige VW-Chef Martin Winterkorn und sein Audi-Kollege Rupert Stadler (links) auf der Hauptversammlung des Konzerns im Jahr 2014 in Hannover. Quelle: dpa
Zwei frühere Vorstandschefs im Visier des VW-Konzerns

Ein Bild aus besseren Tagen: Der damalige VW-Chef Martin Winterkorn und sein Audi-Kollege Rupert Stadler (links) auf der Hauptversammlung des Konzerns im Jahr 2014 in Hannover.

(Foto: dpa)

Düsseldorf Es hat lange so ausgesehen, als würde Martin Winterkorn die Aufarbeitung der Abgasaffäre bei VW ohne weitere Konsequenzen überstehen. „Die Mitglieder des Präsidiums stellen fest, dass Herr Professor Dr. Winterkorn keine Kenntnis hatte von der Manipulation von Abgaswerten“, lautete die Ehrenerklärung des Volkswagen-Aufsichtsrats im September 2015. Damals übernahm der Vorstandsvorsitzende nach Aufdeckung des Dieselskandals die Verantwortung und trat von seinem Amt zurück.

Gut fünf Jahre später und nach unendlichen internen Untersuchungen wendet sich das Blatt: Der Wolfsburger Autokonzern sieht jetzt doch eine Mitverantwortung seines früheren Vorstandsvorsitzenden im größten Skandal der eigenen Unternehmensgeschichte. Deshalb will Volkswagen auch Schadensersatz von Martin Winterkorn verlangen.

Nicht nur der ehemalige Konzernchef muss sich den Schadensersatzforderungen seines früheren Arbeitgebers stellen. Volkswagen sieht ebenfalls eine Mitverantwortung des früheren Audi-Vorstandsvorsitzenden Rupert Stadler. Zudem will Volkswagen von vier weiteren Markenvorständen verschiedener Konzerntöchter Geld sehen, die ebenfalls in den Dieselskandal verstrickt seien.

Ausschlaggebend für die Schadensersatzforderungen des VW-Konzerns ist ein Gutachten der Anwaltskanzlei Gleiss Lutz. Der Aufsichtsrat hatte die Rechtsanwälte schon recht bald nach Aufdeckung des Skandals mit internen Ermittlungen beauftragt. Gleiss Lutz brauchte Jahre für die Fertigstellung des Gutachtens, das ungefähr 2000 Seiten umfasst. 73 Anwälte der Kanzlei waren an den Untersuchungen beteiligt.

Am Freitagvormittag hat der VW-Aufsichtsrat daraus die entsprechenden Konsequenzen gezogen. Nach den Untersuchungen steht nach Überzeugung des Aufsichtsrates fest, dass der damalige Vorstandsvorsitzende Winterkorn es in der Zeit nach dem 27. Juli 2015 unterlassen habe, die Hintergründe des Einsatzes unzulässiger Softwarefunktionen in Dieselmotoren unverzüglich und umfassend aufzuklären, die zwischen 2009 und 2015 in Nordamerika verkauft wurden.

Außerdem habe es Winterkorn unterlassen, dafür zu sorgen, dass die in diesem Zusammenhang von den US-Behörden gestellten Fragen umgehend wahrheitsgemäß und vollständig beantwortet wurden.

Zweistelliger Millionenbetrag steht im Raum

Der frühere Audi-Chef Stadler habe seine Pflichten verletzt, indem er es nach dem 21. September 2016 unterlassen habe, dafür zu sorgen, dass von der VW-Tochter entwickelte große Dieselmotoren auf unzulässige Softwarefunktionen untersucht wurden. Stadler muss sich wegen des Dieselskandals zusammen mit anderen ehemaligen Audi- und Porsche-Managern bereits seit Herbst vor dem Landgericht München verantworten.

Bei der Ingolstädter Premiumtochter stehen zudem noch zwei ehemalige Vorstandsmitglieder auf der Liste der Manager, von denen der Konzern Schadensersatz verlangen will. Verfehlungen sieht Volkswagen auch bei Ulrich Hackenberg und Stefan Knirsch, zwei ehemaligen Audi-Entwicklungsvorständen. Die Forderungen aus Wolfsburg treffen außerdem Wolfgang Hatz (Ex-Entwicklungsvorstand Porsche) und Heinz-Jakob Neußer (Ex-Entwicklungsvorstand Volkswagen Pkw).

Er soll es unterlassen haben, Hintergründe des Einsatzes unzulässiger Softwarefunktionen in Dieselmotoren unverzüglich und umfassend aufzuklären. Quelle: dpa
Martin Winterkorn

Er soll es unterlassen haben, Hintergründe des Einsatzes unzulässiger Softwarefunktionen in Dieselmotoren unverzüglich und umfassend aufzuklären.

(Foto: dpa)

Die Anwaltskanzlei Gleiss Lutz habe mit ihren Untersuchungen „kein Gefälligkeitsgutachten“ abgeliefert, hieß es am Freitag in Konzernkreisen. Die Ermittlungen seien sehr kompliziert gewesen und hätten deshalb Jahre in Anspruch genommen. Der Aufsichtsrat sei per Gesetz zu dieser Aufklärung verpflichtet gewesen.

In dem Aufsichtsratsbeschluss vom Freitag stehen noch keine konkreten Schadensersatzansprüche gegen die sechs betroffenen Manager. In nächster Zeit dürften mit den Rechtsanwälten der Betroffenen Gespräche darüber beginnen. Bis entsprechende Ergebnisse vorliegen, könnten noch Monate vergehen.

„Der Aufsichtsrat sieht auch die Lebensleistung von Winterkorn“, verlautete es ergänzend aus Wolfsburg. Volkswagen wolle seinen früheren Konzernchef nicht in den privaten Ruin treiben. Allerdings sei es durchaus möglich, dass VW einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag verlangen könnte.

Dieselkrise „noch nicht beendet“

Den gesamten Schaden aus der Dieselaffäre könnte auch ein früherer Vorstandschef wie Martin Winterkorn nicht mit seinem Privatvermögen abdecken. Es gehe vielmehr um einen „Hygienefaktor“, mit dem eine Mitverantwortung demonstriert werde. Für den Dieselskandal hat der Konzern bislang Rückstellungen von rund 32 Milliarden Euro verbuchen müssen.

In einem Schreiben an die Konzernbelegschaft begründet der VW-Aufsichtsrat die Schadensersatzforderungen gegen Winterkorn und Stadler. „Es gab Aspekte, in denen sowohl Herr Prof. Winterkorn als auch Herr Stadler als Konzernvorstände nicht sorgfältig genug kontrollierten. Dafür muss sie der Aufsichtsrat nun in Regress nehmen. Wie zugesagt ohne Ansehen der Personen und deren in Summe unbestrittener Lebensleistung“, heißt es in dem Dokument, das dem Handelsblatt vorliegt. Winterkorn und Stadler hätten sich jedoch auch große Verdienste um den Volkswagen-Konzern erworben, goutieren ebenso die Aufseher.

Rupert Stadler steht wegen einer möglichen Mitverantwortung an den manipulierten Abgaswerten bereits vor dem Münchener Landgericht. Quelle: Reuters
Ex-Audi-Chef

Rupert Stadler steht wegen einer möglichen Mitverantwortung an den manipulierten Abgaswerten bereits vor dem Münchener Landgericht.

(Foto: Reuters)

Das oberste Kontrollgremium rechtfertigt in dem Schreiben auch die lange Dauer der Untersuchungen. „Für den Aufsichtsrat war dabei stets entscheidend, dass Gründlichkeit vor Schnelligkeit geht. Und die nunmehr abgeschlossene Untersuchung war die mit Abstand umfangreichste und aufwendigste, die es jemals in einem deutschen Unternehmen gegeben hat“, heißt es in dem Brief an die Belegschaft.

Die Dieselkrise sei für den Konzern mit den Schadensersatzforderungen gegen Winterkorn und Stadler nicht beendet. „Die straf- und zivilrechtlichen Auseinandersetzungen laufen weiter. Vor allem aber bleiben die Lehren aus den Vorgängen eine ständige Aufgabe für jede und jeden in der Belegschaft, egal in welcher Hierarchieebene“, schreiben die Kontrolleure abschließend.

„Herr Professor Dr. Winterkorn ist sich bewusst, dass der Aufsichtsrat gesetzlich verpflichtet ist, mögliche Ansprüche zu prüfen und gegebenenfalls geltend zu machen. Er wird daher eine Klärung dieser Fragen im Dialog mit der Volkswagen AG suchen“, erklärten Winterkorns Anwälte nach der Entscheidung des VW-Aufsichtsrats. Aus der Bereitschaft zum Dialog könne man nicht ableiten, dass er auf einen Vergleich hinarbeite, hieß es aus Winterkorns persönlichem Umfeld.

Klage für den Versicherungsfall

Er weise die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurück. Winterkorn sei überzeugt, in dem knappen Zeitraum im Spätsommer 2015 alles Erforderliche getan und nichts unterlassen zu haben, was dazu geführt hätte, den entstandenen Schaden zu vermeiden oder geringer zu halten.

Gerson Trüg, der Strafverteidiger von Wolfgang Hatz, teilte auf Handelsblatt-Nachfrage mit: „Wir kennen bisher weder einen schriftlichen noch einen mündlichen Bericht von Gleiss Lutz für den Aufsichtsrat, noch die Meinungsbildung des Aufsichtsrats zu angeblichen fahrlässigen aktienrechtlichen Pflichtverletzungen unserer Mandanten.“ Wolfgang Hatz sei in dem Kontext auch nicht angehört oder befragt worden. „Nach unserer Kenntnis hat Herr Hatz keine Pflichten verletzt“, so Trüg. Der frühere Audi-Entwicklungschef Stefan Knirsch wollte die Entscheidung aus Wolfsburg nicht kommentieren.

Dass sich der Volkswagen-Aufsichtsrat erst nach langer Zeit durchgerungen hat, vom ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn Schadensersatz zu verlangen, überrascht Michael Hendricks, Experte für Managerhaftung und entsprechende Versicherungen (D&O). „Die Klage gegen Herrn Winterkorn war notwendig, um überhaupt die D&O-Versicherung in Anspruch nehmen zu können“, sagt Hendricks. Womöglich habe VW so lange gezögert, um den Klägern nicht weiterhin Argumente zu liefern.

Aus Hendricks Sicht gab es aber nie Zweifel daran, dass der einstige VW-Topmanager haften muss. „Die Hürden für ein Zivilverfahren sind viel niedriger als in einem Strafverfahren. Das heißt: Unabhängig davon, ob Herr Winterkorn in dem Strafprozess verurteilt wird, ist er haftbar. Denn er hat seine Pflichten als CEO verletzt.“

Hendricks geht dennoch davon aus, dass einer Klage ein langer Rechtsstreit folgen wird – so wie im Fall Rolf Breuers, dem ehemaligen Deutsche Bank-Chef. „Es geht um sehr viel Geld“, erklärt Hendricks. Üblicherweise klage das Unternehmen auf den Betrag, der durch die Versicherung noch gedeckt ist. Bei VW ist der führende Versicherer die Zurich.

VW muss sich so viel wie möglich von der Versicherung holen

Von der ursprünglichen Deckungssumme in Höhe von 500 Millionen Euro ist zwar schon ein beträchtlicher Teil durch Anwaltskosten aufgebraucht, es geht aber immer noch um einen dreistelligen Millionenbetrag. Laut Informationen des Handelsblatts deckt die D&O-Versicherung des Konzerns im Falle von festgestellten Sorgfaltspflichtverletzungen von Vorständen gar die Summe von maximal einer Milliarde Euro ab.

„VW ist verpflichtet, so viel wie eben möglich von der Versicherung zu holen, deshalb wird der Streitwert der Klage gegen Winterkorn entsprechend ausfallen“, sagt Hendricks. Es sei bereits absehbar, dass dem ersten Streit ein zweiter folgt. „Die Versicherung wird sich gegenüber Herrn Winterkorn darauf berufen, dass er vorsätzlich gehandelt hat. In diesem Fall muss sie nicht für den Schaden eintreten.“

Mehr Klarheit dazu könnte der Strafprozess vor dem Landgericht Braunschweig bringen, der im September gegen Winterkorn und vier weitere, teils ehemalige VW-Führungskräfte beginnen soll. Die Staatsanwaltschaft wirft den Managern gewerbs- und bandenmäßigen Betrug vor.

Ob Winterkorn indes tatsächlich auf der Anklagebank Platz nehmen wird, scheint aus einem anderen Grund noch nicht sicher: der angegriffenen Gesundheit des 73-Jährigen. Erst Anfang des Jahres hieß es, dass eine Operation nötig sei, die aber noch nicht möglich ist, weil akute gesundheitliche Probleme erst behoben sein müssten. Nach einer Operation würde Winterkorn demnach wahrscheinlich drei bis sechs Monate Rekonvaleszenz benötigen.

Mehr: Diesel-Betrugsprozess gegen Ex-VW-Chef Winterkorn erneut verschoben.

Startseite
Mehr zu: Automobilkonzern - Dieselskandal: Volkswagen will Schadensersatz von Ex-Konzernchef Winterkorn
0 Kommentare zu "Automobilkonzern: Dieselskandal: Volkswagen will Schadensersatz von Ex-Konzernchef Winterkorn"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%